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Heulsuse der Woche: Carmen Geiss vs. Peter Dreier und der Flüchtlingsbus

Carmen Geiss posiert mit Designer-Outfit im Armenviertel und versteht die Hater nicht. Der bayerische Politiker karrt Flüchtlinge nach Berlin, um gegen die Asylpolitik zu protestieren.

Und wieder ist es an der Zeit, sich über ein paar Menschen zu wundern, die mit der Welt nicht fertigwerden.

Heulsuse #1: Carmen Geiss

Titelfoto: imago | Future Image

Der Vorfall: Carmen Geiss lässt sich im Designer-Outfit in einem Armenviertel fotografieren. Dafür erntet sie jede Menge Kritik.

Die angemessene Reaktion: Verstehen, dass Elendstourismus nicht so richtig cool ist.

Die tatsächliche Reaktion: Den Kritikern „Neid und Eifersucht" vorwerfen.

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Stellt euch vor, ihr habt echt viel Geld. Vielleicht, weil ihr reich geboren wurdet, vielleicht, weil ihr richtig hart gearbeitet habt, oder vielleicht auch, weil euer Mann eine sehr erfolgreiche Sportklamottenmarke hochgezogen hat. Ach, stellt euch einfach vor, ihr seid Carmen Geiss, um die geht hier nämlich sowieso, und macht Urlaub in Kolumbien. Einem Land, das eher für Drogenkriege als für entspannte Cocktailpartys am lichtkettenilluminierten Strand bekannt ist. Fändet ihr es angemessen, euch mit Designer-Handtasche und strahlendem Lächeln in einem Armenviertel ablichten zu lassen und das Ganze mit einem launigen „Heute ging es mal in die Slums" zu kommentieren? Nein? Nun, das weibliche Familienoberhaupt der Geissens hat es getan und dafür jede Menge Kritik geerntet.

Zwar verteidigten auch viele Facebook-Nutzer die Blondine und verwiesen auf Michael Jackson, der schließlich mal ein ganzes Musikvideo in einem Slum gedreht hätte, aber wenn wir mal ganz ehrlich sind: So richtig sympathisch ist es nicht, sich im grellpinken Dame-von-Welt-Outfit (mit Hut!) und riesiger Sonnenbrille vor heruntergekommenen Hütten zu positionieren und dabei zu lächeln, als denke man gerade an die eigene Yacht auf St. Tropez.

Statt deeskalierend und vielleicht auch ein bisschen demütig zu reagieren, entschied sich Carmen Geiss für die Standardreaktion eines passiv-aggressiven Facebook-Nutzers: einen dieser „Ich bin besser als ihr"-Bildposts, die immer ein bisschen so aussehen, als hätte sie ein zickiges Teenagermädchen in Paint erstellt. „Neid und Eifersucht sind Krankheiten. Ich wünsch' euch Gute Besserung!" ist dem Beitrag zufolge die einzige Antwort, die „Rooooobeeeeert"s Angetraute für all die Hater da draußen hat. Denn wenn es jemanden gibt, den es beim Thema Armenviertel vs. neureicher Reality-TV-Star zu bemitleiden gibt, dann ist es Carmen Geiss. Immerhin blieb uns ein ellenlanger Post mit 42 Ausrufezeichen (looking at you, Jan Leyk und Til Schweiger!) erspart.

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Heulsuse #2: Peter Dreier von den Freien Wählern

Foto: Henning Beermann

Der Vorfall: Der Landrat aus Landshut ärgert sich über Angela Merkels Flüchtlingspolitik. Schließlich seien die Kommunen am Limit und Deutschland könne in keinem Fall weitere Asylbewerber aufnehmen.

Die angemessene Reaktion: Sich wie ein erwachsener Mensch verhalten und dem Ganzen auf politischer Ebene begegnen.

Die tatsächliche Reaktion: Dutzende Flüchtlinge in einen Reisebus stecken und zum Kanzleramt nach Berlin karren.

Außergewöhnliche Situationen erfordern außergewöhnliche Maßnahmen. In Anbetracht der aktuellen Flüchtlingszahlen bedeutet das, seine Kräfte und Möglichkeiten zu bündeln, um sicherzustellen, dass die ankommenden Asylbewerber erst einmal ein Dach über dem Kopf haben und zumindest mit dem Nötigsten versorgt werden. Peter Dreier hat diesen Sinnspruch etwas anders ausgelegt und beschlossen, ein ebenso spektakuläres wie abstruses Zeichen gegen Angela Merkels Flüchtlingspolitik zu setzen: Wenn die Kanzlerin so ein großer Fan von Asylsuchenden aus Kriegsgebieten ist, dann soll sie eben selbst gucken, wo sie die unterbringt. Bei sich selbst. In Berlin. Im Kanzleramt.

Was zuerst nur wie eine leere Drohung schien, setzte der Landrat am gestrigen Donnerstag zur Überraschung Vieler tatsächlich in die Tat um. Der Bus mit 31 Flüchtlingen startete gegen 10 Uhr morgens in Landshut und erreichte am späten Nachmittag dann auch tatsächlich die Hauptstadt. Dort wurde er sehnlichst von mehreren Kamerateams, Journalisten und besorgten Bürgern (mal mit, mal ohne Deutschlandflagge) erwartet. Nur Angela Merkel war weit und breit nicht zu sehen. Zuvor hatte Dreiers Kollege Hubertus Aiwanger, ebenfalls bei den Freien Wählern, die Wartezeit dazu genutzt, in jede verfügbare Kamera zu sagen, dass seine Partei die einzige sei, die tatsächlich auch etwas gegen den Flüchtlingsstrom unternehmen würde.

Im Endeffekt blieb die antizipierte Konfrontation aus, stattdessen verwandelte sich das Ganze in eine etwas abstruse Wahlkampfaktion für die Freien Wähler—auf Kosten der Flüchtlinge, denen vor der Fahrt scheinbar etwas ganz anderes versprochen wurde. Am Schluss blieb es bei einem eineinhalbtägigen Ausflug in die Hauptstadt, am Freitagmorgen ging es wieder zurück nach Landshut. Im selben Bus, in dem sie gekommen waren. Da haben es die Landshuter Asylkritiker der Bundeskanzlerin aber gezeigt!

Letzte Woche: Til Schweiger rastet aus, weil die Zuschauer seinen „Tatort" nicht mochten, und jemand „hackt" den Twitter-Account des sächsischen Sozialministeriums.

Der Gewinner: Til Schweiger!