DANGER DAN ANTILOPEN GANG NOISEY KUNST KOPFKRIEG
Alle Fotos: Jaro Suffner

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Kunst & Kopfkrieg

Tourlöcher, Trauer, Rausch: Danger Dan hat mit uns über Depressionen gesprochen

"Ich bin ja auch nicht ständig auf der Suche nach mir selbst. Ich such' manchmal auch einfach einen geilen Rausch. Oder ein abgefahrenes Adrenalinerlebnis." – Danger Dan

Es gibt sehr gute Deutschrapalben. Aschenbecher von Danger Dan und NMZS ist so eines. 2012 erschienen, mixten die beiden Düsseldorfer darauf Nerd- und Rockstartum und husteten sich beim gegenseitigen Unterbieten von Lebensfreude die Seele aus dem Leib. Danger Dan macht Musik mit der Antilopen Gang und solo, vorrangig live, mit politischer Haltung, Gesang und Skills am Piano. Kurz vor unserem Treffen erscheint das Soloalbum Reflexionen aus dem beschönigten Leben . Wir sitzen in Berlin / Kreuzberg am Wasser des Landwehrkanals. Das Geschnatter der Schwäne und der Touristen auf den Sightseeing-Dampfern gleitet eine gute Stunde lang an uns vorbei. Wieviel ist das Mitglied der “Schwarze Lunge Bruderschaft” bereit, aus seinem beschönigten Leben preiszugeben? Ja, und über den Suizid des vierten Antilopen-Gang-Mitgliedes Jakob Wich (NMZS) wollte ich auch sprechen. Aber das machte mir beinahe ein schlechtes Gewissen…

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Laurens Dillmann schrieb für das JUICE-Magazin und das splash! Mag und beschäftigt sich mit Körperpsychotherapie, Naturheilkunde und Ernährung. Er ist Autor eines Romans (Oskar, 2014) und eines Gedichtbandes (Hummerscheren und Wackelpudding, 2013). Für Noisey spricht er mit Künstlern über Depressionen, Krieg im eigenen Kopf, Meditation und wie man diese Krisen überwindet. Für den dritten Teil seiner Interview-Serie "Kunst und Kopfkrieg" hat sich Laurens mit Danger Dan getroffen.

Laurens: Wie ist es, als Hinterbliebener über jemanden zu sprechen, der sich entschieden hat, sein Leben zu beenden?
Danger Dan: Also ehrlich gesagt gibt es kaum gute Gespräche über Jakobs Tod. Da gibt es die Sensationsgeilen. Das ist ungefähr so, wie wenn Journalisten, denen ich erzählt habe, dass ich Therapie mache, mich dann fragen: "Was war denn ein krasser Moment in deiner Therapie?" Da denke ich direkt: Du Arschloch, du willst dein Clickbait, ich will meine Platte verkaufen. Einigen wir uns darauf.

Aber auf Jakob sprechen mich ja auch Fans nach Konzerten an, im völlig falschen Moment. Leute, die ich nicht kenne. Ich komme von der Bühne, voll auf Adrenalin. Alle sind besoffen, laute Musik im Hintergrund. Dann will jemand über etwas reden, was ich nach fünf Jahren nicht mehr en détail besprechen möchte. Die erwarten dann eine Trauerstimmung. Aber vielleicht will ich einfach nur noch einen saufen und gut ist.

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"Da denke ich direkt: Du Arschloch, du willst dein Clickbait, ich will meine Platte verkaufen."

Es muss auch nicht immer ein gutes Gespräch sein. Mein Anliegen mit dieser Kolumne ist, überhaupt zu sprechen. Über tiefe Täler. Und manchmal glaube ich, jeder Mensch wäre in Therapie gut aufgehoben. Kannst du das nachvollziehen?
Mir fällt auch auf, dass ich niemandem in meinem Umfeld kenne, der nicht therapeutische Erfahrung gesammelt hat oder mal welche sammeln sollte.

Vielen fehlt ein Ort, wo wir hingehen können, wenn es uns schlecht geht. Die Wartelisten für Therapeuten sind meiner Erfahrung nach lang, in den Großstädten zumindest.
Ich stimme dir zu, die Menschen brauchen Begegnungen. Das muss aber gar kein Deep Talk sein. Es kann sich auch leicht anfühlen. Begegnung mit Menschen. Mit sich selbst. Aber mit anderen klappt das meist besser.

Und was macht deine Therapie aus? Fühlst du dich dort verstanden?
Die ist schon cool, meine Therapeutin. Ich finde sie super. Sie ist niemand, mit dem ich über Grundsatzthematiken diskutieren müsste. Sie ist sensibilisiert für das, was mir auch wichtig ist. Sexismus, Rassismus spielen da keine Rolle. Das wäre eher meine Angst gewesen. Dass ich zu jemandem hingehe, der 1.0-Abitur hat, Psychologie studiert und eine super teure Ausbildung macht, die die reichen Eltern bezahlen. Ich dachte, vielleicht treffe ich jemanden aus einer Lebenswelt, die sich mit meiner so gar nicht überschneidet.

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Ich war mal bei einer verrückten Katzenfrau, die sind ihr immer während des Erstgesprächs auf den Schoß gesprungen. Eine andere Therapeutin hat die Kästchen auf ihrem Block ausgezeichnet.
Eine verrückte Katzenfrau kann doch auch super sein. Meine Ex-Freundin hat tiergestützte Therapie gemacht. Die ist mit einem Hund in den Knast gegangen. Für voll viele Dudes, die dort eingesperrt und in einer lebensfeindlichen Umgebung voller pöbelnder Männer sind, ist das voll geil, wenn die einfach mal mit 'nem Hund spielen können. Und ey, Man, das Geilste, wenn's dir richtig dreckig geht: Babykatzenvideos!


VICE-Video – "Die großen Katzen des Persischen Golfs":


Ich mache schon mein ganzes Leben Therapie. Anfangs unfreiwillig, irgendwann selbstgewählt. Zurzeit entwickelt es sich dahin, dass ich mein eigener Therapeut werden möchte. Ich will selbst wissen, was gut für mich ist.
Ich habe mal Kreativtherapie mit dem Schwerpunkt Musik studiert, allerdings nur kurz. In fast allen europäischen Ländern außer Deutschland und Italien kannst du therapeutische Grundausbildungen machen. In Deutschland musst du erst einen anderen Beruf lernen. Medizin oder Psychologie. Mit Psychologie kannst du auch ganz gut in 'ner Personalabteilung oder in der Verkehrspsychologie arbeiten. Aber du bist noch kein Therapeut, dafür brauchst du erst die Ausbildung. Ich habe das in den Niederlanden gemacht, da führt die Ausbildung direkt zum Berufsabschluss. Ich hatte weder Abitur, noch konnte ich Niederländisch. Da gab's so eine Begabtenprüfung mit Kolloquium. Ich glaube, die haben schon gecheckt, dass mein 11. Klasse-Halbjahreszeugnis kein Abitur ist, aber die fanden mich ganz korrekt und haben mir eine Chance gegeben.

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Aber ich war gar nicht in der Lage, konstant irgendwo hinzugehen. Fünf Tage die Woche à acht Stunden, plus Lernen. Da hatte ich nicht die Muße. Nach sechs Monaten kam das Angebot, mit einer Band auf Frankreichtour zu gehen. Ich dachte, das ist eine gute Pause, aber ich bin immer auf Tour geblieben. Ganz gute Ausrede. Hätte ich mich gegen die Tour und für das Studium entschieden, wäre ich vielleicht daran gescheitert. Diese Konstanz hätte ich gar nicht aufbringen können.

"Die ersten drei Monate mit mir sind Romantik pur / Danach gehe ich erstmal vier Wochen auf Frankreichtour", rappt Danger Dan auf dem Album Aschenbecher. Ich bin mir nicht sicher, was den raucherlungenschwarzen Humor der beiden Antilopen damals für mich so besonders gemacht hat. Ich mochte den Geschmack von Nikotin nie. Vielleicht hat mich der Aschenbecher angezogen, weil ich weiß, wie es sich anfühlt, das Leben zum Kotzen zu finden. Ich kenne das Gefühl, sich am Chaos zu berauschen und die eigene Verwahrlosung zu feiern. Ich habe aber auch die Erfahrung gemacht, dass man selbst aus den tiefsten Löchern wieder hervorkrabbeln kann.

War das die Aschenbecher-Phase?
Ja. Aber die ging ja eh sehr lange.

Wie lange?
Das ist immer die Frage. Wann fängt sie an, wann hört sie auf. Oder ist man noch drin? Diese Aschenbecher-Metapher … Wenn man das Glück hat und die ganz alten Antilopen-Alben auf CD hat, kann man im Booklet gucken, wo wir das aufgenommen haben. Es gibt meistens zwei Studios. Einmal: "Der geheime Raum", das ist das Studio von Panik Panzer, und "Der Aschenbecher", das ist das Studio von mir. Der Aschenbecher hieß Aschenbecher, weil ich darin alles vollgeraucht und vollgeascht habe. Rückwirkend steht die Metapher für mehr. Für eine Art Loch oder Lebenseinstellung. Für etwas Gutes und Schlechtes gleichzeitig. Der Aschenbecher ist nicht nur verabscheuungswürdig. Das ist wie der Punker, der über den Businessmann lacht, wenn er vorbeiläuft und umgekehrt. Beide gucken sich mit einer gewissen Überheblichkeit an und beide haben auf eine Weise recht. Der Aschenbecher lässt auch zwei Perspektiven zu.

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Was genau ist das Gute am Aschenbecher-Lifestyle?
Der ist frei von jeder Verwertungslogik. Da geht es nicht um Selbstoptimierung und allen erzählen, wie geil man ist. Dann chillt man halt und raucht 'ne Kippe (stößt Rauch aus dem Mund).

"Du kommst überhaupt keinem Musiker auf die Schliche, nur weil du seine Musik anhörst."

Nach dem, was mit NMZS passiert ist: Denkst du im Nachhinein, ihr hättet anders an die Albumentstehung herangehen sollen? Den Pessimismus nicht so zelebrieren?
Ich finde es ein bisschen ärgerlich, welche Tiefe in dieses Album hineingelesen wird, die gar nicht da war. Im Moment des Schreibens haben wir überwiegend gelacht. Wir fanden das Überspitzte lustig. Im Grunde ist es ein Gegenentwurf zum ständigen "Ich bin besser als du"-Rap. Ich hab' alles. Ich bin mega stark. Ich hab' ganz viel Geld. Ich hab' ein Auto. Das Album war die Umkehrung, die genauso überspitzt war. Aussagen wie: Ich bin voll schwach. Ich hab' kein Auto. Ich hab' kein Geld. Nichtmal einen Führerschein. All das, mit einer gewissen Überheblichkeit.

Natürlich hat das auch etwas sehr Nihilistisches. “Ich komme aus dem Nichts und ich gehe in das Nichts und dazwischen ist ein Aschenbecher.” Das hat etwas brachial Verneinendes. Aber erst nach Jakobs Tod haben Leute angefangen, das Album nochmal ganz anders zu hören und völlig andere Interpretationen zu ziehen. Es ging in vielen späteren Plattenbesprechungen nur noch darum, dem toten NMSZ beziehungsweise dem Thema Selbstmord ganz nahe zu sein. Das hat auch etwas Voyeuristisches. Das eigentliche Album, wie es geschrieben und gemeint war, gab es nur in der Zeit vor seinem Tod.

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DANGER-DAN-Antilopen-Gang-Noisey

Das ist ja generell spannend. Wir können uns jetzt NMZS' Musik und die alten Antilopen-Sachen anhören und plötzlich wirkt alles so, als würde es auf seinen kommenden Selbstmord hinweisen.
Der Witz ist ja: Du kommst überhaupt keinem Musiker auf die Schliche, nur weil du seine Musik anhörst. Ob derjenige tot oder lebendig ist, spielt keine Rolle. Du bist derjenige, der etwas hineinprojiziert, das dort nicht unbedingt enthalten sein muss. Ich finde das sehr schade, weil dadurch auch viel von Jakobs Kunst verloren geht. Er war ja unglaublich witzig. So ein lustiger Typ. Sein kreativer Wahnsinn. Comic-ähnliche Szenarien, die er beschreibt. Da fliegt jemand übers Haus und sagt etwas Absurdes. Aber das ist einfach nicht mehr im Fokus. Ich glaube, viele hören all das jetzt nicht mehr aus seiner Musik raus.

Was hältst du von unserer Kultur des Trauerns?
Es ist schon auffällig, dass der Tod in unseren Lebenskonzepten nicht so richtig eingebaut ist. Eine Bekannte von mir ist Bestattungsunternehmerin. Die hat sich eine Spotify-Playlist gemacht, die auf ihrer Beerdigung laufen soll. Und weil sie mit dem Trauern beruflich verbunden ist, gewinnt das für sie an Normalität. Sie kann sich damit anfreunden, eines Tages selbst zu sterben und plant ohne jegliche Angst oder Trauer ihre eigene Beerdigung. Ich selber würde das nie machen, weil der Tod einfach zu unangenehm ist. Aber im Grunde genommen gehört es dazu.

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Es gibt einen guten Psychoanalytiker, Irvin Yalom, der hat sich genau damit beschäftigt. Er führt alle möglichen Probleme der Menschen auf Grundängste zurück. Auf das Paradoxon, einerseits sein Leben schön gestalten zu wollen, Leute kennen- und lieben lernen zu wollen und gleichzeitig unbewusst wahrzunehmen, dass alles vergänglich ist. Wir werden alle sterben, das Spiel geht nicht gut aus.

Im Buch Die Liebe und ihr Henker veröffentlicht er Therapieverläufe von Leuten, die in irgendeiner Form mit dem Tod konfrontiert sind. Das hat mir in Trauerphasen immens geholfen. Zu merken, man ist nicht alleine damit. Wir müssen unseren Umgang damit finden. Es gibt Dinge, die kann man leider nicht wegsaufen. Der Tod ist eines davon.

Der Song "Lebensmotto Tarnkappe" ist ziemlich explizit. Ich höre da raus: Ich zeige dir nicht, wie ich mich fühle. Ich behalte es für mich und trotzdem scheint es durch. Da habe ich mir die Frage gestellt, wäre es nicht besser, einfach auszusprechen, wenn man depressiv, suizidal, oder was auch immer ist.
Kurz vorm Selbstmord ist deine einzige Chance, zu überleben, natürlich die Hilfe von anderen. Das kannst du nicht mit dir selbst ausmachen. Das geht nicht. Auf der anderen Seite verstehe ich sehr gut, dass man nicht völlig transparent durch die Welt laufen will. Im Zuge der Promophase meines Albums wurde ich immer wieder gefragt: "Ist es nicht krass, dass du so viel von dir preisgibst, dass du zugibst, eine Therapie zu machen?" Und ich dachte: Hä? Na ja, im Grunde genommen ist die Frage berechtigt. Im Grunde wird eine Therapie ja immer mit Schwäche und Nichtverwertbarkeit gleichgesetzt. Du funktionierst nicht, kannst nicht arbeiten und das steht in unserer Welt über allem. Je effizienter, verwertbarer du bist, umso wertvoller fühlst du dich. Fälschlicherweise wird kritische Auseinandersetzung mit sich selbst, oder sich einzugestehen: "Es geht mir nicht gut" als Schwäche abgetan. Das stimmt nicht. Das Mutigste, was du tun kannst, ist dich aufrichtig mit dir selbst auseinanderzusetzen. Selbst, wenn es dir nicht gut geht.

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Ich glaube, sich den richtigen Leuten zu öffnen, ist voll in Ordnung. Aber man muss nicht angreifbar und nackt durch eine Gegend laufen, die voller Arschlöcher ist. Was soll ich sagen? Ich bewege mich in der HipHop-Szene. Das, was ich preisgebe, kann gegen mich verwendet werden. Und so groß ist mein Mitteilungsbedürfnis auch nicht. Ich habe nicht das Verlangen, mich der ganzen Welt in meinen intimsten Themen zu öffnen. Wenn mich irgendein Depp im Backstage-Raum fragt, wie es mir geht, sage ich, "Gut, und selbst?" und wir haben beide nicht wirklich gemeint, was wir gefragt und geantwortet haben. Es ist voll in Ordnung, sich nicht zu öffnen und Geheimnisse zu haben. Das Ideal, man soll ehrlich mit sich und seinen Gefühlen sein, ist eine gute Idee. Aber so funktioniert das Leben nicht.

"Ich bin mittlerweile auch so schlau, mich vor den schlimmsten Abstürzen zu bewahren."

Hast du mit dem kommerziellen Erfolg das Gefühl, dem Aschenbecher entkommen zu sein? Willst du überhaupt da raus?
Nee, das ist alles noch in mir. Also dieses Jahr habe ich tatsächlich Möbel gekauft. Und ich bin mittlerweile auch so schlau, mich vor den schlimmsten Abstürzen zu bewahren. Ich weiß um meinen Hang zum Exzess. Ich werde ja sofort von jeder Droge, die ich nehme, abhängig. Das musste ich lernen. Zu sagen: Dann nehme ich halt keine Drogen mehr. Oder ich stelle den Wecker, egal ob ich einen Termin habe oder nicht. Ich stehe auf, sonst wird es von Tag zu Tag schlimmer und nicht einfacher. Vielleicht werde ich auch noch ein verrückter Penner, der mit einer Million Kuscheltieren im U-Bahnhof sitzt, Schrammelgitarre spielt und Lagerfeuerlieder singt. Alles ist möglich. Da gibt es unendlich viele Faktoren, die man nicht beeinflussen kann.

Es geht mir gut, aber ich habe ungefähr noch einen Tag die Woche, da habe ich das Gefühl, ich bin genau im selben Trott wie damals. Ich will nicht aufstehen, ich will nichts tun. Ich merke sofort: Wenn ich dem jetzt nachgebe, wird eine ganze Woche daraus. Und dann ein Monat. Kennst du das?
Bei mir ist es aber so, dass ich für mein Gefühl nicht wirklich depressiv war. Mit 18 oder 19 wurde mir das mal diagnostiziert. Das tatsächliche Problem war aber Polytoxikomanie [Anm. d. Autors: Mischkonsum verschiedener Drogen] und eine daraus resultierende Panikstörung. Die hab ich einigermaßen schnell hinter mich gebracht, aber in meiner Krankenakte stand nunmal, ich sei depressiv. Ich glaube, die Symptome waren da, aber das war eine gar nicht so ungesunde Reaktion auf mein damals sehr perspektivloses Leben. Ich halte das nicht für pathologisch. Ich habe Erfahrungen im Umgang mit Depressiven. Ich würde vorsichtig sein, wenn ich mal einen Tag oder auch drei am Stück scheiße drauf bin, zu sagen: Ich bin depressiv. Depression ist eine schwere, gefährliche Krankheit, die dein Leben komplett einnehmen und umkrempeln kann. So tief habe ich da nie dringehangen.

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Ich kenne aber diese Standard-Tourlöcher. Wenn du drei Wochen lang im Mittelpunkt stehst, abends alle klatschen und man sich jede Nacht noch einen Schnaps reinlötet. Man muss den Haushalt nicht machen. Für dich wird gekocht. Man verbraucht alle Endorphine. Dann kommt man nach Hause. Es ist still. Niemand klatscht oder kocht dir ein Essen. Man muss alles selbst machen. Der Spagat zwischen diesen Welten ist anstrengend. Und das kann mitunter in eine Depression münden.

"Du kommst in dieses aus einem Stück Plastik gegossene Hotelzimmer. Es ist Stille und du fühlst nichts. Der Applaus hat nie mir gegolten."

Da gibt es diese krasse Netflix-Doku über Lady Gaga. Sie leidet unter Fibromyalgie, hat den ganzen Tag über Schmerzen. Die Doku erzählt, wie sie dauernd getätschelt, massiert und von einer Traube aus Menschen umringt ist und sich abends trotzdem völlig leer fühlt.
Ja, das Gefühl kenne ich auch. Alles ist megageil und du kommst in dieses aus einem Stück Plastik gegossene Hotelzimmer. Es ist Stille und du fühlst nichts. Der Applaus hat nie mir gegolten. Die Komplimente sind an mir vorbeigegangen. Was die Leute in mir sehen, ist nur anteilig da. Den Rest kann keiner sehen, hab ich denen ja auch nicht gezeigt, ist ja auch ein blödes Schauspiel. Das kann sich scheiße anfühlen. Damit muss man wirklich umgehen lernen.

Da gibt es auch Studien, dass gerade Musiker oder eben generell Menschen in Situationen des Rampenlichts gefährdeter als andere sind. Es gibt jetzt in England scheinbar die erste Hotline für Musiker, die ein Loch haben. Und es gab eine Zeit lang den sogenannten Schauspielerparagraphen. Dass Leute, die von der Bühne kamen, als unzurechnungsfähig gelten. Weil die einfach voller Adrenalin sind. Ist abgeschafft worden. Ich kann nicht von der Bühne gehen, 'ne Bank überfallen und kriege einen Freispruch.

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Damit habe ich mich auseinandergesetzt. Wenn ich 'ne Zeit habe, wo ich nicht ganz so stabil bin, weil mir alles mögliche schwer fällt, bemerke ich das schnell. Du findest dann auch nachts keine Grenze mehr. Dann ist so etwas wie ein Tourloch eine Zeit, in der ich mich sehr disziplinieren müsste. Das mache ich natürlich nicht, weil Eskalation eben auch Bock macht. Ich liebe das Tourleben und ich mag es sogar, zwei Tage verkatert zu Hause rumzuliegen und Filme zu streamen. Aber irgendwann muss man sich da wieder rausboxen. Heute war zum Beispiel so ein Tag, wo ich so richtig keinen Bock hatte, aufzustehen, weil ich gestern getrunken und viel gelacht habe.

Wäre nicht der Moment, wenn du in die Wohnung kommst und die Stille hörst, perfekt, um Kunst daraus zu machen?
Kreativität ist leider nicht so gut planbar. Das wäre bestimmt ein guter Moment, um solche Gefühle einzufangen und zu transportieren. Das geht natürlich viel authentischer, als wenn dir der Zugang fehlt. Aber du kannst aus allem Musik machen und alles emotional transportieren. Es muss ja nicht immer melancholisch sein. Du kannst ja auch sauer sein. Oder verliebt.

"Das Leben ist aber nicht planbar. Es ist eine Turbulenz."

Wieso spricht uns melancholische Musik so an?
Ich glaube, dass Kunst und Musik immer nur im richtigen Moment funktionieren. Es gibt Momente, da will ich keine melancholische Musik hören. Wenn ich aber abends in meinem Wintergarten eine Schachtel Zigaretten rauche, ein altes Fotobuch durchblättere und denke: "Boah, geil. Da komme ich her. Das haben wir alles gemacht." Dann passt auch mal Klassik. Und dann kommt plötzlich House oder Techno aus den Boxen und die Stimmung ist versaut. Musik funktioniert im richtigen Moment. Aber beides ist ja real. Highlife ist genauso real wie lowlife.

Eigentlich wünschen wir uns doch ein Leben in großem Glück, oder? Das muss dann auch eine bewusste Entscheidung sein. Ich bin eben nicht depressiv oder Opfer des Schicksals – meiner verkorksten Kindheit zum Beispiel. Wenn ich so von mir selbst spreche, habe ich mehr Handlungsspielraum.
Das Leben ist aber nicht planbar. Es ist eine Turbulenz. Schicksalsschläge sind nicht planbar und nicht immer etwas, aus dem wir direkt etwas Gutes machen können. Wenn einer von uns hier ausrutscht und morgen querschnittsgelähmt ist, ist da nichts Gutes dran. Das sucht man sich ja nicht aus. Du kannst zum richtigen Zeitpunkt am falschen Ort sein und andersrum. Alles dreht sich. Da haben wir alle keinen Einfluss drauf. Ich glaube schon, wir müssen selbst unsere Chancen ergreifen. Aber ob wir die Chancen auch kriegen, ist offen. Diese Kontra-K-Idee von "Erfolg ist kein Glück" ist aus der Perspektive eines weißen, männlichen, nicht behinderten, heterosexuellen Mannes in Mitteleuropa sehr einfach zu sagen. Ich weiß nicht, ob eine homosexuelle, körperlich beeinträchtigte Frau das in Somalia genauso sehen würde. Das meiste im Leben ist einfach nur Glück oder Pech.

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Und was ist das für ein Moment, wenn das große Glück kommt?
Dann nimmst du's oder eben nicht. Du kannst eine Million Mal die Liebe deines Lebens an dir vorbeilaufen lassen, weil du aufs Smartphone guckst. Oder du sagst einfach mal: "Hi. Darf ich dich mal ansprechen?" Das liegt einzig und allein in deiner Hand.

"Trinke nur noch Leitungswasser aus verkalkten Bleirohren
Und wenn dich ein Mädchen anspricht, öffne deine Schweißporen

– Danger Dan und NMZS auf "Schwarze Lunge Bruderschaft"

Sag mal: Wenn du die Erfahrung machst, dass jemand stirbt, der dir wichtig ist. Wie geht man damit um?
Im Normalfall sage ich nichts. Was soll man da groß sagen? Als Jakob gestorben ist, habe ich ungefähr zwei Tage nichts gesagt. Was soll man auch sagen? Da gibt's ja nicht viel zu sagen (lacht). Es ist gut, wenn man irgendwann die Sprache wiederfindet, aber das hat mich eher sprachlos gemacht.

Mir hat Meditation geholfen. Hast du Erfahrungen damit?
Ja, ich habe das mal probiert. Ich halte da auch viel von. Wenn man das gelernt hat, ist es richtig gut. Ich hab' das neulich mal wieder ein paar Wochen am Stück praktiziert. Ist ja auch kein Eso-Scheiß. Es ist ja auch möglich, losgelöst von allem spirituellen Brimborium zu meditieren und positive Effekte davon für sich zu nutzen. Das kann ich auf jeden Fall empfehlen. Aber es ist wie so vieles. Mit Rauchen aufzuhören wäre bestimmt auch total schlau [lacht], aber ich mach’s nicht. Regelmäßig meditieren wäre bestimmt auch total schlau, aber ich mach's nicht. Ich nehme mir die Zeit einfach nicht.

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"Ich weiß nicht, ob Schweigen und Stille so gut sind. Kampf und Schreien sind auch gut."

Ich meditiere schon ein paar Jahre regelmäßig. Es geht dabei ja unter anderem darum, das Gedankenkarusell, den "Monkey Mind" etwas zu beruhigen. Warum ist Stille eigentlich Gold und Reden nur Silber?
Ich hüte mich ja vor solchen Aussagen. Ich weiß nicht, ob Schweigen und Stille so gut sind. Kampf und Schreien sind auch gut. Alles hat einfach den richtigen Moment. Zur Ruhe und zu sich selbst kommen und sich auch fürs Nichtstun Zeit zu nehmen, ist auf jeden Fall gut. Aber in manchen Momenten ist es auch ganz falsch. Ich bin ja auch nicht ständig auf der Suche nach mir selbst. Ich such' manchmal auch einfach einen geilen Rausch. Oder ein abgefahrenes Adrenalinerlebnis. Risiko. Intensive Erfahrungen. Es kann auch geil sein, mal eine Kneipenschlägerei zu verlieren. Bringt einen auch wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Ich kann niemandem empfehlen, permanent zu meditieren. Das wäre dumm. Manchmal ist die Klappe halten gut, manchmal das Reden. Manchmal die Kontemplation, manchmal der Kampf. Gegen die Idioten aus Chemnitz werden wir nicht anmeditieren können.

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Ich wünsche mir einfach Alternativen, eine Erweiterung unserer schulmedizinischen Betrachtungsweise des Körpers und unserer Gesundheit.
Aber das ist ja nichts Spirituelles. Du musst da nicht mit Begriffen wie Geist arbeiten. Was ja spirituell meint – geistlich. Da gibt es auch einfach logische Erklärungen, wie und warum das funktioniert. Ich maße mir auch nicht an, dass ich alles naturwissenschaftlich belegt und erklärt haben möchte. Aber man braucht einfach nicht diesen esoterischen Überbau, um so etwas wie Meditation zu betreiben. Du kommst ja auch in ähnliche Zustände, wenn du joggst. Irgendwann nicht mehr nachdenkst, nur noch laufen, laufen, laufen. Für ein paar Minuten bist du frei. Von allem. Weil du nur noch läufst. Und mit SM-Praktiken kannst du auch ähnliche Effekte erzielen. Meditieren hilft bestimmt. Aber vielleicht hilft manchen Leuten auch dreimal die Woche eine gute SM-Session und sich mal ein bisschen auspeitschen lassen. Das befreit die bestimmt auch voll. Es geht ja eigentlich nur darum, das Hirn mal auszumachen.

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Danger Dans Soloalbum Reflexionen aus dem beschönigten Leben ist draußen und überall erhältlich.

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Ihr wollt auch mit Laurens reden? Dann könnt ihr ihn über mail[at]laurensdillmann.de kontaktieren.

Notrufnummern für Menschen mit Depressionen und anderen psychischen Notfallsituationen bieten Hilfe für Personen, die Unterstützung brauchen – oder sich Sorgen um einen nahestehenden Menschen machen. Die Nummer der Telefonseelsorge in Deutschland ist: 0800 111 0 111. Hier gibt es auch einen Chat. In dieser Liste sind bundesweite Anlaufstellen für Menschen mit Depressionen aufgeführt.

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