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„Dresden ist noch nicht gefallen“—Juse Ju berichtet von Deichkinds Anti-Pegida-Demo

Juse Ju war gestern zusammen mit Deichkind, Das Bo und Fatoni in Dresden, beschreibt seine Erfahrungen und hat gelernt: „Für jeden Rassisten gibt es in Dresden einen Deichkind-Fan.“

Vergangenen Samstag wollte Pegida mit Demonstrationen und Kundgebungen in 14 Städten europaweit mobil machen. Hat dann alles aber doch nicht so ganz geklappt, und am Ende ist die großangelegte „Festung Europa“-Sause ziemlich mickrig ausgefallen. Gerade mal ein paar hundert Teilnehmer und weniger wurden in Polen, Frankreich oder Dänemark gezählt, es gab die guten alten technischen Probleme und dann war Lutz Bachmann auch noch krank.

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Aber 8000 Pegida-Fans in Dresden sind eben immer noch 8000 Pegida-Fans in Dresden, ob nun mit oder ohne Lutz. Also haben Deichkind kurzerhand ihre Show in einen Sprinter gepackt, um selbige Montagabend auf dem Theaterplatz abzufeiern, “… gegen Rassismus und Ressentiments, gegen Gewalt in Wort und Tat, gegen Sexismus und Hass, gegen Vorurteile und Populismus.” Mit dabei waren auch Das Bo und Fatoni, der sich wiederum den guten Juse Ju für zwei Songs eingepackt hatte. Da war für Juse noch locker Zeit, seine persönlichen Eindrücke vom Abend in 1 Laptop zu hacken:

Endlich wieder links-kredibil! Seit Wochen beschimpft mich Fatoni als „Pussy“. Warum? Weil ich mich weigere, im hypothetischen Falle eines AfD-Erdrutschsieges bei der nächsten Bundestagswahl in den bewaffneten Widerstand zu gehen. Das ist wirklich inkonsequent, ich weiß. Aber dieser Montag sollte der Montag werden, an dem ich der Pegida in ihren Vorgarten scheiße. Gutmenschen-Terror-Rap auf dem Theaterplatz in Dresden. Nur ich und das Mic gegen das braune Tal der Ahnungslosen … Gut, ich und Deichkind … und Das Bo … und Fatoni. Okay, ich hatte einen Zwei-Song-Kurzauftritt in Fatonis Opening Act. Ich stand nicht mal auf dem Programm. Aber, fuck it! Das ist behind enemy lines.

Juse Ju in Dresden | Alle Fotos von Arvid Wünsch

Selbstverständlich wurde meine narzisstische Widerstandsromantik ziemlich schnell von der Widerstandsrealität eingeholt. In meinem Kopf war da diese riesige Deichkindbühne vor klassizistischen Kirchtürmen. Als wir am Nachmittag ankommen, steht da natürlich nur ein Planwagen mit klassizistischen Boxentürmen. Ein paar Techniker diskutieren, welcher Mixer dran soll. Deichkind haben diese „Impulsive Menschen kennen keine Grenzen“-Aktion zusammen mit einem Anti-Pegida-Bündnis in drei Tagen hochgezogen. Warum also sollte es anders sein als bei einem normalen Antifa-Move? Orga-Gruppen wie Gepida (Genervte Einwohner protestieren gegen Intoleranz Dresdner Außenseiter) geht es nicht um beschissenen Glamour, sondern um einen Mittelfinger an dieses Beige-Bundjacken-Bündnis aus Mutwürgern, äh… Wutbürgern. Und trotzdem ist da dieses Bild eines Björn Höcke in meiner Birne, der sein Publikum von einer Monumentalbühne herab mit Volksdümmlichkeiten verblendet. Pustekuchen! Das Leben ist wie Tom Cruise, alles ist immer etwas kleiner als im Fernsehen. Ich bekomme langsam das Gefühl, dass Pegida selbst dort auch viel größer aussieht. An diesem Montagnachmittag sieht der (noch) leere Theaterplatz mit dem Planwagen aus wie der feuchte Traum aus einer chinesischen Reisebroschüre. Nicht wie das von mir herbeigesehnte Battlefield eines Show Offs zwischen der Neurechten und der Résistance.

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Doch als die Sonne untergeht, zeigt sich das No-Pegida-Dresden. Mit einem Fingerschnippen ist der Theaterplatz voll – Flashmob Style. Voller als bei Pegida in letzter Zeit. Als wir zum Planwagen laufen, nuschelt irgendwer was von 10.000 Menschen. Und plötzlich steht Fatoni in einem Lichtermeer aus Handytaschenlampen.

Auftritt Fatoni

Als er mich dann auf die Bühne holt und ich in tausende Augenpaare schaue, stockt mir der Atem. Wortwörtlich! Ich bekomme vor Aufregung keine Luft mehr und Fatoni muss mich bei jeder zweiten Zeile doppeln. Dann kommen Deichkind. Es fühlt sich an, als hätten sie ihre Cirque de Soleil-artige Bühnenshow unter dem Druck zweier Universen in einen kleinen Würfel aus schwarzer Materie gepresst. Das hat was von 25 Clowns in einen Minicooper. Doch alles ist da: die klassische, blinkende Pyramidenhelm-Choreo, riesige Gehirnhüte, Pest-Kostüme und Banger, Banger, Banger, Krawall und Remmidemmi. Kryptik Joe wird später erklären: Alles, was in einen Sprinter passt, war in der Show. Und Deichkind funktionieren offensichtlich auch auf einem Planwagen.

Und die verdammten Rechten, die zu bekämpfen ich heldenhaft nach Dresden gereist bin? Laut des Mit-Veranstalters Alvero sollen 6 Glatzen während des Deichkind-Konzerts Stress ohne Grund gemacht haben. Angeblich kam es zu einem Handgemenge zwischen den Eisenköppen und den linken Ordnern. Die Faschos wurden wohl abgeführt und die Ordner bekamen eine Anzeige… WTF?! Ach ja, und eine grauhaarige Verschwörungstante mit Knabenfriese hielt mit einem per Lichterkette und Russlandfahne abgegrenzten Stand die Stellung für alle, äh… für wen ist nicht ganz klar. Ihre Erkenntnis: Der zweite Weltkrieg und das dritte Reich sind noch nicht beendet und mein Pass sowieso ungültig. Die Lösung: Angela Merkel muss mit den Alliierten den Krieg endlich beenden und den Schulterschluss mit unserem russischen Brudervolk suchen. Das war alles. Kein Aufmarsch, kein Höcke, kein Battlefield, kein Black Ops. Kurz: Keine Faschokonfrontation. Die dümmlich-deutschen Ängste vor Übergriffen und die fliegenden Weltkriegsstockgranaten, die Fatoni und ich allen Ernstes im Gepäck hatten, hätten wir zu Hause lassen können.

Für jeden Rentner-Rassisten gibt es in Dresden einen Deichkind-Fan. Ein Hoch auf die internationale Getränkequalität! Glaubt man den Zuschauern, bleibt Dresden aber eine gespaltene Stadt, deren Image von Pegida nachhaltig gefickt wird, und in der die Antifa immer noch in der Defensive ist. Und trotzdem ist Dresden offensichtlich noch nicht gefallen und kein brauner Sumpf. Also gar nicht so, wie die verdammte Lügenpresse das beschr… äh,… ich meine. Ich hoffe, dass Dresden den Kopf oben hält. Denn sonst zwingt mich Fatoni doch noch in den bewaffneten Widerstand, und dafür fehlt mir leider der Atem. Das wird man ja wohl nochmal sagen dürfen.