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Reisen

Graffiti ist nicht Kunst

Während die Grenzen zwischen Underground und Mainstream immer stärker verschwimmen, haben wir uns mit Stinkfish unterhalten, der gerade seine Tage in Wien verbringt und eine ziemlich eindeutige Meinung zum Thema hat.

Nicht erst seit Banksy eine globale Geldproduziermaschine geworden ist, die vermutlich auch bedruckte Kaffeehäferl und sogar Bettwäsche verkauft, ist Graffiti ein Streitthema geworden. Wie einfach alles, alles, alles, was als Nische mit eigenen Codes und eingeschworener Gemeinschaft beginnt, saugen Globalisierung und Kapitalismus wie gierige Vampire die Lebensgeister aus einer einst lebendigen Subkultur. Aber verdammt, wir wollen hier keinen Heinzlmaier machen. Mit der eigenen Geld Kunst zu verdienen ist besser als zu Kellnern, seit Foucault wissen wir, dass man einfach nicht außerhalb des Systems stehen kann und sind die unter dem Überbegriff Culture Jamming zusammengefassten Strategien nicht der Beweis dafür, dass man den Feind von innen her vernichten kann?

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Wir kennen uns selbst nicht mehr richtig aus, aber nachdem der kolumbianische Graffitikünstler Stinkfish unlängst in Wien war, haben wir Jakob Kattner gebeten, Stinkfisch doch nach seiner Meinung zu dem komplizierten Thema zu fragen. Als Ehrenmitglied seiner Graffiti Crew hat Jakob sich mit Stinkfish eine Woche lang jede Nacht der „Urban Beautification“ gewidmet und dabei ziemlich viele Gelegenheiten gehabt, seinem Freund Löcher in den Bauch zu Fragen, während sie heimlich Wände besprühten, sich vor der Polizei versteckten oder in einem vietnamesischen Restaurant zu Abend gegessen haben.

„Stinkfish erzählt mir, dass die Idee zu seinem Graffitikollektiv (APC) eigentlich aus einem Spaß heraus entstanden ist. Er und seine Freunde sehen sich als unterschiedliche Tiere im Dschungel. Jeder hat seinen eigenen Stil und zeichnet sich durch seine individuellen Eigenschaften aus. Stinkfish platziert seine Werke an Nicht-Orten, an verlassenen Stellen der Stadt und haucht ihnen Leben ein. Doch nicht nur die Spraydose dient dem Graffiti Virtuosen als Instrument. Erst kürzlich wurde ein 1-Tonnen schwerer Beton Gorilla in Bogota aufgestellt, der kurz später von der Stadtverwaltung demoliert wurde. In Wien kann man derzeit zahlreiche „Wheatpastes“ (mit Leim befestigte Poster) von ihm an Häuserwänden entdecken. Selbst gestaltete Skulpturen, Poster, Fanzines, Tags und hochkomplexe, großflächige Bilder fließen in das Œuvredes Künstlers ein.“

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VICE: Siehst du dich eher als Graffiti oder Street Art Künstler?

Stinkfish:Mir gefällt der Terminus Street Art nicht wirklich. Ich verstehe zwar das Movement der Street Art, jedoch interessiert mich Graffiti weit mehr. Graffiti muss etwas Illegales haben, anonym und unabhängig sein. Wenn eine Marke oder eine Firma dich für das Malen bezahlt ist es kein Graffiti mehr. Zwischen Graffiti und Street Art herrscht ein ständiger Konflikt, ein permanenter Streit.

Was sagst du dann zur aktuellen Kunstszene?

Ich verstehe Graffiti ohne die Kunstwelt. Ich glaube Graffiti ist nicht Kunst. Graffiti ist Graffiti und braucht keine Kunst, kein Design und die ganzen Galerie und Museumsleute. Ich glaube, wenn Graffiti in eine Galerie oder ein Museum kommt, ist es entweder okay oder schlecht, kommt auf das Projekt an. Manchmal gibt es wirklich gute Projekte, die die Idee des Graffiti´s im Museum reflektieren, oder es ist wirklich scheiße und man kommt nur hinein, um Geld zu machen. Wenn Leute über den Kontext und die soziale Kraft von Graffiti nachdenken, dann ist es okay. Du kannst eine Menge Dinge vermitteln, aber deine Botschaft muss klar sein. Wenn Graffiti in einen geschlossenen, privaten Raum tritt ist es nicht mehr Graffiti, dann ist es eine Repräsentation von Graffiti, echtes Graffiti existiert nur auf der Straße.

Du arbeitest mit verschiedensten Techniken und Materialien, was würdest du sagen zeichnet deinen persönlichen Stil aus?

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Mein Stil ist eine Mischung aus allem. Ich mische Stencil Gesichter mit Freehand Graffiti. Ich denke was mich ausmacht ist die Mischung aus beiden, wobei mein Freehand Stil sehr vom buchstabenbasierten Graffiti beeinflusst wurde.

Wie wichtig ist die Technik in deinem Graffiti?

Ich verstehe Graffiti mehr als ein Konzept. Die Idee des Graffiti ist wichtig. Die Technik kommt erst an zweiter Stelle. Du musst nicht unbedingt eine Spraydose verwenden, oder einen Sticker, oder ein Poster. Bei Graffiti kannst du alles verwenden, du kannst einen Stein von der Straße, einen Bleistift, du kannst alles verwenden. Teile dein Bild oder deine Botschaft in der Straße. Ich habe mit Stencils begonnen, aber mit der Zeit habe ich angefangen viele andere Dinge zu benutzen: Malerrollen, Pinsel, Poster, Sticker, manchmal stelle ich bemalte Puppen in den öffentlichen Raum, ich glaube das macht meinen Stil aus. Ich habe nicht nur eine Technik, ich mische gern alles und verändere mich kontinuierlich.

Kannst du von deinem Graffiti leben?

Zurzeit lebe ich von Graffiti und den graffiti-bezogenen Projekten. Ich muß auch andere Dinge tun, aber meine Arbeit ist Graffiti, die ganze Zeit. In den meisten Fällen bringt mir meine Arbeit nicht wirklich viel Geld, aber ich arbeite. In den letzten 3,4 Jahren hab ich es geschafft von meinem Graffiti leben zu können, aber der Plan ist nicht mein Graffiti massenweise zu verkaufen. Wenn mich jemand um eine Leinwand fragt und er zahlen kann, okay, aber es ist nicht mein Plan Leinwand nach Leinwand zu malen um dann eine Ausstellung eröffnen zu können. Ich bevorzuge es in der Straße zu arbeiten. Meine Arbeit ist in der Straße, nicht auf der Leinwand. Ein anderes Thema ist meine Wände nicht einer Firma oder irgendjemandem zu verkaufen. Ich denke, das ist nicht Graffiti.

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Die Welt verbindet Kolumbien mit Kokain und schönen, plastisch operierten Frauen, was sollten wir noch von deinem Land wissen?

Das bezieht sich hauptsächlich auf Medellin. In den 90er Jahren hatte das auch bestimmt seine Berechtigung, jedoch ist es heute halb so schlimm. „Pibe Valderrama“ ist ein berühmter, kolumbianischer Fußballspieler aus den 90er Jahren mit einem riesengroßen, blonden Afro. Es gibt sogar eine Gruppe in Argentinien, die sich nach ihm benannt hat „Illya Kuryaki and the Valderramas“. Außerdem sollte man Rene Higuita, den wohl verrückteste Torwart der Welt, kennen. Er war Teil des Teams „Nacional“ aus Medellin und wurde von Pablo Escobar gefördert. Er hat Pablo dann oft in „La Catedral“ (das von Pablo Escobar errichtete Gefängnis) besucht und war dann sogar selbst ein Jahr lang eingesperrt. Danach gab es sogar eine Telenovela (Seifenoper) über seinen Werdegang. In den 80er und 90er Jahren war der Drogenhandel sehr involviert im Fußballgeschäft. Schiedsrichter wurden umgebracht und Spiele gekauft.

Du hast in deinem Stadtteil „Teusaquillo“ mit deiner Crew APC einen selbst gestalteten 1-Tonnen schweren Beton Gorilla aufgestellt, der erst kürzlich von der Stadtverwaltung zerstört wurde! Wie gehst du mit diesem schweren Verlust um?

Trauer. Wir trauern alle. Wir sprechen gerade darüber ein Begräbnis für den Gorilla „Chango Chingon“ zu veranstalten.

Die Ausstellung „Cash, Cans & Candy“ mit Werken von Stinkfish  ist noch bis zum 7ten September 2013 in der „Hilger Brot Kunsthalle“ (Absberggasse 27, 1100 Wien) zu sehen.

Schaut euch mehr von Stinkfish und seiner Crew.