Wie günstige Compilation-CDs Mitte der Neunziger den US-Punk wiederbelebten
Fotos: Tim Schutsky

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The 2017 Music Issue

Wie günstige Compilation-CDs Mitte der Neunziger den US-Punk wiederbelebten

Ohne Sampler wie 'Punk-O-Rama' und 'Fat Music' wäre das Genre niemals so groß geworden.

1994 geschah etwas Unerwartetes mit dem Punk: Er wurde beliebt. Alben wie Dookie von Green Day und Smash von The Offspring ritten auf der abklingenden Welle des 90er-Grunge zum Mainstream-Erfolg und verkauften sich millionenfach. Damit war das Interesse an einer poppigeren, kommerzielleren Version des Underground-Genres geboren. Eine Handvoll Bands wurde berühmt, während unzählige andere Punk-Kombos in deren Schatten auf ihre Chance warteten. Neuen Punk-Labels wurde klar, dass sie potenzielle Stars in ihren Ställen hatten, und starteten einen Trend, der sich ein Jahrzehnt lang halten sollte: günstige Punk-Compilations.

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1992 brachte Brett Gurewitz, der Gründer von Epitaph Records, More Songs About Anger, Fear, Sex and Death heraus, mit 26 Songs von den Bands des Labels. Leider war der Name der Compilation scheiße und der Preis mit 16 Dollar zu teuer für Punk-Kids. Also legte Gurewitz 1994 mit Punk-O-Rama nach. Die CD hatte ein ätzend grünes Cover und stellte ein Dutzend der Top-Bands auf Epitaph vor, darunter Rancid, Pennywise und Total Chaos. Und der Preis von 5 Dollar passte ins Budget der Fans.

Punk-O-Rama, veröffentlicht von 1994 bis 2005 in zehn Ausgaben.

Derweil beschloss in San Francisco "Fat Mike" Burkett, NOFX-Frontmann und Mitgründer des neuen Labels Fat Wreck Chords, ebenfalls Compilations zu machen. 1994 erschien Fat Music for Fat People mit 14 Tracks von Bands wie Propagandhi, Lagwagon und Strung Out. Burkett ver- schenkte die CDs bei Konzerten seiner Band.

"Ich schickte 1.000 Stück zu jedem Konzert auf der NOFX-Tour, und wir verschenkten sie alle. Das war damals unerhört, weil CDs noch so teuer waren“, sagt Burkett VICE. "Daran erinnert sich heute niemand, aber eine CD umsonst kriegen war eine große Sache. Als hätte dir eben jemand 15 Dollar gereicht."

Fat Music, veröffentlicht von 1994 bis 2015 in acht Ausgaben.

Nach der Tour begann Burkett, die Compilation-CDs für nur 3,98 Dollar zu verkaufen. Zwar machte er aufgrund der hohen Produktionskosten so keinen Profit, aber in puncto Branding und Promotion zahlte sich die Aktion aus. Fat Music for Fat People verkaufte sich etwa 200.000 Mal und machte Fat Wreck Chords zu einem großen Namen im Punk-Genre.

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Schnell wurden solche Sammel-CDs zum wichtigsten Werkzeug für junge Punks, die nach neuen Bands suchten. Epitaph und Fat brachten fast jedes Jahr neue Ausgaben ihrer Compilations heraus, meist legten sie gleich einen Bestellkatalog bei. Je mehr Compilations sie verkauften, desto mehr Bestellungen gingen ein und desto mehr LPs und T-Shirts konnten die Bands an Fans bringen.

Die CDs wurden zum Bestandteil der berühmten Warped Tour, und andere Labels folgten dem Beispiel, darunter Hopeless Records, Nitro Records, Kung Fu Records, Vagrant Records, Hellcat Records (ein Epitaph-Unterlabel) und Go-Kart Records. Letzteres brachte Expose Yourself heraus, die erste Compilation, die bei Hot Topic in den Regalen stand, der US-Kette für Subkultur-Merch.

"Damals hieß es dann: 'Ihr könnt nicht bei Hot Topic verkaufen, das ist nicht Punk'", erinnert sich Go-Kart- Gründer Greg Ross. Doch er sah das Verkaufspotenzial der großen kommerziellen Kette. "Plötzlich stürzten sich alle Labels darauf, bis rauf zu Sony. Im Laden standen dann fünf bis zehn billige Sampler neben der Kasse. Und das machte dann in manchen Fällen 60 oder 70 Prozent der Gesamtverkäufe für diese CD aus. Es war irre."

Go-Kart Vs. the Corporate Giant, veröffentlicht von 1997 bis 2006 in vier Ausgaben.

Hopeless Records sprangen auf den Zug auf. "Einmal waren wir bei Blockbuster Music und überredeten sie, die Compilations auszulegen", sagt Louis Posen, der Gründer des Labels. "Ich weiß nicht, wie wir das geschafft haben, aber auf einmal stand Hopelessly Devoted to You neben den Kassen einer wichtigen US-weiten Ladenkette."

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Nach fast einem Jahrzehnt und Millionen verkauften CDs platzte die Compilation-Blase Mitte der 2000er. Musikfans luden sich Tracks aus dem Internet und die Verkaufszahlen sanken. Die Punk-Welle war auch abgeflaut, und es taten sich größere Klüfte zwischen den Untergenres auf, von Post-Hardcore bis Emo. Der größte Profiteur des Trends war Epitaph, Punk-O-Rama verkaufte sich mehr als zwei Millionen mal. Doch die Erfolgsreihe endete 2005 mit der zehnten CD. "Ich wollte nicht, dass Epitaph ein Nostalgie-Label wird", sagt Gurewitz. "Man muss sich mit der Kultur wandeln. Es wäre sinnlos zu versuchen, den 90er-Skate-Punk-Sound für immer am Leben zu halten."

Give 'Em the Boot, veröffentlicht von 1997 bis 2009 in sieben Ausgaben.

Das Debüt von Punk-O-Rama ist über 20 Jahre her – ein guter Zeitpunkt für einen Rückblick auf den Trend, der eine neue Generation zum Punk brachte. Wir haben uns durch Onlineverkäufe gewühlt, um physische Tonträger aus den beliebtesten Reihen in die Finger zu kriegen. Heute sind sie noch billiger als damals, das CD-Format ist inzwischen überholt. Dem Internetzeitalter fehlt es manchmal an Gelegenheiten für Nostalgie, also tauchen wir im folgenden Überblick tief in den Sound unserer Teenagerzeit ein.

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