Good Guy Boris – Der Sprüher, der sich nicht vermummen möchte
Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von Good Guy Boris

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Noisey Graffiti

Good Guy Boris – Der Sprüher, der sich nicht vermummen möchte

"Wenn ich die Welt davon überzeugen will, dass Kunst niemals illegal ist, dann muss ich doch bei mir anfangen." – Sprüher, Aktionskünstler, und Entertainer Good Guy Boris im Porträt.

Die Welt der Graffiti-Sprüher war jahrelang eine verschlossene, kaum zugängliche Szene. Wer nicht Teil des Ganzen war, hatte kaum eine Chance, die unzähligen Werke zu Gesicht zu bekommen, geschweige denn die Künstler selbst zu treffen. Die Sprüher der 90er lungerten auf Bahnhöfen herum, warteten mit ihren analogen Kameras auf besprühte Züge, und wenn mal alle paar Jahre irgendwo ein Fotoband mit den eigenen Werken erschien, dann hatte man es quasi geschafft innerhalb des verschlossenen Zirkels. Für die normale Gesellschaft allerdings war man kaum wahrnehmbar.

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2018 sieht die Sache schon wesentlich anders aus. Dank Facebook und Instagram sind Graffiti-Writer omnipräsent, ihre Bilder werden auf unzähligen Dokumentations-Accounts geteilt, Hunderte sogenannte "Spotter" sammeln abertausende Follower durch die Veröffentlichung aktueller Bilder. Die Künstler selbst werden zu weltweiten Stars und Influencern. Selbst in der Werbung ist Graffiti inzwischen gern gesehen. Nur eins hat sich nicht geändert: die Anonymität. Nach wie vor gilt es als wichtigstes Gut, die eigene Identität geheim zu halten, schließlich sind die Aktionen der Sprüher meist illegal. So wurde es bisher immer gehandhabt, so macht man das. Zumindest bisher.


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Denn es gibt auch noch Good Guy Boris. Sprüher, Aktionskünstler, Dokumentarfilmer, Entertainer, Veggie-Koch und neuerdings Musiker. Der bisher hauptsächlich für seine Graffiti-Aktionen bekannte Boris sieht überhaupt nicht ein, warum er sich vermummen sollte. Ein Novum gewissermaßen. Er stellt die Aufnahmen, die ihn beim Sprayen zeigen, sogar selbst ins Netz. Seine Videos leben von der totalen Offenheit, mit der er sich bei seinen illegalen Unternehmungen filmt, und der unnachahmlichen Art, mit der er die Zuschauer durch eine geheime Welt führt. Neben seinen eigenen Werken hat er sich einen Namen gemacht, indem er Arbeiten von weltweit bekannten Writern dokumentiert, wie den Berlin Kidz, RAGE DSF, Moses & Taps, Utha & Ether oder auch 1UP einen Namen gemacht. Unter dem Label "The Grifters" hält er fest, was im Verborgenen geschieht. Grund genug, mal nachzufragen, wer der lustige Mann mit dem absurden Akzent eigentlich ist und was das alles soll.

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Ich treffe Boris in Berlin, wo er sich mit einem Musikproduzenten verabredet hat. Kennengelernt hatten wir uns 2015 in Paris, dann in Sofia wieder getroffen und nun also Berlin. Seine aktuelle Basis ist jedoch Athen. Hier fühlt er sich momentan frei genug, um seine vielfältigen Pläne in die Tat umzusetzen. Die Griechen haben andere Probleme als ein bisschen Graffiti. Eine Wohltat für jemanden, der so viel herumgekommen ist wie Good Guy Boris. Wo kommt der Weltenbummler denn eigentlich her? "Ich bin im Internet geboren", sagt er und schmunzelt.

"Ich bin im Internet geboren." – Good Guy Boris

Es gab bisher keinen Ort, der ihn halten konnte, soviel ist klar. Die Franzosen hielten seine Auffassung von Kunstfreiheit jedoch für mindestens fragwürdig und steckten Boris erst einmal für mehrere Monate ins Gefängnis. Kein Grund für ihn, seine Vorgehensweise zu ändern. "Das, was ich mache, ist überhaupt kein Verbrechen. Zumindest sehe ich das so. Und wenn ich die Welt davon überzeugen will, dass Kunst niemals illegal ist, dann muss ich doch bei mir anfangen. Also wozu vermummen?" Klingt erstmal logisch. Und dann auch wieder nicht. Aber es ist zumindest bewundernswert, jemanden zu sehen, der so überzeugt von seiner eigenen Weltsicht ist.

Boris hat schon so einige Knaller zustande gebracht. Mal befragt er (vermummte) Sprüher, die während des Interviews einen Zug malen und nicht wirklich angetan sind von seinen Gesprächsversuchen. Dann stellt er sich selber ein gefälschtes Dokument der griechischen Regierung aus, das ihn als Teilnehmer der Kunstmesse Documenta ausgibt und sprüht am hellichten Tag die Straßen Athens voll. Er fotografiert wahnwitzige Dach-Klettereien in Paris oder versteigert seine eingesaute Kleidung, nachdem ein wütender Passant ihm eine Dose entwendet und ihn mit Farbe vollsprüht hat. Oder er malt einfach einen riesigen "She made me do it"-Schriftzug unter das Fenster einer zuvor meckernden Anwohnerin.

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Boris’ neuesten Coup kann man in die Rubrik "Streetart durchgespielt" packen. Er bedruckt mehrere Plexiglasscheiben mit angeblich offiziellen Verlautbarungen des Kulturministeriums Griechenland. Der Tonus: "Dies ist ein schützenswertes Kunstwerk." Dann schraubt er die Scheiben an Wände, die zuvor von ihm verschönert wurden. Wo vorher "nur" ein Boris-Tag war, hängt nun ein scheinbar beglaubigtes Kunstwerk. Das folgerichtige Ergebnis: Passanten bleiben stehen, betrachten den Edding-Schriftzug, machen sich ihre Gedanken. Selten wurde die Absurdität der "Banksy ist cool, aber der Rest ist Schmiererei"-Theorie so schön offengelegt. Denn sobald etwas von der Außenwelt toleriert wird, verstehen plötzlich alle die Kunst eines zuvor als Schmierer betitelten Vagabunden. Doch Boris reicht das nicht. Verkleidet als "Evil Art Collector" schneidet er des Nachts das gesamte Kunstwerk samt Scheibe aus dem Gebäude heraus und stellt es auf Ebay. Mehr Metaebene geht nicht.

"Wenn ich die Welt davon überzeugen will, dass Kunst niemals illegal ist, dann muss ich doch bei mir anfangen."

Boris nimmt sämtliche Blickwinkel der inzwischen zu einer Industrie gewordenen Graffiti-Kultur ein – ohne zu werten, aber immer mit einem ironischen Lächeln. Dabei hält er allen Beteiligten den Spiegel vor. Er ist der verpönte illegale Sprüher, der akzeptierte Streetartist und der Galeriebesitzer in einer Person. In Kombination mit seinem Gespür für Wortschöpfungen und Catchphrases, hat er sich selbst zu einer Marke gemacht, ohne den Kontakt zum Underground zu verlieren. Ein Kunststück. So wie der ganze Mensch.

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Wir laufen durch Berlin-Kreuzberg. Boris verklebt oder verschenkt seine glitzernden Sticker und erklärt nebenher: "Es ist einfach nicht in Ordnung, dass offizielle Stellen meinen Vandalismus zerstören." Auf Englisch klingt das Ganze noch etwas schöner: "You know, I come to vandalize. And then they vandalize my vandalism. This is not okay." Die Vergänglichkeit ist eins der Hauptprobleme des Graffiti-Writings. Die bemalten Züge etwa, meist nach wenigen Stunden wieder gesäubert, leben lediglich auf den Fotos weiter. Doch selbst da spielt Boris nicht mit. Auch Fotos sind bei ihm vergänglich.

"Es ist einfach nicht in Ordnung, dass offizielle Stellen meinen Vandalismus zerstören."

Den Großteil seiner Arbeiten postet er ausschließlich auf Instagram, oftmals nur in seiner Story. Wenn etwas weg ist, ist es weg. 24 Stunden Lebensdauer. Auch auf seinem Profil sind die beliebtesten Beiträge häufig nach wenigen Wochen wieder verschwunden. Genau wie in den Straßen. Die Instagram-Story ist sein Lieblingsort, hier kann er sich austoben. Konsequenterweise haben auch wir ihn gebeten, uns auf Instagram einige Fragen zu beantworten und ihn durch Berlin begleitet. Seht ihr jetzt in unserer Story:

Ein paar Stunden später. Wir laufen die Treppen eines Kreuzberger Altbaus hinauf und betreten ein provisorisches Musikstudio. Boris plant ein Album. Erste Features sind Miss Platnum und Psaiko Dino. Er hört sich ein paar Beats an, nickt mit dem Kopf, wirkt zufrieden. Seine erste Single heißt "Dont Worry, Make Schtory". Wenn man weiß, dass quasi jedes "S" bei Boris zum "SCH" wird, ist der Titel selbsterklärend. Die Musik sei "Gypsy-Trap", vermutet er. So genau weiß er das aber auch nicht. Und wie kam es dazu? "Jemand hat meine Kunst gestohlen, verkauft und bezahlt davon jetzt Top-Produzenten und Musiker. Es ist eine Schande, aber was soll ich machen? Verstehst du?" Ich habe längst verstanden. Die Grenzen zwischen den verschiedenen Persönlichkeiten des Sprühers, Entertainers und Musikers aus dem Internet verlaufen fließend. Gut für ihn und für uns.

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