Ein Liebesbrief von Visa Vie an Domian
Fotos: Oliver Rath (Visa Vie) | Imago (Domian)

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Ein Liebesbrief an ...

Ein Liebesbrief von Visa Vie an Domian

Heute ist Domian zum letzten Mal live auf Sendung. Zum Abschied gibt es noch einmal viel Liebe von Visa Vie.

Sagen wir, wie es ist: Im Internet überwiegt der Hass. Ein Blick in die Kommentarfelder von YouTube oder Facebook reicht da meist schon, um den Glauben an das Gute auf dieser Welt täglich aufs Neue zu verlieren. Das ist doch scheiße. Also konzentrieren wir uns lieber auf die schönen Seiten im Leben, die absolut wunderbaren Dinge, die unseren Alltag bereichern, uns zum Lächeln bringen. Dinge, die wir verdammt nochmal lieben. Da vor allem Musiker und Musikerinnen, aber auch (wie in diesem Fall) berühmte Menschen aus Funk und Fernsehen online oft die volle Wucht der Missgunst zu spüren bekommen, geben wir ihnen hier die Möglichkeit, dem Hassklima mit einer großen Ladung reiner Liebe die Stirn zu bieten. Wir geben ihnen einen komplett freien Raum, in welchem sie ihre Liebe zu einer Person, einer Sache, einem Gefühl, einem Was-auch-immer in selbst gewählte Worte fassen können.

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In dieser Ausgabe schreibt Visa Vie an Domian, der heute zum allerletzten Mal nach über 20 Jahren im WDR auf Sendung gehen wird. Schnief? Ja, schnief. Aber auch noch viel mehr!

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Ach Domian,

für manche bist du nur der Moderator mit den karierten Hemden, der seit gefühlten 120 Jahren jede Nacht in diesem pink ausgeleuchteten Studio mit dem Hirsch sitzt. Der Mann, bei dem Nacht für Nacht die einsamen Seelen, die Verzweifelten und Kranken oder die Perversen (jaaa, der Typ mit dem Hackfleisch) anrufen. Für mich bist du so viel mehr. Der stetige Begleiter in meinem Ohr, mein Lehrer, ein fremder Vertrauter, ich würde sogar soweit gehen, dich als meine Muse zu bezeichnen. Ich habe dir mehr als die Hälfte meines Lebens zugehört. Live, aber eben auch im Archiv. Zum Einschlafen, beim Autofahren, während des Kochens, zum Laufen, beim Aufräumen, im Flugzeug! Ich bin da nicht stolz drauf, aber manchmal bis zu fünf Stunden am Tag.

Heute Nacht gehst du das allerletzte Mal im WDR Fernsehen und bei 1Live On Air. Jetzt weiß ich endlich, wie sich die Take That-Fans damals gefühlt haben müssen. An diesem schwarzen Tag, dem 16.12. geht ein bisschen die Welt für mich unter. Ich wünschte, es wär wie bei den Rappern, die theatralisch ihr Ende ankündigen und dann ein Jahr später doch ein Comeback-Album rausbringen. Meine Befürchtung sagt mir allerdings, du meinst es wirklich ernst und es gibt kein Zurück. Alles, was jetzt noch bleibt sind meine Erinnerungen, domianarchiv.de (auch wenn ich dort bestimmt 99 Prozent aller archivierten Sendungen leer gewildert habe) und dieser Liebes- und gleichzeitige Abschiedsbrief an dich. Ich habe diesen Text hier immer und immer wieder angefangen, aber jedes Mal klangen meine Worte wie ein Nachruf. Das zeigt dir vielleicht, wie groß mein Abschiedsschmerz ist. Da ich dir aber nur ungern das Gefühl vermitteln möchte, dass du bald sterben wirst, hab ich mir was anderes überlegt. Vor ungefähr 15 Jahren hast du dich ganz heimlich in mein Leben geschmuggelt und deswegen habe ich hier für dich 15 Gründe aufgeschrieben, warum ich dich und deine Sendung so sehr verehre und warum man den Erfolg von „Domian" eben nicht nur auf 60 Kilo Hackfleisch reduzieren kann. (Ich habe wirklich versucht, mich kurz zu fassen, aber 15 Jahre sind eine lange Zeit, außer meiner Familie und zwei, drei engen Freunden hat mich niemand so lange in meinem Leben begleitet, also verzeih mir meine Ausuferungen.)

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1. Dein Monchichi-Gesicht

Du hast das 90/60/90 der vertrauenswürdigen Gesichter. Irgendwie niedlich, gleichzeitig reif und weise. Bei aller Ehrfurcht möchte man dir trotzdem gerne mal in die Wange kneifen. Also ich zumindest. Keine Ahnung warum, aber du erinnerst mich an mein geliebtes Monchhichi „Klomännchen" (es hieß so, weil es tatsächlich mal ins Klo gefallen ist). Vielleicht fühle ich mich dir deswegen so verbunden. Dazu kommt, dass du 21 Jahre, fünf Tage die Woche, 60 Minuten am Stück in diese Kamera gestarrt hast, ohne, dass ich deinem Gesicht je überdrüssig geworden bin. Durch deinen eindringlichen Blick hat sich das für mich immer angefühlt, als würdest du mir bis in den hinterletzten Winkel meiner Seele gucken. Dass mir das nie Angst gemacht hat, macht mir Angst. (Erst kürzlich wurde ich übrigens darauf hingewiesen, dass du an die fünf Mal pro Sekunde blinzelst, das ist mir in all unseren gemeinsamen Jahren nie aufgefallen.)

2. Deine engelsgleiche Stimme

Nicht nur zum Einschlafen, sondern vor allem wenn ich richtig gestresst war oder mal wieder Todesangst beim Fliegen hatte, habe ich deine Sendung im Podcast gehört. Ich habe mir also mit einem Puls von ungefähr 180 freiwillig Lebensgeschichten von Alkoholikern, Vergewaltigungsopfern und Todkranken angehört und bin dabei oft zur Ruhe gekommen. Das bedeutet entweder, dass mit mir ernsthaft was nicht stimmt oder, die für mich viel plausiblere Erklärung, dass deine Stimme mein persönliches Valium, mein ASMR, meine Meditation ist. (Solltest du irgendwann mal ein romantisches Hörbuch lesen, werde ich es mir zur Sicherheit aus Angst vor einer unbequemen Wahrheit lieber nicht anhören. Sorry.)

3. Der Porzellan-Hirsch

Ehrlich gesagt war mir dieser Hirsch da im Hintergrund lange Zeit ziemlich egal, aber deine zauberhafte Art dieses 0815 Deko-Element beinahe wie ein richtiges Haustier zu behandeln, hat auch meine Zuneigung für das Ding geweckt. Ich war sogar kurz davor, bei der Versteigerung vor wenigen Tagen mitzubieten, aber spätestens als der Höchstbetrag bei 20.000 Euro lag, bin ich doch noch zur Vernunft gekommen. (Ich habe ja immer noch ein bisschen die Hoffnung, dass ein edler Spender, der von meinem „Domian-Fetisch" weiß, das Teil für mich gekauft hat.)

4. Dein Name

DOMIAN! (Jürgen warst du für mich nie.) Der großartige Nebeneffekt deines besonderen Nachnamens waren die spannenden Variationen, die die leicht vertüddelten älteren Leute oder die angesoffenen Anrufer daraus gemacht haben: DOMINAN, DOMINA (der Klassiker), DORIAN, DONIMAN, DOMINANT… Das hat immer wieder ein kleines Lächeln auf mein ansonsten während deiner Sendung eher erstauntes, entsetztes oder angeekeltes Gesicht gezaubert.

5. Deine Floskeln

Drehst du mal bitte den Ton von deinem Radio oder Fernseher ganz aus! // Ach, das hört gleich auf. // Ich würde dir gerne ein Gespräch mit meinem Psychologen anbieten. // Halt mal den Hörer irgendwie anders, das klingt so verblubbert. // Ich werd jeck! // Jetzt mal unter uns Betschwestern. // Leider ist die Sendung gleich vorbei, wir müssen Schluss machen. // Das ist ja völlig schräg. // Ach du lieber Gott. // Du legst bitte auf und meine Psychologin ruft dich gleich zurück.

Ich kenne dich so gut, ich wusste immer, wann welche Floskel kommt und konnte sie lippensynchron mitsprechen. Mein Favorit war allerdings: „Ich kotze!" Es kam nicht oft vor, aber immer dann, wenn du richtig sauer warst und ein bisschen die Contenance verloren hast (wie zum Beispiel bei diesem Nachwus-Zuhälter, der junge Mädchen auf den Strich schickt), sind diese beiden kleinen Wörter wie Raketen aus dir herausgeschossen. Ein paar Mal hast du sogar „verfickt" gesagt, das waren zugegebenermaßen auch kleine Highlights für mich. (Übrigens—deinetwegen habe ich mir wahrscheinlich auch angewöhnt, das Wort „unfassbar" in jedem dritten Satz zu sagen. Das machst du nämlich auch sehr oft. Danke dafür <3)

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6. Die Uhrzeit

Wer sich auch immer im Jahre 1995 diese Sendezeit überlegt hat, darf sich hiermit ein schriftliches High Five bei mir abholen. 01:00 bis 02:00 Uhr. Schon als Teenie konnte und wollte ich um die Uhrzeit nicht wirklich schlafen. Damals gab es noch kein Netflix, kein YouTube, nur diese Telefonsexwerbungen, die die ganze Nacht in Dauerschleife über den Bildschirm geflackert sind, da warst du die beste Ablenkung in meiner Schlaflosigkeit. Irgendwie hatte ich immer das heilsame Gefühl, als würden alle schlafen, außer dir, mir und den im Schnitt sechs Anrufern in deiner Sendung. Wir acht gegen den Rest der Welt als kleine Einheit in der einsamen, dunklen Nacht. (Die anderen 200.000 Zuschauer / -hörer hab ich gekonnt wegignoriert.) Ich war die stille Beobachterin, immer mit dem Telefon im Anschlag, bereit mich in die Szenerie einzumischen. Getraut hab ich mich nie. Aber trotzdem war ich Teil dieses rebellischen Konstrukts. Zusammen haben wir die Nacht zum Tag gemacht, drauf geschissen, wann der Wecker klingelt. #TeamFuckSleep gab es also auch schon vor Sierra Kidd, das waren wir, die immer wache Domian-Army.

7. Deine Eier

(Versteh mich bitte nicht falsch Domian. Das ist jetzt nix Sexuelles. Meine Liebe zu dir ist natürlich rein platonischer Natur.) Sich vor einem Millionen-Publikum als bisexueller Mann zu outen, sich allen Fragen dazu permanent offen zu stellen, immer mit der Gefahr in der eigenen Livesendung dafür angegriffen und beleidigt zu werden, hat für mich mehr Eier als 95 Prozent der gesamten deutschen Medienlandschaft zusammen. Sollte zwar normal sein, ist es aber leider immer noch nicht. Chapeau. Punkt.

8. Deine Zurückhaltung

Apropos Medienlandschaft. Was so viele Moderatoren und Interviewer im deutschen Fernsehen, Internet und Radio meiner Meinung nach so unerträglich macht, ist ihr permanentes Bedürfnis, sich in Gesprächen selbst in den Vordergrund zu drängen ( s/o an Markus Lanz)! Obwohl die Menschen explizit wegen deiner Meinung angerufen haben, hast du ihren Geschichten immer mehr Raum gegeben als dir selbst. Du hast an den richtigen Stellen eigene Erfahrungen eingebracht, aber die Klappe gehalten und einfach nur zugehört oder nachgefragt wenn es notwendig war. Das ist eine große Kunst und nicht immer leicht. Das kann ich aus eigener Erfahrung sagen. Auch wenn du viele deiner Anrufer unterbrochen hast wenn es sein musste und deine Meinung immer vehement vertreten hast, ist dein Narzissmus-Level für deinen Bekanntheitsgrad mehr als niedrig. Zumindest wirkt das so. Ich hoffe, dass—sollten wir uns jemals begegnen—mein Domian-Kartenhaus nicht zusammenfällt.

9. Deine Gutgläubigkeit

Manche mögen das naiv nennen, ich finde es erstaunlich, dass du trotz der zahlreichen Fake-Anrufer im Laufe der Jahre nie den Glauben an die Menschen verloren hast. Es gab manchmal Leute, die sich, während sie dir irgendwelche ausgedachten Stories vorgelogen haben, sogar hörbar bepisst haben vor Lachen und du hast erstmal ganz einfühlsam gefragt: „Lachst du oder weinst du?" Bei all den absurden Anrufen kann man es dir wirklich nicht verdenken, dass du ALLES, noch so unrealistisch wirkende für möglich gehalten hast und vor allem habe ich es dir nie als Schwäche ausgelegt, dass deine Skepsis im Vergleich zu deinem offenen Ohr einfach kaum eine Rolle gespielt hat. Trotzdem waren es für mich manchmal quälend lange 10 Minuten, in denen ich wusste, dass das böse Erwachen noch kommt und jemand gleich in einer Exorzisten-Stimme in den Hörer brüllt. Bei solchen Kandidaten habe ich immer besonders gespürt, wie sehr ich dich mag, es hat mich persönlich verletzt, dass sie deine Zeit gestohlen und deine gutgläubige Art ausgenutzt haben. Da du es nie On Air gesagt hast, übernehme ich das jetzt mal kurz für dich: Schämt euch, ihr fiesen undankbaren Penner! (Kleiner Funfact am Rande, einer dieser Fake-Anrufer war übrigens mal Kay One aka. Manuel, der angeblich von seiner Verlobten sitzengelassen wurde. Das hat mich bei Weitem wütender gemacht als sein Auftritt im Schnee oder die anderen, bekannten Fehltritte.)

10. Aufklärung

Deiner Sendung habe ich es zu verdanken, dass mein Wortschatz in Sachen Sexualität, Anatomie und Perversion stetig gewachsen ist. Zugegebenermaßen hat es mein Leben jetzt nicht wirklich bereichert zu wissen, was beispielweise Smegma ist, aber wenn jemand mal unter eines meiner YouTube-Videos schreibt: „Visa Vie, ich möchte, dass du mein Smegma kostest", dann weiß ich wenigstens worum es geht und warum ich das unbedingt löschen sollte. Für den Fall, dass ihr in einer ähnlichen Hundewelpen-Welt lebt wie ich und keine Ahnung habt, was das sein soll, dann googelt das bitte selbst. Beim besten Willen, ich kann und will das nicht erklären. Selbst du, Domian, hast bei den Erzählungen von dem Typen, der sein Smegma zusammen mit abgeknipsten Fußnägeln aufs Brötchen schmiert und seinem Freier verkauft, fast gekotzt. Zu Recht. Auch wenn ich viele der Schilderungen über mir bis dahin unbekannte Sexpraktiken teilweise extrem widerlich fand, hat deine erstaunte, aber nie abwertende Art mit den Anrufern darüber zu sprechen, bei mir schon in früher Jugend zu großer Toleranz geführt. Sollen erwachsene Leute sich in Windeln doch gegenseitig Nuckelflaschen in den Po schieben oder nicht (ja, dass es sowas gibt, weiß ich auch aus deiner Sendung), solange sie damit niemandem weh tun (außer sich selbst), und keiner zu irgendwelchen absurden Handlungen gezwungen wird, ist mir das alles egal.

11. Dein Durchhaltevermögen

Ich kann mir nur im Ansatz vorstellen, was in den fast 22 Jahren alles vor, während und nach deinen Sendungen passiert ist. Dieser Ansatz umfasst bei mir die Erfahrung seit 7 Jahren mindestens einmal die Woche live On Air zu sein. Wie oft haben mich nur wenige Stunden davor kleinere und große Dramen geplagt. Von Todesfällen kurz vor der Show über Trennungsschmerz, Konflikten und akuter Krankheit. Sobald die rote Lampe leuchtet ist das bei mir zumindest für den Moment alles nur noch verschwommen, wenn nicht sogar weg. Vielleicht geht es dir da ähnlich. Meine Mama fragt mich oft, wie das funktioniert. In meinem Fall kann ich mir das schon erklären, es sind eben nur diese zwei Stunden live die Woche und es geht um Musik, es lenkt ab, ist meist positiv. Aber wie du das in dieser unendlich langen Zeit schaffen konntest, jeden Abend aufs Neue die Offenheit, Neugierde, Empathie und Konzentration übrig zu haben, dass es für eine Handvoll fremder Menschen reicht, trotz all der Dinge, die auch in deinem Leben nebenher passiert sein müssen, ist mir ein Rätsel und verdient großen Respekt.

12. Empathie

Eben hat dir noch ein Vater unter Tränen erzählt, dass sein Kind gestern bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist und danach jammert eine junge Frau über ihren faulen Freund. Du hast jedes große und kleine Problem mitfühlend verfolgt und niemandem das Gefühl gegeben, seine Geschichte wäre nicht so bedeutsam wie die des anderen. Ich hab es nur einmal gehört, dass dir etwas zu lapidar war, als ein Typ mit dir über Autos sprechen wollte. Den hast du trotz deiner eigenen Begeisterung für Karren nach wenigen Minuten abgewürgt. Deine persönliche Betroffenheit und deine kindliche Begeisterung auch für die positiven Anrufe rund um neue Liebe, Lottogewinn oder Urlaub wirkten immer echt und ansteckend. Du wurdest mit den krassesten Schicksalen konfrontiert und bist nie abgestumpft. Es ist noch gar nicht lange her, als dich ein todkranker junger Mann sprachlos gemacht hat und du deine Regie schluchzend um eine Pause gebeten hast. Deine Gesprächskultur, deine Anteilnahme und dein aufrichtiges Interesse sind selten und vorbildlich im Fernsehen, aber auch in der echten Welt. (Ach Domian, vielleicht langweilen dich meine Lobeshymnen hier schon langsam, aber das hast du dir echt selbst eingebrockt. Halt noch ein bisschen durch, das kannst du ja ziemlich gut—siehe nächster Punkt.)

13. Deine GEDULD

21 Jahre musstest du diese Rückkopplungsgeräusche anhören, weil die Leute zu doof oder zu aufgeregt waren, ihren Fernseher oder ihr Radio auszuschalten. 21 Jahre haben Menschen deinen Namen falsch gesagt (siehe Punkt 4.) oder dich gegen deinen ausdrücklichen Wunsch gesiezt. 21 Jahre hast du jede Nacht die immer gleichen Sätze gehört: „Domian, also zuerst muss ich dir sagen, dass ich deine Sendung schon ganz lange höre." Oder „Puh, ich bin sooooo aufgeregt, weil ich mit dir spreche". Oder „Kann ich bitte noch ein Autogramm haben", „Domian, kann ich noch jemanden grüßen?" Fast genauso viele Jahre wurdest du ständig auf diesen Hackfleisch-Ficker angesprochen. Immer und immer haben Anrufer unverständlich vor sich hingenuschelt, waren drauf oder betrunken, haben dir nicht zugehört oder sich permanent wiederholt. Natürlich war das alles nie böse gemeint, aber dass du niemals deinen Kopf auf den Tisch geschlagen hast, ist trotzdem ein kleines Wunder. Ich bin ja eigentlich auch ein ziemlich entspannter Mensch, aber mich nervt es teilweise jetzt schon seit sechs Jahren mehrmals die Woche gefragt zu werden: „Wie ist eigentlich Fler / Farid Bang / Kool Savas / Kollegah / Haftbefehl in echt?" Ich beantworte das zwar auch immer freundlich, aber wenn man mir die gleiche Frage in 15 Jahren immer noch stellt, bin ich mir ehrlich gesagt nicht so sicher, ob ich dann nicht doch' nen Anti-Agressionstrainer brauche. (Solltest du Kurse in der Hinsicht anbieten, lass es mich bitte wissen.)

14. Dein Verständnis

Wie redet man mit einem Pädophilen, einem Nazi, einem Mörder oder Fanatiker ohne durchzudrehen? Redet man überhaupt mit denen? Dank dir weiß ich, dass man es kann. Du hast diesen Drahtseilakt (fast) immer souverän gemeistert. War jemand komplett ohne Reue und Reflektion, kam der Ich-Kotze-Domian zum Vorschein und der stand dann plötzlich auch selbst mal als „Schwuchtel" oder „Gutmensch" unter Beschuss. War da doch ein Funken Einsicht oder der Wunsch nach Veränderung, hast du dir die Zeit genommen, um die Zusammenhänge zu erkennen und an Menschlichkeit, Nächstenliebe und Selbstkontrolle zu appellieren. Domian, du hast dieses Bundesverdienstkreuz 2003 nicht umsonst bekommen, du hast mir und hoffentlich noch ganz vielen anderen Menschen beigebracht, dass es immer besser ist, sich auszutauschen und den Versuch zu wagen, zu verstehen, statt zu verurteilen. Klingt mega cheesy (wie wahrscheinlich vieles hier), ist aber einfach so.

15. Mein Vorbild

Ich könnte diese Liste jetzt noch um 30 Punkte erweitern, aber bis hierhin hast du es bestimmt eh nur schwer durchgehalten (falls du das überhaupt liest, aber ich hoffe, dafür sorgt wiederum die „SeidLieb"-Army, die ich hiermit gegründet und ihr einen Wink mit dem ganzen Zaun gegeben habe). Dennoch möchte ich noch einmal ganz klar und deutlich eine Erkenntnis mit dir teilen, die zeigt, dass du maßgeblichen Einfluss auf mein Leben genommen hast. Seitdem ich als Moderatorin arbeite, wurde ich immer wieder gefragt, warum ich meine Interviews so führe wie ich sie führe, warum ich so gut mit teils extremen Gesprächspartnern (Rappern) klarkomme, und immer wieder wollen Menschen wissen, ob ich ein Vorbild habe. So richtig konnte ich diese Fragen nie beantworten, ich dachte immer, dass alles in dieser Richtung intuitiv und autodidaktisch entstanden ist. Als Vorbild habe ich meine Oma—Kriegsjournalistin—genannt, aber das „Talent", das mir manche Leute netterweise in Sachen Interviewführung nachsagen, hab ich einfach als gegeben betrachtet. Erst im Laufe des letzten Jahres, mit dem drohenden Ende deiner Sendung im Nacken, ist mir bewusst geworden, dass ich vieles von dem, was ich kann und erreicht habe, auch dir zu verdanken habe. Ich glaube, unterbewusst hast du mir mit jeder Sendung, jedem einzelnen Gespräch beigebracht, wie man seine naturgegebene Neugier in die richtigen Fragen umwandelt, wie man zuhört, aufmerksam und einfühlsam ist. In den letzten 15 Jahren habe ich dank dir, ohne es zu merken, fast täglich meine persönliche „Wie werde ich eine gute Moderatorin"- Coaching Session bekommen. Ob ich im Radio und Internet Formate moderieren könnte und dürfte, wenn du nicht gewesen wärst, weiß ich nicht. Anderen Menschen hast du das Leben gerettet, das ist natürlich mehr wert, aber mir vielleicht ein Stück weit meinen beruflichen Weg geebnet, das bedeutet für mich sehr viel. (Eventuell wäre ich ohne dich heute eine arbeitslose Schauspielerin, wer weiß). Sollte sich also zukünftig jemand über ein legendäres Haftbefehl-Interview oder ähnliches freuen, dann denkt bitte immer auch ein bisschen an Domian und sein Monchhichi-Gesicht.

So, Domian, reicht jetzt auch wirklich. Ich weiß, wir haben keine Zeit, die Sendung ist gleich vorbei. Vielleicht kann dein Psychologe mich noch kurz zurückrufen wegen meiner Adresse und dann kann ich mit ihm darüber reden, ob es normal ist, wenn man teilweise fünf Stunden am Tag Domian hört und wie ich jetzt am besten mit meinem Verlust umgehe … Beim Schreiben all dieser Zeilen wären mir zwischendurch wirklich fast die Tränen gekommen, so krank das auch klingen mag. Aber ich stehe dazu. Ab jetzt werde ich jede Nacht um Punkt 1 Uhr eine kleine Schweigeminute für dich und unsere kleine, nun irgendwie obdachlose Selbsthilfegruppe einlegen und mir ein kariertes Hemd überwerfen. Live werde ich dich nie wieder hören können, aber zum Glück wurde das endgültige Ende für mich auf den letzten Metern nochmal auf unbestimmte Zeit hinausgezögert. Denn wie ich vorhin bei domianarchiv.de (ohne Spaß die meistbesuchte Seite auf meinem Handy) gelesen habe, wird es dort ab dem 10.01.2017 wöchentlich Domian-Sendungen geben, die vor 2003 gelaufen und bislang nicht online zu finden sind. Das hat mir den Abend gerettet. Und den Monat. OK. Das kommende Jahr.

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Danke für alles. Genieß die Stille und das Tageslicht. Du wirst mir fehlen.

Gute Nacht, Domian.

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Domian sendet heute Abend (16.12.2016) zum letzten Mal live im WDR. 2017 geht er auf „Domian redet"-Tour durch NRW.

Visa Vies Radiosendung „Irgendwas mit Rap" hört ihr jeden Mittwoch Abend ab 20 Uhr live auf Fritz (rbb). Was sie sonst noch so alles macht, erfahrt ihr immer rechtzeitig hier.

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