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Das wesentliche NEIN: Kindesmissbrauch in der Kommune

Der Film 'My Talk with Florence' thematisiert ein dunkles Kapitel der Mühl-Kommune ganz ohne einfache Moral.

Foto: ARGEkultur

Während seiner Auslands-Kindheit im Nahen Osten lernte der österreichische Regisseur und Autor Paul Poet schon früh den Krieg, gesellschaftliche Ausbeutung und die menschlichen Schattenseiten kennen. In seiner filmischen Tätigkeit widmet er sich heute mit Vorliebe provokanten, politischen Themen und schreckt auch nicht davor zurück, sexuellen Missbrauch auf die Leinwand zu bringen.

Gemeinsam mit Christoph Schlingensief feierte Paul Poet erste große Erfolge bei den Wiener Festwochen 2000 mit seinem Kino-Dokumentarfilm Ausländer Raus! Schlingensiefs Container. Der letzte Langfilm Empire Me – Der Staat bin ich, der selbsterklärte Königreiche, Piratenstaaten und neue Kommunen thematisiert, fand großen Anklang auf den Filmfestivals von Aubagne und Houston. Auch sein neuestes Werk, die Interview-Dokumentation My Talk with Florence, in der er vom schicksalsgebeutelten Leben von Florence Burnier-Bauer erzählt, ist bei prominenten internationalen Filmfestivals (u. a. Istanbul, Marseille, Lissabon, Haifa) vertreten.

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Im Zentrum des Films, der im Jänner 2016 in die deutschen und österreichischen Kinos kam, steht Florence—eine Französin, die in den 1980er-Jahren Zuflucht in der Kommune des Aktionskünstlers Otto Mühl im Burgenland gefunden hatte. Was sie dort vorfand, war aber weniger die freie und menschengerechte Gesellschaftsordnung, die Mühl mit seinem sozialen Experiment ursprünglich bezwecken wollte. Im Gegenteil.

Faschistoide Machtstrukturen, Kindesmissbrauch und fremdbestimmter Sexualverkehr prägten die Tagesordnung. Der zweistündige Dialog gewährt einen intimen und unzensierten Einblick in die Psyche einer Frau, die trotz des wiederholten Missbrauchs, der Demütigung, sowie psychischer und physischer Gewalt, stark geblieben und nicht daran zerbrochen ist. Es ist ein schonungsloses und auch warmherziges Gespräch über die Emanzipation einer Frau und ihres hart erkämpften Wegs, Nein zu sagen. Es ist auch eine Abrechnung mit Führerkult, mit faschistischen und ausbeuterischen Strukturen—und ein Zeugnis davon, wie diese Strukturen nach Kriegsende sogar in alternativen Lebensentwürfen weiterleben konnten.

Es ist eine filmische Lebensaufarbeitung, die von technischer Seite bewusst puristisch und improvisiert angelegt wurde, der aber eine intensive Vorbereitung unter Einbindung therapeutischer, schauspielerischer und theatralischer Mittel vorweg gegangen ist.

Das alles gibt Florences Erzählungen eine Tiefe und Ehrlichkeit, wie sie sie zuvor nie versprachlichen konnte. Ein Mittel dazu war dabei die von Otto Mühl perfektionierte Technik der Selbstdarstellung, die hier in direkter Folge gegen diesen selbst verwendet wird. Der puristische Interview-Film verleiht Florence, der selbst nach der gerichtlichen Verurteilung Otto Mühls niemand Glauben schenken wollte, eine beeindruckende Stimme.

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Fast genauso bewegt wie der Inhalt war auch die Entstehungsgeschichte des Films. Zur Fertigstellung und Verbreitung suchte der Regisseur Paul Poet um Förderungen an. Als Begründung bekam Poet laut eigenen Angaben folgende Auskunft: "Sie machen sich mit diesem Film zum Täter, weil diese arme Frau vor die Kamera gezerrt wird." Dabei sei der Film alles andere als Werbung für Kindesmissbrauch—eher im Gegenteil. Allerdings ohne mundgerechte Moral und dramatische Musik, um die Position klarer und den Inhalt leichter verdaulich zu machen.

"Florence ist zerrissen in ihrer Rolle, weil sie selbst ein misshandeltes Kind ist. Das ist es auch, was es für mich interessant macht, weil man nicht weiß, wo man moralisch steht", sagt Poet gegenüber VICE—und lässt nicht viel Gutes an der österreichischen Film(förder)landschaft, die mit Ambivalenz offenbar nicht umgehen könne.

"Unser Kino ist oft sehr TV-geprägt und in Richtung Jugendfreigabe bebravt, auf Tatort-Niveau und mit politischer Hörigkeit", so Poet. "Es geht gerne in Richtung Zucker-Arthouse-Kino, das randvoll mit emotionalen Triggern ist." Unbequeme Themen würden hier genauso ungern gesehen wie Filme, die sich nicht als "politisch willfährige Seifenblasen-Oper" eignen, sagt Poet weiter.

Dass der Film trotzdem auf Festivals Erfolge einfahren konnte und nun auch in heimischen Kinos gezeigt wird, ist gewissermaßen ein Wunder.

"Die Vergabe von Förderungen ist reines Zufalls-Roulette. Wenn man nachweisen kann, dass ein internationales Publikum Interesse hat, müsste das als Argument reichen und tut es in anderen Ländern auch. Bei uns regiert der missmutige Neidbeirat." Laut Poet werden nicht die diversesten Künstler gefördert—stattdessen würde sich solange gegenseitig niedergeprügelt, bis nur noch einer stehenbliebe.

Dass der Film trotzdem auf Festivals Erfolge einfahren konnte und nun auch in heimischen Kinos gezeigt wird, ist gewissermaßen ein Wunder und ein Zeugnis davon, dass man das Feld nicht den Bequemen überlassen darf. Oder wie Paul Poet sagt: "Seidl und Haneke sind auch nur da, weil sie hartnäckig geblieben sind."

Florence ist also vieles: Der Kampf einer Frau gegen einen Patriarchen und Peiniger, aber auch der Kampf eines Filmemachers gegen ideologische Bedrängung, wie Kino auszusehen hat—und am Ende auch gegen die Unterstellung, dass man einem (Kino)Publikum keine aufgeklärte Haltung und keine Filme ohne einfache Antworten zutrauen kann.