Rohrstöcke, Jeanshosen, manisches Essen: Hermes Phettberg ist eine Ikone der Wiener Schwulen
Bild: Kurt Prinz, ein guter Jeansboy

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Jesus Christus

Rohrstöcke, Jeanshosen, manisches Essen: Hermes Phettberg ist eine Ikone der Wiener Schwulen

Hermes Phettberg ist eine Ikone. Doch es geht ihm nicht gut.

Es geht ihm beschissen, als wir sprechen. Hermes Phettberg, der große Nackte, der große Geprügelte der Wiener Schickeria, der einst ein ganzes Land mit seinen Ideen verfettete und veränderte, sitzt jetzt zu Hause auf seinem Toilettenstuhl und scheißt. Man könnte es anders sagen, netter, sanfter.

Doch bei Hermes Phettberg liegen Lust und Schmerz immer besonders eng zusammen, Irrsinn und Brillanz, Schönheit und Ekel. Und es ist schwer über ihn zu reden, zu schreiben, ihm gerecht zu werden in Worten, die nicht seine sind. Am Telefon klingt der breite Wiener Dialekt noch etwas breiter, worin alles irre oder irre klug klingt und wir reden. Es ist mühsam. Seit seinen Schlaganfällen fällt es ihm schwer, zu sprechen. Er wiederholt sich, unterbricht sich, atmet tief. Er kann nur noch „raderechen", wie er sagt. Man muss geduldig sein. Denn sein Geist arbeitet gut. Sein Magen auch.

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Bild: Kurt Prinz

Bild: Kurt Prinz

Aus seinem Tagebuch:

M i t t w o c h
09.03.2016
23:21

Heute um 14 Uhr kam ich dann tatsächlich zum Interview vom „VICE Magazin Deutschland", ich saß gerade am Leibstuhl der Mama und aß mein Chili con carne. Oben rein, unten raus. Erbschaft ist schon was Schönes, denn wenn ich allein bin, und niemand hab, der mich zum Klo begleitet und mir dorthin Kaffee und Buttermilch und ordentlich viel Wasser bringt und dazu den Rest des Mittagessens und dazu ein bisschen Birne, oder Apfel, oder Schokolade, denn meine Peristaltik spürt sekundengenau, wenn's „losgeht". Wenn ich vom Mittagstisch zum Klo „sprinten" hätte müssen, hätte ich eine große Kotspur vom Esstisch zur Toilette hinterlassen, doch ich habe Mamas Leibstuhl geerbt, und kann daher bequem in den Leibstuhl gleich hineinkoten. „Vice" heißt ja, schlechte Gewohnheiten befeuern und jubilieren, aber leidergottes hat „Vice" mir keinen schönen photographierenden Jeansboy geschickt, um die Spur zu „unterlegen". Also setzte ich mich auf den Leibstuhl der Mama, und ließ mich interviewen, musste aber peinlich aufpassen, dass mir mein Handy nicht hineinfällt.

Ein paar Wochen zuvor waren wir an ihn herangetreten, an ihn, der über sich sagte, das Essen sei seine einzige Droge geblieben, trotz der Gier nach Aufmerksamkeit, trotz der Schläge, die er so genoss. Essen tröstet ihn. In den 90er Jahren, da war er groß geworden mit seiner Talkshow Phettbergs Nette Leit Show, in der er die Geschwätzigkeit der anderen Formate persiflierte. Davor hatte er sich in der Wiener Szene einen Namen gemacht: In der „Libertine Sadomasochismus-Initiative Wien" war er aktiv, betrieb die Gründung einer „Hochschule für Pornographie und Prostitution", zu der es nie kam, auch bei der „Polymorph Perversen Klinik Wien" spielte er seine Rolle.

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Bilder: Hermes Phettberg

Bilder: Hermes Phettberg

--- Original Message ---

From: Philipp Sommer
To: Hermes Phettberg Sent: Thursday, February 25, 2016 6:38 PM
Subject: Interview VICE Deutschland

Sehr geehrter Herr Phettberg, auf das „Sie" muss ich bestehen, fürchte ich, zu viel Verehrung. Wir würden uns gerne mal mit Ihnen unterhalten, über Essen, Ihre einzige Droge, wie Sie mal sagten. Wäre das möglich?

Vielen Dank, beste Grüße aus Berlin,

Philipp Sommer

--- Original Message ---

From: Hermes Phettberg
To: Philipp Sommer
Sent: Friday, February 26, 2016 6:52 PM
Subject: Re: Interview VICE Deutschland

Sehr geehrter Herr Sommer, niemals nichts mach ich lieber als Interviews! Dass Sie auf das „Sie" bestehen, gibt mir einen Augenblick, Ihr „Sie" als „Du" zu wissen. Egal, wann Sie kommen, Gumpendorf begrüßt Sie und „Vice"!

Meine beiden Telefonnummern: Mobil: 0676/xxx xx xx oder Festnetz: 01/xxx xx xx, aber bitte nie etwas auf den Anrufbeantworter sprechen, ich vermag ihn mir nicht abzuhören. Ergebenst, Ihr elender Hermes Phettberg

Doch spätestens nach 2007, als er einen weiteren Schlaganfall bekam, verlor die Öffentlichkeit das Interesse. Geprügelt wollte man ihn sehen, elend eher nicht. Also schuf er sich sein Publikum, er führt ein Tagebuch im Internet (die „Gestion"), er nutzt Twitter:

Da ist das Erzähltalent an der Leitung und das Interview ist nicht zu gebrauchen, zu mühevoll, zu isoliert. Es ist nicht mehr so, wie er 1996 bei Harald Schmidt saß, ihm ein „Rohrstaberl" mitbrachte und erzählte, dass er sich aus drei Jeans immer zwei schneidern lässt, sodass sie eng sitzen. Denn junge Männer in Bluejeans, die sind sein Engel. Also nicht das Interview. Das ist nicht weiter schlimm, wenn der Portraitierte so viel talentierter ist als der Porträtierende:

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--- Original Message ---

From: Philipp Sommer
To: Hermes Phettberg
Sent: Tuesday, March 12+15, 2016 6:54 PM
Subject: Re: Interview Vice Magazin

Sehr geehrter Herr Phettberg,

[…] Ich habe mich dagegen entschieden, das Interview als ein Interview zu bringen, sondern werde ein Stück machen. Ich fürchte, Sie sind bei jungen Lesern recht unbekannt, deswegen werde ich ein wenig mehr über Ihr Leben und Schaffen berichten und von Ihnen erzählen. […] Ich bin mir sicher, dass „Phettberg" zeitlos ist, weil er immer aus der Zeit fallen würde. Es ist etwas sonderbar, in den Gestionen als Figur/Anekdote/Bittsteller aufzutauchen.

Tagebuch ist ohnehin ein Format, das ich mag. Ich habe gestern Abend mit dem Chefredakteur über Sie gesprochen und habe mir gewünscht, „Phettberg" mehr & permanenten Platz auf unserer Seite einzuräumen. Er ist einverstanden und mag die schöne & einzigartige Stimme, mit der Sie sprechen. […]

Beste Grüße,

Philipp Sommer

--- Original Message ---

From: Hermes Phettberg
To: Philipp Sommer
Sent: Wednesday, March 16, 2016 7:44 PM
Subject: Re: Interview Vice Magazin

Herzlieber Herr Sommer,

Genosse Alighieri hat die Qual der Süchtys bestens notiert. Ob Hirschgeweihe oder Jeansboys, wer ausgegriffen werden muss und wer ausgegriffen werden will, sind zwei verschiedene Arten Trigonometrierungen.

Wenn du bettelarm bist, und keinen Stricher dir leisten kannst, ist all deine Sucht umsonst. Wenn Sie Worte in meinen Gestionsprotokollen finden, die Ihnen gefallen - alle meine Worte sind Diebesgut sowieso.

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Ergebenst,

Ihr elender Hermes Phettberg

Nicht nur, dass ihn sein Zentralnervensystem seine Karriere gekostet hat, es hat ihn auch sehr, sehr arm gemacht. Er lebt heute von der Sozialhilfe, er wird „besachwaltet" und das nicht nur finanziell, sondern auch emotional und auch körperlich. eze ist für ihn da, ein paar enge Freunde, die er „Nothelfys" nennt.

Phettberg ist der „Jeansboy", der ein Vielfraß wurde und dann spindeldürr, er verlor fast 100 Kilo nach den Anfällen, seine Haut hängt schwer an ihm herunter.

S o n n t a g
28.02.2016
08:14

Einmal träumte ich von meinem Sachwalter, der ab nun eine eigene Besachwalteten-Ernährungszeitschrift gründet, und ich bekam im Traum dafür, dass ich immer gestionierte, was ich gerade aß, ein unentgeltliches „Essen auf Rädern". Quelle: wahrscheinlich der Mann aus Berlin, der mich anmailte, er müsse mit mir per Sie sein, und mich für das Magazin VICE zum Thema „Essen" interviewen will. Einmal träumte ich von Vladimir Putin, dem russischen Alles-über-allem. Im Traum war er sehr kommunikativ mit mir und sagte, wie wichtig es ist, regelmäßig seine Körpersäfte zu entsorgen.

Überall ist er auf der Suche nach Trost, früher fand er ihn in seiner Geilheit, die existenziell war, weil sie in lebendig machte. Heute leidet auch noch seine Libido. Seine extreme Erregbarkeit war nicht nur körperlich, sie war es auch immer im Geiste. Es war eine Triebkraft in seinem Leben, die ihn das tun ließ, was er immer tat und was jetzt nur noch Fantasie oder Traum sein kann. Doch auch früher hatte er Schwierigkeiten. Nur sieben Mal hatte er wirklich Sex, sagt er. Nur durch Geld konnte er sich körperliche Zuneigung sichern.

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Um seine Seele, darum kümmerte sich lange die Kirche. Bevor sich Hermes Phettberg öffentlich fesseln und mit Ruten schlagen ließ, arbeitete er für die katholische Kirche. 1952 in kleinkatholische Verhältnisse in Niederösterreich hineingeboren, bildet er sich ständig theologisch weiter, und arbeitet dann als Pastoralassistent in der Erzdiözese Wien (1975–1979). Leid und Erlösung, das älteste Motiv seit Jesus, man findet es auch immer wieder bei ihm. Leiden unter seinem Äußerem, seinem Sadomasochismus, seiner Isolation, dem Verlust seiner Sprache; Erlösung über Anerkennung, Sex—und Gott.

Phettberg_3

Bild: Kurt Prinz, Jeansboy

M i t t w o c h
23.03.2016
08:40

Was ich von gestern auf heute geträumt habe, nach der Verdauung der Gnocchi, kann nicht viel gewesen sein: Ich hatte ein Wort mir gemerkt, aber dies verschlief ich mir dann wieder. Aber das, was ich nach der Verdauung des Jungschweinernem von vorgestern auf gestern (von Montag auf Dienstag) im Traum erlebte, war Heinz Conrads, der für mich Schuhe sammelte. Quelle: Denn im „Ö1"-Kulturjournal um 17.09 Uhr hörte ich das Gespräch zwischen Anselm Kiefer und Anton Zeilinger, wie die Gewaltigkeit des Teletransportatierens ist! Ein Philosoph und ein Künstler, die in Gott einen Weg sich denken. Ich muss ja zum 80. Geburtstag meines Bruders meine schönen neuen Schuhe anziehen, dazu brauch ich aber dringend einen Schuhlöffel, denn sonst komm ich nicht hinein. Wieder seh ich im Traum eine Art Mahnung, ja nicht zu vergessen, einen Schuhlöffel mir zu besorgen. Sir eze hat mir ja schon zwei neue schwarze Socken geliefert, jetzt fehlt mir nur noch der Schuhlöffel. Ich habe ja mein Leben lang alles von Heinz Conrads aufgesogen, was ich in Fernsehen und Radio erwischen konnte, quasi im Traum teletransportiert mit Heinz Conrads im Geiste. Anton Zeilinger sagte ja im Gespräch mit Anselm Kiefer: „Wenn ich das Wort ,Gott' nur erwähne, bin ich ,weg vom Fenster'." Am Abend dann kommen Apfelstrudi und der Photograph vom „VICE Magazin" abendessen und photographieren ins indische „Nam Nam". Das Teletransportieren hieße ja, dass zum Beispiel der Händler aus fremden Landen, der damals Jesus „das schwere Kreuz" tragen helfen musste, noch bei Bewusstsein und gegenwärtig wäre. Und ich könnte endlich den im Krieg erschossenen Vater meines Halbbruders Theo kennenlernen und umarmen! Oh Gott, oh Gott, gäbe es Dich doch!

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Das Essen, das ist sein Lebensbeweis. In seinem Leben ist Phettberg immer eine Zumutung gewesen, jeder seiner Sätze ist eine Prüfung. Es soll noch ein bisschen dauern, bis er verschwindet.

„Herr Phettberg, sind Sie ein schöner Mensch?"

„Ja … na ja … alle Menschen sind schön."

Hermes Phettberg isst: Der traurige Prinz.


Wir sind an dieser Stelle noch nicht fertig. Hermes Phettberg wird ab sofort einer der MUNCHIES Regulars—Menschen, die auf der Seite regelmäßig erscheinen werden, weil sie etwas zu sagen haben.