Dynamit für pubertierende Synapsen: Happy Birthday, FM4!
Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von FM4

FYI.

This story is over 5 years old.

Stuff

Dynamit für pubertierende Synapsen: Happy Birthday, FM4!

FM4 feiert seinen 20. Geburtstag. Wie bei jedem großen Jubiläum gibt es deshalb viele Rückschauen und Ausblicke. Wir waren in der Redaktion und haben gefragt, wohin sich der Jugendkultur-Radiosender im Jahr 2015 entwickeln will.

Als Jugendlicher war mein Lieblingsautor Goethe und mein Lieblingssender FM4. Ersteres war natürlich ein bisschen prätentiös, passte aber in meinem Weltbild nicht schlecht zu zweiterem.

Ich mochte Goethe, weil seine Stücke wie ein Trojanisches Pferd waren: Auf den ersten Blick harmlose Klassiker, aber bei genauerer Betrachtung voll mit schmutzigen Abgründen. Allein die Walpurgisnacht-Szene im Faust, in der die Hexen ein orgiastisches Fest auf ihren Reitbesen feiern, war eindeutig perverserer Scheiß, als alles, wozu ich im Prä-Internet-Zeitalter sonst Zugriff hatte. (Wir reden hier immerhin von den 90er-Jahren, als unsere Pornobilder noch aus dem Tintenstrahldrucker kamen.)

Anzeige

Die spanische Performance-Gruppe La Fura dels Baus hat diese Szene wahrscheinlich am besten in die Gegenwart übertragen, indem sie aus dem Hexenfest eine Swinger-Party mit abspritzenden Riesendildos machte. Ihr Faust 3.0 lief ziemlich genau zur selben Zeit im Linzer Posthof, als ich FM4 für mich entdeckte, und bestätigte für mich, dass Goethe viel mehr Anarcho-Punk war als die Typen, die mich auf dem Schulweg um 10 Schilling anschnorrten.

Auf gewisse, komische Art war es mit FM4 für mich dasselbe. Auf den ersten Blick wirkte das Programm vielleicht schrullig und verkopft und die ruhige Wohnzimmer-Moderation fast ein bisschen harmlos, aber bei genauerer Betrachtung war es in seinen guten Momenten wie Dynamit für pubertierende Synapsen.

Im Sumpf war Mindfuck-Feuilleton zum Anhören, Projekt X war Neo-Dada zum Mittrinken und die Nachrichten waren ein fremdsprachiger Lichtblick zwischen den regionalistischen „Traktor stürzt, Bauer verletzt"-Meldungen der anderen Sender. Von der musikalischen Programmierung rede ich da noch gar nicht (der Musik haben sich außerdem unsere Kollegen von Noisey eine Woche lang im Intensiv-Hördurchgang angenommen).

Ein Jahr später gehörte ich bereits zur „Kann Freitag nicht fortgehen, muss Salon Helga hören"-Fraktion und war derart im Fantum angekommen, dass ich gemeinsam mit einer Schulfreundin beschloss, am Song Contest-Wochenende nach Wien zu fahren, um Stermann und Grissemann im Studio zu besuchen. Damals kommentierten die beiden noch jedes Jahr das Event und lieferten auf FM4 die alternative (und einzig wahre) Tonspur.

Anzeige

Wir erwarteten uns ein Public Listening vor dem Funkhaus und eine Schlange von Fanboys und -girls vor dem Portier. Stattdessen herrschte bereits Nachtruhe und ziemlich viel Verwunderung, als wir am Empfang erklärten, warum wir hier waren. Genau wie Frank Stronach vor der Nationalratswahl hatten wir uns nicht wirklich überlegt, was wir tun sollten, falls die Sache klappt. Der Portier rief oben an, zuckte mit den Schultern und winkte uns durch.

Offenbar waren wir die einzigen beiden Menschen in ganz Österreich, die den Song Contest-Kommentar ganz ohne Song Contest-Bild in einem Radiostudio hören wollten, wo doch die grandiose Erfindung des Radios genau diesen Besuch eigentlich überflüssig machte. Die nächsten Stunden verbrachten wir stillsitzend und schweigend neben Martin Blumenau, der sehr lange an einem Apfel aß und, als jemand anderer ihn fragte, ob er sich einen davon nehmen dürfte, antwortete: „Das sind eh deine, du Trottel."

Es war ein bisschen wie Beavis and Butt-Head oder Mystery Science Theater 3000 ohne Bildspur. Danach schnappten wir uns noch ein paar Bissen vom Kantinenessen, das in der Redaktion herumstand (es gab gebackenen Fisch), bedankten uns bei allen für das Entgegenkommen und gingen nachhause in unser Hostel, wo meine Schulfreundin nicht mit mir rummachen wollte (habe ich schon erwähnt, dass mein Lieblingsautor damals Goethe war?).

Irgendwie waren wir von unserer Aktion peinlich berührt—was auch durch die Frage, was wir uns eigentlich erwartet hatten, nicht besser wurde. Aber das ist gar nicht der Punkt. Seither habe ich nämlich ein paar Mal versucht, mir vorzustellen, wie das Ganze wohl für die FM4-Belegschaft gewirkt haben muss. Und auch, wenn wir uns selbst bereits zwei Stunden später lächerlich fanden, taten sie es mit 20 Jahren Altersunterschied immer noch nicht (oder eben schon, aber ohne es uns spüren zu lassen).

Anzeige

In meiner Generation hat vermutlich fast jeder Mensch eine ähnliche persönliche Geschichte zu FM4. Ganz besonders, wenn er genau wie ich aus der Pampa kommt, im Schulbus zum Mithören des Ö3-Weckers genötigt wurde und in der Pubertät auch sonst kaum Anschluss zu Alternativkulturen hatte.

Und kaum irgendwann hat man mehrere solcher Geschichten gehört als in den letzten Wochen. Anlass ist natürlich—genau wie auch für diesen Artikel—der 20. Geburtstag von FM4, das sich alleine für den Umstand, dass es immer noch existiert, jede Fleischbeschau und fast alle Fragen gefallen lassen muss.

Am 16. Jänner 1995 ging FM4 auf der Frequenz von Blue Danube Radio zum ersten Mal auf Sendung—als kritische, aber trotzdem ORF-interne Alternative zum homogenen Ö3-Angebot, um den neu geschaffenen Privatradiosendern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Am 16. Jänner 2015 besuchte ich die Redaktion im obersten Stockwerk des Funkhauses, um von den Mitarbeitern und Mitbestimmern zu erfahren, was FM4 ausmacht.

Am eigentlichen Geburtstag des Senders wird ganz normal gearbeitet, die Redaktion ist voll besetzt. Monika Eigensperger, die Leiterin des Senders, erzählt, dass es heute keine Feier gibt—die offizielle Party findet eine Woche später beim FM4-Geburtstagsfest statt und man könne außerdem nicht immer professioneller Partymacher sein.

In ihrem verglasten Büro steht ein Flipchart mit den Sonderthemen zum 20. Jubiläum: Viel Retrospektive, viel Ausblick, und vor allem viel Selbstreflexion, wie das an Geburtstagen üblich ist. Eigensperger ist seit 1996 für die Ausrichtung des Senders verantwortlich.

Anzeige

„Seit damals haben sich 300.000 Sachen geändert, aber nicht der Kern: wozu es uns gibt, was unsere Aufgabe ist und so weiter", sagt sie. „Vor allem aber hat sich die Welt in den letzten 20 Jahren verändert—wenn man sich nicht mit verändert, lebt man irgendwann in einem Paralleluniversum, das nichts mehr mit unserer Welt zu tun hat."

Mit der Zeit gehen, das bedeutet für einen Radiosender im Social Media-Jahrzehnt auch, seine Deutungshoheit abzugeben und sich abseits vom Sender-Empfänger-Modell mit seiner Zielgruppe zu vernetzen. Radio ist für viele nicht mehr die primäre Quelle für Information und auch durchgehendes Musikprogramm bekommt man 2015 über andere Kanäle. Umso wichtiger ist auch die Verzahnung von Radio und Web-Angebot, obwohl das Radio als Distributionskanal für Eigensperger immer noch eine Sonderstellung hat: „Das Schöne am Radio ist immer noch, dass es live passiert, so herrlich unkompliziert ist und man es oft mit anderen teilt."

Aber dass FM4 für viele (nicht immer nur) junge Menschen zum fixen Inventar und Aushängeschild ihrer Lebenswelt gehört, liegt stark an der Rolle, die die Community im Gesamtauftritt des Senders spielt. FM4 ist heute weniger Gatekeeper, aber immer mehr Best Buddy seiner Hörer. „Für junge Menschen ist es heute selbstverständlich, dass es uns gibt", so Eigensperger.

Diese Selbstverständlichkeit trifft auch auf die gemeinsame Ausrichtung des Senders zu. Eine genaue, auf wenige Sätze heruntergebrochene Blattlinie hat FM4 seinen Redakteuren zufolge nicht.

Anzeige

Trotzdem gibt es einige Elemente, die sich im Gespräch mit allen Redakteurinnen und Redakteuren wiederholen: Alle sehen FM4 als natürlich gewachsenen Organismus. Für alle ist das neue On-Demand-Service 7 Tage FM4 die größte nennenswerte Neuerung (laut Eigensperger wurde das Angebot im Dezember von 110.000 Menschen genutzt). Alle erwähnen die Arbeit von NSA-in-Wien-Aufdecker und Dr.-Karl-Renner-Publizistikpreisträger 2014 Erich Moechel aktuell als journalistische Leuchtturm-Geschichten von FM4. Und alle sehen die Redaktion als bunt durchgemischte, klassisch gestörte Familie, in der man sich natürlich liebt und trotzdem gerne manchmal gegenseitig umbringen würde.

Es gibt zwar ein eineinhalb Seiten lange Mission Statement, in dem sich FM4 als „bilingual, divers und kosmopolitisch" und als Anlaufstelle für Jugendkulturen und vor allem österreichische Popmusik beschreibt. Aber am Ende hat jeder Mitarbeiter seine eigene Definition dazu, was FM4 einzigartig macht.

Das liegt daran, dass FM4 als autorengetriebenes Medium startete. Die Website des Senders war anfangs „mehr als Weblog einzelner gedacht", wie mir Markus Zachbauer, stellvertretender Leiter der Internetredaktion, erzählt. Mehr Plattform und Forum als klassisches Medium, also.

Riem Higazi, die FM4 seit den Anfangszeiten begleitet, sieht ebenfalls keinen einheitlichen FM4-Stil. „FM4 ist für mich ein Kollektiv von", sie denkt kurz nach, „coolen Leuten. Also, Leuten, die wirklich eine Geschichte erzählen wollen. Leuten, die Teil der Lösung und nicht des Problems sein wollen."

Anzeige

Riem Higazi ist seit Beginn die 'Station Voice' des Senders. „Ich war der einzige Native Speaker. Und ich habe die Stimme eines Engels."

Neben Redakteurin und Moderatorin (zwei Aufgabengebiete, die bei 90 Prozent der Mitarbeiter Hand in Hand gehen) ist Riem außerdem die offizielle „Station Voice"—also die Stimme hinter jedem englischsprachigen FM4-Jingle mit dem Motto „You're at home, baby."

Wie ist sie zu dieser Rolle gekommen? „Ich war der einzige Native Speaker. Und ich habe die Stimme eines Engels", scherzt sie. Aufgrund ihrer Herkunftsgeschichte ist Riem Higazi aber nicht nur die perfekte Stimme, sondern auch das ideale Aushängeschild des Senders. Sie hat österreichische, amerikanische und ägyptische Wurzeln, ist einerseits römisch-katholisch, andererseits muslimisch aufgewachsen und sagt von sich selbst: „Ich verstehe einerseits die Bewahrer der Traditionen, der Trachten, der ‚Großer Söhne' in der Bundeshymne—aber andererseits eben auch den Anspruch, inklusiv und multikulturell und offen zu sein."

Neben ihrem Pluralismus bringt sie aber auch den Pragmatismus mit, der ihre österreichische Seite verrät: „Ich habe nicht darum gebeten, dass das ägyptische Spermium und das österreichische Ei zusammengefunden haben." FM4 ist für sie „ein Forum zum Austausch. Und es ist nicht mein Forum, sondern das von jedem und jeder."

Christian Pausch, seit 7 Jahren eines der jungen Gesichter des Senders, spricht von einer unsichtbaren Blattlinie, die sich in der Besprechung einzelner Beiträge herauskristallisiert: „Es geht nichts raus, ohne dass es sich jemand zweites anschaut. Alleine schon, wenn zwei von uns miteinander reden, bekommt es eine Linie, die zu FM4 passt."

Anzeige

Der Filmredakteur Markus Keuschnigg, der seit 8 Jahren beim Sender und nebenbei Organisator des /slash filmfestivals ist, findet es „auch wichtig, unhinterfragte Meinungen zu hinterfragen und Leerstellen zu besetzen, die andere Medien nicht mal als solche wahrnehmen."

Auch wenn die Blattlinie für die einzelnen Mitarbeiter nicht eindeutig ausformuliert ist, ist die Ausrichtung für Monika Eigensperger wichtig: „Die Blattlinie muss immer über den Einzelmeinungen stehen. Für mich ist das aber kein Entweder/Oder." Das bedeutet, wie in jeder Redaktion, ein ständiges Abarbeiten des Einzelnen am großen öffentlich-rechtlichen Überbau. „Vielfalt ist bei uns ein hohes Gut. Aber auch wir haben nur einen Sender und eine Website. Um die Gewichtung der Inhalte wird also gerungen—und das ist gut so."

Nicht ganz einig ist man sich, was die (gefühlte) Stellung von FM4 im ORF angeht. Während Eigensperger klar den öffentlich-rechtlichen Auftrag und die Verankerung im Rundfunk-Ganzen betont, sehen manche Redakteure sehr wohl eine Sonderstellung für FM4 innerhalb des ORF—nicht nur als inhaltliche Nische für mainstreamferneres Programm, sondern auch als Sender mit mehr strukturellen Freiheiten.

„Im kommerziellen Bereich ist es immer billiger, weniger Content zu produzieren. Am günstigsten ist überspitzt gesagt gar kein Content, wenn es nicht sein muss." sagt Monika Eigensperger.

Auf jeden Fall aber herrscht ein klares Bewusstsein für die Vorteile, die der öffentlich-rechtliche Rahmen dem Sender gibt. „Für mich ist es keine Frage, dass unser Angebot nur im öffentlich-rechtlichen Rahmen passieren kann", sagt Eigensperger. „Im kommerziellen Bereich ist es immer billiger, weniger Content zu produzieren. Am günstigsten ist überspitzt gesagt gar kein Content, wenn es nicht sein muss."

Anzeige

Allerdings werden freie Mitarbeiter bei FM4 in der Regel pro Artikel mit einem Fixbetrag und nicht nach Stundenaufwand bezahlt. Der Sender mag von der Ökonomie des Marktes unabhängig sein, aber eben nicht von der Ökonomie des Zeitmanagements seiner Mitarbeiter (die, genau wie in jedem gewinnorientierten Betrieb, zwischen Zeitaufwand und Bezahlung abwägen müssen).

Fix ist laut Eigensperger jedenfalls, dass FM4 eine Sonderstellung im Hinblick auf seine Zielgruppe hat. „Unsere Zielgruppe sind jüngere, besser gebildete, kulturinteressierte Menschen zwischen 18 und 34. Das Kriterium ‚jung' teilen wir uns mit vielen anderen, das Kriterium ‚gut gebildet' teilen wir uns mit Ö1. Beide Kriterien zusammen sind ein Alleinstellungsmerkmal."

Darüber hinaus hat das Programm aber keine Ausschlussfunktion für andere Zielgruppen, wie Riem Higazi betont: „Die 18-jährigen Kids hören FM4. Ich höre FM4. Mein Onkel Werner hört FM4—er mag übrigens The Killers."

Dass gerade diese spitze Zielgruppe in den letzten Jahren noch breiter geworden ist, hat nicht unwesentlich mit dem Online-Ausbau von FM4 zu tun. Die Internetredaktion von FM4 ist dabei hauptsächlich für die technische Administration und Hilfestellung für die einzelnen Autoren zuständig (wie zum Beispiel beim Einpflegen der Bilder), aber auch für die Absegnung der Texte.

Markus Zachbauer ist seit 2002 beim Sender und in die Rolle des stellvertretenden Internetredaktions-Leiters hineingewachsen. Online-Geschichten werden nicht danach ausgewählt, was in der Vergangenheit funktioniert hat—obwohl es für Senderleiterin Eigensperger inhaltlich sehr wohl „wichtig ist, an Themen dranzubleiben. Journalismus ist eben Wiederholung."

Anzeige

FM4 hat sich eine gewisse Netz-Randomness aus seinen Anfangszeiten bewahrt— die Lückenhaftigkeit ist aber kein Bug, sondern ein Feature.

Aber der öffentlich-rechtliche Auftrag befreit auch auf der Website vom Quotendruck. „Wir hüten uns davor, Content zu streichen, nur weil er vielleicht wenig Response bekommt", sagt Zachbauer. Wenn etwas keine Facebook-Likes hat, heißt das nicht, dass es niemanden interessiert." Unklar bleibt allerdings, welche anderen Indikatoren für den Erfolg einer Story herangezogen werden. Klassische Auswertungsprogramme oder Echtzeit-Analyse kommen jedenfalls nicht zum Einsatz: „Es gibt bei uns kein Monitoring-Tool, das uns sagt, was genau die Leute interessiert", sagt Zachbauer. Man würde aber trotzdem wahrnehmen, was ankommt.

Eine gewisse Netz-Randomness hat sich FM4 aus dem Anfangs-Blog-Zeiten bewahrt. „Unsere Website ist sehr unformatiert, selbst für Online-Verhältnisse. FM4 steht auch dafür, dass es nicht immer alles wahrnimmt und manche Dinge bewusst auslässt." Die Lückenhaftigkeit ist aber kein Bug, sondern ein Feature, wie Zachbauer erklärt, und hat bei FM4 durchaus System: „Würde man eine Seite am Reißbrett entwerfen, würde man auf die aktuelle Themenmischung wahrscheinlich nie kommen. Dass wir mit Martin Blumenau inzwischen zum Beispiel eine anerkannte Expertise zum Thema Fußball haben, konnte keiner planen."

Wie beim Sender insgesamt wächst also auch der Online-Inhalt eher organisch. Gleichzeitig macht der Mut zur Auslassung den Zugang für Einsteiger schwieriger. „Für manche macht es das auch schwierig, sich bei uns zurecht zu finden, weil man nicht immer genau weiß, was einen erwartet", gibt Zachbauer zu. „Aber wenn man sich mal eingelesen hat und man die Namen kennt—die bei uns sehr wichtig sind—, dann ist das auch ein großer Gewinn."

Anzeige

Der Aufbau dieser Hausnamen ist für eine autorengetriebene Plattform wie FM4 immer auf die eine oder andere Art Thema. Christian Pausch, der neben seinen Texten selbst eine Mitternachtssendung im Radio moderiert, sagt: „Alle, die man heute kennt, waren früher auch im Radio zu hören. Sie sind nicht nur bekannt, weil sie so gut geschrieben haben."

Der Aufbau von neuen Hausnamen ist nicht nur eine Frage des Ausspielungskanals—On-Air-Persönlichkeiten fallen nicht einfach vom Himmel.

Auch Monika Eigensperger gesteht ein, dass die breitenwirksamen Sender-Stars heute schwieriger zu etablieren sind. „Innerhalb der Community kennt man auch unsere heutigen jüngeren Themenredakteure. Außerhalb der Community ist es schon schwieriger." Das sei allerdings nicht nur eine Frage des Ausspielungskanals, so Eigensperger weiter: „On-Air-Persönlichkeiten fallen nicht vom Himmel, die müssen sich entwickeln. Das war früher schon genauso. Aber es ist auch nicht unsere Aufgabe, nur Stars zu produzieren oder abzubilden—weder in der Musik noch bei unseren Moderatoren."

Um überhaupt eine Chance zu haben, aus dem Pool der zahllosen FM4-Stimmen herauszustechen, die wiederum gleichberechtigt neben zahllosen anderen Stimmen im sozialen Netz stehen, scheinen vor allem zwei Dinge wichtig zu sein: Eine klare, durchaus auch unbequeme Haltung und, wie Markus Zachbauer sagt, „der Rückkanal über das Forum. So sehen wir besser, wer uns hört."

Anzeige

„Für mich", sagt Christian Pausch, „ist FM4 vor allem auch eine Community—alleine deshalb ist es gleichzeitig immer mehr, als nur der Kanal, auf dem wir senden. Wir machen so vieles mit unseren Hörerinnen, dass sich ein richtiges Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt."

Markus Keuschnigg erinnert sich an seine Berichterstattung zur Viennale, die soweit ging, dass er sich offiziell dafür entschuldigen musste, aber, so Keuschnigg: „Meine Viennale-Berichte waren damals sehr polemisch und angriffig. Sie waren vollkommen eigenständig—damit habe ich ein Profil erhalten." Gleichzeitig wird der Austausch mit Hörern und Lesern nicht einfacher. „Die Reaktionen unserer Leser sind aufgrund der rechtlichen Rahmenbedingungen heute weniger."

Dennoch sieht Jenny Blochberger, die Pressekoordinatorin von FM4, das Forum als wichtigen Diskurs-Motor über die Grenzen der Sender-Community hinaus. „Ich glaube, es gibt nirgends so durchdachte politische Diskussionen wie in unserem Forum—und das, obwohl die uns gesetzlich auferlegten strengen Registrierungsbedingungen es den Usern nicht gerade leicht machen, sich überhaupt anzumelden."

Gemeint sind hier die strengen Vorgaben des Bundeskommunikationssenats (BKS), der in dem ORF in der Vergangenheit schon die Nutzung von Foren komplett verboten hat—was zu diesem berühmten Wut-Posting von Armin Wolf auf Facebook führte. Inzwischen darf FM4, wie auch der restliche ORF und seine Formate, wieder im sozialen Netz Präsenz zeigen, wenn auch mit Einschränkungen.

Anzeige

„Online wünschen wir uns schon eine Auffrischung unserer Seite, das wäre dringend notwendig", so Monika Eigensperger.

Trotzdem ist FM4 im Social Web nicht unerfolgreich. Im Radioszene.de-Ranking aller deutschsprachigen Radiostationen nach Facebook-Fans und Twitter-Followern belegt FM4 Platz 14. (Überhaupt ist Österreich dem Like-Verhalten der Fans nach zu urteilen die stärkste deutschsprachige Radionation, mit Kronehit auf dem gesamtdeutschen Platz 1 und Hitradio Ö3 auf Platz 3.)

Der Erfolg von FM4 als Brand auf anderen Plattformen verlangt auch nach einer Verjüngung der eigenen. „Online wünschen wir uns schon eine Auffrischung unserer Seite, das wäre dringend notwendig", sagt Monika Eigensperger und denkt kurz nach. „Das werde ich auch zu einem Jahresziel von FM4 erklären. Das hat aber wohlgemerkt nichts mit der Leistung meiner Internetredaktion zu tun, die sehr gut ist."

Eine kleine Netzzeitreise mit der Wayback Machine zeigt, dass die Website von FM4 schon 2001 sehr ähnlich wie heute ausgesehen hat (inklusive derselben Farbkomposition aus Goldgelb und Grau). „FM4 verändert sich relativ schleichend", sagt der stellvertretende Internetleiter Zachbauer. „Es gibt keine klare Zäsur, aber doch viele Veränderungen."

Die alte Frage, ob es eigentlich Junge braucht, um Programm für Junge zu machen, beantworten beide Altersgruppen mit einer Absage an den reinen Biologismus. „Niemand, den ich kenne, denkt so jung über Musik, wie Fritz Ostermayer, der gleichzeitig einer von dem ältesten FM4-Mitarbeitern ist", so Christian Pausch. Markus Keuschnigg meint: „Kinderfernsehen wird auch nicht von Kindern gemacht."

Anzeige

Für Senderchefin Eigensperger ist Jugend allein längst nicht mehr ausschlaggebend. „Das Alter alleine ist kein Kriterium für irgendwas. Als ich jung war, kannte ich unglaublich viele langweilige Junge."

Trotzdem setzt der Sender auf Nachwuchs. Der erste Schritt zur Mitarbeit führt normalerweise über die sogenannte Work Station, das FM4-eigene Assessmentcenter. Pressekoordinatorin Jenny Blochberger, die ich zum Bewerbungsprozess befrage, kam selbst im Jahr 2002 auf diesem Weg zum Sender. „Die Work Station findet normalerweise jährlich statt—nur in einigen Jahren wurde sie ausgelassen, weil wir's uns nicht leisten konnten", und alles andere nicht fair gegenüber neuen, motivierten Anwärtern gewesen wäre, so Blochberger.

Der Prozess ist schwierig, feinmaschig und dauert 2 Tage, aber der große Preis—eine Mitarbeit bei FM4—in der treuen Community immer noch begehrt. „Wenn du extrem motiviert bist, guten Content bei FM4 unterzubringen, wirst du damit auch Erfolg haben", sagt Riem Higazi. Der eigentliche Test findet dann im Sommer statt, wenn die verbliebenen Bewerber für 2 Probemonate in der Redaktion mitarbeiten. Am rund die Hälfte (in absoluten Zahlen also 2 bis 3) übrig. Eine fixe Stelle ist dadurch nicht garantiert. Einige werden anschließend freie Mitarbeiter, andere steigen aber auch zum Chef vom Dienst auf (wie zum Beispiel Arthur Einöder).

Unter denjenigen, die eine der begehrten Anstellungen bekommen, arbeiten viele Teilzeit für FM4. Im Schnitt würden die meisten davon aber sehr viel arbeiten, erklärt Eigensperger—der Schnitt läge bei 137 Stunden pro Monat (eine Vollzeitanstellung macht zum Vergleich rund 200 Stunden aus); die Mitarbeiter seien außerdem sozialversichert und würden 14 Gehälter bekommen.

Anzeige

„Fixe freie Mitarbeiter"—wozu Eigensperger alle zählt, die regelmäßigen Schichtdienst leisten und wöchentlich moderieren—hat der Sender zirka 40. Vollzeit angestellt sind rund 50 Personen. Zusätzlich gibt es unzählige freie Schreibende, die aber von Eigensperger genauso mitgemeint seien, wenn vom gesamten FM4 die Rede wäre.

Auf Nachfrage in der Redaktion zeigt sich, dass die genauen Anstellungsformen und Zahlungsmodalitäten selbst für Mitarbeiter oft kompliziert zu erklären sind; zum Beispiel werden manche Tätigkeiten mit Stunden, andere mit Beträgen budgetiert und Urlaubs- und Weihnachtsgeld wird für freie Mitarbeiter anders ausgezahlt als mit doppelten Juni- und Dezembergehältern.

Die Entwicklung von FM4 ist tatsächlich wie die eines lebenden Organismus: Als Junger leidet man unter Wachstumsschmerzen, als Erwachsener muss man vor allem Rechnungen bezahlen und mit Diplomatie auf Probleme reagieren.

Eine große Veränderung, die in diesem Bereich 2015 bevorsteht und nicht unbedingt für Begeisterung sorgt, ist der neue ORF-Kollektivvertrag, der am 1. Dezember 2014 vom Zentralbetriebsrat (mit einer Gegenstimme aus dem Radio) beschlossen wurde und der ein niedrigeres Gehaltsschema als bisher aufweist. Dass das nicht allen gefällt, ist klar.

Aber auch das Abarbeiten an Intransparenzen und internen Streitpunkten gehört zum natürlich gewachsenen FM4 wie selbstverständlich dazu. In diesem Punkt haben Redaktionen tatsächlich einiges mit uns biologischen Wesen gemeinsam: Während man als Junger unter Wachstumsschmerzen leiden, müssen Erwachsene hauptsächlich Rechnungen zahlen und mit Diplomatie auf Probleme reagieren.

Anzeige

Riem Higazi hat seit der Gründung von FM4 bereits viele solcher Entwicklungen gesehen. „Am Anfang waren unsere älteren Mitarbeiter maximal Mitte 30. Als wir Blue Danube Radio absorbiert haben, wurde der Altersschnitt um gut 10 Jahre höher", erzählt sie. Organisches Wachstum bedeutet eben nicht immer Homogenisierung. Trotzdem ist bei denjenigen, die geblieben und gemeinsam mit dem Sender 20 Jahre älter geworden sind, eine gewisse Milde eingetreten. „1995 waren wir ein Haufen Hooligans, die herumgeschrien haben", sagt Higazi. „Heute schreien wir immer noch kurz, aber sagen gleich danach Pssst."

Was am Anfang die Provokation war, ist heute die Reputation. Die Welt ist eben eine andere geworden und mit ihr die Themen, die Medien ihren jungen Zielgruppen zutrauen.

Seit auch unser Jahrhundert seine Finanzkrise erlebt hat, wandelt sich auch unser Verständnis von Wirtschaft vom bequemen Feindbild der Intelligenzija zum ziemlich unbequemen Panikorganismus mit undurchsichtigen Regeln, die wir alle besser verstehen lernen müssen. Dasselbe gilt für den NSA-Überwachungsskandal, der die Diskussion darüber, was Geheimdienste dürfen und die Abgrenzung davon, was alles Verschwörungstheorien bleiben, wichtiger gemacht hat als jemals zuvor. Und die Lage im nahen Osten verlangt ebenfalls nach einer neuen Art der Berichterstattung.

FM4 ist heute gewissermaßen angekommen—in einer Community, die es vor dem Sender in Österreich so gar nicht gab.

Anzeige

So wie wir bei VICE immer schon glauben, dass junge Menschen sich für dieselben News-Themen interessieren wie alle anderen (nur nicht an der Aufbereitung in den Traditionsmedien), setzt auch FM4 nicht auf Parallelwelt-News für junge Menschen, sondern will seiner Hörerschaft die Themen der Zeit auf eine Art näherbringen, die den Menschen das Gefühl gibt, mitgemeint zu sein.

Erich Moechel und Robert Zikmund decken, neben anderen, den (investigativ-)journalistischen Anspruch von FM4 ab. Johanna Jaufer berichtet ziemlich erwähnenswert über Kobane. Um den Fortbestand des Senders muss man sich also keine Sorgen machen.

FM4 ist heute gewissermaßen angekommen—in einer Community, die es vor dem Sender in Österreich so gar nicht gab (was bereits ein Verdienst an sich ist). Auch nach 20 Jahren ist der Sender nicht frei von Widersprüchen und neuen Fragen.

In Zeiten, wo der Content wichtiger ist als der Kanal, über den dieser verbreitet wird, und es längst keine klassischen Hierarchien zwischen Medien und Rezipienten mehr gibt, trifft FM4 mit seinem Angebot auf neue Herausforderungen—ob nun die Ausrichtung von Blogs oder den Aufbau neuer Namen. Manches macht die Konkurrenz bestimmt besser. Aber, wie Monika Eigensperger, abschließend sagt: „Wenn man glaubt, man ist der einzige, der etwas gut macht, hat man ein Problem."

In manchen Punkten kann die Konkurrenz aber auch lernen. Die Aufdeckung der NSA-Standorte in Wien ist dabei nur ein Beispiel. Geschichten wie diese sind es auch, die das Beste aus der privilegierten Stellung von FM4 als quotengeschütztes Jugendmedium in der öffentlich-rechtlichen Blase machen. Sicher, auf gewisse Art ist FM4 die Radioversion von Bubble Boy—aber das ist auch gut so, weil gerade die Dinge, die nach den Regeln des Marktes nicht wären, eben manchmal sein müssen.

Als ich die FM4-Redaktion nach mehreren Stunden wieder verlasse, ist genau das mein Gefühl. Die Leute sind nett, das Programm ist schön und die Sache selbst auf jeden Fall wichtig. Mit Riem Higazi und Jenny Blochberger habe ich mich zum Beispiel lange über Selfie-Stangen unterhalten und das Konzept zur „Spielberg-Stange"—komplett mit Kamerateam—weitergesponnen.

Wenn es FM4 als Einheit, Redaktion und Brand, aber auch ein bisschen als Lebensgefühl nicht gäbe, würde auch die Belegschaft in ihrer jetzigen Konstellation wahrscheinlich nicht zusammenhalten.

Als offizielle „Station Voice" fasst Riem Higazi die Haltung so zusammen: „FM4 reflektiert alles, was ich bin. Die 20 Jahre vor FM4 waren nur Vorbereitung. Mein Vorsatz für die nächsten 20 Jahre ist, mir auch Dinge außerhalb der Arbeit zu suchen. Aber selbst, wenn ich mal eine alte Frau bin und das hier hinter mir gelassen habe, werde ich mich immer noch fragen, wie meine Arbeit bei FM4 gesehen wird. Es klingt kitschig, aber es ist mein Lebenswerk."

Familienfoto des Autors aus 1995. Markus ist der mit der „Yes Man"-Hose.

Aber dann ist da noch die Sache mit Goethe. Wie am Anfang erwähnt waren Goethe und FM4 für mich in meiner spätpubertären Phase so etwas wie der elegante Weg in die nichtsahnenden Köpfe der Menschen (also zum Beispiel in meinen), um dort eine Destruction Party zu veranstalten.

Dieses Bild änderte sich schlagartig, als ich einmal an der Busstation Faust las und von zwei älteren Damen angesprochen wurde, die so etwas sagten wie: „So gescheit! So gebildet! Wenn nur alle Jugendlichen so zivilisiert wären!" Ich wollte den beiden am liebsten erklären, dass Goethe durch die Blume von dionysischen Orgien mit antikem Sexspielzeug schreibt, aber ihr Bild von mir als braves Bildungsopfer machte mich einfach zu fertig.

Das ist das Problem mit alten Meistern: Egal, wie wild und innovativ sie in Wirklichkeit sind, sobald sie in den Kanon aufgenommen und als Denkmal verewigt werden, ist ihr öffentliches Image kein Trojaner mehr. Die Menschen hören auf, sich mit ihren Inhalten zu beschäftigen und nutzen sie irgendwann nur noch als Accessoires. Wichtig ist, dass immer genug Junge nachkommen, die ohne fixe Meinung und mit Mindfuck-Potenzial an sie herangehen.

Und noch etwas hat sich geändert: Damals gab es für mich nur FM4 und Goethe. Was genau das für FM4 heißt, weiß ich nicht. Für den Anfang soll das hier jedenfalls kein Denkmal sein. Und das Gute ist, im Vergleich zu Goethe: FM4 hat man zumindest nie ausgehört.

Markus auf Twitter: @wurstzombie


Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von FM4