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DIE GLUTEUS MAXIMUS ISSUE

VICE Reviews

Wir sind dieses Mal mit unseren Reviews Lichtjahre gereist, um vom besten zum schlechtesten Album zum kommen. Dafür flogen wir auf dem Weg durch eine schillernde Milchstraße von großen und kleinen funkelnden Albensternen.

THEE SILVER MT. ZION
Memorial Orchestra
Fuck Off Get Free We…
10
Ich muss gestehen, dass ich Efrim Menuck bei den letzten Konzerten mit Silver Mt. Zion eigentlich ziemlich scheiße fand. Die Ansagen des Typen, zweifellos eloquent und immer vom richtigen Klassenstandpunkt, hatten doch etwas von oberflächlicher Showmanship und der Vibe, mit dem er rumwedelte, schwang schließlich arg in Richtung: Rockstar. Vor diesen Konzerten hatte ich das Faseln, Silver Mt. Zion seien mit „Kollaps Tradixionales“ nun endlich Alternative Rock, nur als den Ausschlag böser Zungen abgetan, aber jetzt wurde es etwas unbehaglich. Ich könnte jetzt sagen: Heureka, das neue Album zerbläst alles Grübeln und Grummeln in grauen Rauch. Aber natürlich wäre das nicht sehr ehrlich. Für sich genommen allerdings ist dieses Fuck Off… nichts weniger als ein Meisterwerk. Noch losgelöster von Traditionen, mit Gitarren kreischend, sich noch hingebungsvoller in Dissonanz stürzend, um geheime Harmonien herauszustreichen. Dieses Album ist eine Welt für sich.
ATILLA COLGATHA

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FANTÔME
It All Makes Sense
Snowhite
1
Fantôme besteht aus Hanin Elias (Atari Teenage Riot) und Marcel Zürcher (Die Krupps), und es ist unmöglich, das nicht zu erwähnen, denn das Album klingt exakt wie eine Platte, die zuerst von den Krupps aus den 90ern hergebeamt und danach hier von Hanin Elias besungen wurde. Also konzeptuell furchtbar schon von vornherein, aber dass es in der Musik des „Power-Duos“ (Zitat) dann auch noch unter anderem um „Gesellschaftskritik und Politik, (..) aber auch um private Momente und Liebe“ (ebenfalls Zitat) geht, das … ergibt dann auf eine ernüchternde Art in der Tat irgendwie Sinn, da haben die beiden schon recht.
EMPTY TÄT

THIS, THAT & THE 3RD
Summer in Vienna
Personal/Groove Attack
8
Wie gut muss eine Song Collabo—ich spreche von den Songs im Hip Hop, die ein „ft.“ im Titel haben—sein, wenn aus einer Nummer im Waxolutionists-Album nun ein eigenständiges Album wird? Die Antwort ist natürlich aufgelegt! „Feet Don’t Fail Me ft. Mystic, Dave Ghetto & Hezekiah“ heißt der Track aus 2009, und es sollte nicht die einzige Nummer während der so fruchtbaren Recording Sessions im Sommer 2007 sein. DJ Buzz hat diese bis dato nirgends veröffentlichten Sessions nun in aller Ruhe teils im Alleingang, teils mit den Twintowas neu gecutted und behutsam in eine würdige Verpackung gelegt. This, That & The 3rd überrascht deshalb vor allem mit viel analogem Soul und Groove und einem zeitlosen Hip Hop, der mit sei- nen Ohrwürmern ab und zu auch mal den Pop anknabbert. Zusammen mit dem handgezeichneten Gatefold Cover von El Lasso ist DJ Buzzs Summer In Vienna ganz einfach ein frisch gebackenes Instant Classic.
LEE SING

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BLACK FLAG
What The…
SST/Cargo
3
Es wäre wirklich eine gute Idee gewesen, wenn all diese über 30 Jahre alten, ehemals verehrten Punkbands, die in letzter Zeit ihre angeblich „langerwarteten“ (von wem eigentlich?) Spätwerke veröffentlichen, sich vorab abgesprochen und zu einer einzigen Supergroup zusammengeschlossen hätten. Ein einziges Allstar-Album mit einem Titel wie, sagen wir mal, Grandpunk's Adventures in Space and Time wäre zwar auch irgendwie bedauerlich gewesen, aber immerhin würden uns dann nicht jeden Monat drei bis zehn klägliche Rentenkassenaufbesserungsversuche ins Haus flattern, die allesamt gleich Scheiße sind.
BROWN SWAG

DIGGA MINDZ
Wundaschen
Boom Boks
6
O.k., ich hab‘s verbockt. Ich habe dem Kollegen noch mindestens eine Review versprochen, bevor ich in den Urlaub gefahren bin. Und jetzt sitze ich hier vor meinem MacBook Air, und mein Host hat zwar eine ganze Kiste mit Bikinis, aber keinen CD-Player in seiner Wohnung. Ich bitte euch aber, die Wut über meine Unfähigkeit nicht an dem Kärntner Rapper und Produzenten Digga Mindz auszulassen, dessen sicher vorzügliches Album Wundaschen ich gerade betrachte und nicht anhören kann. Laut dem Internet ist er einer der gefragtesten Beat-Bastler Österreichs, und die Snippets auf seiner Soundcloud-Seite klingen super. Ehrlich. Also Menschen: Kauft Digga Mindz! Und macht keine Versprechen, die ihr nicht halten könnt.
UDO UNFÄHIG

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PEDER MANNERFELT
Lines Describing Circles
Digitalis
8
Peder, besser bekannt als eine Hälfte des mysteriösen Leaf-Acts Roll The Dice und als das Sublimal Kid, das nicht DJ Spooky ist, aber dafür manchmal bei Fever Ray aushilft, hat sein erstes Soloalbum veröffentlicht—und das ist ein echtes Biest. In bestechender Ähnlichkeit zu frühen Pan Sonic (als sie noch Panasonic hießen) gelingt es dem Schweden, seinem antiken Maschinenpark die knochigsten Klänge diesseits der Friedhöfe und Schrottplätze von Detroit und Den Haag abzunötigen. Fieses Zeug, an dem kein Fitzel Fleisch hängt und irgendwas beschönigt. Pures Pochen, Sägen, Klopfen, Rauschen, Britzeln. Post- Industrial at its best.
MONDO CATSAN

LSD ON CIA
s/t
Noisolution/Indigo
7
Irgendwann entwickelt man Allergien, gegen bestimmte Gräser, Gewürze, Obstsorten oder auch mal bestimmte Instrumente. Ich bin seit meiner Kindheit ganz ordinär auf Birken, Haselnüsse und Äpfel allergisch—mit den Jahren sind noch ein paar ungewöhnlichere Allergene dazugekommen, aber keins ist seltsamer und heftig wie dieses: In meinen Ohren wachsen juckende Exeme und meine Haut schlägt Blasen, wenn ich daddelig, angewedelte Gitarren höre, die landläufig „funky“ genannt werden. Ich habe das im Dienst der VICE überwunden und wurde von einer Musik belohnt, die in ihrem Zitatreichtum zwischen Glam, Art School, zappaeskem Jazzcore und tuntigem Sleaze nach neuen Referenzen verlangt.
BLUE SUNSHINE

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UNIVERSAL DAUGHTERS
Why Hast Thou Forsaken Me?
Santeria/Rough Trade
9
Auch du möchtest mal ein richtig guter Mensch sein, einer, der mehr macht als Lichterketten bei Campact oder Avaaz anzuzünden? Zugleich hast du ein Herz für darbende italienische Musiker und ein Ohr für obskure Hits aus der Jukebox von diesem Typen, der auch den Schnaps gemacht hat? Dann nimm das, „a charity album that actually didn‘t suck“. Eine extrem gut eingespielte Band unter Leitung von Marco Fasolo spielt sehr geschmeidige, inspirierte Songs von Legenden wie Screaming Jay Hawkins, Big Star oder Suicide. Das Salz in der Suppe ist die erlesene Schar von Gastsängern, unter ihnen Alan Vega, Gavin Friday, Lisa Germano, Jarvis Cocker, Carla Bozulich, Mark Arm (Mudhoney), Mick Collins (The Dirtbombs) und Stan Ridgway (Wall of Voodoo). Der Erlös kommt schwerkranken Kinder zugute. Nur Wale retten ist schöner.
CPT. AHABER

SCARLET CHIVES
This Is Protection
Siluh Records
8
Scarlet Chives aus Dänemark werden im Pressetext als neue Fever Ray hingebogen, was nicht ganz stimmt. Scarlet Chives sind organischer als die göttinnengleichen Fever Ray. Nö, Scarlet Chives sehen sich mehr im düsteren Nachkriegsmanchester. Die Bassläufe ähneln stark jenen von New Order, die Stimme ist eine Hommage an Kate Bush—lebhaft und menschlich eben. Eine eindrucksvolle Platte haben sie hier aufgenommen, so schön wie ein Ritt durchs leere Bankenviertel am Morgen nach dem Weltuntergang.
PASSENGER QUARTERLY

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BULBUL
Hirn fein hacken
Exile On Mainstream/Rock Is Hell
8
Bei quasi-institutionellen Bands hat man ja immer das Problem, dass man ihnen bei Rezensionen irgendwie nicht gerecht wird. Oft ist man aufgrund unzweifelhafter Verdienste zu milde („also bei denen ist das definitiv noch eine 7/10“), manchmal auch zu hart, weil eben früher alles besser war und die Band auch nie mehr so gut wird wie damals in diesem einen Laden, den es jetzt auch schon seit 4 Jahren nicht mehr gibt. Bei Bulbuls mittlerweile siebentem (!) Album sieht die Sache aber relativ klar aus: Wer auch im leicht gehobenen Alter noch so ein Noise/Rock/Punk-Ding hinbekommt, der hat sich seinen Status redlich verdient. Ich frage mich zwar immer noch, warum das 9 Minuten lange Instrumental „Kanzla“ eigentlich so heißt und warum man Instrumentals überhaupt einen Namen gibt. Aber vielleicht werde ich auch einfach nur älter.'
OLI ORGANSPENDER

HUNDREDS
Aftermath
Sinnbus
2
Perfekte Stimme, perfekte Harmonien, perfektes Wechselspiel der molekularmusikalischen Bestandteile—und das alles aalglatt und ohne Kanten. Anders gesagt: Ich spüre rein gar nichts. Ein Album wie eine Taxifahrt durch einen 200 Kilometer langen kurvenlosen Tunnel ohne Radioempfang.
CABDRIVER MONTHLY

ANGEL OLSEN
Burn Your Fire For No Witness
Jagjaguwar
8
Angel Olsen hat eine Stimme zum Niederknien, mit der sie ähnlich King Dude eine Abgefucktheit in ihrem Folk-Kram rüberbringt, wie das sonst nur vielleicht noch Nico geschafft hätte. Ich kann mich immer noch nicht entscheiden, ob unter den elf Tracks kein einziger Lovesong ist oder ob alle elf als Lovesong durchgehen—und das ist ja mal mindestens das zweitbeste, was man über eine Platte sagen kann.
RAY ORBISON