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Das Metaverse, erklärt für Menschen, die es immer noch nicht verstehen

Ist es nur ein Buzzword, das neue Internet, ein Videospiel oder eine Vision? Wir haben Expertinnen und Experten gebeten, die wichtigsten Fragen zum Phänomen Metaverse zu beantworten.
Shamani Joshi
Mumbai, IN
Eine Person mit VR-Headset bewegt ihre Hände; Wir haben Expertinnen und Experten gebeten, die wichtigsten Fragen zum Phänomen Metaverse zu beantworten
Symbolbild: Thinkhubstudio / Getty

Auch du hast den Begriff mit Sicherheit schon irgendwo gehört. Egal ob durch Mark Zuckerbergs eher gruseligen virtuellen Avatar beim Facebook-Rebrand, Live-Konzerte im Fortnite-Universum oder digitale Kunstausstellungen – derzeit gibt es kaum ein Entkommen vor dem aktuellen Lieblingsbegriff des Internets: Metaverse.

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Aber was genau ist dieses Metaverse? Ist es ein virtueller Raum mit unendlichen Möglichkeiten, in den wir eintauchen können? Ist es die dystopische Zukunft des Internets? Oder ist es nur ein Sammelbegriff für alle Technologien der erweiterten, virtuellen und vermischten Realität?

Wenn wir heute über das Metaverse reden, fühlt es sich häufig so an wie damals, als man in den 70er und 80er Jahren über das Internet diskutierte. Als die Grundlagen dieser neuen Kommunikationsform geschaffen wurden, spekulierte man wild, wie das Ganze aussehen würde und wie man es benutzt. Alle Leute sprachen darüber, aber nur wenige wussten wirklich, was es bedeutet oder wie genau es funktioniert. Und rückblickend hat sich das Internet dann auch nicht so entwickelt, wie es sich viele Menschen vorgestellt hatten.

Da das Metaverse bis 2024 allerdings ein 800 Milliarden Dollar schwerer Markt werden soll, und weil Tech-Giganten wie Meta, Microsoft, Apple und Google viel Geld in die Umsetzung investieren, sollten wir uns mal genauer ansehen, was dieser recht vage und komplexe Begriff eigentlich alles beinhaltet.

Deswegen haben wir einige Expertinnen und Experten gebeten, für die Leute das Metaverse zu erklären, die noch nicht verstehen, worum es dabei geht. Und das dürften die meisten von uns sein.

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Also, was genau ist das Metaverse?

Der Begriff "Metaverse" hat vor allem in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit bekommen, existiert aber schon seit 1992, als der Autor Neal Stephenson ihn zum ersten Mal in seinem Science-Fiction-Roman Snow Crash verwendete. In dem Buch ist das Metaverse eine allumfassende, digitale Welt, die parallel zur echten Welt existiert. 2022 sind sich Experten noch nicht sicher, ob sich das Metaverse auch bei uns zu so etwas entwickeln könnte.

"Das Metaverse ist eine 3D-Version des Internets und vom Computerwesen allgemein", sagt Mathew Ball, ein Risikokapital-Anleger und Investor, der schon mehrere Essays über das Potenzial und die Strukturen des Metaverses geschrieben hat.

"Als das Internet und das Computerwesen zuerst aufkamen, waren alle Interaktionen vor allem textbasiert – etwa E-Mails, Nachrichten, Usernamen und E-Mail-Adressen. Dann entwickelte sich durch Fotos, Videos und Livestreams alles in eine mediale Richtung. Der nächste Schritt in Sachen Anwendungsoberfläche und User Experience wäre 3D", sagt Ball.

Ich hasse das Internet

Für viele Experten ist das Metaverse ein Ort parallel zur echten Welt, in dem man das digitale Leben verbringt, ein Avatar hat und mit anderen Menschen über deren Avatare interagiert. Manche sind aber der Meinung, dass das Metaverse in seiner eigentlichen Form noch gar nicht existiert.

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"Es ist noch nicht real und wird auch nicht real sein, bis es einen einzigen zentralen Ort gibt, an dem die Leute in eine virtuelle Welt eintauchen, in der sie leben könnten", sagt Ibrahim Baggili, ein Cybersecurity-Experte sowie Direktor des Connecticut Institute of Technology an der University of New Haven. 

"Das Internet wurde in den 90ern als 'Datenautobahn' bezeichnet, aber damit war eher eine potenzielle Zukunft mit vernetzten Computern gemeint", sagt Timoni West, die als Vizepräsidentin beim Unternehmen Unity Software die AR- und VR-Abteilungen leitet. "Das Metaverse wird mit fortlaufender Entwicklung auch wie ein Äquivalent zur echten Welt und viel verbreiteter, demokratischer, fluider und vielseitiger werden."

Man merkt, die Definition des Metaverse ist von Fall zu Fall anders. Unterm Strich lässt sich aber sagen: Das Metaverse ist ein gemeinsamer virtueller Ort mit interaktiven, immersiven und extrem realistischen Eigenschaften. Es beinhaltet zudem individuelle Avatare und digitales Eigentum, das dann wahrscheinlich auf einer Blockchain gespeichert wird.

Das Metaverse ist also nicht nur ein Videospiel?

Zwar ist das Metaverse viel umfangreicher als ein Videospiel, aber die Gaming-Welt scheint die rudimentärste Form des Metaverses bereits übernommen zu haben. Ein Beispiel wäre der Online-Shooter Fortnite, in dem die Spieler persönliche Avatare erstellen und so miteinander interagieren. Zudem kann man in dem Spiel virtuelles Geld verdienen und damit neue Outfits für die Avatare freischalten.

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Was der eigentlichen Metaverse-Vision am nächsten kommt und bereits existiert, ist das Simulationsspiel Second Life. Darin hat man in einer Art virtuellen Realität mit einem Avatar die Möglichkeit, shoppen und essen zu gehen, zu duschen und auch sonst den eigenen Alltag aus dem echten Leben nachzuspielen. 

Verschiedene Technologie-Experten sagen, dass das Metaverse die Virtual-Reality-Erfahrung aufs nächste Level bringen werde: Den Userinnen und Usern wäre es dann möglich, durch die virtuelle Welt zu schweben und alles zu tun, auf das sie Lust haben – egal ob sie ein Grundstück kaufen, eine Party organisieren oder mithilfe der digitalen Avatare heiraten wollen.

Wie kann ich auf das Metaverse zugreifen?

Während es derzeit noch keinen zentralisierten Weg ins Metaverse gibt, raten einige Experten dazu, sich ein VR-Headset zuzulegen, um die Erfahrung voll auskosten zu können. Andere argumentieren aber auch, dass man keine solche Hardware benötige, um ins Metaverse zu kommen. 

"Wir sind mit Smartphones in unseren Taschen, Alexas in unseren Wohnzimmern und Kameras in der Welt um uns herum sowieso ständig mit dem Internet verbunden", sagt Risikokapital-Anleger Ball. "Millionen Menschen sind per Tablet oder Smartphone jeden Tag in virtuellen Echtzeit-3D-Welten unterwegs. Diese Geräte werden wahrscheinlich auch noch in einem Jahrzehnt der Hauptweg ins Metaverse sein."

Der Zugang ins Metaverse per Smartphone, Tablet oder Computer nimmt zwar etwas von diesem allumfassenden Aspekt weg, ist gleichzeitig aber eine gute Möglichkeit, das Ganze erstmal auszuprobieren und den Hype nachzuvollziehen.

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Cybersecurity-Experte Baggili sagt, dass die derzeitige Struktur des Metaverses mit der eines App-Stores vergleichbar sei. "Gerade gibt es noch mehrere Plattformen, die einen die virtuelle und die erweiterte Realität erleben lassen. Das ist wie mit den verschiedenen Apps, die man aus den Stores herunterladen kann. Ein einzelnes Portal, das den Leuten den Zugang zum Metaverse ermöglicht – so wie damals Yahoo in den Anfangstagen des Internets –, gibt es nicht."

Das hat wiederum dazu geführt, dass mehrere große Tech-Unternehmen verschiedene entsprechende Erfahrungen anbieten – von Videospielen und virtuellen Arbeitsbereichen bis hin zu Live-Entertainment und virtuellen Immobilien. Beispiele wären Plattformen wie Decentraland, Axie Infinity, Horizon, Sandbox, Fortnite oder Roblox

Welchen Nutzen hat das Metaverse?

Im Anbetracht der unglaublichen finanziellen Hochrechnungen gilt das Metaverse als wichtiger Faktor im Wachstum der digitalen Wirtschaft. "Das Metaverse wird hier einiges vorantreiben – und damit auch für ein Wachstum der Weltwirtschaft sorgen", sagt Risikokapital-Anleger Ball.

Während das Metaverse von vielen schon als die Zukunft des Entertainments, der Fashion-Industrie, der Videospiel-Welt und sogar des Feierns gesehen wird, sagen einige Experten, dass man es im besten Fall beim Thema Bildung einsetze.

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"Bildung im 3D-Raum ist um einiges besser als Unterricht per Zoom-Call", sagt Ball. Cybersecurity-Experte Baggili stimmt dem zu: "Der wahre Mehrwert des Metaverses zeigt sich vor allem dann, wenn es dafür eingesetzt wird, unser Leben zu bereichern", sagt er. 

Baggili hat probeweise schon mal eine Spurensicherungs-Vorlesung mit VR-Headsets durchgeführt. "Was dabei gut war: Wir konnten einen 3D-Tatort dokumentieren und eine beständige Umgebung erschaffen und abspeichern. Irgendwann wurden die Augen meiner Studentinnen und Studenten jedoch müde, dann war es schwierig, weiter am Computer zu arbeiten", sagt er. "Es gibt also Szenarien, in denen die Technologie und Umsetzung wirklich nützlich ist. Trotzdem ist noch viel Arbeit nötig."

Ist das Metaverse sicher?

Es hat schon einen Grund, warum fiktionale Werke rund um das Metaverse – etwa der Film Ready Player One oder der bereits erwähnte Roman Snow Crash – in düsteren Dystopien spielen.

Bei der Diskussion rund um das Thema Metaverse kommt immer wieder die Frage auf, ob man hier überhaupt einen sicheren und verantwortungsvollen Raum schaffen kann. Anfang des Jahres geriet Meta in die Kritik, nachdem eine Frau behauptet hatte, man habe sie im Metaverse sexuell belästigt. Experten für digitale Privatsphäre weisen zudem häufig darauf hin, dass das Metaverse als ultimatives Überwachungswerkzeug genutzt werden könnte.

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"Das Metaverse sammelt nicht nur Daten zu Augen- und Handbewegungen und dem Schnitt deines Zimmer und so weiter", sagt Baggili. "Wir müssen auch einen rechtlichen Rahmen dafür schaffen, was passiert, wenn man auf einer virtuellen Plattform belästigt wird. Weil man so tief in der Technologie drin ist, hätte so etwas ja auch Auswirkungen im echten Leben."

"Das Metaverse setzt ein gewisses Vertrauen in die Technologie voraus", sagt der Cybersecurity-Experte weiter. "So wie wir Google Maps bei der Navigation vertrauen, obwohl wir nie wirklich sicher sein können, dass es uns auch wirklich ans richtige Ziel führt. Wir müssen uns zu vielen rechtlichen Dingen Gedanken machen, wenn wir solche Technologien verantwortungsvoll entwickeln wollen."

Werden wir in ein paar Jahren im Metaverse leben?

Einige Experten glauben, dass bis 2030 ein Großteil der Menschen in irgendeiner Form im Metaverse unterwegs sein wird. Aber trotz des derzeitigen Hypes ist es bis dahin noch ein weiter Weg. Die erste Herausforderung wird sein, die benötigte Hardware für alle zugänglich zu machen. Dann ist die sogenannte Interoperabilität für viele Expertinnen eine weitere unverzichtbare Voraussetzung – also die Möglichkeit, virtuelle Gegenstände wie Kleidung oder Autos von einer Plattform mit auf eine andere zu nehmen. Dazu kommen die rechtlichen und kommerziellen Herausforderungen. Man muss zum Beispiel festlegen, wer im Metaverse für Recht und Ordnung sorgen soll. Und eine Garantie, dass die Leute überhaupt die ganze Zeit im Metaverse abhängen wollen, gibt es natürlich nicht.

Vielleicht werden wir nur teilweise im Metaverse leben. VR-Headsets sind ja schon ein aufregendes Spielzeug, aber lange aufbehalten will man sie trotzdem nicht. Oder wir werden in zehn Jahren auf diesen Artikel zurückblicken und uns darüber amüsieren, wie naiv man gewesen sein muss, um den Metaverse-Erfolg anzuzweifeln.

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