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Ich habe mir ein Erotik-Hörspiel angehört und mich dabei geschämt

Ich habe viel gelacht und mir einige Fragen gestellt, aber vorerst habe ich genug von Audio-Pornos.
Takeshi Kuboki | Flickr | CC BY 2.0

Hörspiele sind eine großartige Erfindung. Sie sind der beste Weg, um den von Bildschirmen wundgescheuerten Augen eine Auszeit zu gönnen und trotzdem dieselbe Unterhaltung wie am Computer oder im TV zu bekommen—mit dem Vorteil, dass man sogar noch als niveauvoller gilt. Immerhin musst du beim Lauschen von The Girl with the Dragon Tattoo kein schlechtes Gewissen haben—auch wenn es nicht zur großen Weltliteratur zählt—, während du dich schon jedes Mal ein bisschen schlecht fühlst, wenn du dich auf eine Fernsehnacht mit Ich bin ein Star, holt mich hier raus freust. Aber wer keine Guilty Pleasures hat, soll den ersten Stein werfen.

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Ich selber liebe zum Beispiel Thriller aller Art. Bei der Auswahl gibt es eigentlich keine Einschränkung, außer: Je grottiger die Twists, je mehr Mystery-Elemente und je unnötiger sexy der ganze Plot ist, desto besser. Spätestens seit der letzten Podcast-Renaissance durch Serial hat das pure Audio-Entertainment einen neuen Aufschwung erhalten und Hörspiele vermehren sich wie die Karnickel. Aber die für mich perfekte Mischung aus Krimi, Soft-Porno und Mystery findet man nicht so leicht. Als ich letztens versuchte diese Lücke zu füllen, bin ich auf ein anderes Genre gestoßen, von dem ich am liebsten niemals erfahren hätte.

Ich rede von erotischen Hörspielen. Anscheinend muss es in jedem Medium eine Art Soft-Porno-Nische geben. Und in der Hörspielwelt wird diese von Sandrine Jopaire regiert. Wenn Hugh Hefner der König der Herrenmagazine ist, dann ist sie die Kaiserin der Pornos für die Ohren. Sie schreibt nicht nur massenhaft erotische Romane, sondern lässt diese auch vertnen.

Ihre Werke haben Titel wie Verführt von zwei Frauen, Sex mit zwei Frauen oder Liebe mit zwei Frauen (ja, das sind drei verschiedene Hörspiele) und werden als „erotische Erlebnisse für den Mann" beschrieben. Diese Geschichten haben nichts mehr mit Mainstream-Erotica à la Fifty Shades of Grey zu tun, sondern konzentrieren sich wirklich nur auf den Geschlechtsakt. Der Clou ist, dass der Dritte im flotten Dreier-Bunde der Hörer selber ist. Vielleicht ist der Vergleich unpassend, mich erinnert das an interaktive Kindersendungen wie Dora the Explorer, wo die Kids vorm Fernseher aufgefordert werden, die Banane im Bild zu suchen—in den Jopaire-Hörspielen wird der „Loverboy" von seinen zwei Blondinnen immerhin ebenfalls direkt aufgefordert, seine Banane zu Tage zu fördern.

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Wenn man wie ich schon länger in einer Beziehung ist und nicht mehr so viel Sex hat, macht einen jegliches Sex-Zeug neugierig—vor allem, wenn das Zeug gratis oder sehr billig ist (eine Eigenschaft, die bei Sex-Dingen eher selten ist, wenn ihr euch mal die Preise im Fachhandel anseht). Ich wurde schnell auf Youtube fündig und habe mit einem Glas Wein in der Hand das erste Hörspiel aufgedreht—nur um mich nach zirka 1 Minute das erste Mal zu verschlucken. Daran war meine Schnappatmung schuld, die von der Mischung aus ordinärer Sprechweise und überkorrekter Grammatik induziert wurde. Sätze wie: „Wir werden dich so heiß machen, dass du förmlich explodieren wirst." Oder „Wir würden uns gern abwechselnd auf deinen prallen, harten Schwanz setzen und so richtig schöne Orgasmen haben wollen." lassen das Herz eines jeden Deutschlehrers höher schlagen.

„Oh, Moni, bitte leck auch meine Nylon-Zehen!"

Die Vornamen der zwei Frauen machten die Sache nicht besser. Moni und Susi führten im ersten Track—der passender Weise „Hallo Süßer" heißt—nicht nur in den Ablauf des Liebesspiels (zuerst Blasen, dann Ficken, ein bisschen Anal und zuletzt Sado-Maso) ein. Sie ließen auch ein Loblied auf den Dritten im Bunde rieseln, wie groß doch sein Schwanz sei und wie sehr sie ihn vermisst hatten. Ich konnte nicht aufhören darüber nachzudenken, welche Menschen dieses Hörspiel ernsthaft als Wichsvorlage benutzen. Leute mit einer Sehbehinderung sind die einzigen, die mir in den Sinn kamen—was in mir sofort Mitleid auslöste, weil die wohl am wenigsten einen Angriff auf die verbliebenen Sinne verdient haben.

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Zum Glück rissen mich Moni und Susi schnell aus meinen Gedanken. Sie waren inzwischen beim Blasen angekommen—was im Hörspiel-Jargon anscheinend für verbales Tischtennis-Match steht: „Oh, Moni, bitte leck auch meine Nylon-Zehen!" und „Susi, leck du doch bitte auch meine Füße." Dieses Hin und Her der Gefälligkeiten, halb stöhnend, halb fordernd, ließ mich ein bisschen erröten. Mein Gesicht wurde nicht unbedingt wieder weißer, als das richtige Blasen anfing. Ich will ja hier keine Illusionen über Synchronisation zerstören, aber seit ich dieses Video gesehen habe, glaube ich nicht mehr daran, dass die Geräusche wirklich von den Sprecherinnen stammten. Vor allem das stumme Schmatzen kann eigentlich nur der Aufnahmeleiter in Susis Pipi-Pause aufgenommen haben. Das Gelutsche klang auf jeden Fall wie wenn ein Hund trinkt, oder das Ploppen einer Bierflasche. Eher unsexy. Es dauerte so ewig, dass ich anfing, Candy Crush zu spielen und mein Freund sogar ein Fußballspiel aufdrehte.

Jon Feinstein | Flickr | CC BY 2.0

Zum Glück hat mich der Anal-Teil ein bisschen aufgeweckt, aber auch nur, weil ich mir bildlich vorstellte, wie diese feuchtfröhliche Partie nach gefühlten zehn-plus Orgasmen noch immer total munter auf dem Bett herumturnten und ihre einlaufgespülten Därme erkundeten. Vor allem vor dem „Hengst" hatte ich Respekt. Solche dauergeilen Damen müssen langfristig auch echt anstrengend sein, aber er hielt sich sehr gut. Bei der Doppelpenetration habe ich dann aber zum SM-Part vorgespult.

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Spätestens seit 50 Shades und den tausend anderen Erotica-E-Books glauben ja selbst strickende Muttis, ziemlich genau zu wissen, wie Sado-Maso abläuft. Selbsternannte Experten, die in den Baumarkt gehen, um Kabelbinder zu kaufen, sind meiner Meinung nach das Sinnbild unserer Gesellschaft, in der einfach alle Menschen davon überzeugt sind, alles zu dürfen, zu können und zu machen. Entitlement und so. Selbstbestimmung und Freiheiten sind super, aber man muss auch wissen, wo die Grenzen sind. Nicht jeder, der sich mal einen Spanking-Clip angeschaut hat, kann zur Profi-Domina werden und nicht jeder Autor ist automatisch Fetisch-Experte, nur weil es heutzutage über alles eine ATV Reportage oder eine RTL 2 Doku gibt.

Ich wollte Jopaire ein bisschen überführen, deswegen quälte ich mich noch durch die letzten 18 Minuten. Mit „Sollen wir jetzt Sado-Maso machen?" war der Übergang perfekt. In meinem Kopf antwortete unpassender Weise gleich ein ganzer Kinderchor lautstark: „Ja!" Zuerst wurden die Regeln ausgemacht. Moni ist Sklavin, Susi ist Domina und der Süße ist Meister, soweit alles klar. Nach der sanften Lobhudelei in den anderen Tracks, wurde ich bei diesem rauen Umgangston schon hellhöriger. „Schweig, du Ficksau. Knie dich vor unseren Meister, er wird dir eine Eisensperre in dein ungehorsames Sprechloch stopfen." war nur der Anfang der Ohren-Tortur. Die Sklaven-Moni durfte nur noch gequälte, aber gleichzeitig erregte Geräusche machen, was sich für mich aber eher nach ersterem anhörte. Und zum krönenden Abschluss wurde noch diskutiert, wer wie oft gekommen war.

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Als die CD zu Ende war, fühlte ich mich seltsam leer. Zum einen hatte ich fast eine Stunde meines Lebens mit Audio-Sex vergeudet, obwohl ich auch ganz einfach in echt welchen hätte haben können. Zum anderen war mein Kopf voller Fragen. Ich überlegte, ob dieser Ohren-Koitus für die meisten Hörer wirklich die nächstbeste Alternative zu einem echten Dreier ist. Schließlich stehen Dreier nicht gerade an der Tagesordnung eines normalsterblichen Mannes.

Aber die Vorstellung, dass man sich seinen Kick aus Kopfhörern holen muss, ist irgendwie auch noch trauriger, wie wenn jemand sein ganzes Leben lang nur Orgasmen bei Porno-Clips hat. Und welche Leute bevorzugen wirklich die reine Audio-Stimulation gegenüber der audiovisuellen, wenn sie nicht blind sind? Das Internet ist voller Pornos und innerhalb weniger Sekunden kann man sich mannigfaltige Clips von Menschen anschauen, die Sex zu dritt haben. Obwohl ich mich schäme, als emanzipierte Frau so etwas zu schreiben, glaube ich, dass auch Männer darunter sind, die von ihren Frauen nur für diese Art der Fremdbefriedigung die Erlaubnis bekommen haben. Dieser Gedanken wird von einigen Kundenkommentaren unterstützt, in denen sich Ehefrauen darüber äußern, wie ihren Männern die CD gefallen hat.

Screenshot via Amazon

In anderen Kommentaren schreiben Personen so lobend über dieses Hörspiel, dass ich fast schon ein schlechtes Gewissen wegen den vielen Lachanfällen hatte. Ich fragte mich, ob ich vielleicht zu unreif für Audio-Pornos bin. Aber die wichtigste Komponente beim Sex, auch wenn manche Leute es im Dunkeln bevorzugen, ist für mich halt irgendwie die visuelle. Und wenn die wegfällt, dann bleibt eben nur Stöhnen und Dirty Talk, was, wie in diesem Fall sehr künstlich klingen kann. Wenn man die eigenen Nachbarn beim Vögeln belauscht, hört sich das anders an.

Wahrscheinlich ist es aber schwer, diese Natürlichkeit in ein Audio-File zu bannen—und vermutlich war das auch nicht der Sinn der Sache. Dank dem Internet gibt es zwar mittlerweile eine ganz ordentliche Nische für Amateurfilmchen und Pornos mit Menschen, die behaart und schwabbelig sind, aber den größten Anteil der Erwachsenenfilme machen halt immer noch die aus, in denen die missratene Barbie mit einem Fake-Ken fickt. Sex mit zwei Frauen ist genau so ein 0815-Porno, nur für die Ohren eben. Ich habe zwar viel gelacht und mich geschämt, aber vorerst habe ich genug von Audio-Pornos.

Anne-Marie auf Twitter: @Viennesecat


Headerbild von Takeshi Kuboki | Flickr | CC BY 2.0