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Staiger vs das Elend der modernen Welt

„Lieber Jan Böhmermann, dein ,POL1Z1STENS0HN‘ ist einfach nur standesgemäße Überheblichkeit.“

Ein offener Brief an Jan Böhmermann von Marcus Staiger.

Lieber Jan Böhmermann,

so sieht es also aus, wenn sich Deutschlands „intelligentester Satiriker“ (stern) über die Unterschicht und Gangstarap lustig macht. Weißt du, ich habe es schon immer gehasst, wenn mich irgendwelche Leute mit einem lauten „Yo!“ und so komischen Handzeichen begrüßten, nur weil sie wussten, dass ich irgendwas mit HipHop zu tun habe. Anscheinend wollten sie mir so zu verstehen geben, dass sie voll Bescheid wissen: „Hey du bist doch Rapper und Rap ist doch diese Musikrichtung, wo die Neger um die Mülltonnen tanzen und Gang-Zeichen in die Luft werfen. Hey, finde ich voll cool. Yo!“ Und ganz genau so kommt deine neueste Parodie daher. „Rap, das ist doch diese Musik, wo die Kanacken nicht richtig Deutsch können, die Präpositionen weglassen und die ganze Zeit „isch“ statt „ich“ sagen. Voll lustig, wenn man das nachäfft. Isch mach disch Krankenhaus. Muhahahahahaha.“ Ehrlich gesagt habe ich gedacht, dass diese Art des Humors nach dem Tod von Stefan und Erkan ein für allemal ausgestorben ist. Dank dir kommen jetzt die lebenden Toten zurück.

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Ach so klar. Sorry. Wir haben das natürlich ganz falsch verstanden. In Wirklichkeit sollte der Song natürlich ganz subtil auf die rassistische Polizeigewalt in Deutschland hinweisen. In Wahrheit ist der Song selbstverständlich eine Kritik an der hiesigen Polizeipraxis. Na klar. Weißt du, das ist dir eigentlich ziemlich gut gelungen—bis auf die Tatsache, dass das keiner verstanden hat. Der Song dürfte, wie mein Kollege Juri Sternburg ganz treffend formuliert hat, schon jetzt ganz oben auf den Playlisten für die Weihnachtsfeiern in den Bullenwachen der Republik stehen.

Und deine Freunde aus den bürgerlichen Redaktionsstuben klatschen Beifall, weil du ihrer Meinung nach mit dem Song den deutschen Gangstarap beerdigt hast. Das ist der Sarrazin-Effekt. Endlich traut sich mal einer, die Wahrheit zu sagen. Endlich stellt sich mal einer hin und führt vor, dass das, was diese Typen aus der Unterschicht da machen, sowieso keine Kunst ist. Deutscher Gangstarap?—Ach Gott, wie lächerlich! Abfall!

Weißt du, Jan, auch wenn du das nicht wahrhaben willst und dich wahrscheinlich wirklich für relativ schlau und fortschrittlich hältst, das, was du und deine Journalisten-Kolleginnen und -Kollegen da machen, ist einfach nur standesgemäße Überheblichkeit. Das Bildungsbürgertum schlägt zurück: Jeglichen Inhalt in den Texten ignoriert ihr vollkommen und macht euch nur noch über die Form lustig. Ihr verarscht Leute, weil sie weniger Bildung haben, weil sie weniger Geld besitzen und weil sie gesellschaftlich unter euch stehen. Das ist schon ganz cool.

Insofern triffst du, Jan Böhmermann, dann auch den Nagel auf den Kopf, wenn du beschreibst, wie du mit deinem deutschen Namen und deinem deutschen Pass die Polizei anrufst und die Gang an den Start bringst, auf die du dich im Zweifelsfall immer verlassen kannst. Ob sich Aykut oder der sudanesische Geflüchtete, der im Park Drogen verkaufen muss, damit er was zu fressen hat, auch auf sie verlassen kann, ist eher unwahrscheinlich. Du könntest bei Gelegenheit ja mal nachfragen. Oury Jalloh, der an beiden Händen gefesselt im Polizeigewahrsam bei lebendigem Leibe verbrannte, den kannst du nicht mehr fragen. Wahrscheinlich hätte er das mit dem Freund und Helfer ein wenig anders gesehen als du.

Ich weiß, wir sollen uns jetzt alle mal entspannen und runterkommen. Das hast du alles nicht gesagt und im Endeffekt hast du nur einen Witz gemacht und wir Trottel haben ihn einfach nicht verstanden. Das Beste an deinem Song aber ist, dass er gar kein Witz ist, sondern die pure Wahrheit. Wahrscheinlich ist dir das selbst gar nicht aufgefallen, aber es stimmt, dass die reale Macht in diesem Land genau so verteilt ist, wie du es beschreibst. Die da unten können nämlich wirklich machen, was sie wollen, sie können sich schlägern und mit Gewalt drohen, sie können sich aufplustern und die Macheten schwingen, an den realen Verhältnissen wird sich gar nichts ändern. Im Zweifelsfall regeln nämlich eure Anwälte das für euch.

Das ist die wahre Street-Power und das, mein lieber Jan, bringst du in deinem Song perfekt auf den Punkt, genau wie die Arroganz einer Gesellschaft, die das schon ganz in Ordnung findet, dass es Gewinner und Verlierer gibt. Offensichtlich gehörst du zu den Gewinnern, Baby. Was daran aber witzig sein soll, verstehe ich nicht. Vielleicht kannst du mir das ja erklären, wenn ich demnächst bei dir und Olli in der Sendung bin. Ich freue mich schon jetzt auf unsere Begegnung.

Herzlichst
Dein Marcus Staiger