Gestern Nacht erlebte ich den wohl eigenartigsten und schönsten Moment seit Beginn der Proteste in Istanbul. Dabei sollte es eigentlich eine Schreckensnacht für die Demonstranten im Gezi-Park werden, vielleicht schlimmer als die von Dienstag auf Mittwoch.Sind tagsüber noch Schaulustige auf dem Platz gewesen, blieben gegen sieben Uhr abends nur noch Demonstranten, Polizisten und Journalisten übrig, und alles wartete. Ich stand meistens bei den Barrikaden und wurde immer nervöser. Auf der einen Seite wollte ich auf keinen Fall verpassen, wie es genau losgehen würde, auf der anderen wollte ich aber nicht wieder in die Schusslinie zwischen Gasgranaten und Steinen geraten.
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Irgendwann hörten sie auf zu spielen. Die Menge zwang die Spieler geradezu, den Flügel auch rüber auf die andere Seite vor die Treppe zu schieben, wo sich ebenfalls Polizisten und Demonstranten aggressiv gegenüber standen und die Stimmung immer noch aufgeladen war. Auf dem Weg fragte ich den Pianisten nach seiner Nummer und fand heraus, dass er Deutscher war. Von seiner Website weiß ich jetzt, daß er Davide Martello heißt. Auch auf der anderen Seite funktionierte der Trick: Die Schreier wurden nach und nach zum Schweigen gebracht, und alles setzte sich hin, um der Musik zu lauschen und mit Handykameras zu filmen. Dann zog man auf die Treppe rauf, wo sie die nächsten zwei Stunden abwechselnd weiterspielten. Die Polizei griff nicht an und auch die Demonstranten blieben ruhig.
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