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Kommentar

Aufschrei als Promo: Xavier Naidoo und der kalkulierte "Tabubruch"

Empörung! Trotzdem hatte Xavier Naidoo eine exzellent laufende TV-Show, moderierte den Echo 2017, spielt vor ausverkauften Hallen und lässt sich von allerlei prominenten Freunden in Schutz nehmen.
Foto: Imago

Es funktioniert nach wie vor. Frei.Wild beim Echo? Aufschrei! Hingehen tun sie dann trotzdem alle und Frei.Wild haben sich mal wieder als Opfer stilisiert. Irgendein AfD-Minusmensch zitiert Göbbels? Skandal! Die Partei hat mal wieder ihre Plattform und liegt aktuell bundesweit in der Sonntagsfrage bei 9 %. Xavier Naidoo vertont zum x-ten Mal seine krude Weltsicht? Empörung! Der Mann hatte trotzdem eine exzellent laufende TV-Show, moderierte den Echo 2017, spielt in ausverkauften Hallen und lässt sich von allerlei prominenten Freunden in Schutz nehmen.

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Für sein neuestes Machwerk hat sich Naidoo wieder mal mit seinen Marionetten zusammengetan. Also nicht die Marionetten, die er in dem gleichnamigen Song aktuell besingt, sondern seine "Söhne Mannheims", ein Verbund von Musikern, die seit Jahren anscheinend streng nach Naidoos Pfeife tanzen und offenbar bereit sind, jedweden Quatsch mitzumachen, den der große Zampano vortanzt. Der Vollständigkeit halber hier noch mal eine Zusammenfassung der letzten Ereignisse:

Die Söhne Mannheims veröffentlichen ein neues Album. Das Album heißt MannHeim, die Schreibweise ist natürlich Zufall. Der Song "Marionetten" strotzt nur so vor Reichsbürger-Vokabular, von "Volksverräter" über "Sachverwalter" (der gängige Ausdruck der BRD GmbH-Fans für Staatsorgane) bis hin zu Falschmeldungsabsurditäten wie "Pizzagate" ist alles dabei. Zufall, klar. Weitere Songs wie "Der deutsche Michel" schlagen in die gleiche Kerbe: "Was, wenn das nicht stimmt? - Wenn was nicht stimmt? Du glaubst doch nicht wirklich, dass unsere Nachrichten nicht nachgerichtet sind."

Soweit die Aktion. Die Reaktion sieht folgendermaßen aus: Querfront-Magazine wie COMPACT jubilieren ("Naidoo ist das Hassobjekt der Antideutschen und der linksgrünen Journaille. Er spricht seit Jahren aus, dass Deutschland nicht souverän ist und ergriff 2014 auf einer Berliner Montagsmahnwache für den Frieden das Mikrofon"), die NPD postet das Video auf einer lokalen Facebook-Seite, bekannte Reichsbürger feiern Naidoo als "mutigen Wahrheitskämpfer" und in den Kommentarspalten geifern die üblichen Verdächtigen: "Der Zug rollt! Über die Gutmenschen-Mafia hinweg!!!" Die Gegenseite ist alarmiert und twittert wild drauf los. Es werden schockierte Artikel geschrieben. Die Stadt Mannheim distanziert sich von der Band. Das ist zwar eine super Überschrift, bei genauerem Hinsehen wird jedoch klar, dass es überhaupt keine konkreten Auswirkungen auf die seit Jahren laufende Zusammenarbeit hat. Hauptsache aufregen.

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Die Frage, die sich bei all diesem Unsinn und der damit einhergehenden Empörung stellt: Wo ist die Neuigkeit? Es ist seit Jahren bekannt, in welchen Kreisen sich Xavier Naidoo bewegt. Er hat seine extrem gefährliche Meinung oft genug öffentlich erklärt – Google ist dein Freund. Seine Bandkollegen rappen auf dem Album: "Wenn ich so einen in die Finger krieg, dann reiß ich ihn in Fetzen / Da gibts auch kein Verstecke hinter Paragraphen und Gesetzen" (gemeint sind übrigens die "Volks-in-die-Fresse-Treter"). Die Marschroute ist klar. Es geht hier einzig und allein um das erklärte Ziel von rechten Vordenkern: solche Thesen massiv zu verbreiten. Die Empörung ist da nur der "Steigbügelhalter", den Naidoo und Kollegen so gerne besingen.

Das eigentlich Dramatische: Reichsbürger und Co. tragen solche Inhalte in die Mitte der Gesellschaft und reden sich mit dem Argument "Wer Kritik übt, ist anscheinend automatisch rechtsradikal" raus. Und die Taktik geht ziemlich gut auf. Jeder Tabubruch ist nur eine Treppenstufe auf dem Weg zur nächst größeren Eskalation. Wenn man etwas oft genug sagt, ist die Empörung irgendwann automatisch verflogen. Wer schert sich heutzutage noch um einen einfachen Populisten wie Sarrazin, wenn man einen Bernd/Björn Höcke hat. Holocaust-Relativierung > plumper Rassismus. Ganz einfache Formel.

Die Saat geht im doppelten Sinne auf: Es ist ja nicht zu leugnen, dass man durchaus kritisch mit der Regierung, den Staatsorganen und der Presse umgehen sollte. Es gibt keinerlei Gründe, Dinge unhinterfragt zu schlucken oder falsche Politik nicht anzuprangern. Dass eine abstruse Theorie mit zig antisemitischen Querverweisen und nationalsozialistischem Gedankengut dabei nicht die Lösung sein kann und darf, ist für Menschen auf der Suche nach einfachen Antworten leider nicht ganz so offensichtlich.

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Und der angeprangerte "Mainstream"? Der springt brav über das Stöckchen, welches die musikalischen Helden von Pegida und Co. ihnen hinhalten und sorgt mit seiner zahn- und aktionslosen Empörung einzig und allein dafür, dass sich irgendein Facebook-Dulli mal wieder in seiner "Die ganze Welt ist gegen mich"-Haltung bestätigt sieht. Dabei gilt nach wie vor: Faschismus ist kein Alleinstellungsmerkmal von Deutschen. Faschismus hat viele Facetten. Faschismus ist keine Meinung. Egal, wie zart besaitet und versteckt sie um die Ecke kommt. Wer das anders sieht, braucht nach wie vor und zu jeder Zeit Gegenwind.

Im echten Leben, nicht im Internet.

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