FYI.

This story is over 5 years old.

Tech

Martin Riches bringt Maschinenkunst zum Sprechen

Riches arbeitet in seiner Kunst die Funktionalität von Maschinen und den Zwischenbereich von Low- und Hi-Tech heraus. Als er mit einem Drachen über die Berliner Mauer flog, genauso wie heute mit digitalen Stimmsimulationen.

Die Thinking Machine lässt rollende Bälle drei röhrenförmige Glocken nach einem Algorithmus von Masahiro Miwa spielen.

Martin Riches ist ein britischer Künstler mit einer Vorliebe für Sound. Angetrieben von der Faszination für die Unterscheidung von künstlichem Leben zu Echtem, sind viele von Riches Objekte prä-digitale Meisterwerke. Von der Kamera auf dem fliegenden Drachen, der über die Berliner Mauer flog - Riches ist seit den späten Sechzigern in Berlin - bis zu Maschinen, die im Radio sprechen und in Kirchen Hymnen auf Latein singen, personifiziert seine Arbeit die Schnittstelle von Analog und dem was heute Digital ist. Eines seiner jüngeren Projekte, StringThing, verbindet zwei akustische Streicher mit digital-gesteuerten Fingern.

Anzeige

Die Arbeit an seinem neusten Projekt, der Singing Machine zur Nachahmung der menschliche Stimme, hat Riches im Jahr 2010 begonnen. Die Singing Machine ist mittlerweile auch vor Publikum aufzutreten. Die Maschine singt die Wörter des japanischen Poeten Sadakazu Fujii, die von Masahiro Miwa in Musik verwandelt wurden.

Riches im Jahr 1989, mit seiner Talking Machine. Via his site

Mehr als nur um technische Brillanz, geht es Riches darum, zu erforschen und zu zeigen, wie Dinge funktionieren. Einige seiner Werke sind aus transparenten Materialien hergestellt worden oder wurden komplett offen gelassen, damit man sehen kann, was im Inneren vor sich geht. Ich sprach mit Riches über die Zeit, in der er mit jugoslawisch Kampfflugzeugen kämpfte, über das meistern der Kunst der analogen Spracherkennung und über Maschinen ohne Seele.

Motherboard: Warum bist du Ende der Sechziger in Berlin gelandet?

Riches: 1969 kam ich nach Westberlin, weil ich von einer deutschen Besucherin eingeladen wurde, die in meiner Wohnung in London wohnte. Sie wollte mit die Berliner Bars und das Bier zeigen. Ich kam also für ein Wochenende, aber während des Wochenendes wurde mit ein Designjob angeboten und da ich das Geld zu dem Zeitpunkt ganz gut gebrauchen konnte, entschied ich mich, in Berlin zu bleiben. Und 40 Jahre später bin ich immer noch hier. Berlin war bisher immer gut zu mir und auch wenn sich viel geändert hat, seit dem die Mauer fiel, ist es noch immer ein guter Ort um kreativ zu werden. Es ist auch eine gute Stadt, um die künstlerische Arbeit auszustellen, wenn sie einmal fertig ist.

Anzeige

Die Drachenkamera, die 1974 gebaut wurde, war ziemlich praktisch, da man sich Ostberlin über die Mauer angucken konnte. Wie viel Schnur hast du gebraucht und wie hoch durftest du steigen?

An sich war der Drache gar nicht auf Ostberlin gerichtet. Ich glaube, dass das schwierig gewesen wäre, weil der Teil der Mauer, der West und Ost getrennt hat, durch ein bebautes Gebiet mit viel Verkehr und fünf Stockwerk hohen Gebäuden verlief. Das Bild wurde in die entgegengesetzte Richtung aufgenommen. Aufgrund der Tatsache, dass Westberlin eine ‚Insel‘ 150 km hinter dem eisernen Vorhang war, sollte der Drachen über die Umfassungswand in die ländliche Gegenden von Ostdeutschland schauen.

Meine technische Höhengrenze betrug 100 Meter, aber ich habe dem ein bisschen auf die Sprünge geholfen, indem ich mich auf einen Hügel mit Trümmer aus dem Zweiten Weltkrieg gestellt habe. Eine andere Regelung schrieb vor, dass Luftaufnahmen mit den Behörden abgesprochen werden müssen, aber ich kam nie dazu das tatsächlich zu machen. Ich hab das Bild auch erst kürzlich wiedergefunden, als ich ausgemistet habe.

Ein Zusammenschnitt aus zwei Bilder der Berliner Mauer, die mit Riches Drachen aufgenommen wurde. Die schwammigen weißen Linien sind Zeile von der Drachenverkleidung.

Hast du noch mehr Bilder, die du mit dem Drachen gemacht hast?

Mehrere. Und auch das von Vrboska auf der Insel Hvar an der adriatischen Küste Jugoslawiens in den Siebzigern. Wenn ich mir Google Maps ansehe, kann ich sagen, dass sich der Ort auch gar nicht so viel verändert hat - mein Bild ist schärfer als das von Google, auch wenn ich zugeben muss, dass meine Kamera ein bisschen weiter unten war als deren.

Anzeige

Als ich das Bild gemacht habe, flog ein Kampfflugzeug über die Insel, ziemlich weit oben, aber nach einer Weile muss der Pilot meinen Drachen gesehen haben. Niemand glaubt mir die Geschichte, aber er ging in einen Sturzflug und flog direkt unter meine Drachenschnurr - ein Macho Pilot halt. Es war unglaublich laut! Ich rollte meinen Drachen zusammen und ging so schnell wie möglich weg.

Was hälst du in dem Zusammenhang von der heutigen digitalen Kameratechnik?

Diese Aktivität heißt heute KAP: Kite Aerial Photography (Drachen Luft Photographie). Die digitale Kamera ist auf einem speziellen Ring befestigt, der von der Schnurr hängt und hält die Kamera immer auf der richtigen Ebene. Die Kamera wird über Fernlenkung ausgelöst. Sie kann auch für ein Panorama gedreht werden. Es ist ein ausgeklügeltes System, dass großartige Ergebnisse zeigt.

All das habe ich in den Siebzigern mit einem Holzrahmen-Drachen, einer billigen Kamera und einem Zünder gemacht. Damals hatte ich von niemand anderes gehört, der auch über Drachen Bilder macht, aber natürlich behaupte ich nicht, dass „ich der erste war.“ Es gibt zum Beispiel das berühmte Drachenbild von George Laurence, San Francisco in Ruins, welches nach dem Erdbeben 1906 mit einer 17 x 48 Inch Panoramakamera gemacht wurde, und die aller ersten Drachenaufnahmen wurden wohl schon 1887 gemacht.

Die sprechende und singende Maschine sind zeitlose Geräte, an denen das Interesse scheinbar niemals nachlässt. Was fasziniert dich an elektronischen Sounds, und wie unterscheiden sie sich von der menschlichen Stimme?

Anzeige

Die Spracherzeugung ist die Kunst Sounds zu produzieren, sie wie menschliche Stimmen klingen, ohne das diese aufgenommen werden. Meine Talking Machine, MotorMouth und Singing Machine sprechen wie du und ich. Mit Stimmenbändern und Luftströmen. Es gibt keine Lautsprecher. Man kann sehen, wir der Sprachschall produziert wird. Im Fall der Singing Machine und MotorMouth wurde der Mund mit Plexiglas gebaut, so dass man die Bewegung der Lippen und der Zunge sehen kann.

Der Sprachschall wird akustisch produziert (wie bei einem musikalischen Instrument) also denke ich, kann man das „analoge Spracherzeugung“ nennen, auch wenn die Motoren für Zunge und Lippen digital kontrolliert sind. Die elektronische Spracherzeugung auf der anderen Seite, kommt aus dem Lautsprecher. Ich finde es gut, dass es so schwierig ist, es von einer Aufnahme zu unterscheiden. Aber ich bin mehr daran interessiert etwas zu machen, bei dem auch sichtbar wird, wie es funktioniert.

Erzähl mir von deinen StringThing Instrumenten, die vor kurzem in Poznań gezeigt wurden? Die sehen aus wie ein Hybrid aus analog und digital.

„Hybrid aus analog und digital“ ist eine perfekte Beschreibung und passt zu den meisten Dingen, die ich mache. Es sind zwei Streichinstrumente, mit echten Saiten, die gebogen und gezupft werden, und die so einen analogen Sound produzieren. Aber die Dinge, die sie biegen und zupfen und die „Finger“, die die Saiten stoppen, sind digital kontrolliert, entweder von einem Computer oder eines eingebauten Chips.

Anzeige

Was brachte dich dazu MotorMouth in den Neunzigern zu kreieren? Kann deiner Meinung nach alles automatisiert werden? Du hast Heinrich Heine zitiert, der sagte „man kann alles mechanisieren, nur nicht die Seele.“

MotorMouth geht einen Schritt weiter, als die ältere Talking Machine, die 32 Rohre hatte. MotorMouth hat nur ein Rohr: ein Modell des menschlichen Vokaltrakts mit Lungen (ein Lüfter), einer mechanischen Zunge, die sich hin und her, hoch und runter  bewegt und Lippen, die sich öffnen und schließen.

Heinrich Heine schrieb eine satirische Geschichte über einen britischen Mechaniker, der einen Androiden baute, der alles hatte - alles, nur keine Seele. „In anderen Worten, ein perfekter, britischer Gentleman,“ wie es Heine ausdrückte. Der Roboter war sich des Mangels bewusst und hetzte seinen Erfinder durch Europa, während er schrie, „Gibt mir eine Seele!“ Da ich selber ein britischer Mechaniker bin, amüsiert mich diese Geschichte sehr. Kann alles automatisiert werden? Ich nehme es an, früher oder später, aber nicht durch mich. Wir werden bald Autos haben, die von alleine fahren, aber vielleicht machen die auch weniger Spaß. Mein Interesse liegt in der Herstellung von Dingen, damit man sehen kann, wie sie funktionieren; das Gegenteil einer Black Box.

Die Vokal Röhren der Talking Machine sind Modelle eines menschlichen Mundes, in der Form wenn er Vokale spricht. Jedes hat ein zitterndes Blatt an der Stelle seines Stimmbandes, welches wie richtige Organe funktioniert.

Anzeige

Ist die Singing Machine immer noch in Arbeit? Soweit ich weiß begannen die Arbeiten 2010 in Japan, was braucht es noch um sie fertig zu stellen? Wird das Gerät auch was anderes als Latein singen?

Die Singing Machine ist nun in ihrer dritten Version und, nachdem wir viele kleine Änderungen vorgenommen haben, ist sie fast fertig. Sie wurde so programmiert, dass sie ein Gedicht von Sadakazu Fujii singt: hitonokiesari - Leute verschwinden, zu der Musik von Komponistin Masahiro Miwa und von neun instrumentalen Spielern begleitet.

Es wurde bei dem Konzert Hybride Musik in der Philharmonie in Essen am 26. Oktober vorgetragen. Die Singing Machine sing als Demo eine lateinische Hymne auf meiner Webseite. Mir gefällt die Feierlichkeit und die Eleganz der lateinischen Hymnen; sie sind langsam und innerhalb der Reichweite des Baritons der Maschine.

Mein nächstes Projekt werden vier ähnliche, mönchsähnliche Stimmen sein und ich hoffe, dass Masahiro Miwa ein Werk dafür komponieren wird, dass für einen Raum mit viel Echo, wie zum Beispiel eine Kirche, passt. Das wäre dann das dritte Projekt, an dem wir zusammengearbeitet haben; das erste war unsere Thinking Machine.

Deine Werke habe eine große Bandbreite, von Maschinen zu Drachen, Segelflugzeugen und Zeichnungen. Definierst du dich als multi-diziplinärer Künstler, oder geht es mehr darum, dass jede Idee seine eigene Form annimmt?

Ich folge nur meinen Interessen, wie sie auf mich zukommen. Momentan bin ich fasziniert von der Maschine, die 1912 von dem spanischen Ingenieur Leonardo Torres Quevedo gebaut wurde, und die eine unschlagbare Schach-Endphase spielen konnte: weißer König und Turm gegen schwarzen König, der von einem Menschen gespielt wird. Es war unglaublich gut dokumentiert und ich habe nun ein Programm geschrieben, dass die Algorithmen, die er nutze, reproduziert, damit ich versuchen kann, zu kapieren, wie dieser wunderschöne und intelligente Mechanismus funktioniert. Quevedo hat übrigens zwei Versionen gebaut und beide laufen immer noch und sind in Madrid ausgestellt.

Ebenfalls auf der Ebene der außergewöhnlichen Technik und mechanischen Fähigkeiten, an denen ich interessiert bin, spielt das Werk von Tatjana J. van Vark. Ich bewundere sie, aber es wäre dumm sie zu kopieren, selbst wenn ich es könnte. Ich erwäge diese schönen Projekte und dann hoffe ich, dass die Muse mir einen Wink gibt, etwas ähnliches zu machen.