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Warum mich keiner meiner Exfreunde so enttäuscht hat wie Sean Paul

Ein Rückblick auf eine schwierige Jugendliebe mit dem Dancehall-Poptitan.

Fotos: Imago

Sean Paul war meine Einstiegsdroge, die mich tiefer in die Reggae- und Dancehall-Welt führte. Vorher war Reggae zwar immer gute Musik, aber irgendwie was für ältere Leute (meine Eltern) und allein deshalb schon ziemlich uncool. Als die Pubertät einsetzte, kaufte ich lieber CDs von Eminem, Tupac und Nelly. Wenn Freunde fragten, "Was hörst du so für Musik?", konnte ich mit "HipHop" antworten. Das war eine vorzeigbare Antwort. Etwa so, wie einige eine "Beziehung" in der sechsten Klasse führten, um besonders cool und reif zu wirken. Bis heute mag ich HipHop, aber naja … Er war eigentlich schon während unseres Techtelmechtels eher so der Friendzone-Typ. Und dann kam Sean Paul.

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Wolke Sieben

Sean Paul war meine erste große musikalische Liebe. Mit ihm war es irgendwie anders, er ging mir niemals auf die Nerven. Ich konnte mir mit 15 Jahren "Get Busy" oder "Like Glue" den ganzen Tag auf Repeat reinziehen und spätestens als ich das eher reggaelastige "Never Gonna Be The Same" hörte, war es vollends um mich geschehen. Manchmal sprang ich in meinem Kinderzimmer herum und versuchte, die Choreografien aus dem Video zu "Temperature" nachzumachen. Ich ging in die Hocke und schlackerte mit den Knien, was das Zeug hielt. Es war, als hätte ich erst jetzt erfahren, was verliebt sein eigentlich bedeutet: ein Wumm-Gefühl in der Magengegend, wenn das neue Video zum ersten Mal auf Viva läuft und Gänsehaut, wenn der Beat einsetzt. The Trinity war das Schlüsselalbum. Sean Paul sang "I'll Take You There" und ich wäre überall mit ihm hingegangen.

Bittere Enttäuschung

Mit den Jahren habe ich mich zwar etwas von Sean Paul entfernt, bin dem Dancehall aber trotzdem treu geblieben. Im Gegensatz zu mir nahm es meine Jungendliebe nicht so genau mit der Genre-Treue. Ich wurde noch nie betrogen, aber es fühlte sich ein bisschen so an, als mein "Sean da Paul" anfing, mit EDM zu experimentieren. Da merkte ich schnell, dass das mit uns einfach keinen Sinn mehr macht. Außerdem hatte sich auch keiner meiner Exfreunde äußerlich so verändert wie Sean Paul. Der wechselte synchron zu seiner Musik vom lockeren HipHop-Style zum aufgedunsenen Atzen mit Disko-Iro. 2012 war ich von einigen Releases so abgeturnt, dass ich ihn tatsächlich dafür hasste.

Tomahawk Technique war zum Verzweifeln. Die Antwort auf das "Warum nur?" lag auf der Hand: Sean Paul war im Mainstream angekommen und wollte im Mainstream bleiben. In Deutschland, Österreich und der Schweiz, war das Album zwar unter den Top 10, aber es gab keine Platzierung in den Billboard Charts. Der Dancehall-Superstar hatte mit dem Genre-Mixen anfangs wohl übers Ziel hinausgeschossen und damit nicht nur mein Herz gebrochen. "Got 2 Luv U" war zugegebenermaßen ein Hit, aber "Touch The Sky" ist nur Musik für die Fahrgeschäfte auf dem Oktoberfest.

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Zu meinen Sean Paul-Hoch-Zeiten war ich noch recht jung und ging nur zwei bis drei Mal mit mit meinen Eltern auf Reggae-Konzerte. Sean Paul wollten meine Eltern sich nicht geben. Als hätten sie etwas geahnt. Denn 2012 sah ich ihn dann endlich live auf dem dem Summerjam. Meine Erwartungen hielten sich wegen der vorigen Veröffentlichungen zwar in Grenzen, aber mit dem sich mir bietenden Schauspiel hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. Das Beste an Sean Pauls Show waren seine Backgroundtänzerinnen, er selbst wirkte eher wie ein Animateur, der ins Mikro ruft, um das Publikum mit irgendwelchen Gruppenübungen zu unterhalten. Dass Sean Paul nicht gerade der beste Live-Act ist, mag auch an seinem Asthma liegen. Aber die Vorstellung, dass tausende Teenies ihr Geld für diese Enttäuschung ausgeben, tut trotzdem weh. Ich habe damals nicht bis zum Ende durchgehalten und bin zu einer anderen Bühne gegangen.

Akzeptanz

Die Jahre 2011 bis 2013 waren eine Zeit der Trauer und des Abschieds. Ähnlich wie nach einer echten Trennung versuchte ich, Sean Paul ein wenig aus dem Weg zu gehen. Rückblickend gesehen hat er mit seiner EDM-Schiene aber die richtige Entscheidung getroffen. Er entwickelte sich eben weiter. Egal, ob "She doesn't mind", "No Lie" oder "Cheap Thrills" –  auf unzähligen Hits lässt er bis heute sein "Sean da Paul" raus und ist als Chartgarant-Featurepartner so gefragt wie vor ein paar Jahren noch Pitbull. Über die persönliche Enttäuschung bin ich inzwischen hinweg. 2014 begann ich ihn durch seinen Song mit Major Lazer wieder zu verstehen und seine Musik zu mögen. Zumindest im Radiokontext. Ich kann mich zwar nicht ehrlich freuen, wenn "Rockabye" auf einer Dancehall-Party gespielt wird (auf Dancehall Partys erwarte ich Dancehall in Reinform ohne weichgespülten Elektro und bin sogar von Major Lazer schnell genervt), aber auf jeder anderen Party ist das für mich ein Grund zum Abgehen. Auch "No Lie" ist nicht meins, aber schön wenn das anderen gefällt. Vielleicht lernen so mehr Menschen Dancehall kennen und lieben.

Es ist ein bisschen so, als würdest du deinen Ex zuerst hassen und ihm dann irgendwann von Herzen nur das Beste wünschen. Auch wenn er voll spießig geworden und für dich nicht mehr begehrenswert ist, ist es OK, was er macht. Reihenhaus, Bankerjob, und Gartenzwerge, das ist eben sein Weg. Und was er macht, macht er gut. Genau wie Sean Paul.

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