Ein Mann mittleren Alters mit weißer Basecap und hochgestelltem weißen Kragen, Daniel Kinahan ist der mutmaßliche Kopf der Kinahan Organized Crime Group, einem der größten Drogenkartelle Europas.
Daniel Kinahan | Foto: Solarpix 
Drogen

Drogen, Geldwäsche und Boxen: Der Aufstieg und Fall des Kinahan-Kartells

Sie brachten Tonnenweise Kokain nach Europa und zogen die Strippen im Boxsport, dann läutete ein Tweet den Niedergang des milliardenschweren Kartells ein.
Max Daly
London, GB

Daniel Kinahan war ganz oben. 2020 führte der irische Boxmanager und mutmaßliche Boss eines der größten Drogenkartelle Europas ein luxuriöses Leben in Dubai, als der Schwergewichtsweltmeister Tyson Fury ihn in einer öffentlichen Videobotschaft mit Dank und Lob überhäufte.

"Ich war gerade am Telefon mit Daniel Kinahan. Er hat mich darüber informiert, dass man sich auf den größten Kampf in der britischen Boxgeschichte geeinigt hat. Großer Shoutout an Dan, er hat das möglich gemacht. Der zwei-Kämpfe-Deal, Tyson Fury gegen Anthony Joshua nächstes Jahr", sagt Fury in dem Twitter-Video. "Also ein großes Dankeschön, Dan, dass du den Deal über die Ziellinie gebracht hast. Alles Gute, Gott segne euch alle, bis bald, peace out."

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Den meisten Boxfans dürfte der Name Daniel Kinahan wenig gesagt haben. Für alle anderen war Furys Video jedoch der Beweis dafür, wie tief der 1977 geborene Ire und das Geld seines Drogenkartells in die Welt des Profiboxens eingedrungen waren.

Knapp zwei Jahre später hängt Daniel Kinahan angezählt in den Seilen, sein Luxusleben in Dubai wird bald vorbei sein. Nichts deutet darauf hin, dass Fury in Verbrechen irgendwelcher Art verwickelt ist, aber als er Kinahan in seinem Video namentlich erwähnte, wirkte das wie ein Bat-Signal für die internationalen Strafverfolgungsbehörden: Sie verstärkten daraufhin ihre Zusammenarbeit bei den Ermittlungen gegen das Kartell. Kinahans beide Geschäftsfelder – das organisierte Verbrechen und der Boxsport – kollidierten in einem Feuerball.

"Ikarus ist zu nah an der Sonne geflogen", sagt eine Person der US-Drogenbehörde DEA, die die Kinahans seit 2017 verfolgt. "Aber Daniel ist direkt in die Sonne geflogen und hat dabei mit Tyson Fury Händchen gehalten." Weil die Person nicht offiziell autorisiert ist, über den Fall zu sprechen, nennen wir nicht ihren Namen.

Im April verkündete die US-Behörde zur Kontrolle von Auslandsvermögen, kurz OFAC, zusammen mit der irischen und der britischen Polizei, dass sie gegen sieben Schlüsselfiguren der Kinahan-Gruppe Sanktionen verhängt habe. Betroffen sind Daniel, sein Vater Christy Senior und Daniels Bruder Christy Junior Kinahan sowie vier weitere Männer. Die US-Regierung wirft den Kinahans vor, eine transnationale Organisation für den Drogen- und Waffenhandel zu leiten. Sie schätzt den Wert der Kinahan Organized Crime Group genannten Organisation auf etwa eine Milliarde US-Dollar, vergleichbar mit der Camorra in Italien

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Die US-Regierung hat eine Belohnung von bis zu fünf Millionen US-Dollar für Hinweise ausgeschrieben, die zur Festnahme oder Verurteilung der Schlüsselfiguren des Kinahan-Kartells führen. Außerdem wurde das US-Vermögen der Kinahans und der mit ihnen in Verbindung stehenden Unternehmen eingefroren. Gegen Daniel Kinahans treusten Verbündeten Sean McGovern wurde ein europäischer Haftbefehl wegen Mordes erlassen.

US-Fahndungsfotos von drei Männern der Kinahan-Familie mit einer Belohnung von 5 Millionen US-Dollar

Im Februar veröffentlichte die US-Antidrogenbehörde DEA Fahndungsplakate für die Kinahans | Bilder: DEA

"Die Kinahan-Organisation schmuggelt tödliche Betäubungsmittel, darunter auch Kokain, nach Europa und ist durch ihre Rolle in der internationalen Geldwäsche eine Bedrohung für die legale Wirtschaft", heißt es vom US-Finanzministerium, das Dubai als Drehscheibe für das illegale Geschäft der Gang bezeichnete. 

Man werde "jede freie Ressource" zur Zerschlagung des kriminellen Netzwerks einsetzen, heißt es von US-Seite. Zu diesem Netzwerk gehören über 200 Tarnfirmen – viele davon Lebensmittelhändler. Über sie wird tonnenweise Kokain, Heroin und Cannabis um die Welt transportiert und gleichzeitig das damit verdiente Geld gewaschen.

Der irische Polizeichef Drew Harris sagte, die Sanktionen seien nur die erste Phase einer Operation, die "einen schweren, wenn nicht gar vernichtenden Schlag" gegen die Verbrechensorganisation landen soll. 

Und tatsächlich lief es die vergangenen Monate ziemlich schlecht für Daniel Kinahan, der immer wieder jede Beteiligung an schweren Verbrechen bestreitet. 

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Im März verurteilte ein britisches Gericht den mutmaßlichen Anführer des Großbritannien-Ablegers des Kartells, Thomas "Bomber" Kavanagh, zu 21 Jahren Haft für Geldwäsche und Drogenhandel. Irlands Behörde zur Bekämpfung krimineller Vermögen intensivierte derweil die Beschlagnahmung von Unternehmen und Grundstücken im Umfeld der Gang.

Im April kündigten auch die Vereinigten Arabischen Emirate an, wo die Führungsriege des Kartells seit 2017 lebt, die Vermögen der Kinahans einzufrieren. Und auch im Boxsport distanziert man sich inzwischen von Daniel Kinahan, wenn auch reichlich verspätet. Der von Daniel Kinahan mitbegründete Boxstall MTK Global kündigte an, seinen Betrieb einzustellen. Die USA hat für über 600 Personen aus dem Kinahan-Umfeld Einreiseverbote erteilt, die meisten von ihnen sind im Boxgeschäft tätig. 

Auf dem Papier hat Daniel Kinahan eine weiße Weste, trotz einer Festnahme wurde er nie für ein Verbrechen verurteilt. Nichtsdestotrotz wurde er mehrfach in Anhörungen in Spanien und Irland als Kopf einer kriminellen Organisation genannt, die mit zahlreichen Morden, Drogenhandel, Waffenschmuggel, Korruption und Geldwäsche in Verbindung stehen soll. Ein EU-Bericht zum Kokainhandel in Europa, der diesen Mai erschien, bringt das Kinahan-Kartell mit mindestens 20 Morden in Irland, Belgien, den Niederlanden und Spanien in Verbindung.

Eine Grafik des US-Finanzsministeriums, die das Firmen und Personengeflecht des Kinahan-Kartells darstellt

Die Organisationsstruktur der Kinahan Organized Crime Group | Bild: Finanzministerium der Vereinigten Staaten

Der Zusammenbruch des Kinahan-Imperiums mag plötzlich erscheinen, dabei war er seit der Expansion des Boxgeschäfts der Gang ins europäische Ausland eigentlich nur eine Frage der Zeit. Nicola Tallant, Investigativjournalistin und Autorin des Buches Clash of the Clans über die Kinahans, sagt: "Es war ein großer Fehler, mit dem Boxgeschäft nach Amerika zu gehen." Seit die US-Sanktionen auf der Kinahan-Gang lasten, habe sie einen Rückschlag nach dem anderen erlebt. "Auf persönlicher Ebene war der Haftbefehl gegen Sean McGovern ein schwerer Schlag für Daniel Kinahan. McGovern ist sein Mentor, er ist seit Anfang an dabei. Das bedeutet außerdem, dass sie auch einen Schritt näher an Daniel Kinahan selbst sind." 

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Tallant vermutet, die größte Angst der Kinahans sei, wegen Geldwäsche in die USA ausgeliefert zu werden. Dasselbe Schicksal war bereits dem mexikanischen Kartellboss Joaquin "El Chapo" Guzman widerfahren, den ein US-Gericht 2019 zu über 30 Jahren Gefängnis verurteilte.

"Solche OFAC-Nennungen sind das stärkste Signal, das die US-Regierung über jemanden aussenden kann", sagt die anonyme Person von der DEA über die Auswirkungen der Sanktionen. "Neben den Beschlagnahmungen und Haftbefehlen liegt die wahre Macht darin, dass die USA dem globalen Finanzsystem klar macht, dass diese Typen erledigt sind. In solchen Angelegenheiten muss der internationale Finanzsektor auf Amerika hören."

Aber warum hat es überhaupt so lange gedauert, bis die Behörden so geschlossen gegen das Kinahan-Kartell vorgegangen sind – und wie konnte Daniel Kinahan es schaffen, ein so mächtiger Player im Boxsport zu werden?

Daniel Kinahans Vater, Christy Kinahan Senior, hatte die Verbrechensorganisation in den 1980ern gegründet. Er wuchs laut der Journalistin Tallant in einer recht wohlhabenden Familie in Dublin auf. Anfangs verdiente er mit Hehlerei und Betrügereien sein Geld, bis er in den Heroinhandel einstieg. Dort machte er schnell viel Geld und gewann Einfluss auf die ehemaligen republikanischen Paramilitärs, die jahrzehntelang im Nordirlandkonflikt für die Vereinigung Irlands gekämpft hatten, aber inzwischen auf kriminelle Aktivitäten umgestiegen waren.

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Wegen Heroinhandels wanderte Kinahan Senior in den 80ern für sechs Jahre ins Gefängnis. Dort lernte er Spanisch und Niederländisch, aber knüpfte auch Verbindungen zu anderen Kriminellen. Wieder auf freiem Fuß zog er nach Amsterdam, Europas Drogensupermarkt, um den Schmuggel von Kokain, Heroin und Gras nach Großbritannien und Irland zu organisieren. 

"Christy hat sein Handwerk hier in Holland gelernt", sagt ein ehemaliges Mitglied der niederländischen Bundespolizei, das aus Sicherheitsgründen nicht beim Namen genannt werden kann. "Seine Verbindungen hier haben zu den Verflechtungen mit Spanien geführt. Es gab eine Bewegung Amsterdamer Gangster, die nach Spanien zogen, wenn es ihnen hier zu gefährlich wurde. Christy gehörte zur ersten Generation, die diese Verbindung zwischen Amsterdam und Spanien schuf." 

In den 2000ern verlagerte Christy Kinahan Senior sein Geschäft an die spanische Costa del Sol. Seine beiden Teenager-Söhne – Daniel und Christy Junior waren bis dahin bei ihrer Mutter in Dublin aufgewachsen –  folgten ihm nach, um ihn zu unterstützen.

Das Geschäft expandierte schnell von Europa nach Südamerika und in den Nahen Osten. Die Kinahans knüpften Kontakte mit kolumbianischen Kokainexporteuren und wurden bald zur Anlaufstelle für Heroin, Kokain, Cannabis, Waffen und Geldwäsche. Die Kinahans brachten so viel Kokain nach Europa, dass sie laut der spanischen Polizei überlegten, ein eigenes Containerschiff zu kaufen.

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Daniel Kinahan in Sportkleidung wird in Handschellen von einem Polizisten zu einem Polizeiauto geführt

Daniel Kinahan bei seiner Festnahme 2010 in Spanien | Foto: Solarpix

2010 griffen die spanischen Beamten zu und verhafteten den Vater und beide Söhne. Es gab Razzien in Spanien, Großbritannien, Irland, Zypern, Belgien, Dubai und Brasilien. Wie sich zeigte, hatten die Kinahans Geschäftsbeteiligungen auf der ganzen Welt: von Lettland, über Libyen und Panama bis China. Die spanische Polizei stellte Vermögen im Wert von 500 Millionen Euro sicher und brüstete sich damit, die "irische Mafia" erledigt zu haben.

Aber die Ermittlungen reichten nicht aus, kein Kinahan kam ins Gefängnis. Auch wenn die Männer ein bisschen die Füße stillhalten mussten, war die sogenannte irische Mafia alles andere als erledigt.

Nachdem die Anklage gegen das Kartell in Spanien zusammengebrochen war, gründete Daniel Kinahan 2012 zusammen mit dem britischen Boxer Matthew Macklin einen Boxclub in Marbella: MTK Global. Bereits 2015 war aus der Trainingshalle ein richtiger Boxstall geworden, mit rund 100 Boxern unter Vertrag.

Aber auch die illegalen Aktivitäten der Kinahans zogen Aufmerksamkeit auf sich – vor allem die Fehde mit einer rivalisierenden irischen Gruppe, der Hutch Gang. Der Auslöser: Im September 2015 hatte ein Handlanger der Kinahans in Marbella Gary Hutch ermordet. Im Februar 2016 kam es in Dublin beim öffentlichen Wiegen für einen von Daniel Kinahan organisierten Boxkampf zum spektakulären Gegenschlag. 

Während einer der Boxer in Superman-Unterhose vor versammeltem Publikum auf der Bühne stand, stürmten bewaffnete Männer, die sich als Polizisten – und einer als Frau – verkleidet hatten, die Veranstaltung und eröffneten das Feuer. Daniel Kinahan brachte sich mit einem Sprung aus dem Fenster in Sicherheit, einer seiner engsten Freunde, David Byrne, wurde erschossen. Ermittler gehen davon aus, dass der Anschlag Daniel Kinahan galt.

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Der Überfall sorgte weltweit für Schlagzeilen, aber er war nur der Anfang einer blutigen Serie von Rache- und Vergeltungsmorden. 2016 fielen der Gangfehde in Dublin zehn Menschen zum Opfer, im folgenden Jahr noch einmal sechs. Die meisten Opfer waren Mitglieder der Hutch-Gang, die auf Dublins Straßen regelrecht hingerichtet wurden. Aber auch Unbeteiligte wie der dreifache Vater Marin O'Rourke wurden in der Auseinandersetzung getötet.

"Die Kinahans wurden berühmt, aber aus den falschen Gründen", sagt die Journalistin Nicola Tallant. "Es war ein besonders schmutziger Krieg und die öffentliche Empörung war groß."

Während sich die Leichen türmten, gaben die Anführer des Kinahan-Clans ihren europäischen Stützpunkt in Spanien auf und siedelten nach Dubai in die Vereinigten Arabischen Emirate über. Bei führenden europäischen Gangmitgliedern ist die Metropole am Persischen Golf beliebt. Unter anderem auch weil die Emirate keine Auslieferungsabkommen für gesuchte Verbrecher haben und weil sich Finanzströme dort leicht verschleiern lassen.

Eine Recherche des Internationalen Netzwerks investigativer Journalisten ergab, dass es den Kinahans trotz der weltweiten Berichterstattung über die Gangmorde in Dublin mit der Hilfe einflussreicher lokaler Geschäftsmänner gelang, in Dubai eine Reihe von Lebensmittel-, Kleidungs- und Beratungsfirmen zu gründen, größtenteils Tarnfirmen zur Geldwäsche. Es wird vermutet, dass Christy Junior – der zurückhaltender und intelligenter als sein großer Bruder sein soll – das Talent seines Vaters zur Geldwäsche geerbt hat.

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Luftaufnahme des Strands von Dubai mit einem markanten segelförmigen Hochhaus

Im Burj Al Arab hat Daniel Kinahan seine Hochzeitsfeier veranstaltet | Foto: Karim Sahib/AFP via Getty

Zwischen den Wolkenkratzern und Stränden Dubais lebten die Kinahans ein opulentes Verbrecherleben. Im Mai 2017 heiratete Daniel Kinahan im Sieben-Sterne-Hotel Burj Al Arab die Irin Caoimhe Robinson. Ihr früherer Partner, Michael Kelly, war 2011 von zwei Männern in Dublin erschossen und überfahren worden. 

Die Gästeliste der Feier war ein Who-is-Who der europäischen Unterwelt: Raffaele Imperiale von der italienischen Camorra, der Niederländer Ridouan Taghi, Kopf der sogenannten Mocro-Mafia, der chilenische Kokainschmuggler Richard Vega und der Bosnier Edin Gačanin vom Tito und Dino Kartell. Bis auf Letzteren wurden inzwischen alle verhaftet. Ebenfalls dabei waren verdeckte Ermittler der DEA, die laut internen Dokumenten zu dem Zeitpunkt befürchteten, dass Kinahan und seine betuchten Freunde im Begriff waren, ein neues Superkartell zu gründen. Die DEA schätzt, dass Europa die USA inzwischen als größten Kokainmarkt der Welt abgelöst hat.

"Das erste, was einem einfällt, um Daniel Kinahan zu beschreiben, ist, dass er manipulativ ist wie sein Vater, aber gleichzeitig auch unfassbar narzisstisch", sagt die Journalistin Nicola Tallant, die sich wahrscheinlich mehr als jeder andere mit der Familie beschäftigt hat.

"Sein Ego und seine Unfähigkeit, sich im Hintergrund zu halten, sind sein Untergang. Beides verursacht große Probleme für ihn. Er ist jetzt wahrscheinlich am Boden zerstört, dass wegen der Sanktionen niemand in der Boxwelt mehr mit ihm zu tun haben will. Ihm reicht es nicht, im Hintergrund zu bleiben und Geld zu machen, er will berühmt sein", sagt Tallant.

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Auch wenn Daniel Kinahan eine bedrohliche Figur mit viel Macht sei, mache er sich selbst nicht gerne die Hände schmutzig. "Er musste sich nicht hochkämpfen, um Anführer zu werden, er hat die Position von seinem Vater bekommen. Einige sehen ihn deswegen als verzogenen Bengel, der seinen Posten auf einem Silbertablett serviert bekommen hat." 

Andere Kriminelle würden ihn als "feigen Wichser" beschreiben. "Das heißt, er hat zu große Angst, etwas selbst zu tun. Er hätte kein Problem, einen Mord in Auftrag zu geben – so wie man eine Pizza bestellen würde –, aber er würde es nicht selbst tun. Man sagt, seine größte Angst sei, ins Gefängnis zu kommen. Das lässt ihn nachts nicht schlafen." 

Während er seine kriminellen Netzwerke in Dubai sponn, gewann Daniel Kinahan auch zunehmend Einfluss im Boxsport. Ein weiterer Gast bei seiner Hochzeit war der Boxer Tyson Fury. Dessen aussichtsreiche Karriere hatten Depressionen, Alkohol und Drogen zum Erliegen gebracht. Als Daniel Kinahan sein Manager und Agent wurde, bekam Fury neuen Auftrieb. Kinahan brannte fürs Boxen und hoffte wahrscheinlich auch, dass man über sein Engagement die Mordserie in Dublin vergessen würde. VICE hat Furys Team um eine Stellungnahme gebeten und wartet bis heute auf eine Antwort. Es deutet allerdings nichts darauf hin, dass Fury an irgendwelchen Verbrechen beteiligt ist.

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Derweil sammelten DEA und Europol Beweise über das weltweite Kinahan-Netzwerk. Die Beteiligungen und kriminellen Verbindungen erstreckten sich über alle Kontinente und verschiedenste Geschäftsbereiche. Tallants Recherchen haben gezeigt, dass die Kinahans nicht nur in Europa und Dubai Einfluss haben, sondern auch in Ländern wie Malawi, den USA, Australien, Aserbaidschan, Mexiko und Pakistan. Abgesehen vom Boxsport haben die Kinahans auch in Luftfahrtunternehmen, Kryptowährungen, erneuerbaren Energien und Immobilien investiert.

"Die Polizei hat die Kinahans in Irland und Großbritannien praktisch ausgeschaltet. Aber wenn man sich das auf einer Karte anschaut, reicht ihr Einflussbereich in alle Richtungen", sagt Tallant. "Überall, wo MTK Global aktiv war, waren auch die Kinahans. Die haben in jedem Land ihre Fangarme." Und zu diesen Ländern gehören auch die USA. 

2019 beschlagnahmte der amerikanische Grenzschutz im Hafen von Philadelphia über 15 Tonnen Kokain. Das Ziel des Frachters, auf dem man die Ware im Wert von rund einer Milliarde Euro gefunden hatte, war Europa. Die irische Polizei vermutete damals, dass es sich um eine Sammelbestellung mehrerer europäischer Gangs handelte – unter anderem den Kinahans. Ebenfalls neu war, dass die USA als Zwischenstation für den europäischen Kokainhandel benutzt wurden. 

Als dann spätestens nach Furys Grußbotschaft 2020 klar war, dass Daniel Kinahan auch maßgeblich an einer Reihe wichtiger Boxkämpfe in den USA beteiligt war, fanden diejenigen, die seine kriminelle Karriere verfolgten, dass es Zeit war, etwas zu tun.

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Während die Ermittlungen gegen Daniel Kinahan intensiviert wurden, überwies ihn der größte Boxpromoter der Welt, Top Rank, Millionenbeträge. Diesen April, wenige Tage, nachdem die US-Sanktionen gegen die Kinahans verhängt worden waren, gab der Chef von Top Rank, Bob Arum, zu, dass das Unternehmen zwischen 2019 und 2021 Daniel Kinahan insgesamt vier Millionen US-Dollar für "Beraterkosten" für vier Fury-Kämpfe gezahlt hatte.

Das Geld ging an die in Dubai registrierte Firma Hoopoe Sports Agent, einem der vielen Unternehmen aus dem Kinahan Umfeld, die im April mit Sanktionen belegt wurden. Bob Arum sagte weiter, sein ehemaliger Justiziar Harrison Whitman habe die Deals zu den Fury-Kämpfen organisiert. Whitman arbeitet inzwischen für Probellum, einem Box- und MMA-promoter mit mutmaßlichen Verbindungen zu den Kinahans, welche das Unternehmen aber abstreitet.

Was steckte eigentlich hinter Furys verheerender Grußbotschaft? Die Journalistin Nicola Tallant ist sich sicher, dass diese kein Versehen war. "Es war zu 100 Prozent von Daniel Kinahan choreografiert. Niemand nennt ihn beim Namen, ohne dass er es einem befiehlt", sagt sie. 

Aber es war ein Fehler. Matt Christie, Chefredakteur der britischen Zeitschrift Boxing News, bezeichnet das Video als einen unfassbar wichtigen Augenblick für die Beteiligung der Kinahan-Gang im Boxsport: "Das war der Versuch, aus Daniel Kinahan eine anerkannte Figur zu machen, und es hat die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf sich gezogen. Die Leute im Boxgeschäft konnten nicht länger wegschauen." 

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Wenige Tage nach der Veröffentlichung des Videos verurteilte Irlands damaliger Premierminister Leo Varadkar im Parlament Daniel Kinahans Einfluss. Der irische Sportminister Brendan Griffin nannte seine Macht im Boxsport "komplett inakzeptabel". Britische und irische Medien stürzten sich auf die Story, während Sportsender wie Sky Sports anfingen, sich von Kämpfern mit Verbindungen zu Daniel Kinahan zu distanzieren.

Auch in den USA hatte der Tweet weitreichende Folgen. "Wenn du als Drogenhändler in Dubai hockst und den europäischen Markt belieferst, ist das Europas Problem", sagt die anonyme Person von der DEA. "Aber wenn du in den US-Boxsport involviert bist, wird daraus ein amerikanisches Problem. Geldüberweisungen, Betrügereien, geheime Absprachen – das sind klassische Fälle für US-Bundesbehörden." 

2021 strahlte die BBC die Dokumentation Boxing and the Mob aus, die sich intensiv mit Daniel Kinahans Verbindungen zum organisierten Verbrechen und seiner Macht im Boxsport auseinandersetzt. Die meisten Menschen aus der Boxindustrie hatten zu große Angst, sich öffentlich zu äußern, weil sie das Kartell fürchteten. Vier Tage nach der Ausstrahlung erhielten die Macher laut der nordirischen Polizei Drohungen. Daniel Kinahan veröffentlichte ein langes Statement, in dem er jegliche Verbindung zum organisierten Verbrechen bestritt.

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Zwei Männer, Daniel Kinahan und Tyson Fury, posieren in weißen T-Shirts in der Sonne vor einer Skyline für die Kamera

Daniel Kinahan und Tyson Fury in Dubai im Februar 2022 | Foto: Instagram

Trotz des Medien-Outings ging die pro-Kinahan-PR unermüdlich weiter. Obwohl Fury und sein Team bekanntgegeben hatten, dass seit 2020 keine Verbindung zu Kinahan mehr bestehen, posierten Fury und Kinahan im Februar 2022 gemeinsam für Fotos in Dubai. Aber auch andere Größen des Boxsports zeigten sich bis vor Kurzem gerne mit dem mutmaßlichen Kartellboss. Im März traf der Präsident des internationalen Boxverbands WBC, Mauricio Sulaiman, Daniel Kinahan in Dubai. In einer Kolumne für die Website des Verbands lobte und unterstützte der Sportfunktionär den gesuchten Iren und ließ sich mit ihm fotografieren. Sulaiman hat sich inzwischen für den "harmlosen Fehler" entschuldigt.

Im April, kurz nachdem die Kinahans auf Sanktionslisten gelandet waren, wurde Tyson Fury in einem Interview mit Sky Sports zu seiner Verbindung mit Daniel Kinahan gegrillt. Der Boxer antwortete ausweichend, bevor er das Gespräch mit der Ankündigung abbrach, er werde Sky in Zukunft keine Interviews mehr geben. 

"Die Boxwelt kann auf ihr Verhalten nicht stolz sein", sagt Nicola Tallant. "Sie hat sich nicht aus moralischen Gründen abgewendet, weil sie keinen Drogenhändler in ihrer Branche haben wollte. Die sind einfach alle in Deckung gerannt, sobald sie es nicht mehr verteidigen konnten."

Die ganze Sache sei allerdings dadurch erschwert worden, dass Daniel Kinahans Einfluss auf die Boxwelt nicht nur schlecht war, sagt der Boxexperte Matt Christie. "Seine Denkweise im Boxsport kann man auf verdrehte Art auch bewundern. Am Anfang wollte er vor allem bessere Deals für Boxer rausschlagen, die davor große Teile ihres Gehalts an Manager und Verbände abtreten mussten. Das ist ein großer Unterschied zu früheren Beteiligungen von Gangstern an dem Sport. Kinahan wollte nicht Kämpfe manipulieren oder sich an dem Sport bereichern." 

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Auch hinsichtlich der Bezahlung seiner Kämpfer und der Auswahl ihrer Gegner habe Kinahan sehr gute Arbeit geleistet, sagt Christie. "Er hat mit Weltmeistern gearbeitet, mit den wichtigsten Promotern und eine wichtige Rolle in der Verhandlung einiger sehr großer Kämpfe gespielt. Er hatte einen Haufen einflussreicher Cheerleader, die alle daran erinnern sollten, was für gute Arbeit er leiste."

Aber Kinahans Zeiten im Boxsport seien nun gezählt, sagt Christie. 

"Es gibt nichts, was darauf hindeutet, dass er im Boxgeschäft aktiv bleibt. Auch wenn die Boxer, die er repräsentiert hat, ihm vielleicht loyal bleiben wollen, wären ihre Karrieren dann ziemlich sicher vorbei. Auch jeder Promoter wäre dumm, weiter mit ihm zusammenzuarbeiten."

In den vergangenen Wochen war auch der Box-Promoter Probellum sehr damit beschäftigt, seine Verbindung zu den Kinahans abzustreiten. Erst im März hatte der pakistanische Politiker Rai Taimoor Khan Bhatti mehrere Fotos von sich mit Daniel Kinahan bei Twitter gepostet und dazu diesen Text geschrieben: "Habe @probellum getroffen, um unsere Vision fürs Boxen für die Provinz Punjab anzugleichen und zu überlegen, wie wir den Sport attraktiver für unsere Jugend machen. Ich freue mich, Daniel in Lahore begrüßen zu können, um Pakistans ersten internationalen Kampf mit ausländischen Weltklasseboxern zu besprechen InshAllah. Werde in den kommenden Wochen weitere Informationen teilen." VICE hat Rai Taimoor Khaan Bhatti um eine Stellungnahme zu dem Tweet gebeten und wartet bislang auf eine Antwort.

Die Marke Probellum wurde von MTK Global eingetragen, dem Unternehmen, das Daniel Kinahan in Marbella mitgegründet hat. Im April verabschiedete sich der Fernsehsender Eurosport von Plänen, von Probellum promotete Boxkämpfe zu übertragen. Probellum-Präsident Richard Schaefer wies jede Verbindung zwischen dem Unternehmen und Daniel Kinahan zurück und sagte, er würde jeden Boxer entlassen, der mit Kinahan zusammenarbeitet.

Viel verheerender ist wahrscheinlich der Einfluss, den die Kinahans auf den Amateursport in Dublin hatten. Laut Tallant nutzte das Kartell Boxclubs in der irischen Hauptstadt zur Rekrutierung neuer Mitglieder.

"Eine Möglichkeit für Menschen aus den unteren Schichten, nicht auf die schiefe Bahn zu geraten, ist Boxen. Aber dann haben diese Drogendealer dort nach Leuten gesucht, die für die Gang die Schmutzarbeit erledigen", sagt Tallant.

Auf den Straßen Dublins sei der Name Kinahan vor allem von "Angst und Abscheu" begleitet, sagt die Journalistin.

"Es war schrecklich, wie sie sich 2016 auf den Straßen von Dublin bekriegt haben. Sie haben ganze Stadtteile zerstört, Freunde gegeneinander aufgebracht und bereits zerrüttete Gemeinden mit Blutgeld überschwemmt. Bestimmte Orte in Dublin haben ihren Gemeinschaftssinn komplett verloren."

Aber sind wir gerade Zeuge des Anfangs vom Ende des Kinahan-Kartells? Oder kann sich die Organisation wieder rauswinden, wie es ihr 2010 mit den spanischen Behörden gelungen ist?

"Das ist definitiv der Anfang vom Ende. Sie befinden sich in einer sehr schwierigen Lage, zum ersten Mal überhaupt", sagt Tallant. "Es wird aber wahrscheinlich nicht so schnell passieren. Bis zum Ende dieses Jahres könnte der Zusammenbruch ihres Imperiums aber schon weit vorangeschritten sein."

In Europa, den USA und auch in Dubai wird es für den Clan langsam eng. Wo können die Kinahans überhaupt noch hin?

"Ich glaube nicht, dass sie sich stellen werden. Die Gang wird versuchen, weiter auf der Arabischen Halbinsel zu bleiben", sagt Tallant. "Vielleicht werden sie als Nächstes in den Oman gehen, in Gegenden, in denen sie keine Sanktionen befürchten müssen. Aber wo auch immer sie hingehen, sie sind in die Ecke getrieben. Sind sie bereit, in Pakistan oder Afghanistan zu leben? Wer wird mit ihnen dorthin gehen?"

Tallant sagt, sie habe von der Polizei erfahren, dass die Ehefrauen des Kinahan-Kartells bereits ihre Sachen packen und auf dem Weg zurück nach Irland seien. "Die Kinahans werden finanziell erwürgt. Niemand wird sie haben wollen, wenn die Polizei ihnen den Geldhahn abdreht."

Was gerade passiert, sei viel mehr als nur das Ende ihres Boxgeschäfts. Es sei das Ende ihres Lifestyles, ihres Gefühls der Unantastbarkeit, ihrer Macht, sagt Nicola Tallant. "Die Party ist vorbei."

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