FYI.

This story is over 5 years old.

Tech

Wie ein Arzt aus Gaza mit 3D-Druck gegen die medizinische Unterversorgung kämpft

Aus Not begann der Notfallchirurg Tarek Loubani, an einem 3D-gedruckten Stethoskop zu arbeiten. Es stellte sich heraus: Das Open-Source-Gerät kostet 30 Cent in der Herstellung und ist besser als alle erhältlichen Stethoskope.
Ein Set Stethoskope, live gedruckt im Zelt der Neighborhood Nerds auf dem Chaos Communication Camp 2015. Bild: Julia Sinkowicz

„Gaza hat vermutlich das beste medizinische Versorgungssystem, das man unter einer so schrecklichen Belagerung schaffen kann", erzählt Dr. Tarek Loubani gegenüber Electronic Intifada vorsichtig optimistisch aus seinem Alltag als Arzt. Der kanadisch-palästinensische Notfallmediziner ist neben dem regelmäßigen Stromausfall einiges gewohnt: Er war über zwei Monate in Ägypten inhaftiert, behandelte Demonstranten in Kairo nach Massakern im Zuge des Arabischen Frühlings in provisorischen Feldkrankenhäusern und muss heute in Gaza immer noch ständig improvisieren. In dieser Gegend ist ein Drittel aller wichtigen Medikamente nicht verfügbar.

Anzeige

Aufgrund des Mangels an grundlegender medizinischer Ausstattung musste er sein Ohr an die oft blutige Brust eines Patienten legen, um die Herztöne abzuhören. In Gaza ist ein Stethoskop, das zur Standardausrüstung für Ärzte in jeder etablierten Praxis gehört, nämlich Luxus—die behelfsmäßige Methode ist dagegen unzuverlässig und hygienisch eine Katastrophe.

„Dieses Stethoskop aus dem Drucker ist so gut oder sogar besser als der Industriestandard für 200 US-Dollar."

Doch als er mit dem billigen Spielzeug-Stethoskop seines kleinen Neffen herumspielte und verblüfft feststellte „dass es gar nicht mal so scheiße war", wie er Mitte August auf einem Vortrag beim Chaos Communication Camp berichtete, entschloss sich Loubani, die Versorgung mit medizinischen Instrumenten in Gaza selbst in die Hand zu nehmen. Ein Jahr später hält Tarek Loubani ein Stethoskop in der Hand, das er gerade frisch aus einem Ultimaker-3D-Drucker im Zelt nebenan gezogen hat.

Ein Prototyp des 3D-gedruckten Stethoskops, das Tarek Loubani selbst in seinem Berufsalltag nutzt. Bild: Glia Project

„Ich benutze es in Gaza und in Kanada. Dieses Stethoskop ist so gut oder besser als jedes, das gerade auf dem Markt ist und wir haben die Daten, um es zu beweisen."

Das Patent auf Stethoskope ist lang abgelaufen; die Herstellung ist dennoch teuer und proprietär. Im Gegensatz dazu scheint der Einsatz von 3D-Druckern auch in der Medizintechnik vielversprechende Zukunftsanwendungen bereitzuhalten—wenn man denn weiß, wie man von der Idee zum Produkt kommt.

Anzeige

„Einen Scheiß weiß ich", urteilt Loubani allerdings über seine Coding-Fähigkeiten und holte sich deshalb Freunde an Bord, die mit ihm zusammen auf GitHub unter dem Projektnamen Glia im Team einen eigenen Prototypen des Stethoskops entwickelten.

„Was ich will, sind nicht die besten Geräte, sondern die besten Geräte, die auch noch kostenlos sind."

Nach einigen Tagen und vielen Testdrucken entstand eine kollaborativ entwickelte Version—eine Arbeit mit Entwicklungskosten von unter 10.000 Dollar (bezahlt aus eigener Tasche von Loubani selbst)—und einem kostenlos verfügbaren Konstruktionsplan, den sich jeder auf GitHub herunterladen kann. Das Open Source-Stethoskop aus Plastik kostet ungefähr 30 Cent in der Herstellung, was der Qualität aber keinen Abbruch tut.

Im Gegenteil: In den Tests schlug das gedruckte Gerät in der Abhörgenauigkeit das Littman Cardio 3—den Goldstandard, wenn es um Stethoskope geht und das für rund 200 US-Dollar gehandelt wird.

Hier wird das Stethoskop auf Abhörgenauigkeit mit dem Hello-Kitty-Protokoll getestet—benannt nach den mit Wasser gefüllten Ballons, mit denen die Tests in Köln durchgeführt wurde. Bild: Glia Project

Im Test (die Peer-Review steht noch aus, aber Loubani ist mehr als zuversichtlich) zeigt sich, dass das OpenSource-Stethoskop (blaue Linie) das 200-Dollar-Stethoskop in der Empfindlichkeit übertrifft. Bild: Glia Project

Das Stethoskop ist nicht das einzige medizinische Gerät, das Loubani für Krisenregionen drucken will. Er hat eine Liste an Produkten höchster Priorität, die er offen entwickeln, nach Gaza bringen und damit das Leben seiner Patienten verbessern könnte. Zu den Glia-Projekten in der Pipeline gehören mittlerweile einige. „Ein Elektrokardiogramm, ein Pulsoximeter und ein Dialysegerät planen wir gerade— das sind drei der teuersten, allgegenwärtigsten, wichtigsten und gleichzeitig am leichtesten zu reproduzierenden Geräte."

Anzeige

Wie einfach sich das OpenSource-Prinzip auf druckbare Medizingeräte übertragen lässt, konnten wir selbst beim Chaos Communication Camp testen: Christian Lölkes lud sich den Code für das Stethoskop von GitHub runter und druckte spontan binnen drei Stunden ein ganzes Set der empfindliche Köpfe auf UltiMaker-3D-Druckern.

Im Zelt der NeighborhoodNerds unter der Aufsicht von Christian Lölkes dauerte es keine drei Stunden, bis ein ganzes Set Stethoskope fertig gedruckt war. Diese drei Bilder: Julia Sinkowicz / Motherboard.

Dr. Tarek Loubani glaubt fest daran, dass der Medizintechnik eine ähnliche Revolution bevorsteht, wie es sie auch für Software gab: „Es wird ein Äquivalent zu Mozilla und Apache in der kostenlosen Medizinhardware geben", gab er sich in seiner Präsentation überzeugt.

Und so fordert der Arzt Hacker, Entwickler und Ärzte auf dem Chaos Communication Camp zur Mithilfe am Project Glia auf: „Ihr seid klug. Ihr versteht die Technologie und auch die Politik drumherum."

We printed more stethoscopes @trklou #cccamp15 #3dprinting #3ddruck pic.twitter.com/5cQL0oTMm7
— Christian Lölkes (@cloelkes) August 16, 2015

Loubani ist es wichtig, dass seine Patienten das Beste auf dem Markt bekommen, und nicht nur irgendeinen ausrangierten Schrott, der als Almosen in die Hospitale und Krankenhäuser der 'dritten Welt' geworfen wird. In seinem Talk forderte er die Hacker direkt zur Arbeit an weiterer Hardware auf: „Was ich will, sind nicht die besten Geräte, sondern die besten Geräte, die auch noch frei sind."

Dieser Artikel wurde am 16.9. ergänzt und korrigiert.