Dieser Innsbrucker finanziert seine Reisen mit Schallplatten
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Dieser Innsbrucker finanziert seine Reisen mit Schallplatten

Du musst kein Influencer sein, um für wenig Geld durch die Welt reisen zu können.

Aus einem Stapel Platten zieht Albi Dornauer eine mit der Aufschrift "Los Mirlos" heraus und legt sie auf einen alten Turntable. Eine "Platte aus dem Urwald" soll das sein, genauer aus Peru, erzählt er mir. "In Peru hängt das ganze Land an der verzerrten E-Gitarre", kommentiert er die Soundmischung aus tropischen Buschtrommeln und Gitarren, die für mich ein bisschen wie typischer 60er Psychedelic Rock klingen. Im Zimmer befindet sich neben einem Bett, besagtem Turntable und 5000 Vinyls nicht mehr viel. Auf einem blassgrünen Retro-Stuhl steht noch ein Stoß Platten – ein weiterer Teil seiner Ausbeute aus Peru.

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Albi ist eine Art moderner Goldgräber. Er fährt in – aus europäischer Sicht – exotische Länder, um Vinyl-Platten aufzuspüren, einzukaufen und bei uns an andere Sammler zu bringen. Sein letzter Trip im Februar führte ihn nach Südamerika, unter anderem um sich auf die Suche nach Cumbia zu machen – einer gitarrenlastigen Musik, die wie der Soundtrack von Narcos klingt (und auch ursprünglich aus Kolumbien kommt). Rund vier Monate im Jahr ist Albi außerhalb von Österreich unterwegs, um das schwarze Hipstergold zu suchen, oder Soundtracks für Theaterstücke zusammenzustellen. Bis dato war er unter anderem in Kanada, Japan, Hong Kong, Kolumbien, Äthiopien, Marokko, Peru, Sudan, Ghana und Peru – in erster Linie zum Plattenkaufen.

Vom HipHopper zum Suchenden

Albis Platten-Besessenheit begann vor 20 Jahren. Als Anhänger der Innsbrucker HipHop-Kultur musste man nicht nur Graffiti sprayen und HipHop hören, erzählt Albi, man brauchte auch Schallplatten. Ein Ding führte zum anderen und so kam es, dass Albi bereits mit 19 seinen eigenen Laden hatte, sich massenweise Platten zuschicken ließ, zwei Jahre später aber wieder zusperren musste. Danach arbeitete Dornauer in den Plattenläden der Tiroler Landeshauptstadt, entwickelte seinen Geschmack und machte sich immer auf die Suche nach neuen Sounds. Als er sich an unterschiedlichen Stilen elektronischer Musik abgehört hatte, begann er, Musik aus fremden Ländern zu hören: "Da ist der Bruch der Hörgewohnheit viel eklatanter, ausführlicher, tiefer, als wenn du von einer Trap- zu einer Deep-House-Nummer wechselst. Wenn du aber vom Sudan zu Senegal wechselst…" Albi tauscht die Schallplatte. Auf eine jazzige Nummer folgt jetzt psychedelischer Gitarrensound.

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Fragen über Geld quittiert Albi meist mit einem Mona-Lisa-Lächeln und noch rätselhafteren Antworten: "Prinzipiell kann man schon Geld verdienen, aber bei mir ist es schon noch mehr so, dass ich einfach ein Sammler bin und mich nur von wenig trennen kann." Seine Sammlung umfasst heute fast 10.000 Stück und ist einen sechsstelligen Betrag im unteren Bereich wert. Die Welt des Schallplattenhandels ist – so Dornauer – eine Welt voller Spekulation. Welche Musik welcher Länder gerade angesagt ist, bestimmen natürlich die Nachfrage und internationale Reissue-Labels, die einzelne Platten durch Tracklistings auf Compilations preislich in die Höhe schnellen lassen. "Das war schon öfter so, da kommt von Platten, die 5 bis 10 Euro kosten, ein Lied auf eine Compilation und jeder meint, dass die jetzt 70 bis 80 Euro wert ist."

"Bei uns meint inzwischen jeder Idiot, dass jede zweite Udo-Jürgens-Platte einen Haufen Geld wert ist"

Was das Plattenkaufen in anderen Ländern für Dornauer reizvoller macht, ist der fehlende Vinyl-Boom: "Bei uns meint inzwischen jeder Idiot, dass jede zweite Udo-Jürgens-Platte einen Haufen Geld wert ist, weil das jetzt ja wieder 'in' ist und die Leute das wieder kaufen." Wie viel kosten denn nun die teuren, exotischen Platten und wie viel Geld kann man damit machen? Albi erzählt die Geschichte von einem Wiener Sammlerkollegen, der einem anderen Händler eine äthiopische Platte für 850 Euro abgekauft hat, nachdem sie der Händler wegen eines Kratzers von 1200 Euro herabgesetzt hatte. Ein anderer Kollege hätte an einem Tag eine seltene Platte, die sich für jeweils 3500 Euro verkaufen lässt, gleich dreimal gefunden. Solche Funde seien aber eine Seltenheit. Der Wert der meisten Platten liege zwischen zehn und 25 Euro. Verkauft werden die Platten schließlich über die Online-Vinylbörse Discogs, hauptsächlich aber direkt beim Händler.

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Eine Frage der Ethik

Weiße Männer, die nach Afrika fahren, um Kunstgegenstände günstig zu erstehen – das kommt einem irgendwie bekannt vor. Albi versucht, das ethische Dilemma, das sich dabei ergibt, mit einer nach eigener Aussage verhältnismäßig guter Bezahlung gemessen am durchschnittlichen Monatseinkommen des Landes aufzuwiegen. Wissen die Leute dort auch, was ihre Platten wert sind? "Teils, teils. Egal, wo man hinfährt – es gibt überall Internet. Es gibt einfach die Leute, die nachschauen und die Leute, die nicht nachschauen. Du kannst auch bei uns am Flohmarkt eine 100-Euro-Platte um einen Euro finden, weil derjenige, der am Flohmarkt steht, nicht nachsieht."

Eine Art des Reisens

"Prinzipiell gibt es in fast jedem Land der Welt gute Musik", sagt Albi, während er eine Platte nach der anderen heraussucht und kurz anspielt. Da gibt es die Band aus Armeniern im Libanon, die wie eine europäische Rock’n’Roll-Band klingt. Da gibt es ein grafisch seltsam gestaltetes Album mit einer Frau auf dem Cover, die ein Aufnahmegerät anbetet. Die primäre Motivation in ein Land zu fahren, ist für Albi, herauszufinden, warum die Menschen eines Landes genau "so Musik gemacht haben und was der Hintergrund für die schöne Musik ist." In einer Welt, in der die meiste Musik nur ein paar Klicks entfernt ist, bedeutet für ihn das Aufspüren seltener Platten die Suche nach Musik, die nicht permanent verfügbar ist.


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Auf VICE-Video:


Deshalb besorgt er sich fast ausschließlich Musik aus den Ländern, in denen er sich gerade befindet. Schon im Vorhinein macht er sich Listen von Künstlerinnen und Künstlern, die er finden möchte, verrät aber nie, wonach er genau sucht, um nicht die Aufmerksamkeit auf ein Album zu ziehen. Ausgerüstet mit zwei leeren Koffern, einem tragbaren Plattenspieler und einer Ansichts-Schallplatte zum Mit-Händen-und-Füßen-Reden, lässt er sich von Einheimischen in Hinterhöfe und die Wohnzimmer vornehmlich älterer Leute führen, wo er Platten begutachtet, anhört und bespricht. "Du kommst da auch an Orte, an die du sonst nie gehen würdest. Wenn man wohin fährt und mit Leuten über Musik aus den 60er oder 70er Jahren redet, dann erinnern sie sich daran, dass sie damals jung waren. Und es ist auch auf die Art ein ernsthaftes Interesse an ihrer Kultur." Wenn man diese Geschichten hört, vergisst man beinahe, dass Albi nach solchen Reisen mit 250 bis 300 LPs zurückkommt, die ihm meist einen guten Teil seiner Reise und etwas mehr finanzieren.

Albi hat sein Hobby zumindest zu einem Teil seines Berufes gemacht. Albi hätte gerne aus jedem Land, das ihn interessiert, ein "richtig knackiges Fachl", also 80 bis 100 Platten, das den Sound eines Landes komprimiert darstellen soll: "Wenn die super sind, bin ich zufrieden, dann kann ich wieder woanders hinfahren." Mittlerweile hat Albi damit begonnen, auch andere Dinge, wie Grafiken oder abgedrehte handgemalte Horrorfilmplakate auf aufgetrennten Weizensäcken aus Ghana zu kaufen. Der Kern der Sammlung bleibt dennoch die Musik. "Man kann an jedem Ort der Welt wunderbare Musik entdecken", resümiert Dornauer. Dass sich dabei seine Sammlung zu einer wertvollen Wunderkammer entwickelt, gehört wohl dazu.

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