2016 von hinten—Die 9 schlechtesten Alben des Jahres

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Linus Volkmanns Umsturzprosa

2016 von hinten—Die 9 schlechtesten Alben des Jahres

Nieder mit Bestenlisten und anderen Angebern. Jetzt gilt's wirklich: Welche Platte war der Reinfall des Jahres?

Foto (v.l.n.r.): Screenshots von YouTube aus den Videos „FRIDA GOLD - Langsam (Official Music Video)", „Beginner - Ahnma feat. Gzuz & Gentleman" & Imago

Das Gruselkabinett 2016 sieht auch hinsichtlich seines Beitrags zur Musikgeschichte finster aus, ein auffällig ratloses Pop-Jahr. Keine neuen Stars, keine neuen Trends, oder zumindest ein paar heiß laufende Subgenres. Dafür viel Mittelmaß vom etablierten Inventar. Popmusikalische Nachhaltigkeit erreicht 2016 allerdings dennoch—und zwar auf dem Friedhof: Es wird als das Jahr in Erinnerung bleiben, in dem Prince, Bowie, Cohen und noch einige Große mehr starben. Asche zu Asche. Linus Volkmann setzt die Schaufel an.

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Zum Geleit

Jahrescharts sind letztlich vor allem das: Distinktionsgetränkte Kritikerwichsvorlagen wie genauso ganz triviale Trigger für die vorweihnachtliche Wunschzettelhuberei.

Doch eine Bestenliste von 2016? Das sollen doch bitte andere machen. Sicher gibt es auch in diesem fauligen Jahr Highlights, wenn man bloß genau hinschaut. Im Rap stieß man bei Trap und „Cloud" sogar auf echtes Leben—und nerdy Spezialistenbegriffe wie Yacht oder Soft Rock dürften es zumindest als reizvolle Randnotiz in das sonstige Flautenprotokoll schaffen. Was aber nichts daran ändert, dass größere Zusammenhänge wie Indie, Rock oder Electro nur auf dem Standstreifen fuhren—und der Mainstream seinen tiefergelegten SUV sogar komplett in den Straßengraben setzte. Better luck next year, ihr Loser!

„ … Die gängige Rock-Praxis des Selbstzitats ist überschritten"

Metallica—Hardwired… to Self-Destruct (Veröffentlichung 18.11.2016)

Metallica hatten das Glück, dass sie und ihr markiger Großkonzern genau auf der Schnittstelle von Stadionrock und Szene-Glaubwürdigkeit zur Salzsäule erstarrten. Alle paar Jahre wirft man nun ein Tuch über sein eigenes Monument und enthüllt es danach wieder unter maximaler Aufmerksamkeit. Doch wie sehr Hardwired… to Self-Destruct die Breaks und Sounds von „Orion", „Battery" oder anderen Stücken ihres 30 Jahre alten Klassikers Master Of Puppets als Blaupause nutzt, das hat längst die gängige Rock-Praxis des Selbstzitats überschritten—und zeigt viel eher ein würdeloses Dasein als Metallica-Coverband auf.

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Da hatte man vor Lars Ulrich ja noch mehr Respekt, als der Millionär Anfang der Nuller Privatpersonen auf Napster wegen Filesharing verklagte. Nicht verschweigen sollte man allerdings, dass Metallica 2016 doch ein Alleinstellungsmerkmal erschaffen konnten: Das mit Abstand hässlichste Cover ihrer Bandgeschichte.

„… Ein klebriges Körnerbrötchen"

Radiohead—A Moon Shaped Pool (Veröffentlichung 08.05.2016)

Eine Platte, wie sich mit Wein auskennen, eine Platte, wie sich mit Wein auskennen und auch noch darüber reden wollen, eine Platte, wie „Die Zeit" lesen, wie aus Vernunft zu rauchen aufhören, wie eine sozialkritische Krimiserie schauen, oder, besser, das Buch dazu lesen, eine Platte wie nicht mehr wichsen, wie sich endlich um die Altersvorsorge (Ergo, Allianz, Hamburg-Mannheimer) kümmern, sich auch mal für Jazz interessieren, wie ein klebriges Körnerbrötchen, wie einsehen, dass die Eltern früher auch oft Recht hatten.

„Überproduzierter Freizeitpark-Pop, der sein Ziel nicht findet"

Lady Gaga—Joanne (Veröffentlichung 21.10.2016)

„Wie Indie kann Mainstream sein?" So übertitelt der Pate der Plattenkritik, Albert Koch vom Musikexpress, seine Besprechung zu Joanne. Um dies zu dechiffrieren benötigt man nicht mal das Langenscheidt-Wörterbuch „Musikjournalismus / Deutsch; Deutsch / Musikjournalismus".

Es handelt sich hier um einen Warnsticker, der sagen will: „Vorsicht, auf dieser Platte findest Du überhaupt keine Hits!"

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Daher dieser Verweis auf die Schläferhochburg der Indie-Musik, wo man sich mitunter die Abwesenheit von Slogans, Melodien und Hits noch als Mehrwert zurechtlügen darf. Ganz angenehm, klar. Doch bei aller Freiheit der Kunst: Lady Gaga hat 2009 ihr verdammtes Mandat für den Pop-Olymp aufgrund von The Fame / The Fame Monster erhalten, also für übertrieben nachhaltige Ohrwürmer. Indie dagegen steht nicht im Vertrag!

Wobei sich Joanne auch nicht wirklich damit rausreden kann. Das ist viel mehr überproduzierter Freizeitpark-Pop, der sein Ziel nicht findet. Die erste Single „Perfect Illusion" dürfte einem Pop-Genius wie „Bad Romance" nicht mal beim Kotzen die Haare halten—und verbrachte dementsprechend auch nur zwei Wochen in den Charts.

Dennoch waren die Zeitschriften diesen Herbst voller Lady Gaga. Wohlwollend seidige Berichterstattung überall. Wie kommt's bei so einem Flop? Nun, ganz einfach, die abschwellende Pop-Ikone hatte sich aufgerafft, in Deutschland Promo-Termine abzuhalten. Hier allein hätte man schon merken müssen, dass mit der Platte etwas nicht stimmt. Denn wer tatsächlich Hits im Gepäck hat, dessen Flieger muss sicher nicht bei der deutschen Pop-Presse landen.

„… Ist ihnen eine Schlaghose gewachsen"

Justice—Woman (Veröffentlichung 18.11.2016)

Wer Justice mit ihrer neuen Platte hört, wird es nicht glauben können—und doch ist es wahr: Die Verantwortlichen für dieses routinierte bis abgehängte Beat-Blabla waren einmal der ganz heiße Scheiß. Durch das dauerhafte Schielen auf 70er Disko-Sounds ist dem Style der Franzosen allerdings eine Schlaghose gewachsen. Vom Coolnessfaktor ungefähr noch auf einer Höhe von Stefan Raabs „Wadde Hadde Dudde Da"—auf Pille.

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„Komm, für den Satz brauchen wir nicht extra eine Zwischenüberschrift"

Clueso—Neuanfang (Veröffentlichung 14.10.2016)

Ja, Alter, den Neuanfang wirst du vor allem auch nach diesem trostlosen Album dringend brauchen.

„Natürlich auch noch aus Stuttgart"

Schmutzki—Spackos Forever (Veröffentlichung 05.08.2016)

Musik muss wirklich nicht immer schlau sein. Ja, mitunter entwickelt sie gerade in der Dämlichkeit einen gewissen Charme. Allerdings sollte es eine Untergrenze geben. Apropos Schmutzki. Diese überkarrieristische Mischung aus Kraftklub und BWL-Justus gab es ja auch noch. So schlimm, dass sich die Majorlabels ihre Ziegenhufe danach leckten. Superfun! Das ist „kecker" und „frecher" Spaß-Rock von Leuten ohne Humor. Natürlich auch noch aus Stuttgart.

„Nun sollte die ganze Welt vom deutschen Pop-Wunder erfahren. Wie peinlich!"

Frida Gold—Alina (Veröffentlichung 30.09.2016)

Absturz mit Ansage. Schon für 2015 drohten Frida Gold mit einem neuen Album. Aus Größenwahn komplett in Englisch, denn die deutschen Charts wähnte man bereits durchgespielt. Nun sollte die ganze Welt von dem deutschen Pop-Wunder aus Bochum erfahren. Wie peinlich! Da würde man sich ja erst recht nicht mehr im Ausland blicken lassen können. Zum Glück kam es anders: „Run Run Run", die erste Single, interessierte kaum jemanden, die Veröffentlichung des Albums wurde hastig ausgesetzt. 2016 versuchte man daraufhin sichtlich nervös, wieder mit deutschsprachigen Texten am eigenen Klischee anzuknüpfen. Vergebens. Auch mit beherztem Buseneinsatz bei dem Clip zum Comeback-Stück „Langsam" war dem heruntergekommenen Spukschloss nicht mehr zu helfen. Ohne Top-20-Platzierung und nach nur drei Wochen Charts-Aufenthalt ging es zurück in die Gruft. Frida Gold haben ihren Produktzyklus offensichtlich hinter sich. Demnächst: Umschulung!

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„… Groteskes Komplimente-Bootcamp"

Sportfreunde Stiller—Sturm und Stille (Veröffentlichung 17.10.2016)

Die Sportfreunde Stiller haben ihren proto-christlichen Pfadfinder-Pop über die Jahre zu einem grotesken Komplimente-Bootcamp ausgebaut. Selbst Erbauungs-Gospels oder die Mundorgel klingen gegen die drei holprigen Bayern noch wie lebensmüder Gothic. Auf jeden Fall haben sie damit eine Nische gefunden—bloß was für eine!

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„Verbeamtete Fans"

Beginner—Advanced Chemistry (Veröffentlichung 26.08.2016)

Ahn das mal, wer sich da zurück ins Game geputscht hat … Hamburg City Heftig! Mütze, Knuddel und Rostkehlchen. Einen Moment lang bekommen die mittlerweile verbeamteten Old-School-Beginner-Fans das Gefühl, doch nicht den Anschluss an aktuellen HipHop verpasst zu haben und wieder ganz vorn zu sein. Diese märchenhafte Massenhypnose hält allerdings kaum mehr als eine Single lang.

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Besondere Erwähnung der Jury: Money Boy a.k.a. Why SL Know Plug

Auch keine leichte Zeit für den heimlichen Star der Zehner Jahre. Dessen Fame ist 2016 erstmals rückläufig. Zudem landeten große Errungenschaften des Boi im Abfluss: Die Verwendung des Zahlworts „1" und die damit einhergehende defekte Ottographie verlor er an Hipster, Werber und zuletzt die Sparkasse—wobei sogar fast alle Spuren auf seine Vorreiterrolle bei dem (mittlerweile ohnehin nervenden) Trend verwischt wurden. Die Selbstauslöschung des eigenen Fames betreibt er allerdings auch eigenhändig, wenn er sich den neuen unpraktischen Künstlernamen Why SL Know Plug aufbürdet. Dieser eigentlich grundsympathische Größenwahn (vergleiche Puff Daddy zu P. Diddy zu Diddy) geht hier aber einfach 0 auf (statt 1). Der Zugang zu besseren Produktionsmitteln bringt ihn mitnichten seinen amerikanischen Vorbildern näher, aber er killt vieles vom einst unwiderstehlichen Charme des Wieners.

Vor allem aber auch überflügelten ihn dieses Jahr seine einstigen Schützlinge gleich reihenweise: Neben Swag-Rap-Pin-Ups wie LGoony, Yung Hurn, Juicy Gay oder Crack Ignaz wirkt er wie der Prinz Charles der Szene, wie einer, der eigentlich ganz vorne stehen müsste, aber einfach den Punkt verpasst hat.

Sein Album Alles ist Designer erscheint am 24.11.2016. Vorab Gehörtes macht leider wenig Hoffnung auf den großen Gamechange und TurnUp. Zu schade.

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