Nach unserem Interview mit Marilyn Manson wussten wir nicht, ob er uns verarscht hat
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Nach unserem Interview mit Marilyn Manson wussten wir nicht, ob er uns verarscht hat

"Viele Bands, die Goth erfunden haben, haben sich meiner Meinung nach darüber lustig gemacht."

Öffentlich ist Marilyn Manson vieles: der selbsterklärte God of Fuck, Johnny Depps BFF und seit Ende der 90er das unangefochtene Schreckgespenst des Rock’n’Roll. Die wenigsten wissen allerdings, dass Manson auch ein einnehmender Gesprächspartner ist, der bei jedem Thema mit Scharfsinn und seiner … sehr eigenwilligen Art punkten kann.

Da Herr Manson nach seinem Bühnenunfall und der anschließenden Bein-OP das Haus hüten musste, hatte ich die Gelegenheit, ihn während seiner Genesung in L.A. anzurufen. Über eine Stunde lang plauderten wir über den cineastischen Fluss seines neuen Albums Heaven Upside Down, Aberglaube, die Mondlandung, astronomische Phänomene und darüber, ob er mit Makeup schläft oder nicht.

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Noisey: Hi, wie geht es dir?
Marilyn Manson: Es geht schon. Ich habe mir so eine Art provisorisches Krankenbett in mein Fernsehzimmer gestellt, damit ich nicht zu weit mit meinen Krücken in die Küche oder das Bad humpeln muss. Hier kann ich Filme schauen oder Bücher lesen. Leider befindet sich mein Schlafzimmer und alles Kreative oder Inspirierende einen Treppenabsatz entfernt und ist für mich aktuell nicht zu erreichen. Ich fühle mich also etwas eingesperrt und bekomme langsam einen Lagerkoller. Von meiner Operation letzte Woche habe ich noch zehn Schrauben in meinem Knöchel und eine Metallplatte. Das war eine unfassbar schmerzhafte Tortur für mich. Erst gestern habe ich mir ein Video von dem Vorfall angesehen.

Ich hatte Glück, dass mir die Bühnendeko nicht auf den Kopf gekracht ist, sonst wäre ich jetzt tot. Die Leute denken, ich hätte versucht, daran hochzuklettern, dabei habe ich das Teil sogar zurückgehalten. Es fing an, nach vorne zu kippen und ich habe dagegen gehalten. Blöderweise habe ich zu spät gemerkt, dass es zu schwer für mich ist. Dann hat es mir mein Bein an zwei Stellen gebrochen.

Autsch! Also dürftest du eine ganze Weile mit einem Gips rumrennen?
Ich hatte besagte Operation, um einen Gips zu umgehen. Anstatt der altmodischen Methode, bei der ein Knochen sich selbst repariert, habe ich mich für eine Metallstange entschieden. Die werde ich jetzt mein Leben lang behalten und einen Heidenspaß an jedem Flughafen haben.

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Wie sieht so eine Genesung in der Manson Mansion aus?
Ich habe meine zwei Kater und eine Leinwand für Fernsehen und Filme. Heute habe ich Mr. Robot geschaut.

Du bist also ein Katzenmensch?
Ja. Als Kind war ich ein Hundemensch, aber dann hat ein Nachbar meinen Hund umgebracht und das hat mir die Sache ziemlich versaut. Aber ich habe zwei Devon-Rex-Kater. Die Tiere dieser Rasse gelten als Clowns in Katzenkostümen. Sie sind extrem unruhig und unvernünftig, aber gleichzeitig sehr intuitiv. Die kommen hier rein und kümmern sich um mich. Wenn sie eine Band wären … Wären sie Liam und Noel Gallagher, wäre William der Leadsänger. Oder wenn sie Wham! wären, wäre William George Michael. Das heißt nicht, dass Rusty nicht talentiert ist. Er ist nur sensibler. Er hat bei Gruselfilmen schnell Angst, aber William sitzt auf meiner Brust, egal was ich gucke. Also ja, ich bin ein Katzenmensch.

Dein zehntes Studioalbum Heaven Upside Down ist gerade erschienen. Anfangs hieß es noch Say10 und auch der Veröffentlichungstermin wurde nach hinten verschoben. Was ist passiert?
Ich bin oft enthusiastischer, als ich es vielleicht sein sollte. Ich will dann unbedingt, dass etwas zu einem bestimmten Zeitpunkt erscheint, und wahrscheinlich verdränge ich damit auch die Zweifel der Plattenfirma, die sich erst mal fragt, wohin ich mit dem Album überhaupt gehen will. Ich hatte bereits sechs Songs fertig und war mir nicht sicher, ob es am Ende zehn werden. Das war bei dem Titel ja quasi Voraussetzung. "Say10" war definitiv der Song, der schon hervorstach, bevor wir überhaupt irgendetwas fertiggestellt hatten. Das war vor über einem Jahr. Aber ich glaube, alles passiert aus einem bestimmten Grund. Tyler Bates, der das Album produziert und die ganze Musik geschrieben hat, hatte andere Verpflichtungen mit Soundtracks.

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Ich persönlich hatte die Krankheit meines Vaters nicht vorausgesehen … Ich wusste nicht, wie schlimm es wirklich um ihn stand. Wir hatten also einige Hürden zu bewältigen. Ich sehe die aber nicht als Rückschläge. Sie haben mir mehr Zeit gegeben, das Album besser kennenzulernen und herauszufinden, was es noch braucht, um seine Geschichte zu erzählen. Heaven Upside Down, also das, was am Ende daraus geworden ist, basiert auf Konzepten von Yeats, Robert Chambers und Carcosa …

Carcosa? Wie bei True Detective?
Ja. In New Orleans habe ich den Großteil meiner Lieblingslieder aufgenommen. Und ich wusste genau, wo Carcosa war. Tatsächlich bin ich sogar, als ich auf Tour war, über den Zaun geklettert und dort eingebrochen. Ich wusste nicht, dass sie inzwischen Führungen anbieten. Es ist ein sehr dunkler Ort. Wenn du über etwas reden musst, dann vergiss Konzepte wie gut und böse oder das herkömmliche Moralverständnis. New Orleans hat etwas sehr Düsteres und Unheimliches an sich, was mich dazu bringt, einen Bogen um die Stadt machen zu wollen. Ich habe viele Dinge von dort. Irgendetwas an diesem Ort lässt sich nicht erklären. Er zieht die Dunkelheit an. Er gibt dir etwas, aber er nimmt dir auch etwas.

Antichrist Superstar wurde dort im Nothing Studio von Trent Reznor aufgenommen, oder?
Ja.

Praktizierst du in deinem Alltag spirituelle Riten oder bist du abergläubisch?
Hm … Ich weiß, dass manchmal elektrische Probleme auftreten, wenn ich einen Raum betrete. Das stimmt. Es ist wirklich komisch. Ja. Aber dann muss ich überlegen, ist das jetzt meine Seele, mein Wesen oder doch nur mein Fuß? Immerhin habe ich jetzt Metall in meinem Fuß.
Ich lebe außerdem in einem Haus, das einmal Bela Lugosi gehört hat, und besitze viele Sachen, die du besser nicht in einem Haus haben solltest, wenn du dir wegen solchen Dingen Sorgen machst. Ich tue das nicht. So lange mir etwas nicht schadet, habe ich auch keine wirkliche Angst davor. Wegen meiner christlichen Erziehung habe ich mich früher vor solchen Dingen gefürchtet. Jetzt glaube ich an alles, was ich erfahren und sehen kann. Und wenn es etwas gibt, das ich nicht erklären kann, macht mich das nur neugieriger.

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Ich glaube an nichts, solange ich nicht alle Fakten kenne, und ich glaube an nichts, solange ich es nicht selbst gesehen habe. Manche Dinge nehme ich auch einfach hin, wie du wahrscheinlich auch. Das Bild von der Erde vom Weltall aus zum Beispiel – dass die Erde so aussieht. Niemand von uns war im Weltraum, also wissen wir auch nicht, ob das stimmt. Wir machen einfach mit, weil es uns so gesagt wird.

Aber ohne jetzt in irgendwelche Verschwörungstheorien abdriften zu wollen frage ich mich bei so was wie der Mondlandung schon: Wenn Amerika damals mit so wenig Technologie auf dem Mond gelandet ist, warum sind wir nicht wieder dort gewesen? Es scheint mir unmöglich, dass es das erste Mal tatsächlich passiert ist.

Und es ist auch komisch, dass Menschen, die auf dem Mond waren, gar nicht so berühmt sind. Hier ein Beispiel: Wie heißt der Radrennfahrer, der Hodenkrebs hatte?

Lance Armstrong?
Ja. Er ist einmal zu meiner Show gekommen und ich habe ihn mit dem Astronauten verwechselt. Die meinten zu mir: "Lance Armstrong ist hier." Und ich so: "Der Typ, der auf dem Mond war?" Das ist wirklich so passiert.

Oh, was für eine Enttäuschung.
Das habe ich auch meiner absoluten Ignoranz für den Geschichtsunterricht in der High School zu verdanken.

Du bist ein wichtiger Grundpfeiler der Goth-Szene. Verstehst du dich selbst als Goth?
Wenn du dir Anfänge des Goth anschaust, dann haben sich viele Bands, die das Genre erfunden haben, meiner Meinung nach darüber lustig gemacht. Viele davon waren britisch und selbst ein Song wie "Bela Lugosi’s Dead" …. Und dann hast du Bands wie Alien Sex Fiend oder Christian Death. Ich weiß nicht, was alles unter den technischen Schirm von Goth fällt.

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Witzigerweise erinnert mich dein Song "Saturnalia" an "Bela Lugosi’s Dead". Ich meine das als ein Kompliment.
Danke. "Saturnalia" war der allerletzte Song, den wir aufgenommen haben. Gleichzeitig rotierten Mond, Saturn und Erde und das passiert nur alle 36 Jahre oder so, glaube ich. Und gerade diese Rotation war sehr besonders. Sie fing an, als ich auch anfing, den Song aufzunehmen. Das hat sich über zwei oder drei Tage gezogen. Tyler und ich arbeiteten daran und wir hatten die Beats und die Musik zusammen und ich wollte ihn mit nach Hause nehmen, um ihn dort hören.

Als ich ihn bei mir anmachte, stand schon fest, dass ich ihn "Saturnalia" nennen werde, wenn auch nicht aus einem bestimmten Grund. Ich wusste nicht, dass der Saturn die Erde umläuft. Das war nicht mein Grund. Es hatte mehr damit zu tun, worum es in dem Song geht. Du weißt schon, New Orleans und das Fest, bei dem die Jungen verspeist werden. Es geht auch um Saturnus, den Vater, der seinen Sohn verspeist, und den Ouroboros, der seinen eigenen Schwanz verschlingt. Solche Sachen. Und dann habe ich herausgefunden, dass Saturn die Erde in einer Weise passiert, wie er das nicht mehr getan hat, seit Dalí gestorben ist. Ironischerweise wollten sie in der gleichen Woche dessen Leiche exhumieren.

Und dann bekam ich einen Anruf, dass es um die Gesundheit meines Vaters schlechter steht, als er mir verraten hatte. Ich stellte also den Song fertig, der technisch auch die Arbeit am Album abschloss. Zwei Tage später bin ich dann nach Ohio geflogen und habe meinen Vater besucht. Ich sagte ihm Hallo und er ist in dann runter zu einer Art MRT. Als er wieder hochkam, hatte er einen Anfall und starb. Das war verdammt traumatisierend.

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Aber dann haben sie ihn wiederbelebt, was total durch war, weil es das Krankenhaus war, in dem er und ich auf die Welt gekommen sind. Ich glaube, dass er noch auf mich gewartet hatte. Am nächsten Morgen musste ich die Entscheidung treffen, ihn von den Maschinen zu nehmen. Ich fragte einen Arzt, ob mein Vater Schmerzen habe, und er antwortete "wahrscheinlich". Die Schwester meines Vaters, meine Tante, meinte, es wäre das Richtige gewesen, ihn gehen zu lassen.

Ich hatte das Gefühl, dass das in der Tradition dieses Songs war und das geht nicht durch bloßen Zufall. Es war Schicksal, dass eine Stunde, nachdem es passiert war, Saturn seinen Umlauf um die Erde vollendet hatte.

Es scheint mir sehr schicksalhaft, dass mein Vater mir seine Energie weitergegeben hat. Ich glaube, dass dieses Album dazu bestimmt ist, etwas sehr Besonderes für mich zu sein. Das ist nicht eine dieser Sachen, bei denen ich versuche, jemand anderes zu sein. Deswegen habe ich damals Marilyn Manson erschaffen. Ich mochte mich selbst nicht, also bin ich jemand anderes geworden. Jetzt muss ich damit weitermachen. Ich glaube, etwas wollte, dass ich dieses Album mache und nicht die Welt rette, keinen Aufruhr generiere oder darüber spreche, was in der Popkultur passiert, sondern jemand anderem etwas zum Nachdenken zu geben.

Du bist ein großer Film-Nerd. Gehst du deine Musik ähnlich wie einen Film an?
Wenn du einen Film guckst, dann gibt es eine bestimmte Szene, die einfach passieren muss. Die kommt nach "Saturnalia", der romantische Szene, in der die ganze Liebesgeschichte etabliert wird. Die nächste Szene ist die Actionszene und das ist "JE$U$ CRI$I$". Danach kommt der sensible Teile und dann der Teil, in dem die Figur im Film stirbt, die du wirklich liebgewonnen hast, und dann kommt der Teil, an dem du entscheidest, wie es weitergeht. Es ist in gewisser Weise eine klassische Liebesgeschichte mit einem tragischen oder fröhlichen Ende – je nachdem, wie du sie betrachtest.

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Wie das Leben halt.

Du bist anscheinend sehr erfahren mit Todesdrohungen. Hast du ein paar Tipps für unsere Leser, wie sie damit umgehen sollen?
Du zitierst meine Texte? Sehr gut. Sehr gut. Ich verrate dir mal was. Den besten Ratschlag hat mir mein Vater gegeben: "Sohn, wenn sie dich umbringen, werden sie dir das nicht im Vorfeld sagen."

Schläfst du jemals mit Makeup?
Ich schlafe oft mit meinem Makeup ein, aber nur weil ich so faul bin.

Als ich nach dem Unfall ins Krankenhaus bin, hatte ich diese schwarzen Streifen über meinem Gesicht, mit denen ich das Konzert angefangen hatte. Ich wollte sie abwaschen, aber hatte zu viele Schmerzen. Sie wollten die Hose aufschneiden, die ich anhatte, aber ich meinte: "Nein, nein! Ruiniert mir nicht meine Hose. Ich habe nur das eine Paar." Es kann sogar sein, dass ich immer noch etwas Makeup von New York drauf habe. Ich konnte seit meiner Verletzung noch nicht duschen oder baden. Also nicht richtig jedenfalls.

Abgesehen davon trage ich immer weniger Makeup, auch wenn es nach mehr aussieht. Ich trage zum Beispiel nicht mehr so viel Foundation, wenn du es genau wissen willst. Mir gefällt ein natürlicherer Look heute besser.

Und zum Schluss: Letztens feierte Antichrist Superstar seinen 21. Jahrestag. Irgendwelche abschließenden Worte?
Wow. Es ist 21. Dann kann es [in den USA] jetzt legal trinken. Ich werde mir eine CD suchen und sie mit Alkohol begießen.

Die letzten Termine von Marilyn Mansons 2017 Europatour:

29.11. - DUSSELDORF, DE @ MITSUBISHI ELECTRIC HALLE
01.12. - NANCY, FR @ ZENITH
02.12. - BRUSSELS, BE @ FOREST NATIONAL
04.12. - MANCHESTER, UK @ 02 APOLLO
05.12. - GLASGOW, UK @ 02 ACADEMY
06.12 - WOLVERHAMPTON, UK @ CIVIC HALL
08.12. - NEWPORT, UK @ NEWPORT CENTRE
09.12. - LONDON, UK @ SSE WEMBLEY ARENA

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