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Popkultur

Wir haben uns einen der angeblich schlechtesten Filme aller Zeiten angeschaut

Seit Donnerstag läuft der Emoji-Film in deutschen Kinos. Wir finden: Es gibt sogar politische Gründe, sich ihn anzusehen.
Fotos: Sony | Collage: VICE

Als Journalist fühlt man sich zu Superlativen hingezogen. Emoji – The Movie ist so ein Fall. Der Film gilt schon jetzt als einer der schlechtesten aller Zeiten. Der Kinderfilm bekam grausame Kritiken. Spiegel Online etwa meint: "Unterm Strich ist es wohl sinnvoller, seine Zeit dafür zu investieren, seinem Kollegen ein Kackhaufen-Emoji zu schicken, als über die Botschaft des Films nachzudenken." Uns war sofort klar: Den Film müssen wir sehen!

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Der Film erzählt die Geschichte von Gene, einem Meh-Emoji, der ungefähr so aussieht: ¯\_(ツ)_/¯. Gene lebt in einer digitalen Stadt im Smartphone seines Besitzers. Dort kann er spazieren gehen und die Bewohner anderer Apps besuchen. Heute hat Gene seinen allerersten Tag als Meh-Emoji in der Chat-App. Auf dem Weg dahin rempelt Gene in eine Gruppe von Buchstaben, die deshalb aus ihren Rollstühlen kippen. Schrift benutzt in Genes Heimat niemand mehr, die Buchstaben leben in einem Seniorenheim – der erste okaye Gag. Nach nicht mal zwei Minuten. In einem keimt die Hoffnung, dass alles halb so schlimm wird. Vielleicht erwartet einen doch eine doppelbödige Komödie wie Pixars Toy Story?

Genes Chefin zeigt ihm seinen Arbeitsplatz: Die Emoji-Leiste in der Chat-App

In dieser Welt kennt jedes Emoji seinen Platz. Nur Gene nicht. Er ist anders. Er hat die einzigartige Fähigkeit, emotional zu sein. Er kann weinen und lachen, obwohl ihm alles egal sein sollte. An seinem ersten Arbeitstag als Emoji versagt er deshalb. Als sein Smartphone-Besitzer ihn verschicken will, macht er das falsche Gesicht. Die Text-App stürzt ab und Gene zerlegt so seinen kompletten Arbeitsplatz. Überall liegen Trümmer und verletzte Emojis.

Schaut man in dieser Szene genau hin – und hat ein bisschen Fantasie –, wirkt es, als reiche das Israel-Flaggen-Emoji dem Türkei-Flagge-Emoji die Hand, um ihm zu helfen. Wahrscheinlich ein Zufall. Oder? Man bekommt erstmals den Verdacht, dass es sich bei Emoji – The Movie um einen politischen Film handeln könnte. Und ist der Verdacht erstmal im Kopf, liefert der Film Beweise.

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**Auch bei VICE: **Homosexuelle heilen – Hinter den Kulissen der sogenannten Reparativtherapie


Wegen des Arbeitsunfalls wird Gene gefeuert. Seine Chefin sagt ihm, er habe eine "Fehlfunktion". Er passe nicht in das System. Gene hasst sich dafür. Er will dazugehören und ist bereit, dafür Teile seiner Persönlichkeit zu unterdrücken. Steht die Figur Gene für etwas viel Größeres? Vielleicht geht es nicht um Außenpolitik, sondern um die Gesellschaft? Könnte Gene eine Metapher sein für junge Menschen, die gerade ihre Homosexualität entdecken?

Regisseur Tony Leonidis, der das Drehbuch mitgeschrieben hat, sagt, dass es ihm genau darum gegangen sei. Er ist selbst schwul und sagte in einem Interview: "Ich fühlte mich als schwuler Jugendlicher ausgeschlossen aus einer Welt, die von dir erwartet, normal zu sein." Er habe lange gebraucht, um diesen Teil seiner Persönlichkeit zu akzeptieren. Diesen Prozess verarbeite er in diesem Film.

Hauptfigur Gene beichtet seinen Eltern, dass er anders ist. Und wegen dieser "Fehlfunktion" rausgeflogen

Gene beichtet seinen Eltern, dass er am ersten Arbeitstag rausgeflogen ist, weil er anders ist. Die Szene ähnelt einem Coming-Out, an dessen Ende sich sein Vater von ihm abwendet, seine Mutter ihm aber versichert: "Ich liebe dich, auch wenn du eine Fehlfunktion hast." Eine vergiftete Liebesbekundung. Genes Mutter gibt sich tolerant, offenbart aber ihre eigene Homophobie, wenn sie dieselbe Bezeichnung wie Genes Chefin benutzt: "Fehlfunktion." Die Chefin hetzt Korrektur-Roboter auf Gene. Sie sollen ihn töten, damit er keine anderen Emojis infiziert. Was sollen diese Bots anderes darstellen als Symbole für die Homophobie und Bigotterie, der Homosexuelle noch heute ausgesetzt sind?

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Wenn man den schlechtesten Film der Welt erwartet, freut es sehr, einen Coming-of-Age-Film mit einer liberalen Botschaft zu bekommen. Einerseits.

Andererseits überlagert das schamloses Product-Placement oft die Botschaft des Films. Produzent Sony nötigt den Zuschauer, Gene zuschauen, wie er minutenlang Candy Crush spielt und in der Spotify-App eine Bootsfahrt zur Musik von Sony-Künstlern unternimmt. Dennoch machen es sich Kritiker zu einfach, Emoji – The Movie als eineinhalbstündigen Dauerwerbefilm abzutun. Das gilt für viele andere Filme, wie jene aus der James-Bond-Reihe, genauso und die werden trotzdem begeistert rezensiert.

Der Emoji-Film codiert das Happy End einer schwulen Emanzipation in Emojis – das ist subversive Kunst.

Gene begibt sich in Emoji - The Movie auf eine Reise, um herauszufinden, was er wirklich will. Damit liege dem Film derselbe Plot zugrunde wie jedem Kinderfilm – wieder so ein oberflächiger Einwand der Kritiker. Denn Gene kämpft nicht gegen Drachen oder böse Zauberer. Emoji – The Movie erzählt nach postmodernem Muster: Gene kämpft gegen sich selbst. Er ringt um die Frage, wo ein Platz für jemanden wie ihn ist.

Sein Weg führt Gene zu einer virtuellen Tanzlehrerin, im Original gesprochen von Ich-knutsch-mit-Britney-UND-Madonna-Christina Aguilera. Sie zwingt ihn zu tanzen und Gene verliert dabei seine Hemmungen. Sein Gesicht verändert sich bei jedem Beat von "Wake me up before you go-go" von George Michael und seiner Band Wham!. Er wird zum Herzchenaugen-Emoji, Zwinker-Emoji, Lach-Emoji. Er ist glücklich.

Wer sich auf Emoji – The Movie einlässt, sieht einen herrlich trashigen Film, der in seinen Details großen Spaß macht. Im Abspann laufen etwa Chats durchs Bild: Auffallend häufig sind es Kuss-Emojis neben Auberginen und Hot-Dog-Würstchen. Der Film codiert das Happy-End einer schwulen Emanzipation in Sex-Emojis – das ist fast subversive Kunst! Aber mit großfeuilletonistischen Schaum vor dem Kritiker-Mund entgehen einem solche Kleinigkeiten.

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