Yes, she can: Die feministische Pionierin Gloria Steinem im Interview
Porträt von Rebekah Campbell

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Interview

Yes, she can: Die feministische Pionierin Gloria Steinem im Interview

Die amerikanische Aktivistin und Journalistin kämpft seit 50 Jahren für Frauenrechte – und hat nicht vor, jetzt damit aufzuhören.

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Gloria Steinem kämpft seit 50 Jahren unermüdlich für Frauenrechte. Seit sie 1972 die politische Zeitschrift Ms. mitgründete, ist sie als feministische Anführerin nur noch aktiver geworden. Sie hat den gesellschaftlichen Wandel vorangetrieben wie kaum eine Persönlichkeit der letzten hundert Jahre – eine regelrechte Naturgewalt. Im Januar war Steinem die Co-Vorsitzende des Women's March on Washington, des Protestes für Frauenrechte, der weltweit Millionen auf die Straßen brachte. Sie ist zudem Host und Executive Producer von Woman, einer VICELAND-Serie, die dokumentiert, wie Frauen die Zukunft der Menschheit mitbestimmen. Wir haben uns kurz nach dem March mit Steinem über Trump und ihren langjährigen Kampf gegen die Ungerechtigkeit unterhalten.

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VICE: Du hast immer parallel als Autorin und Aktivistin gearbeitet. Wie hängen diese Aktivitäten zusammen?
Gloria Steinem: Ich habe als Autorin angefangen. Die Dringlichkeit meiner Themen hat mich dann zur Aktivistin gemacht. Ich konnte nicht einfach nur darüber schreiben. Als Journalistin fühle ich mich verpflichtet, die Fakten zu berichten, und klar zu kennzeichnen, was davon meine Erfahrung oder Meinung ist. Wenn mir das gelingt, habe ich meine Aufgabe erfüllt.

Du hast oft betont, wie wichtig es ist, sich mit Anderen an einen Tisch zu setzen und ihnen zuzuhören. Findest du, die USA sind inzwischen ein noch schlimmer gespaltenes Land?
Ich denke, dank des Internets und weil die Leute mehr reisen, hören wir einander heute wahrscheinlich sogar besser zu. Die USA werden ziemlich bald kein mehrheitlich weißes Land mehr sein. Obamas Präsidentschaft hat viele aufgeregt, die dachten, sie hätten in diesem Land die Spitzenposition in einer Rassenhierarchie. Auch gegen Bevölkerungswandel und Einwanderung reagieren sie mit einem Abwehrreflex.

Ist es dir je gelungen, einen Frauenhasser zu überzeugen, dass er Unrecht hat? Oder gar eine Frauenhasserin?
Na klar. Nicht, indem ich einfach auf meinem Standpunkt beharre, sondern indem ich eine Erfahrung, die sie selbst gemacht haben, mit ihrem Gerechtigkeitssinn verknüpfe. Wenn konservative Juden zum Beispiel anfangen, Parallelen zwischen Vorurteilen gegen Frauen und antisemitischen Vorurteilen zu ziehen, denken sie oft um.

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"Es ist natürlich, seinen Körper kontrollieren zu wollen – nur so hat man Kontrolle über sein Leben."

Dreiundfünfzig Prozent der weißen US-Wählerinnen haben für Trump gestimmt. Wie interpretierst du das?
Dreiundfünfzig Prozent der weißen Frauen wählen traditionell die Republikaner, weil sie vom Einkommen ihrer Männer abhängig sind und gemäß deren Interessen wählen. Tatsache ist, dass Afroamerikanerinnen mit doppelt so hoher Wahrscheinlichkeit die amerikanische Frauenbewegung unterstützen wie weiße Frauen – das war schon immer so.

Heutigen Feministinnen wird oft vorgeworfen, es gebe bei ihnen zu viele "interne Streitigkeiten". Was denkst du darüber?
Auf Rassismus aufmerksam machen ist kein "Streitigkeit". Das ist wichtig – genau wie es kein "Streit" ist, auf Sexismus aufmerksam zu machen. Es ist notwendig, weil wir nicht dazu erzogen werden, die anhaltende Wirkung des strukturellen Rassismus zu erkennen. Aber ich bin stolz, dass die Frauenbewegung die soziale Bewegung mit der größten Diversität ist und dass wir diese Diskussionen führen. Ich mache mir aber Sorgen, wenn Leute glauben, es gäbe einen "weißen Feminismus". Wenn er weiß wäre, wäre es kein Feminismus – der Definition nach ist der für alle Frauen.

Überrascht es dich, dass wir immer noch um das Recht auf Abtreibung kämpfen müssen?
Die ersten paar Jahre war ich überrascht, aber da war ich noch naiv. Ich dachte: "Es ist dermaßen ungerecht – wenn ich es erkläre, werden sie es doch wohl einsehen." Ich verstand nicht, dass der einzige Grund für die Unterdrückung der Frau das ist, was sonst niemand hat: unsere Gebärmutter. San-Frauen im südlichen Afrika haben mir die Kräuter gezeigt, die sie zur Verhütung und Abtreibung verwenden. Es ist natürlich, seinen Körper kontrollieren zu wollen – nur so hat man Kontrolle über sein Leben.

Wenn sich alles um die Kontrolle der Fortpflanzung dreht, wo finden dann Transfrauen ihren Platz in der Frauenbewegung?
Sie lässt ihnen die Kontrolle über ihren Körper und ihre Identität. In frühen Kulturen gab es ein Kontinuum. Die menschliche Rasse war nicht zweigeteilt. Ich denke manchmal, es gibt zwei Arten von Menschen: solche, die alles als Gegensätze definieren, und solche, die das nicht tun.

Unter Aktivistinnen ist viel vom Burn-Out die Rede. Wie schützt du dich davor?
Anfangs habe ich mich definitiv überlastet. Ich hatte noch nicht kapiert, dass das nicht eine kurze Hauruck-Aktion wird, sondern mein Leben. Wer das einmal verstanden hat, beginnt, ihre Kräfte besser einzuteilen und achtet darauf, sich Unterstützung zu suchen. Wir machen Tanzen, Liebe und Spaß zu einem Teil der Revolution. Der Weg ist das Ziel. Wenn wir auf dem Weg keine Poesie und kein Lachen haben, haben wir das am Ziel auch nicht.

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