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Wie es wirklich am Freitag im Stade de France war

Während die Welt schon wusste, dass es Explosionen am Stade de France in Paris gab, waren die Fans im Stadion ahnungslos. Ein deutscher Fan erklärte uns, wie vergleichsweise cool die französischen Fans und Sicherheitskräfte reagierten.
Alle Fotos: Imago

Philipp, 26, studiert Politikwissenschaften an der Universität in Paris. Er ist Fußballfan und war am Freitag beim Spiel Frankreich gegen Deutschland. Als ich ihn per SMS fragte, ob er mir erzählen könnte, wie er den Abend erlebte, kam folgende Nachricht. „Können wir gerne tun! Ich würde mich später melden, gerade wurde meine Uni evakuiert und es herrscht etwas Panik gerade…mein Akku ist fast leer ich melde mich von daheim ja?". Philipp meldete sich und erzählte mir, wie er den Abend erlebte:

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Ich hatte gerade eine Vorlesung über amerikanische Diplomatie eines Ex-Botschafters. Ich studiere Politikwissenschaft. Wir hatten eine Schweigeminute. Kurz danach stürmte einer von der Security in den Klassenraum und hat uns gesagt, dass die Uni evakuiert werden müsste. Dann ging der Alarm los und wir sind alle raus. Im Endeffekt hat sich herausgestellt, dass irgendwer seine Tasche vergessen hat. Das zeigt ganz gut, wie blank die Nerven liegen. Es ist schwieriger, bei uns in die Uni zu kommen als in Luxusklubs.

Viele der Leute, mit denen ich studiere, waren am Freitagabend in der Innenstadt oder im Stadion. Bei ihnen kommen natürlich Erinnerungen hoch.

Beim Spiel war ich mit zwei Kumpels, beide Deutsche. Der Eine macht hier in Paris Erasmus, der Andere arbeitet bei Arte in Straßburg. Ich muss dazu sagen, dass meine Mutter aus Frankreich kommt und ich, seit ich denken kann, Fan der französischen Nationalmannschaft bin. Ich mag natürlich auch die deutsche sehr gerne und hab mich extrem auf das Spiel gefreut.

Ich habe dann meine Kumpels abgeholt, wir sind zum Stadion gefahren und es ging richtig gut los. Super Aufstellungen—ich glaube, im Fernsehen war das Spiel langweilig, wir fanden es herrlich. Die ganzen großen berühmten Spieler zu sehen, was sie machen, wenn sie den Ball haben und wie sie verschieben, wenn sie nicht den Ball haben. Das hat sehr viel Spaß gemacht.

Eigentlich wollte Philipp nur der französischen Mannschaft zujubeln.

Als die erste Explosion zu hören war, dachten wir, dass vielleicht ein Böller in den Katakomben gezündet wurde oder so. Natürlich denkt man ganz weit im Hinterkopf, dass es etwas Schlimmes sein könnte, aber im Endeffekt denkt keiner an eine Bombe. Ich habe auf die Security geschaut und die waren ganz ruhig. Auch nach der zweiten und dritten Explosion, die ganz ganz leise waren, hat sich nichts getan.

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Im Stadion hatten wir extrem schlechtes Netz, ab und zu kamen höchstens ein paar SMS an. Ab der 70. Minute haben wir vereinzelt Nachrichten bekommen. Aber im Stadion haben wir nicht wirklich was mitbekommen. Ich habe mich über zwei wunderschöne Tore der Franzosen gefreut. Das Spiel wurde ja auch zu Ende gebracht. Nach dem Spiel kam die Ansage, dass die Ausgänge teilweise zu sind aufgrund von Vorgängen außerhalb des Stadions.

Wir haben uns auch ruhig verhalten und gewartet, bis wir irgendwann gesehen haben, wie Leute, die schon draußen waren, ins Innere gedrängt sind. Ich hatte sofort Bilder von Massenpaniken im Kopf. Aber das Sicherheitskonzept hat blendend funktioniert. Die haben es super schnell geschafft, alle Leute zu beruhigen und die Leute aufs Feld zu führen. Alle haben versucht, ihre Angehörigen zu erreichen. Internet ging kaum.

Wir wussten nicht genau, was passiert war. Es gab nur Gerüchte von Explosionen. Wir haben in dem Moment nur versucht, Ruhe auszustrahlen und uns nicht von der Unruhe anstecken zu lassen, die teilweise um uns herum war. Pubertierende Mädels neben dir, oder Leute, die über das Geländer klettern. Es war unnötig, weil die Situation komplett im Griff war, aber man kann es den Leuten nicht wirklich verübeln, in einer solchen Situation emotional zu reagieren.

Nach etwa 45 Minuten sind wir dann geordnet durch die Westtribüne aus dem Stadion raus. Da wussten wir allerdings nicht so richtig, wo wir hingehen können. Der Zug nach Hause war gesperrt, wir sind erstmal eine Weile ziellos rumgelaufen. Überall waren Sirenen und Polizisten mit großen Gewehren. Alle haben sehr ernst gewirkt, aber du konntest zu jeder Zeit mit den Polizisten reden, die dir auch freundlich Auskunft gegeben haben. Wir haben dann nochmal eine weitere Stunde nach Hause gebraucht. Erst da konnten wir genau checken, was los war. Erst da ist uns bewusst geworden, dass der Abend ganz anders hätte ausgehen können. Ich wohne in der Mitte von drei Krankenhäusern und höre nur noch Sirenen. Die habe ich schon vorher gehört. Aber jetzt fallen sie mir ganz anders auf.