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Lasst uns dem Einhorn den Gnadenschuss geben

Nachdem die Blume ihre prächtigsten Farben ausgespielt hat, kommt die Fäulnis. Das einzige was jetzt noch fehlt, ist Einhorn-Gammelfleisch-Lasagne.

Einhorn unter Menschen | Foto: Wikimedia | nathanmac87 | CC BY 2.0

Ich bin Einhornfan und ich bin enttäuscht. Nicht davon, dass ich kein Exemplar der Ritter-Sport-Einhorn-Edition abgekommen habe, auch nicht davon, dass die Qualität meines regenbogenfarbenen Glitzerhoodies stark zu wünschen übrig lässt. Nein, ich bin traurig, weil die ehemals magischen Fabelwesen ein Opfer der harten, ökonomischen Wirklichkeit geworden sind, weil es Hassmails mit "Einhorn" im Titel gibt, und weil ich demnächst zu einer mitleidig belächelten Gruppe gehören werde, die den Schuss nicht gehört hat.

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Schuld hat aber irgendwie trotzdem die Schokolade. Der Marketingstreich von Ritter Sport, mit dem das Unternehmen einen viralen Verkaufsschlager landete und umgehend mit den Folgen einer etwas zu guten Strategie konfrontiert wurde: Denn auch Einhornfans können Hassmails schreiben, wenn die Lieferung nicht kommt. Und dieser Zeitpunkt war schneller erreicht, als die Website der Schokofirma standhalten konnte. Einhornschokolade ausverkauft. Menschheit verzweifelt.

Bild: Ritter Sport

Selbst die zweite Produktion der rosafarbenen Ware, die schnell nachgeliefert und ausschließlich im Onlineshop angeboten wurde, war nach 20 Minuten ausverkauft und der Shop nicht nur leer, sondern auch down. Lediglich bei eBay gibt es noch Exemplare, die für Preise um 20 Euro angeboten werden. Doch wer kauft sich schon Schokolade bei eBay?

Ritter Sport hat mit seinem Coup die Spitze des fröhlich bunten Eisbergs geliefert, die irgendwann einfach erreicht werden musste. Irgendwann musste sich das elegante, wunderwirkende Einhorn seine zarten Nüstern in der schnöden Welt von Onlinehass und enttäuschten Erwartungen blutig schlagen. Willkommen im 21. Jahrhundert, du verwundbares Fabelwesen.

Bevor das Einhorn im Kapitalismus Karriere machte, stellte es schon vor über 2.000 Jahren einen fester Charakter wundersamer Geschichten dar, die sich Reisende auf langen, langweiligen Wegen erzählten. Sein magisches Horn sollte in der Antike magische Fähigkeiten besitzen und sogar Krankheiten oder Vergiftungen heilen. Im aufkommenden Christentum wurde das Tier im Schoß der Maria als Sinnbild Jesu Christi verehrt.

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Diese zarte Jungfrau hat die Kraft, ein Einhorn zu zähmen | Bild: Wikipedia | Public Domain

Einhörner boten seit jeher Zeugnis des Magischen, des romantisch Überzogenen und mauserten sich im letzten Jahrhundert zu einem Erkennungsmerkmal zwischen Menschen desselben Schlags. OK, der Faszination erlagen hauptsächlich Fantasyfans, Frauen und kleine Mädchen, doch wir waren Jungfrauen, verzaubert von der gleichen wild-animalischen Magie.

Gleichzeitig lässt sich wohl mit keinem anderen Objekt so wunderbar Ironie ausdrücken wie mit einem Einhorn. Es ist an Kitsch kaum zu überbieten. In der Kombination mit Glitzerstaub und in der Dunkelheit fluoreszierend glimmender Mähne aufgedruckt auf T-Shirt oder Pulli ließ sich bisher jede Konkurrenz in Sachen offensiver Geschmacklosigkeit übertreffen.

Bild: pexels | Kaboompics // Karolina | CC0

In der Popkultur manifestierte sich das Zauberwesen spätestens mit dem "letzten Einhorn", das 1983 mit traurigen Augen durch die Filmwelt galoppierte. Zwischen AIDS und Nato-Doppelbeschluss rettete das phantastische Wesen eine ganze Einhorngeneration aus dem Weltuntergansszenario des finsteren König Haggard. Die 1980er Jahre, die in politischer Unsicherheit begannen und durch die Nachwirkungen von RAF und Ölkrise geprägt waren, zeigte das letzte Einhorn, das sich selbst die größte Verzweiflung durch Mut und Zauberkraft zum Guten auflösen kann.

Dennoch sind Einhörner seit jeher eher unpolitische Wesen und so fand sich der nächste größere Trend in Spielzeugabteilungen des auslaufenden 20. Jahrhunderts mit den pastellfarbenen Plastikwesen von Mein Kleines Pony wieder, die mit der Animationsserie Freundschaft ist Magie auch in der Jetzt-Zeit angekommen ist.

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Denn auch wenn es sich bei den Ponys im Kindchenschema in erster Linie um pferdeähnliche Kreaturen handeln sollte, gab es dort jede Menge Einhörner. Die direkten Nachfolger der niedlich behörnten Huftiere sind die Filly-Pferde, die seit 2006 in die Lebenswelt junger Mädchen eindringen und in zahllosen Variationen als Zeitschriftenbeilage auf willige Abnehmer warten.

Während die Einhörner mit Mein Kleines Pony und Filly-Pferden in die Kinderzimmer eingekauft werden konnten, waren sie gleichzeitig auch Bestandteil einer von Absurdität geprägten Gegenkultur, wie beispielsweise Charlie das Einhorn, das bei Youtube unfreiwillig zu recht zweifelhaften Abenteuern angestiftet wird.

Doch die Zeiten haben sich geändert. Die Realität hat die verzauberte Parallelwelt eingeholt und die magischen Wunderwesen sind zwischen Panorama Bar und Schnäppchenwochen bei Lidl zum Trendobjekt mutiert. Niemand, der hipstermäßig im Hier und Jetzt angekommen ist, geht ohne thematischen Glitzer aus dem Haus. Die ehemals so zielgerecht gesetzte Ironie verläuft im aufgeweichten Konsumgeist der knallharten Wirklichkeit.

Jutebeutel mit der Aufschrift "Sei immer du selbst. Außer, du kannst ein Einhorn sein, dann sei ein Einhorn." Selbst Gruselfan Marilyn Manson kuschelt sich gerne an ein Plüscheinhorn und Miley Cyrus hat selbstverständlich schon lange vor der Ritter-Sport-Schokolade Konzerte im Einhornkostüm absolviert.

Das Problem bei der Sache ist, dass es nicht anhalten wird. Die Kommerzialisierung des Huftiers hat spätestens mit dem Sale des H&M-Einhornkostüms seine Blüte erreicht. Und jeder weiß: Nachdem die Blume ihre prächtigsten Farben ausgespielt hat, kommt die Fäulnis. Dann werden die stolzen Tiere auf Jutebeuteln, als Hausschuhe und Posterpets in dieselbe Ecke wandern wie rosaglänzende Leggins im Schlangenlederimitat. Oder sie werden auf eBay verkauft, zusammen mit der dann schon ziemlich alten Schokolade.

Dann, wenn die ganzen trendbestimmten Mitläufer wieder dem nächsten Aufdruck nachlaufen, werden wir zwar wieder unter uns sein, doch der Geschmack, der bleibt, ist schal. Nun sind wir nicht mehr die oberkitschigen Antihelden, die Nerds, die superironischen Trendverächter—wir werden die sein, die immer noch nicht gecheckt haben, dass Einhörner einfach nicht mehr angesagt sind. Hängengebliebene, die auf traurige Weise nicht mit der Vergangenheit abschließen können.