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Klassenfahrt

Eine Analyse der sehr, sehr dämlichen Tweets der AfD-Delegation in Syrien

Wir haben einen Experten gefragt, ob Syrien mittlerweile sicher ist. Spoiler Alert: Nein, und die AfD ist moralisch völlig verkommen.

Christian Blex lässt es sich gerade richtig gut gehen. An der Spitze einer Gruppe von fünf AfD-Bundestagsabgeordneten und einem weiteren Landespolitiker lässt sich der AfD-Landtagsabgeordnete aus NRW gerade durch das sonnige Damaskus kutschieren, wo er begeistert an Gewürzen schnüffelt, Eis löffelt und Fotos von Frauen in engen Jeans macht. Und dabei ganz bewusst Propaganda für ein Regime macht, das knapp zwei Kilometer von ihm entfernt Männer, Frauen und Kinder in Grund und Boden bombardiert.

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Die AfDler wollen mit ihrer offiziell als "privat" deklarierten Reise beweisen, dass Syrien in weiten Teilen wieder ein sicheres Land ist – in das man deshalb auch Flüchtlinge zurückschicken kann. "Die Abgeordneten erhoffen sich ausführliche Einblicke in die Lebensverhältnisse in den befreiten Gebieten", schreibt der Landtagsabgeordnete Thomas Röckemann auf Facebook, um "eine rationale Bewertung der Lage in Syrien bezüglich der anhaltenden Diskussion um die Einstufung als sicheres Herkunftsland vorzunehmen."

In Deutschland macht die Reise der AfDler eine Menge Leute wütend. "Das syrische Regime zeigt jeden Tag, wie menschenverachtend es vorgeht", hat sich inzwischen sogar Regierungssprecher Steffen Seibert eingeschaltet. "Wer dieses Regime hofiert, der disqualifiziert sich selbst."

Heiko Wimmen, der Syrienexperte der NGO International Crisis Group (ICG), sieht das ähnlich. "Herr Blex hat natürlich seine eigene Agenda, die sich viel mehr auf Deutschland richtet – er will die Flüchtlinge loswerden, und er will die deutsche Regierung diskreditieren", sagt er im Gespräch mit VICE. "Aber er macht sich damit zum Lautsprecher eines genozidalen Regimes." Wie genau, und warum die Idee von der Rückkehr der syrischen Flüchtlinge in den Bürgerkrieg so wahnsinnig ist, das hat Wimmen uns dann Tweet für Tweet erklärt:

Die Frauen in Jeans

Gut, dass Blex offenbar noch nie in Neukölln war – geschenkt. Es geht ja jetzt um Damaskus. Tatsächlich stimmt, dass Frauen sich in den Regime-Gebieten freier bewegen können als in den Gebieten, die vom Islamischen Staat oder ultra-islamistischen Gruppen wie al-Qaida kontrolliert werden. Allerdings ist nicht ganz klar, wie das Regime zur Befreiung der Frauen in den Rebellengebieten beiträgt, wenn es ihnen Fassbomben auf den Kopf wirft. "Toleranz, Säkularismus, keine Schleier – Blex spielt da genau die Leier, die das Regime seit Beginn der Repression gegen das eigene Volk einsetzt, um die Gewalt und den Massenmord zu legitimieren", sagt Heiko Wimmen.

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Der Großmufti

Auf den ersten Blick schön zu sehen, wie unbefangen ein AfDler die Hände eines islamischen Mufti befühlen kann (auch wenn nicht ganz klar ist, wie das mit der "Trennung von Religion und Kirche" funktionieren soll). Bis man erfährt, dass Ahmad Hassoun derselbe Großmufti ist, der 2011 gedroht hat, Selbstmordattentäter nach Europa und in die USA zu schicken, wenn der Westen sich in Syrien einmischen sollte. Vielleicht nicht unbedingt der Typ, den Angela Merkel nach Berlin einladen sollte.


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Noch perfider ist aber der Aufruf des Muftis an die Flüchtlinge, nach Syrien zurückzukehren. Natürlich passt das perfekt in das Programm des AfD-Politikers Blex. Es ist nur völlig unrealistisch.

Und zwar aus mehreren Gründen: Erstens ist der Krieg noch nicht vorbei. "Gegenden, die heute sicher sind, sind es vielleicht morgen nicht mehr", sagt der Syrienexperte Heiko Wimmen. Menschen, die aus den von Rebellen kontrollierten Gebieten geflohen sind, wären wahnsinnig, dorthin zurückzukehren, nur um zwischen Islamisten und Regime-Bombardierungen aufgerieben zu werden.

Aber auch, wer in die vom Regime kontrollierten Gebiete zurückkehrt, ist dort nicht sicher: "Wer immer aus einer Gegend kommt, die damals am Aufstand gegen das Regime teilgenommen hat, der ist erstmal verdächtig", sagt Wimmen. "Selbst wer glaubt, dass nichts gegen ihn vorliegt, kann sich nie sicher sein."

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Und selbst wenn man der Repression entgeht, muss man als Mann zwischen 16 und 50 damit rechnen, jederzeit in die Armee eingezogen und in den Krieg geschickt zu werden. "Das ist an sich schon gefährlich", sagt Wimmen. "Und außerdem würde man zwangsläufig zum Komplizen von schweren Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen gemacht."

Shoppen auf dem Basar

Was für Blex kaum zu glauben ist, ist für jeden, der sich ein bisschen mit dem Bürgerkrieg auskennt, selbstverständlich. Auch im vermeintlich friedlichen Damaskus ist nicht jeder sicher. "Viele Leute, die jetzt in Deutschland leben, sind nicht nur vor Kriegshandlungen geflohen, sondern auch, weil sie auf irgendwelchen Listen des Regimes stehen", sagt Wimmen. "Syrien ist kein Rechtsstaat. Dort verschwinden jede Menge Leute einfach – und offiziell weiß das Regime davon nichts."

Die beschossene Kathedrale

Blex scheint nicht zu merken, dass er hier seinen Tweets von davor widerspricht, in denen er die Situation in Damaskus als "total entspannt" darstellte. So entspannt, wie das Leben eben sein kann, wenn die Regierung einen brutalen Zermürbungskrieg gegen die im zwei Kilometer entfernten Ost-Ghuta eingegrabenen Rebellen und die dort eingeschlossenen Zivilbevölkerung führt. "Es gibt bei Rebellen-Angriffen immer wieder Tote in Damaskus", sagt Wimmen. "Auch wenn das kein Vergleich ist zu dem, was auf der anderen Seite in Ost-Ghuta passiert." Dort, berichtet die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte, wurden am Tag von Blex' Ankunft 68 Menschen getötet und mehr als 200 verletzt.

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Der Minister für nationale Versöhnung

Ob die Zahlen über amnestierte Rebellen stimmen, kann niemand mit Sicherheit sagen, erklärt Heiko Wimmen. Die vom Regime angepriesene Versöhnung sei allerdings nicht viel mehr als einseitige Kapitulation von Gegenden, die die Rebellen nicht mehr halten können. "Oft haben Kämpfer und Zivilbevölkerung dann die Wahl, sich evakuieren zu lassen (meist ins nord-westsyrische Idlib) oder aber 'ihre Angelegenheiten zu regeln’", sagt der Experte. "Das ist ein ähnliches Roulettespiel wie die Rückkehr nach Syrien aus dem Ausland: Es gibt Listen von Leuten, die gesucht werden, von denen man gestrichen werden kann, und dann gibt es noch andere Listen, von denen niemand etwas weiß." In vielen Fällen sei die "Versöhnung" eher als gewaltsame Vertreibung anzusehen. "Eine Konfliktregelung, die zustande kommt, weil die eine Partei der anderen die Pistole an die Schläfe setzt, sollte nicht als 'Versöhnung' bezeichnet werden", sagt Wimmen.

Fazit

Ob Christian Blex wirklich glaubt, dass er in Syrien an den "Staatsmedien" vorbei wichtige Aufklärung betreibt oder nicht, ist eigentlich egal. Was er tut, ist in jedem Fall zynisch und abstoßend. Um Punkte zu Hause zu machen, lässt er sich von einem Regime mit Pistazien-Eis und Propaganda füttern, das Hunderttausende der eigenen Bürger erschossen, vertrieben, mit Fassbomben gesprengt, mit Giftgas vergiftet und in Folterkellern zu Tode gequält hat. Was auch immer man von der AfD sonst hält – diese menschenverachtende Dummheit sollte man ihr nie vergessen.

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