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Waffenexporte

Ein Forscher sagt, deutsche Waffenexporte sind nicht so schlimm wie gedacht

Der Kieler Wissenschaftler widerspricht drei gängigen Behauptungen.
Foto: imago | eyevisto

Die Deutschen mögen ihre Maschinen, und sie sind stolz auf sie. Darauf, wie schnell sie sind, wie zuverlässig und wie teuer. Denkt man an deutsche Maschinen, denkt man an einen Typen mit Schnurrbart, der liebevoll die Flanke seines Mercedes tätschelt und etwas von deutscher Wertarbeit faselt. Oder an einen Ingenieur, der stolz die perfekte Schweißnaht einer Eisenbahnbrücke küsst. Aber diese Liebe gilt nicht aller Technik, die in Deutschland produziert wird. Es gibt eine große Ausnahme, deutsche Wertarbeit, über die die Deutschen ungern reden: Waffen. "Es gibt in keinem Land der Welt eine derart kritische politische Debatte zu Rüstungsexporten", schreibt Professor Joachim Krause in dem von ihm herausgegeben Magazin Sirius.

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Krause ist Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Uni Kiel. Er gilt als Kritiker der Debatte über deutschen Rüstungsexporte. "Die Deutschen", schreibt er, "leiden an ihren Rüstungsexporten wie kein anderes Volk." Und ja, tatsächlich wird die Debatte über deutsche Waffen immer wieder sehr emotional geführt. Irgendwie auch verständlich, immerhin sind Waffen ja in erster Linie Instrumente, mit denen Menschen umgebracht werden. Erst im Juni sagte die Linken-Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen: "Die Bundesregierung handelt nach dem Motto 'Waffen statt Brot für die Welt' und damit absolut verantwortungslos." Und auch die Grünen forderten 2018 bereits mehrfach eine Verschärfung der Exportgesetze.

Krause schreibt, die Kritik an Waffenexporten hätte in Deutschland eine lange Tradition. Aber genau so lange würde sie sich auf falsche oder zumindest nicht ganz genaue Annahmen stützen. Um das zu beweisen, versucht er in seinem Aufsatz, drei immer wiederkehrende Behauptungen zu deutschen Waffenexporten zu widerlegen.

1. Deutschland ist der drittgrößte Waffenexporteur der Welt

Das ist eine Behauptung, die immer wieder fällt. Und zwar nicht nur in wütenden Brandreden in verrauchten WG-Küchen, sondern auch in den Artikeln verschiedener Zeitungen. Viele Zahlen zu Waffenexporten würden von Organisationen mit einem klar rüstungskritischen Narrativ erhoben werden, schreibt Krause. "Selbst seriöse Medien übernehmen bei Rüstungsexporten völlig unkritisch Daten und Bewertungen aus diesem Umfeld." Immer wieder liest man dort, Deutschland sei der drittgrößte Waffenexporteur der Welt. Aber stimmt das überhaupt? Um es kurz zu machen: nein.


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Krause kommt zu dem Schluss, dass Deutschland eher auf Platz sechs der Liste steht. Ein Grund, weshalb das viele nicht wüssten, seien die Zahlenquellen zu Rüstungsexporten. Viele Institute stützten sich bei ihren Recherchen auf öffentlich zugängliche Daten. Deutschland berichte zum Beispiel sehr transparent und vollständig über seine Waffenexporte, während aus autokratischen Regimen wie China keine Zahlen vorlägen. Deswegen gelte Deutschland immer wieder als die Nummer Drei der Waffenexporteure, obwohl das Land seinen Hochrechnungen zufolge seit mindestens sechs Jahren an sechster Stelle komme.

2. Deutschland ist weltweit der zweitgrößte Exporteur von Kleinwaffen

Kleinwaffen sind all die, die von einer Person allein getragen und bedient werden können. Also Pistolen und Gewehre, aber auch Maschinenpistolen, MGs und Raketenwerfer. Hält man sich vor Augen, wie die Konflikte der letzten Jahre in Afrika und im Nahen Osten ausgetragen wurden, kann man behaupten, Kleinwaffen seien die neuen Massenvernichtungswaffen. Deutschland gilt als einer der größten Exporteure dieser Waffen, häufig sogar als der weltweit zweitgrößte. Belastbare Zahlen dazu, schreibt Krause, gebe es nur sehr wenige. "Aber diejenigen, die vorhanden sind, lassen auf den ersten Blick tatsächlich den Eindruck entstehen, dass Deutschland unter den ganz großen Exporteuren zu finden ist." Das sei aber – man ahnt es fast – nicht der Fall. Über 60 Staaten produzierten weltweit Kleinwaffen, die allerwenigsten veröffentlichten dazu belastbare Zahlen. Außerdem handele es sich bei den deutschen Kleinwaffen zum größten Teil um Sport- und Polizeiwaffen, bei denen nachgewiesen werden könne, bei wem sie landen, schreibt Krause. Die meisten Kleinwaffen, die weltweit gehandelt würden, kämen ohnehin aus den Beständen des kalten Krieges. Deutschland befinde sich aber nicht unter den Ländern, die damals gigantische Waffenreserven aufgebaut hätten. Zusammengenommen sei die Behauptung, Deutschland sei einer der weltweit größten Lieferanten von Kleinwaffen für Konflikte in Afrika, dem Nahen und Mittleren Osten, Zentral-, Süd- und Ostasien oder Lateinamerika, mit nichts zu belegen, schließt Krause.

3. Deutsche Rüstungsexporte tragen zur Entstehung, zur Eskalation und Verlängerung von Kriegen bei

Überall auf der Welt wird mit deutschen Waffen gekämpft. Kindersoldaten schießen mit G3-Gewehren, jemenitische Milizionäre mit G36, Knarren von Heckler & Koch gibt es im Kongo, im Irak, in Kolumbien. Das Gesamtbild, das sich aus Einzelmeldungen ergebe, schreibt Krause, sei falsch. Denn die (zahlreichen) Einzelfälle folgten keinem überprüfbaren Muster. Auch bei größeren Waffensystemen, Kriegsschiffen etwa, oder Panzern, findet Krause in seiner Untersuchung keine Anhaltspunkte dafür, dass deutsche Exporte "zu einer Eskalation" beigetragen hätten. Der Professor aus Kiel belegt das akribisch an den Fallbeispielen Sudan, Libyen, Syrien und dem Drogenkrieg in Mexiko.

Viele der deutschen Waffen, die in Bürgerkriegen eingesetzt würden, stammten gar nicht aus aktuellen Exporten, sondern befänden sich bereits seit Jahrzehnten in den jeweiligen Ländern. Das führt Krause am Beispiel des Sudans aus. Dorthin exportierte die Bundesregierung in den 60er Jahren 30.000 Gewehre vom Typ G3. Diese Waffen sind im Sudan natürlich immer noch im Umlauf, gelten weiterhin als ursprünglich deutsche Produkte und fließen so in die Statistiken ein. "Aber kann man die Militarisierung des Sudans und insbesondere die Eskalation des in der Mitte der 1980er Jahre ausgebrochenen Bürgerkrieges im Sudan primär auf diese und andere Waffen von Heckler & Koch zurückführen?", fragt Krause in seinem Aufsatz. Vermutlich nicht. Aber das ändert nichts daran, dass das deutsche G3 zur Standardwaffe mordender Milizen wurde. Völlig egal, ob die Waffen zuvor bereits 20 Jahre herumgelegen hatten.

Zusammengefasst zeigt Krause also, dass Deutschland nur die Nummer sechs der Waffenexporteure ist, keiner der größten Exporteure von Kleinwaffen und nicht Schuld an der Eskalation von Kriegen weltweit. Gute Nachrichten also für die Deutschen und ihre Maschinen. Die Gründe für die verzerrte Wahrnehmung der Exporte in der Öffentlichkeit sieht Krause in nicht belastbaren Zahlen, Problemen bei der Definition unterschiedlicher Waffenarten und einer insgesamt rüstungskritischen Grundhaltung der Gesellschaft. Das mag alles so sein. Doch auch wenn Deutschland, wie Krause es beschreibt, nicht der Top-Bösewicht unter den Waffenherstellern ist, ändert das nichts daran, dass mit deutschen Waffen weltweit gekämpft wird. Die grundsätzliche Diskussion, wie wir als Gesellschaft mit der Rüstungsindustrie umgehen, entschärft Krause also nicht. Aber er liefert uns ein paar belastbare Zahlen, mit denen wir die nächste wütende WG-Küchen-Brandrede unterfüttern können. Denn auch wenn deutsche Waffen in den Kriegen der Welt offenbar weniger wichtig sind, als wir bisher angenommen haben, ist Platz sechs auf der Liste der größten Waffenhersteller immer noch ziemlich weit oben.

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