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Interviews

„Wenn du nicht geil findest, was ich mache, dann fick dich“—Drangsal im Interview

Wir haben mit Drangsal über seine Faszination für Gewalttaten, Marilyn Manson, fehlende Provokation in der deutschen Indie-Szene und Metallicas 'St. Anger' geredet.

Als wir Ende Januar Drangsals Video zur „Allan Align“ gesehen haben, war unsere erste Reaktion: „Ist das etwa Jenny Elvers?“ Ja, ist sie. Nachdem wir das erstmal verdaut hatten, dass die frisch zurückgekehrte Dschungelkandidatin tatsächlich in einem Musikvideo eines absoluten Geheimtipps mitspielt, konnten wir uns voll auf die Musik konzentrieren: „Das klingt wie The Cure, nur eben in modern produziert.“ Ja, klingt es. Und nachdem wir den Song verzückt ein paar Mal gehört haben, wollten wir mehr wissen, über diesen Drangsal, der Casper zu seinen großen Unterstützern zählt und zwar immer wieder, aber immer knapp unter der Oberfläche der allgemeinen Wahrnehmung, von sich Reden machte.

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Also haben wir uns mit Max Gruber, dem Kopf hinter Drangsal, in Berlin getroffen und bei Schokoriegel und Backwaren über seine Faszination für Gewalttaten, Marilyn Manson, fehlende Provokation in der Indie-Szene des deutschsprachigen Raums und Metallica geredet.

Noisey: Du hast das Album in Harieschaim [heute Herxheim] aufgenommen und danach auch deine Platte benannt. Fühlst du dich noch stark mit deiner Heimatstadt verbunden?
Max: Voll. Ich meine, ich bin 22 und habe immer noch den größten Teil meines Lebens in Herxheim verbracht. Seit fast vier Jahren bin ich nicht mehr zu Hause. Aber klar habe ich noch eine krasse Verbindung, weil Vieles, was ich fühle und über das ich singe, da seine Wurzeln hat.

Der Ort kam 2010 in die Schlagzeilen, weil dort in der Jungsteinzeit oftmals Kannibalismus betrieben worden sein soll.
Total strange, das passt dann wieder alles wie ein Puzzle zusammen. Da wurden Ausgrabungen gemacht und da hat man … Ich weiß auch gar nicht, wie man das herausfindet, dass jemand cannibalized wurde.

Ich glaube, die haben das anhand der Knochen gesehen, da das Fleisch säuberlich abgetrennt wurde.
Ich weiß es nicht, jedenfalls haben die auch ein Museum gebaut. Das ist das Einzige, mit dem man da kulturell aufwarten kann—damit, dass man früher Menschen gefressen hat.

Einer deiner Tracks wurde nach dem Ort Hinterkaifeck benannt. Ein Ort, der für einen Mehrfachmord berühmt ist. Fasziniert dich die grausame Seite des menschlichen Zusammenlebens?
Das hat mich immer fasziniert—wenn man das auch in der eigenen Familie hat, so einen Mord. Ich habe mich schon als kleiner Bub für Serienkiller interessiert und tue es auch immer noch. Das sind nicht Sachen, nach denen ich explizit suche, sondern das kommt immer alles zu mir.

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Warum Mord in der Familie?
Die Familie Gruber, die da in Bayern umgebracht wurde, auf diesem Hof, der Hinterkaifeck hieß, die sind so Teil unseres Stammbaums. Ich heiße ja auch Max Gruber.

Ach was. Wie hast du davon erfahren, durch deine Eltern?
Nein, einfach durch das Hinterkaifeck-Ding habe ich mich da ein bisschen eingelesen. Es gibt ja auch nicht so viele spannende Mordfälle und Serienkiller. Dann hast du irgendwann alle abgeklappert, so wie du jede Black-Metal-Band mal gehört hast. Irgendwann hast du die Runde mal gemacht. Dann habe ich gedacht: „Hä, die heißen ja Gruber, so viele Gruber gibt es in Deutschland auch nicht.“ Dann hat man Nachforschungen angestellt.

Dieses Düstere passt für mich aber schon sehr zu deiner Musik.
Voll. Aber ich bin gar nicht so gothmäßig drauf.

Deine Musik erinnert eben an The Cure.
Den kriege ich immer, obwohl ich keinThe Cure-Fan bin. Ich verstehe natürlich total, dass Leute das dann hören. Mir war tatsächlich auch nicht bewusst, wie krass sich The Cure in der öffentlichen Wahrnehmung befindet. Ich dachte immer, The Cure wären wie The Smiths oder The Fall: Man kennt die, aber die sind jetzt nicht so overly exposed. Und dann sehe ich, dass die in Deutschland so auf Kalendern gedruckt wurden, die man dann in den 80er und 90ern in Musikläden kaufen konnte. Da wurde mir erst bewusst, dass The Cure die Band ist, mit der man den Sound verbindet. Ich habe natürlich Three Imagenary Boys und Pornogrophy gehört, kann daran auch Sachen gut finden, aber es gibt auch Vieles an The Cure, was mich total langweilt. Leider mehr, als es mich begeistert. Ich mag Robert Smith als Charakter auch nicht.

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Wie kamst du überhaupt auf deinen Sound? An sich ist das ja schon 30 Jahre alt.
Mein Vater hatte mal ein Beisl—da war ich noch ganz klein—, für die er immer Kassetten gemacht hat. Die hat er Zuhause auch immer vorgespielt. Da war immer B-52s drauf und Tuxedomoon. Ich war fünf oder sechs und habe mich mehr für Marylin Manson, Guano Apes, The Prodigy, Beastie Boys oder KoRn interessiert, als dafür. Aber es war immer in the back of my head. Irgendwann, als ich von alleine anfing, diese Sachen spitze zu finden, dachte ich: Fuck, natürlich, das war das, was ich als Kleinkind die ganze Zeit um die Ohren geballert bekommen habe! Bei dem Sound fühle ich mich wohl.

Ist das eine Art nostalgischer Sicherheit, dann genau die Musik der Kindheit zu machen?
Bestimmt, aber irgendwie auch nicht, weil ich einfach den Sound so spitze finde. Irgendwas daran, dass es so poliert ist—diese aalglatten Produktionen, ein Schlagzeug klingen zu lassen, dass es nicht mehr klingt wie ein Schlagzeug, eine Snare mit so Gate Reverb, dass es nicht mehr realistisch klingt—lässt bei mir Musik erst anfangen, emotional zu werden. Ich hasse beispielsweise Jazz.

Wie fandest du die Snare aus Metallica „St.Anger“?
(Lacht) Schön, dass du mich das fragst. Momentan habe ich eine Phase, wo ich St. Anger wohl nochmal überdenken muss, weil ich viele Leute getroffen habe, auf deren Meinung ich viel gebe, die jetzt plötzlich … Plötzlich schickt es sich, zu sagen: „St. Anger ist doch total geil.“

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Ich mag es auch sehr. Aber alles, was danach kam, war kacke. Außerdem ist James Hetfield Großwildjäger. Mega unsympathisch.
Die ganze Band sind einfach Wichser. Außer der Bassist, der ist anscheinend ein guter Typ. Der macht nie von sich Reden, der hat immer noch krass Bock, Bass zu spielen. Der ist ja noch bei Suicidal Tendencies und bei Infectious Grooves. Lars Ulrich kann kein Schlagzeug spielen, kauft sich teure Gemälde und holt sich darauf einen runter, James Hetfield erschießt mit riesigen Gewehren wehrlose Tiere in Russland und besäuft sich dabei…

…und Kirk Hammett sagt, er sei der erste richtige Musiker, der jemals an einem Gitarren-Fußpedal mitgearbeitet hat.
Make Metallica great again!

Ich habe gelesen, dass du als Kind immer ein Weirdo wie Marilyn Manson sein wolltest?
Mann, Marilyn Manson hat mein Leben verändert!

Wie alt warst du denn da?
Vier? Fünf? Meine Eltern haben mich zu viel Fernsehen schauen lassen.

Aber das ist auch paradox, als Weirdo bist du ja ein Außenseiter. Etwas, wovor ein Kind Angst hat, weil es dann ausgeschlossen wird.
Echt? Ich wollte immer anecken. Als ich noch klein war, konnte ich das nur auf sehr unsubtile Weise—mit schrägen Klamotten und so. Als Fünfjähriger hast du gerade so verstanden, was ein Mann und was eine Frau ist und dann kommt 1998 Marilyn Manson mit seinem Mechanical Animals-Album und hat rotgefärbte Haare, Brüste, ein Schritt wo nichts ist und sieht einfach so androgyn aus. Da war ich so: Woah, super, das geht auch!? Das war mein Door-Opener für alles andere.

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Hast du dich dann auch anders angezogen?
Ich hatte immer weirde Klamotten an. Schon mit 12 hatte ich meine Fingernägel in allen Farben lackiert und trug Springerstiefel. In der Schule ist man natürlich eine Zielscheibe, aber ich habe gelernt: Wenn dir einer deinen Schulranzen in den Mülleimer wirft, zerstichst du ihm halt die Fahrradreifen und haust ihm eine auf die Fresse. Denn dann wissen die Leute: Wir nennen den „Schwuchtel“, aber wenn wir es zu laut sagen, schlägt er zurück. Das ist das, was mich von den Außenseitern wieder abgehoben hat. Ich hatte nie ein Problem, vor großen Menschenmengen oder mit Fremden zu sprechen. Deswegen habe ich jeden, der mich beleidigt hat, einfach zurück beleidigt. Wenn du nicht geil findest, was ich mache, dann fick dich.

„Allan Align“, deine erste Single vom kommenden Album, gab es als Demo ja schon vor drei Jahren auf Soundcloud. Was hast du seitdem gemacht?
Ich habe die damals in meiner ersten Ein-Zimmer-Wohnung in Neukölln aufgenommen, ganz alleine. Mit Markus Ganter, mit dem ich das Album aufgenommen habe, konnte ich immer nur in Intervallen arbeiten. Dann kam Caspers Hinterland-Album, dann konnten wieder ein bisschen machen, dann kam das Dagobert-Album, dann konnten wieder ein bisschen machen, dann das Sizarr-Album, dann konnten wieder ein bisschen machen, dann kam Tocotronic. Deswegen hat das gedauert.

Richtig überraschend war, das in dem Video zu Single Jenny Elvers mitgespielt hat. Wie habt ihr die dazu bekommen?
Wir haben gefragt. Da kommt wieder das Marilyn-Manson-Ding bei mir raus. Polarisieren hat mich immer fasziniert, deswegen sollte meine Musik nie etwas sein, was man consensually gut finden kann. Beispiel Razz, kennst du die Band? Ich hasse die, das sind so 18-jährige kleine fette Meppener Kinder, die so Editors für Arme machen.

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Davon abgesehen: Es wäre zu einfach gewesen, irgendeine schöne Germany Next Topmodel-Siebtplatzierte bei ihrer Agentur anzufragen. Ich wollte jemanden, der in so einem Video nicht erwartet wird, weil er dort nichts zu suchen hat. Ich wollte jemanden Verkünstelten, der überhaupt nicht kunstvoll ist. Gerade weil es so abstrus ist, jemanden wie Jenny Elvers reinzuholen, musste ich es tun. Weil es die Leute vor den Kopf stößt.

Viele Leute haben mir abgeraten, viele finden es deswegen fürchterlich. Viele Resonanzen die ich bekommen habe, waren so „Super genial“, andere waren „Ist mir egal“ und manche so „Der Song ist gut, das Video beschissen“ und einer „Kompletter Scheiß“. Die ganze Bandbreite wurde abgedeckt. Aber das finde ich spannender, als so ein Schwarzweiß-Video zu machen wie Isolation Berlin, wo die nur so rumtingeln: „Ich trinke Schnaps und bin Poet, auch wenn du dir das fünfte Mal einen wichst, bist du nur traurig“. Fick dich! Mach doch mal was, was den Leuten wirklich vor den Kopf stößt, statt eine Lederjacke mit deinem Namen anzuhaben. Das ist mir zu einfach.

Harieschaim erscheint am 22. April. Du kannst es bei Amazon und iTunes vorbestellen.

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Julius ist auch bei Twitter: @BackToSchoolius

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