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Polizei geht davon aus, dass Münchner Amokläufer seine Waffe im Darknet kaufte

Die Glock 17, mit der David S. neun Menschen tötete, soll aus dem Darknet stammen. Motherboard-Recherchen zeigen, wie einfach es ist, sich scharfe Pistolen auf Darknet-Schwarzmärkten zu besorgen—und zu welchem Preis sie gehandelt werden.
Symbolbild einer Glock-17 | Bild: Spectrums, Wikimedia | Lizenz: Public Domain

Zwei Tage nach dem Amoklauf am Olympia-Einkaufszentrum in München kommen weitere Details über die Tatwaffe ans Licht: Der 18-jährige David S., der am Freitag neun Menschen tötete und anschließend sich selbst richtete, soll sich die Glock-17 im Darknet besorgt haben, wie die Süddeutsche Zeitung aus Ermittlerkreisen erfahren haben will. Das Prüfzeichen auf der ursprünglich unscharfen Dekowaffe stamme aus der Slowakei, das Beschusszeichen sei aus dem Jahr 2014. Die Ermittler gehen davon aus, dass die Glock anschließend wieder scharf gemacht wurde.

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Bei Dekowaffen handelt es sich um Waffen, die vor ihrem Verkauf so umgearbeitet wurden, dass sie keine Munition abfeuern können und daher ungefährlich sind. Tatsächlich stellen diese manchmal auch Theaterwaffen genannten Modelle jedoch gerade im europäischen Raum häufig die Grundlage für den illegalen Waffenhandel im Darknet dar, wie verschiedene Fälle aus der Vergangenheit gezeigt haben. So gelang es beispielsweise dem Schweinfurter Studenten Christoph K. über zwei Jahre lang ein florierendes Waffenexportgeschäft aufzubauen. Motherboard vorliegende Dokumente zeigen, dass der heute 26-Jährige die Dekowaffen für wenige hundert Euro ankaufen konnte, diese mit geringem technischen Aufwand eigenhändig wieder scharf machte und sie anschließend für teilweise über 1.500 Euro im Darknet weiterverkaufte.

Die Auflagen darüber, wie aufwändig Dekowaffen vor ihrem legalen Verkauf unbrauchbar gemacht werden müssen, sind innerhalb der EU nicht einheitlich geregelt. Das nutzte auch Christoph K. aus. Im Gerichtssaal kam heraus, dass sich der Mechatronik-Student das Scharfmachen durch YouTube-Tutorials beibrachte, und dass er für den Rückbau einer einzelnen Waffe manchmal nur wenige Stunden brauchte. Bezogen hatte er viele der Dekowaffen ebenfalls aus der Slowakei.

Schon gestern erklärten Ermittler, dass David S. keinerlei waffenrechtliche Erlaubnis für die am Tatort gefundene Glock-17 gehabt habe. Demnach handelte es sich um eine illegale Waffe mit einer herausgeschliffenen Seriennummer. Bundesinnenminister De Maizière deutete auf einer Pressekonferenz am Samstag weiterhin an, dass die Glock-17 eine sogenannte Dekowaffe gewesen sein könnte und stieß auch eine Debatte um eine Verschärfung des Waffenrechts an.

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Tatsächlich ist das Problem der wieder scharf gemachten Dekowaffen schon lange bekannt: In Sicherheitskreisen der Europäischen Union weiß man, dass insbesondere in Osteuropa jahrelang unter viel zu laschen Auflagen ausrangierte Waffen zu Dekowaffen umgearbeitet wurden, die anschließend verkauft und problemlos über Grenzen geschafft und mit nur wenigen Handgriffen wieder scharf gemacht werden konnten.

Betreiber von Tor-Servern erklären, warum die Technologie des Darknets längst nicht nur dunkel ist

Bereits im Mai 2008 kündigte die EU an, schärfere und einheitliche Regeln bei Dekowaffen durchzusetzen—tatsächlich passierte jahrelang nichts, wie eine Spiegel-Recherche auf EU-Ebene nachzeichnet. Erst im Januar 2015 kam Bewegung in die Sache, nachdem französische Ermittler bemerkten, dass es sich bei einer der Mordwaffen des Attentäters Amedy Coulibaly um eine ehemalige Dekowaffe aus der Slowakei gehandelt hatte. Die Auflagen für das Unbrauchbarmachen wurden verschärft; auch ist es nun nicht mehr ohne weiteres möglich, Dekowaffen über das Internet zu bestellen. Für die vier jüdischen Geiseln, die Coulibaly hinrichtete, kommen die Gesetzesänderungen zu spät.

Sollten sich die bisherigen Erkenntnisse der Ermittler bewahrheiten, und David S. hat wirklich mit einer im Darknet bestellten Dekowaffe den Amoklauf begangen, dann müssten sich europäische Innenpolitiker möglicherweise auch im Angesicht der Opfer von München vorwerfen lassen, zu langsam und mit falschen Prioritäten die europäische Angleichung des Waffenrechts vorangetrieben zu haben. Das Jahr des Prüfzeichens deutet nämlich darauf hin, dass die Waffe im Jahr 2014 (also vor der Gesetzesänderung) legal als Dekowaffe verkauft wurde.

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Waffen werden online nicht nur über das Darknet gehandelt—wie die gescheiterte Karriere des schwäbischen Händlers „Gunny" zeigt

Das Tor-Netzwerk, dass einen Großteil der Zugriffe, die zum Deepweb gerechnet werden, verarbeitet, gilt technisch nach wie vor als äußerst effektiv zur Verschleierung der Nutzeridentität und zum Schutz der Privatsphäre der Nutzer. Wie groß der Anteil ist, den iIllegale Handelsplattformen am Gesamttraffic des Tor-Netzwerkes ausmachen, ist dabei umstritten und lässt sich nur schwer beziffern. Während eine Studie Anfang dieses Jahres zu dem Schluss kam, dass Darkweb-Seiten mehrheitlich für Verbrechen genutzt werden, rechnen andere Forscher damit, dass lediglich rund drei Prozent der Tor-Aufrufe auf sogenannte Hidden Services (zu denen auch die Darknet-Schwarzmärkte zählen) abfallen. Der Großteil des Handelsvolumens auf diesen Darknet-Schwarzmärkten wiederum besteht aus Drogenangeboten, aber es werden von einzelnen Nutzern hier auch immer wieder Munition und unterschiedlichste Waffentypen angeboten.

Das tatsächliche Ausmaß des Darknet-Waffenhandels lässt sich mit Hilfe der Archive des unabhängigen Sicherheitsforschers Gwern, die Motherboard analysiert und aufgearbeitet hat, besser nachvollziehen. Die viele Gigabyte großen Datensätze zeigen, dass es insgesamt nur rund ein Dutzend deutschsprachiger Waffen-Händler auf großen Waffenschwarzmärkten gibt—und auch, dass eine Glock von deutschsprachigen Händlern äußerst selten angeboten wird.

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„Excellent condition nice grip", heißt es in einem Darknet-Angebot für eine Glock. Preis: 2.200 Euro, zu zahlen in Bitcoin.

Im Jahr 2014 beispielsweise finden sich im Darknet vor allem US-amerikanische Glock-Angebote. Die Produktbeschreibungen ähneln eBay Kleinanzeigen und sind kurz und bündig gehalten: „Excellent condition nice grip." Der Verkaufspreis liegt bei 5.5 Bitcoin, was nach dem damaligen Kurs ungefähr 2.200 Euro entspricht. Eine Summe, die sich auch mit späteren vergleichbaren Angeboten deckt.

Die unter anonymen Pseudonymen verfassten Kunden-Bewertungen zeigen, dass die Produkte für volle Zufriedenheit beim Käufer sorgten: „Top man, highly recommded", schreibt jemand, der eine Glock 19 gekauft hat. Um die Waffe zu erwerben, musste sich der Kunde lediglich einen Account im Darknet anlegen, einen Schlüssel zur kryptographischen Kommunikation generieren lassen und die Summe des Verkaufspreises zur Bezahlung in Bitcoin umtauschen.

Motherboard vorliegende Dokumente aus Ermittlerkreisen zeigen auch, dass Darknet-Waffenhändler nicht davor zurückschrecken, ihre Produkte international zu versenden—und das ihre Postsendung erstaunlich oft vom Zoll unbemerkt bleiben.

Der Schweinfurter Christoph K., der in einem Fall bis nach Australien versandte, bot übrigens selbst keine Glock an, dachte aber in Forenbeiträgen zumindest laut darüber nach, wie hoch sein Verkaufspreis wohl läge. In einem Post vom Februar 2014 taxierte er das digitale Preisschild einer Darknet-Glock auf 3.000 Euro. Warum er die Waffe letztlich doch nicht anbot, lag laut seiner Aussage weniger daran, dass es für ihn technisch schwierig gewesen wäre, das Angebot zu organisieren, sondern schlicht an finanziellen Gründen: „Ich komme zwar zumindest an ganze Glocks dran, aber der Einkaufspreis liegt so deutlich über dem [Preis einer vergleichbaren osteuropäischen Marke], dass ich hier, selbst wenn ich die Glock für 3.000€ verkaufen würde, immer noch weniger Gewinn machen würde, als mit anderen Modellen."

Das LKA kam dem Studenten K. schließlich auf die Schliche und konnte ihn im Januar 2015 festnehmen. Es genügt ein kurzer Blick ins Darknet, um zu sehen, dass längst andere Händler seinen Platz eingenommen haben.