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Linus Volkmanns Umsturzprosa

Im Kommen: Der Penis in Musikvideos

"Wo der Schwanz übrigens kaum in einer Bildlichkeit existiert, ist HipHop." – Linus Volkmann präsentiert die attraktivsten Schwänze im Musikclip.

Foto: Screenshots von YouTube & Vimeo aus den Videos "Frittenbude - Wings (Official Video)" von Audiolith | "Schnipo Schranke - Pisse (OFFIZIELLES MUSIKVIDEO)" von Daniela Reis | "BRÅVES - Dust (Official Music Video) NSFW" von Bråves

Einige wenige, dafür aber über Gebühr rezipierte Musikvideos der letzten Zeit trauen sich, Nacktheit und Freizügigkeit mal nicht über den Frauenkörper zu erzählen. Plötzlich steht Penis im Raum. Linus Volkmann hat sich ans Gloryhole eines Trends begeben, der auch chauvinistische Routinen der Popindustrie in Frage stellt.

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VICE-Video: "Die erste realistische männliche Sexpuppe der Welt kommt"


"Was ist denn das schon wieder für eine sexistische Scheiße?!" Eher lächerlich aufgewühlt als cool zerreiße ich den Flyer, den mir dieser Typ gerade in die Hand gedrückt hat. Doch die große Konfrontation bleibt aus, seine Augen sehen mich bloß verständnislos an. Er versteht wirklich nicht, was mich dazu bringen kann, ihm nun Schnipsel seines Hochglanz-Zettelchens, das für eine egale Soulparty wirbt, vor die Füße zu schmeißen. Ich gehe einfach weiter, es bringt ja doch alles nichts.

Sexismus als ein Reflex des uninspirierten Popbetriebs

Die Geschichte besitzt streng genommen nicht mal eine Pointe, steht aber dennoch stellvertretend für die Titte in der Popkultur (frei nach Sonja Eismann, Mitbegründerin des Missy-Magazins). Denn auf dem Flyer zur Soulparty fanden sich als graphisches Element irgendwelche zufällig rausgesuchten Bilder von Frauen mit Afro und Seventies-Look und natürlich oben ohne.

Routinierter Rassismus wie Sexismus als öder Reflex im Alltag eines uninspirierten Popbetriebs – eigentlich lohnt es nicht mal, extra drauf hinzuweisen. Denn hey, heiße Miezen-Bilder mit Sepia-Filter gehören halt zur kommerziellen Clubkultur – genau wie der Umstand, dass solche Flyer mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf eine Handvoll Typen verweisen, die bei so einer Veranstaltung auflegen werden. Für Frauen bleibt immerhin die Rolle, mit ihrer Nacktheit das dazugehörige Werbematerial aufzuwerten. Wundert das noch einen?

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Man Boobs

Männer schmücken sich eben gern mit fremden Brüsten. Kontext im Zweifelsfall egal. Der aktuell diskutierte Begriff von Cultural Appropriation beziehungsweise Kultureller Aneignung ist also bezogen auf das Geschlecht schon seit Ewigkeiten ausgemachte Sache.

In meiner Zeit als Redakteur eines auflagenstarken Musikmagazins hatte ich irgendwann angefangen, all jene Albencover aufzuheben, die folgendes Kriterium erfüllten: Es handelt sich bei den Musikern ausschließlich um Typen und auf den Platten sind vorne dennoch Bilder von erotisch inszenierten Frauenkörpern zu sehen. Entweder verträumt, romantisch (Indie oder Pop), oder mit Dekolleté in Leder (Rock) oder im Dunkeln angeblitzt (Hipstergenres). Also "erotisch inszeniert" auf dem sterilen Fick-Level unzähliger Künstler, die sowas für eine gute Artwork-Idee halten, versteht sich. Nick Cave, quasi jeder HipHopper und andere Deiner Idole explizit inbegriffen.

Was ich mit dieser Albumcover-Sammlung bezwecken würde, war mir nur bedingt klar – und bevor ich einen konkreten Verwendungszweck für die freudlose Busen-Aneignung auftun konnte, hatte ich sie aus pragmatischen Gründen auch schon wieder aufgegeben. Begründung: Der immens große Karton fasste einfach nicht mehr all das minderbemittelte Material, das monatlich neu hinzukam. Außerdem dachten sicherlich alle Besucher, die versehentlich mal hineinschauten, ich würde im Büro gezielt auf Promos, also auf meine Arbeitsmaterialen, wichsen.

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Auf dem Herrenklo der Musikindustrie

Ich trauere dieser Stiege mackerigen Sondermülls in CD-Form nicht hinterher, denn da der (nackte) weibliche Körper ohnehin bloß die Tapete innerhalb der Popkultur darstellt, waren die dazugehörigen Plattencoverartefakte auch selten besonders aussagekräftig. Alles nur Hintergrundrauschen im Herrenklo der Musikindustrie. Wenn man wirklich etwas Spezielles zu dem Thema zusammensammeln wollte, musste in die entgegengesetzte Hose geschaut werden. Plattencover mit dem entblößten männlichen Körper, am besten gleich mit Penissen, setzte ich daher ab jetzt in den Fokus.

Die Wertigkeit einzelner Funde nahm dabei sofort zu, denn wenn es um das explizite Ausstellen des männlichen Körpers geht, gibt sich der sonst so busig lockere Popbetrieb überraschend prüde. Lauter Schwänze machen die Musik, aber in die Auslage halten will sie dann doch wieder keiner. Für die Cover, die ich zusammenkratzte, gestaltete ich damals sogar ein Album bei Facebook. Wobei ich mir ziemlich sicher bin, dass einen das hate-speech-durchwinkende Zuckerberg-Imperium dafür heute garantiert in den digitalen Knast werfen dürfte. Ich kam damit irgendwie trotzdem durch und förderte zauberhafte wie verstörende Exemplare zutage.

Wo das Ausstellen des weiblichen Körpers einen herrschenden werblichen Konsens abbildet, scheint der selten gebrauchte Penis dagegen sperrig, spröde und obszön. Man möchte ihn daher fast mit Kunst verwechseln. Aber auch nur fast. Schließlich stellt er auch einen Trigger für Opfer sexueller Gewalt dar und zudem ist das Phallische Prinzip ja kein utopisches Disneyland sondern eher allgegenwärtiges Mordor (Hashtag Herr der Ringe, ihr Penisse!).

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Wotan, das auf Kehle dressierte Glied

Wo der Schwanz übrigens kaum in einer Bildlichkeit existiert, ist HipHop – und das, während verbal so gut wie jeder Rapper seinen (vermeintlich) riesigen Molch rausholt. Doch weiter geht es nicht. Zu schwul, zu schrumpelig. Da lässt der realistische Rapper lieber Brüste auf seinem Covern für sich sprechen und im Video-Clip weibliche Unterleibe shaken. Sicher ist sicher. Eigentlich ist also die Muschi der Penis des Rappers. Kein Wunder, denn hart wie Stahl und gefährlich wie Wotan, der auf Kehle dressierte Kampfhund, kann sich das männliche Genital ohnehin nur in Form seiner überhöhenden Rap-Erzählung präsentieren. In echt ist es eher so, wie es Stefanie Sargnagel mal in einem Text über Hoden schrieb.

"Hoden sind wirklich das bedauernswerteste Körperteil, das ein Mensch besitzen kann. Vollkommen paradox, dass sie in der Alltagssprache so rüberkommen, als wären es gefährliche Bomben aus unverwüstlichem Stahl. Es sind hilflose, empfindliche, schutzbedürftige Pflaumen."

Schwanz im Kommen

Doch ganz so marginal und nutzlos sind Hoden und Penis in der Bilderwelt der Popkultur dann doch nicht. Zuletzt haben sich etliche Bands getraut, die Kamera draufzuhalten und damit mitunter virales Gold gediggt. Allen voran sicher die bis dato leidlich unbekannten Bråves, die sich 2016 mit "Dust" und dem Videoclip mit einem aus den Fluten aufsteigenden Überglied auf 2,6 Millionen Youtube-Klicks hochpenissen konnten. Das Nachfolge-Video – ohne full frontal male nudity – blieb danach lediglich bei dreiundzwanzigtausend hängen.

Nicht zu vergessen, welchen Impact seinerzeit das Glied-Video "Pisse" von Schnipo Schranke besaß. Fest steht, Musikvideos mit Schwanz sind im Kommen – sowohl im Großen (#riesenglied) wie auch im Kleinen (#mikropenis). Um nun in jenem prophezeiten Genitaltornado nicht die Nerven zu verlieren, seien hier mal einige bereits existente Beispiele aufgestellt. Gewöhnt euch einfach schon mal dran …

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Die acht attraktivsten Schwänze im Musikclip

Little Big –"Big Dick"

So geht's ja schon mal richtig gut los.

Braves – "Dust"

Gedanken von Männern beim Anschauen des Clips: "Könnte es sein, dass diese Größe eigentlich Standard ist? Wenn ja, habe ich eigentlich noch Zyankali im Haus?" Gedanken von Frauen: "Ach, sieh an!"

Schnipo Schranke – "Pisse"

Die ersten zwei Drittel des dramaturgiebefreiten Videos denkt man, "JAOK, schöner Song, aber wenn ich noch länger im Gegenlicht den beiden gelangweilten Frauen beim Frühstücken zusehen muss, raste ich aus. Moment mal, was macht denn jetzt der Typ da? Der wird doch nicht? Mein Gott!!!" [ab Minute 03:25]

Girls – "Lust for Life"

Auf den ersten Blick könnte man das heimelige Super-8-Feeling für die spießige Coolness-Simulation eines Mobilfunkanbieter-Clips halten. Aber die Schwänze erden die Sache. Das würde einem Vodafone nie zeigen, die verklemmte Bitch!

Peaches – "Rub"

Was man Oma zum Beispiel nicht sagen sollte, wenn sie am Weihnachtsmorgen anruft: "Kann leider gerade nicht sprechen, der Schwanz von dieser Chick ist in meinem Mund". [ab Minute 03:29]

Sigur Ros – "Gobbledigook"

Nicht auf Penis eingedampfte Nacktheit, dennoch werden diese paritätisch zu Busen und Muschis mittransportiert. Hier spielt dann doch der Kunstfaktor eine Rolle. Zumindest wirkt der Clip wie die Bewegtbild-Version von "Landschaft mit Badenden" von Otto Mueller.

The Joy Formidable – "The Last Thing on my mind"

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OK, jetzt ist der seidene Faden endgültig gerissen, an dem meine Heterosexualität hing …

Frittenbude – "Wings"

Der garantiert schönste Clip von Frittenbude wenn nicht von ganz Audiolith. Super Story, tolle Bilder und eben nicht der typische junge-Feiermädchen-plus-Konfetti-Cast. Der kurze Penis-Moment stellt dabei die perfekte Blaupause dar für den aktuellen Trend, einfach mal mit männlicher Nacktheit zu verwirren. Eine Schande natürlich, dass dieser kleine Augenblick reicht, dass Video hinter die Altersbeschränkung zu setzen. Youtube ist halt auch bloß ein peinlicher Dick. [ab Minute 03:13]

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Folgt Linus Volkmann bei Twitter: @LinusVolkmann

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