Die Logos der drei großen Plattenfirmen Warner, Sony und Universal als Collage; vor gut einem Jahr haben sie versprochen, insgesamt 225 Millionen Dollar für den Kampf gegen Rassismus zu spenden – aber wo ist das Geld geblieben?
Fotos: Getty | Bearbeitung: VICE News Design Team
Popkultur

Die drei größten Musiklabels wollten Millionen für den Kampf gegen Rassismus spenden. Was wurde daraus?

Universal, Sony und Warner haben bislang nur einen Bruchteil der angekündigten Summe ausgezahlt. VICE hat hinter den Kulissen recherchiert.
Drew Schwartz
Brooklyn, US

Am 3. Juni 2020 gab die Warner Music Group bekannt, dass sie über ihren neuen "Social Justice Fund", einen Sozialfonds, 100 Millionen US-Dollar an Organisationen spenden wird, die sich gegen Rassismus und für soziale Gerechtigkeit einsetzen. Wenige Tage später zog Warners Konkurrenz nach: Sony und Universal gaben bekannt, dass auch sie Spendenfonds von 100 Millionen, respektive 25 Millionen US-Dollar aufsetzen.

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Der Zeitpunkt war kein Zufall. Die Ankündigungen waren eine direkte Reaktion auf den gewaltsamen Tod von George Floyd und die anschließenden Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt. Warner, Sony und Universal standen unter immensem öffentlichem Druck, etwas für die Bewegung zu tun. Jedes dieser Unternehmen hatte seinen Betrieb für den "Blackout Tuesday" unterbrochen und Statements veröffentlicht, in denen sie ihre Solidarität mit der Schwarzen Community erklärten. Aber Schwarze Künstlerinnen und Künstler bei den sogenannten "Big Three", die zusammen 70 Prozent des Musikmarktes ausmachen, verlangten von ihren Plattenfirmen, dass sie einen Schritt weiter gehen.

Die Bekanntgabe der Sozialfonds bescherte den Unternehmen gute Presse. Aber weder die Artikel noch die Pressemitteilungen, auf denen sie basierten, gingen weiter ins Detail. Warner und Sony nannten keine einzige Organisation, an die sie vorhatten, ihr Geld zu spenden – Universal immerhin eine Handvoll. Kein Unternehmen ging darauf ein, wann genau die versprochenen Millionen rausgehen würden.

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Eine VICE-Recherche hat ergeben, dass heute, also ein knappes Jahr später, die Big Three nur einen Bruchteil des versprochenen Geldes gespendet haben. Warners Fonds habe bislang 5,2 Millionen Dollar ausgezahlt, hieß es vom Unternehmen auf Anfrage von VICE. Universals Fonds habe bislang "knapp fünf Millionen Dollar" gespendet, so teilt das Unternehmen gegenüber VICE mit. Und von Sonys Fonds seien bislang 25 Millionen Dollar ausgezahlt worden, heißt es vom Unternehmen auf unsere Anfrage.

Diese Zahlen, die die Unternehmen bislang noch nicht öffentlich gemacht hatten, lassen sich allerdings nur schwer verifizieren. VICE hat alle 312 gemeinnützigen Unternehmen kontaktiert, die Warner, Sony und Universal als Spendenempfänger angegeben haben. 51 von ihnen bestätigten, Spenden von den Plattenfirmen erhalten zu haben, nur 32 gaben an, wieviel Geld sie genau bekommen hatten. Das macht es unmöglich, die von den Unternehmen angegebenen Zahlen zu überprüfen. Und es zeigt, dass unser Wissen über die Spendenbereitschaft der Big Three quasi auf das beschränkt ist, was sie selbst bereit sind preiszugeben.

Eine Tabelle mit den Spenden, die Warner, Universal und Sony versprochen und ausgezahlt haben

Warner plant, die versprochenen 100 Millionen Dollar über einen Zeitraum von zehn Jahren zu spenden. Dieses Detail fehlte noch in der ersten Ankündigung, wurde dann aber neun Monate später in einer Pressemitteilung klargestellt. Auch auf Anfrage wollten Mitarbeiterinnen von Sony und Universal nicht mitteilen, wie lange es dauern wird, bis die von ihnen versprochenen Beträge gespendet sind. Sie beteuerten allerdings, dass sie in jedem Fall vollständig ausgezahlt werden. Die individuellen Spenden, die die Big Three bislang gemacht haben, reichen von 10.000 bis 1,5 Millionen US-Dollar – jedenfalls sind das die Zahlen, die wir von Empfängern und den Unternehmen kriegen konnten.

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Wenn ein Unternehmen ankündigt, dass es einen konkreten Betrag für einen gemeinnützigen Zweck spendet, gehen die meisten davon aus, dass es das bald tun wird – dass "das Geld schon unterwegs ist", wie es David Callahan ausdrückt. Callahan ist Gründer und Redakteur von Inside Philanthropy, einer Seite, die sich mit verschiedenen Aspekten rund um Spenden und Wohltätigkeit befasst.

"Die wollen im Eifer des Gefechts große Zahlen raushauen. Diese werden aber viel kleiner und handhabbarer, wenn man sie über einen größeren Zeitraum verteilt", sagt Callahan zu VICE. "Du hast die ganzen PR-Vorteile ohne die Kosten, was letztendlich das große Ziel unternehmerischer Wohltätigkeit ist: Krieg die meiste PR für die größte Zahl, die du nennen kannst. Je größer die Zahl, desto besser die PR. Und dann willst du diese Zahl mit so geringen Kosten wie möglich erreichen."

Auch wenn diese Praxis "irreführend" sei, wie Callahan sagt, ist sie nicht unüblich. Immer, wenn ein Unternehmen eine große Summe Geld für einen gemeinnützigen Zweck verspricht, gehen Menschen, die in dem Bereich der Gemeinnützigkeit tätig sind, davon aus, dass der Betrag über einen Zeitraum gespendet wird – typischerweise zwischen drei und fünf Jahren, so Callahan. Das mag eigennützig erscheinen – und zu einem gewissen Grad ist es das vielleicht auch –, aber laut Callahan braucht ein Unternehmen auch einfach Zeit, um das versprochene Geld auszugeben.

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"Praktisch betrachtet dauert es eine Weile, das Geld aus der Tür zu schaffen", sagt Callahan. "Wenn man Bewerbungen auf die Gelder akzeptiert, muss man einen Prozess dafür einrichten. Man muss sich die Bewerbungen anschauen und entscheiden, wem man das Geld spendet. Wenn du ernsthaft gemeinnützig tätig sein willst, kann das eine Auszahlung über einen längeren Zeitraum beinhalten."

Diejenigen, die an den Spendenfonds von Universal, Warner und Sony mitarbeiten, sagten gegenüber VICE, dass es gute Gründe dafür gebe, die Spenden über einen Zeitraum von mehreren Jahren zu strecken. Die stellvertretende Vizepräsidentin für Philanthropie und Social Impact bei der Sony Music Group, Towalame Austin, sagt, dass die Probleme, die Sonys Fonds zu lösen versucht, ein solches Vorgehen verlangten.

"Nachhaltige Arbeit benötigt Zeit."

"Dieses Problem der sozialen Gerechtigkeit ist systemischer Natur, und wir haben verstanden, dass hier ein langfristiges Engagement nötig ist, um eine Veränderung anzustoßen", so Austin. "Wir werden die Veränderung nicht über Nacht erwirken. Sony versteht das und hat sich verpflichtet, da dranzubleiben und dabei zu helfen, die Veränderung über die Jahre herbeizuführen."

Dr. Menna Demessie, die über den Fonds von Universal wacht, sagt, dass eine Beschleunigung des Auszahlungsprozesses am Ende schlecht für die Organisationen wäre, denen sie helfen wollen.

"Wenn wir unser Geld weggeben würden, nur um sagen zu können, dass wir es weggegeben haben, könnten wir unser eigentliches Ziel verfehlen, das darin besteht, die Community zu stärken", sagt Demessie. "Nachhaltige Arbeit benötigt Zeit. Wir wollen nicht, dass eine Organisation keine Chance auf Finanzierung hat, wenn sie sie am meisten braucht – und unserem Ziel entspricht."

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Yvonne Moore, die als Leiterin von Moore Impact Warners Fonds finanziell berät, sagt, dass der Fonds "nicht einfach nur Geld weggeben kann", um einen Unterschied im Kampf gegen Rassismus zu erwirken. Außerdem hieß es von Warner, dass man bislang zwar erst 5,2 Millionen Dollar gespendet habe, allerdings seien über 12,9 Millionen bereits versprochen. Die Organisationen, die das Geld erhalten werden, wissen also, dass es kommt.

"Wir reden hier über Rassismus und Machtdynamiken, die sich über Generationen erstrecken. Diese Arbeit reicht sehr tief und muss gut durchdacht sein", sagt Moore. "Im Bereich der Wohltätigkeit versuchen wir, Probleme in drei bis fünf Jahren zu lösen. So funktioniert das Leben einfach nicht. So funktionieren diese Probleme und Herausforderungen nicht."

Momentan haben die Big Three vielleicht nur einen Teil des versprochenen Geldes gespendet, aber bereits das hat einen Unterschied gemacht. Sonys Fonds habe dem Unternehmen zufolge Fördergelder an über 300 Organisationen vergeben. Warners Fonds habe laut Eigenaussage an bislang sechs Organisationen gespendet und vor Kurzem drei weitere Empfänger genannt. Universals Fonds habe Geld an über 100 Organisationen gespendet, heißt es vom Unternehmen.

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Keine Frage, bei den Spenden, die die Big Three bislang ausgezahlt haben, und den Millionen, die noch versprochen sind, handelt es sich um beachtliche Summen. Dennoch kritisieren einige das als zu wenig – gemessen daran, wie viel Geld diese Unternehmen verdienen.

"Alle drei Firmen hätten viel mehr spenden können", sagt Megan Ming Francis, eine Politikwissenschaftlerin an der University of Washington, die sich auf Wohltätigkeit, soziale Bewegungen und Rassismus spezialisiert hat. "Sie geben nur ein sehr kleines Stück von ihrem Kuchen ab."

Im Geschäftsjahr 2020 nahm die Universal Music Group etwa neun Milliarden US-Dollar ein, die Sony Music Group rund 8,6 Milliarden Dollar und die Warner Music Group 4,46 Milliarden. Die ausgezahlten Spendenbeiträge – Universals fünf Millionen, Sonys 25 Millionen und Warners 5,2 Millionen Dollar – betragen nur 0,05 Prozent, 0,3 Prozent und 0,1 Prozent der Einnahmen des Geschäftsjahres 2020.

Etwas gerechter wäre es natürlich, die Spenden der Big Three ins Verhältnis zu ihren Profiten zu setzen. Die geben die Unternehmen allerdings nicht so einfach preis. Für das Geschäftsjahr gibt es von den drei Firmen nur eine ungefähre Schätzung der Profite, der sogenannte EBITDA – der Gewinn vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen auf Sachanlagen und Abschreibungen auf immaterielle Vermögensgegenstände. Danach hat Universal etwa 1,8 Milliarden verdient. Die fünf Millionen US-Dollar, die das Unternehmen laut eigenen Angaben bislang gespendet hat, machen etwa 0,3 Prozent davon aus. Im gleichen Jahr gab Warner einen EBITDA von 837 Millionen US-Dollar bekannt. Die 5,2 Millionen, die Warner bislang gespendet hat, sind etwa 0,6 Prozent davon. Sony gab für 2020 keinen EBITDA an, aber dafür seine Betriebseinnahmen: 1,7 Milliarden US-Dollar. Die 25 Millionen, die das Unternehmen bislang gespendet hat, machen etwa 1,5 Prozent davon aus.

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Und dann sind da noch die Steuern. Nach US-amerikanischem Steuerrecht können Unternehmen bis zu zehn Prozent ihres zu versteuernden Einkommens pro Jahr durch Spenden abziehen. Kurz gesagt: Wenn ein Unternehmen 100 Millionen US-Dollar Einnahmen hat, aber 10 Millionen davon spendet, muss es nur Steuern auf 90 Millionen zahlen.

"Interessant ist hier, dass hinter diesen Headlines, die tolle PR sind, eine Menge Kleingedrucktes steckt. Es gibt keine Transparenz."

Durch diese Steuervorteile sind die Spenden tatsächlich kleiner als sie scheinen. "Es kostet vielleicht 70 Cent für jeden Dollar, um eine 100 Millionen US-Dollar Spende zu machen", sagt Phil Hackney, ein Dozent an der University of Pittsburgh School of Law, der sich auf das Steuerrecht für gemeinnützige Organisationen und Spenden spezialisiert hat. "Die Regierung zahlt in gewisser Weise mit, weil die Unternehmen das Geld nicht versteuern müssen."

Konkret heißt das: "Es kostet nicht 100 Millionen Dollar, 100 Millionen zu spenden", sagt Hackney. "Sie hätten 30 Millionen Einkommensteuern zahlen müssen. Also zahlen sie in Wahrheit 70 Millionen, aber 100 Millionen US-Dollar gehen an gemeinnützige Organisationen."

Über die Motivation der Unternehmen hinter ihren Sozialfonds lässt sich viel spekulieren – gute Publicity, Steuervorteile und so weiter. Bei den Menschen, die die Fonds leiten, ist die Sache eindeutiger: Sie wollen gemeinnützige Organisationen tatkräftig unterstützten und damit den Communities, denen sie dienen, weiterhelfen.

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Der Sozialfonds von Warner wird von einem 16-köpfigen Kuratorium überwacht, zwölf Mitglieder sind People of Color. Sie alle würden nicht extra für ihre Arbeit für den Fonds bezahlt, heißt es von einer Fondssprecherin. Die meisten seien außerdem Angestellte der Firma. Das Kuratorium habe sich von Anfang an einmal pro Woche getroffen, jede Woche, sagt Fondsberaterin Moore.

"Diese Menschen haben Vollzeitjobs. Den Fonds machen sie nebenher", sagt Moore. "Bei jedem Treffen versuchen sie, das Strafrechtssystem, Kunst und Aktivismus besser zu verstehen. Wie funktioniert es? Wie hebelt man es aus?"

Ähnlich sieht es bei Sonys Fonds aus, der größtenteils von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geleitet werde, die ebenfalls nicht extra für ihre Arbeit bezahlt würden, heißt es vom Unternehmen. Sony habe auf der ganzen Welt "Task Force Leaders" ernannt, die Organisationen identifizieren sollen, die Geld benötigen, sagt Austin, die Leiterin von Sonys Wohltätigkeits-Abteilung. Unterstützt von ihren Kolleginnen und Kollegen können diese Angestellten entscheiden, welche Organisationen Sony finanzieren soll.

"Das sind richtige Grassroots-Organisationen. Wir können noch mehr verändern, wenn wir diese Ebene finanzieren", sagt Austin. "Das sind die, die vor Ort die Arbeit in der Community machen."

Universals Fonds wird auch von einer Art Kollektiv mit über 40 Angestellten geleitet, die sich freiwillig für die firmeneigene Task Force aufstellen lassen haben. Die meisten von ihnen sind laut Task-Force Leiterin Demessie People of Color. Die Mitglieder des Kollektivs recherchieren eigenständig mögliche Empfängerorganisationen und stellen sicher, dass das Geld im Fonds auch bei denen ankommt, die es brauchen. So ist es auch bei den Fonds von Sony und Warner. Die Plattenfirmen haben bislang an eine große Bandbreite von Organisationen gespendet: Überschneidungen gibt es bislang nur bei sieben Organisationen, die Spenden von Universal und Sony bekommen haben, und einer, die von allen drei Geld bekommen hat.

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Keines der drei Unternehmen war dazu gezwungen, seine Angestellten über die Spenden der Fonds mitentscheiden zu lassen – oder überhaupt einen Fonds aufzusetzen. Man könnte sogar sagen, dass jeder Betrag, den diese Firmen an soziale Zwecke spenden – egal, über welchen Zeitraum oder wie klein er auch sein mag – uneingeschränktes Lob verdiene. Schließlich hätten die Plattenfirmen auch einfach gar nichts spenden können.

Aber laut Callahan von Inside Philanthropy war es für diese Unternehmen keine realistische Option, einfach nichts zu tun. Der Druck, dem sie sich nach George Floyds gewaltsamer Tötung ausgesetzt sahen – sowohl aus der Öffentlichkeit als auch von den eigenen Künstlerinnen und Künstlern sowie Angestellten –, machte die Fonds unausweichlich.

"Die US-amerikanische Öffentlichkeit sieht Unternehmen zunehmend als moralische Akteure mit Verantwortung", sagt Callahan. "Die informellen Strafen für Unternehmen, die bei großen sozialen oder politischen Themen hinterher sind, können hoch ausfallen. Besonders Plattenfirmen, die sehr jung und divers sind, was sowohl die eigene Belegschaft als auch ihre Kundschaft angeht, spüren das wahrscheinlich noch viel mehr."

Die Big Three haben durch ihre Sozialfonds eine Flut an positiver Publicity bekommen – und das zu einem gewissen Teil auch berechtigterweise. Das verdanken sie nicht zuletzt den hohen Summen, die sie in ihren Ankündigungen versprochen haben. Aber als sie ihre Fonds aufsetzten, sagte keines der Unternehmen, dass es Jahre dauern werde, bis sie das versprochene Geld auch gespendet haben. Selbst heute hat allein Warner einen konkreten Zeitraum genannt, in dem es den Fonds verteilen möchte.

"Interessant ist hier, dass hinter diesen Headlines, die tolle PR sind, eine Menge Kleingedrucktes steckt. Es gibt keine Transparenz", sagt Callahan. "Es lässt sich nur schwer sagen, was vor sich geht. Insofern diese Akteure aus gutem Willen heraus handeln und wirklich planen, das versprochene Geld wegzugeben, könnte es gute Gründe geben, das langsam anzugehen. Aber unterm Strich ist es so: Was die Öffentlichkeit denkt – nämlich, dass das Geld schon unterwegs ist –, ist definitiv nicht der Fall."

Aber auch Callahan wendet ein: "Wenn das Geld am Ende wirklich ausgezahlt wird, sind es immer noch 100 Millionen US-Dollar."

Jasper Craven hat an diesem Artikel mitgearbeitet.

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