Männer und Jungen stehen in afghanischen Gewändern auf einem Mohnfeld und ritzen Samenkapseln an. Die Taliban haben die Opiumproduktion verboten, für den Westen könnte das ein Problem werden.
Auf einem Mohnfeld im Bezirk Kajaki in der afghanischen Provinz Helmand, 19. April 2022 | Foto: Elise Blanchard
Drogen

Warum das Opiumverbot der Taliban eine schlechte Nachricht für Europa ist

Wenn Heroin aus afghanischem Opium von den Straßen verschwindet, macht es Platz für einen noch schlimmeren Albtraum.
Max Daly
London, GB

Seit über 20 Jahren sieht der Westen die großflächige Opiumproduktion in Afghanistan als Feind: ein niederträchtiges Geschäft, das europäische Städte mit Heroin, Sucht, Verbrechen und Leid überzieht – und Afghanistan in einen korrupten Narco-Staat verwandelt hat. Aber jetzt, da die Taliban Hilfe im Kampf gegen die heimischen Opiumindustrie anfordern, wird dem Westen klar, dass uns genau das in weitaus gefährlichere Gefilde bringen könnte. Es droht eine weltweite Todeswelle ungeahnten Ausmaßes. 

Anzeige

Westliche Regierungen stehen vor einem komplexen Dilemma, aus dem es keinen guten Ausweg zu geben scheint: Unterstützen sie das Opiumverbot der Taliban, könnte das einen Bürgerkrieg und eine humanitäre Katastrophe in Afghanistan auslösen, mitsamt einer neuen Flüchtlingskatastrophe. Durch den Umstieg auf synthetische Drogen würde eine Opioidkrise drohen, die die Zahl der Todesfälle aus Nordamerika in den Schatten stellt. Bemühen sich die westlichen Staaten allerdings um ein Ende des Opiumverbots, würde die größte Heroinindustrie der Welt wieder wie gewohnt ihren Betrieb aufnehmen. 

Der Westen steckt im Zwiespalt. Die Vereinten Nationen warnen vor den "schwerwiegenden und weitreichenden" Konsequenzen eines Heroinengpasses, gleichzeitig geben sie Millionen von Dollar aus, um Afghanistans Bauern vom Schlafmohnanbau wegzukriegen.


Auch von VICE: Neues Super-Meth überschwemmt Deutschland


Bis zum Verbot 2022 lieferten Afghanistans Mohnfelder den Grundstoff für mindestens 80 Prozent des weltweiten Heroins. Seinen Ursprung hat der Anbau im Krieg gegen die Sowjetunion. Die sowjetischen Truppen zerstörten die afghanischen Felder. Eine der wenigen Pflanzen, die sich noch lukrativ anbauen ließ, war der Schlafmohn.

Bereits in den 1990ern überholte Afghanistan dann Länder wie Myanmar und das sogenannte Goldene Dreieck als größter Heroinproduzent. Opium rückte ins Zentrum der afghanischen Wirtschaft. Mittellosen Bauern sicherte der Mohn das Überleben, die Regierenden verdienten gut am Handel mit. Heute ist die afghanische Opiumindustrie geschätzte 1,68 bis 2,52 Milliarden Euro schwer, das sind neun bis 14 Prozent des afghanischen Bruttoinlandsprodukts. Sie versorgt rund 450.000 Menschen mit Arbeit. 

Anzeige

Nach dem 11. September 2001 begannen die USA ihren War on Terror in Afghanistan. Zunächst um die Drahtzieher der Anschläge aufs World Trade Center zu jagen, also Osama bin Laden und al-Qaeda, und die Talibanregierung zu stürzen, die diese beschützte. Bald geriet auch der afghanische Opiumhandel ins Visier des Westens, da man darin eine wichtige Ressource zur Terrorfinanzierung sah.

Seltsamerweise hatten die Taliban im selben Jahr die Opiumproduktion verboten. Infolgedessen war die hergestellte Menge von 3.276 Tonnen aus dem Jahr 2000 auf 185 Tonnen 2001 gefallen. Nach dem Sturz der Taliban im Dezember 2001, den das unbeliebte Verbot wahrscheinlich beschleunigte, erholte sich die Produktion schnell und kletterte 2002 wieder auf 3.400 Tonnen.

Ein Militärfahrzeug mit Soldaten vor einem blühenden Mohnfeld

US-Soldaten vor einem Mohnfeld 2006 in Helmand | Foto: John Moore/Getty Images

Obwohl allein die USA zwischen 2002 und 2019 rund neun Milliarden US-Dollar in verschiedene Projekte investierten, um die afghanische Bauern aus der Abhängigkeit vom Mohn zu befreien und bestehende Felder zu zerstören, erreichte die Produktionsmenge 2017 mit etwa 9.000 Tonnen einen Rekordwert und hielt sich generell auf einem hohen Niveau. 

Im August 2021 eroberten die Taliban Kabul, vertrieben die westlichen Streitkräfte nach 20 Jahren aus dem Land und erklärten Afghanistan erneut zu einem Islamischen Emirat. Im April 2022 verkündete der Anführer Hibatullah Achundsada ein striktes Verbot des Mohnanbaus und des Opiumhandels. Die Entscheidung begründete er mit den schädlichen Auswirkungen für das Land und der Unvereinbarkeit mit dem islamischen Glauben. 

Anzeige

Für die Mohnbauern kam das Verbot zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Nach dem langen Krieg waren viele verschuldet und seit der erneuten Machtergreifung der Taliban steht die afghanische Wirtschaft kurz vor dem Zusammenbruch. Im ganzen Land droht eine schwere Hungersnot. Laut dem Welternährungsprogramm lebt über die Hälfte der Bevölkerung unter der Armutsgrenze, mehr als ein Drittel ist von akuter Nahrungsknappheit bedroht. Eine exklusive Recherche unserer Kollegin Elise Blanchard zeigte vergangenes Jahr, dass die Bauern das strikte Verbot auch deswegen eher langsam umsetzten.

Spätestens seit diesem Juni ist aber klar, dass das Verbot im aktuellen Zuchtzyklus sehr erfolgreich ist. Die Opiumproduktion ist um rekordverdächtige 80 Prozent eingebrochen. Damit haben die Taliban erreicht, was dem Westen in 20 Jahren und mit vielen Milliarden Dollar nicht gelungen ist.

4 Satellitenaufnahmen, die den Rückgang des Mohnanbaus in Afghanistan zeigen

Dank des mit Waffengewalt durchgesetzten Verbots der Taliban und westlicher Förderprogramme für Bauern, die keinen Mohn anbauen, scheint die afghanische Opiumproduktion zum ersten Mal seit Langem bedroht zu sein. Damit würde ein alter Traum für europäische Regierungen und Strafverfolgungsbehörden in Erfüllung gehen. Seit der flächendeckenden Ausbreitung von Heroin in den 1980ern wünschen sie sich, die Droge von den Straßen verschwinden zu lassen. Hinter dem Ende des Heroinhandels lauert allerdings ein viel schlimmerer Albtraum. 

Anzeige

Rund zehn Jahre ist es her, dass mexikanische Kartelle begannen, das Undenkbare zu tun, und in Nordamerika Heroin mit Fentanyl zu ersetzen – wohlwissend, dass das einen erheblichen Teil ihrer Kundschaft töten würde. Das hochpotente synthetische Opioid war leichter zu importieren, herzustellen und zu schmuggeln als Heroin – und ließ sich obendrein zu gefälschten Arzneimitteln pressen. Die Einführung von Fentanyl in den nordamerikanischen Drogenmarkt führte zur tödlichsten Überdosis-Epidemie der Menschheitsgeschichte. Heute sind in den USA synthetische Opioide für etwa 70.000 der jährlich 100.000 Todesfälle im Zusammenhang mit Drogen zumindest mitverantwortlich. Auch in Kanada sind die Zahlen in die Höhe geschossen.

Auch wenn in den vergangenen Jahren in Europa immer regelmäßiger synthetische Opioide auftauchen, ist der Markt hier im Vergleich zu den USA noch sehr klein. Als ein Grund dafür gilt das Überangebot an afghanischem Heroin in Europa. Es hat sich für die Drogenbanden bislang einfach nicht gelohnt, auf synthetische Stoffe umzusteigen. Bislang.

Gedenktafeln mit Porträts, Namen und Alter von jungen Menschen

Die "Faces of Fentanyl"-Gedenkwand im Hauptquartier der US-Drogenbekämpfungsbehörde DEA in Arlington, Virginia 2022 | Foto: Agnes Bun/AFP via Getty Images

Es ist eine schreckliche Vorstellung, dass so etwas wie die nordamerikanische Opioidkrise die ganze Welt erfasst. In den USA gibt es etwa eine Million Menschen, die Opioide konsumieren, weltweit sind es schätzungsweise 30 Millionen. Die meisten davon leben in Armut.

David Mansfield ist einer der führenden Experten für den afghanischen Drogenhandel. Er hat im vergangenen Jahr mithilfe des Unternehmens Alcis, das Satellitenbilder auswertet, den dramatischen Rückgang der Mohnfelder beobachtet. Mansfield sagt, dass ein weitreichendes und anhaltendes Opiumverbot in vielerlei Hinsicht schlecht wäre. 

Anzeige

"Falls die Taliban das Verbot mehrere Jahre hintereinander durchsetzen, könnten die wirtschaftlichen Konsequenzen innerhalb Afghanistans eine humanitäre Katastrophe auslösen und zu einer großen Auswanderungswelle führen", sagt Mansfield. Menschen, die in Afghanistan arbeiten, haben VICE gesagt, dass seit dem Verbot zunehmend Mohnbauern mit ihren Familien an der Südwestgrenze des Landes auftauchen und einen Weg nach Europa suchen. 

Wie sehr das Verbot die Existenz der Menschen bedroht, zeigt auch der bewaffnete Widerstand, auf den die Taliban in einigen Anbaugebieten stoßen. In Nangarhar, im äußersten Osten Afghanistans, kämpft die örtliche Bevölkerung deshalb gegen die Taliban, in der nordöstlichen Provinz Badachschan hat die Opiumproduktion seit dem Verbot sogar zugenommen.

Durch das Verbot riskierten die Taliban "politische Instabilität und eine Erosion ihrer Macht", sagt Mansfield. In Regionen, in denen die Regierung historisch noch nie eine große Präsenz hatte, sei noch stärkerer Widerstand möglich.

"Der Teil unserer Bevölkerung, der Opiate konsumiert, ist momentan relativ stabil. Wollen wir wirklich den Geist aus der Flasche lassen? Falls sie das Verbot nicht aufrechterhalten, ändert sich natürlich nichts und der Handel läuft weiter wie gewohnt. Für westliche Entscheidungsträger ist es ein schwieriges Szenario, weil es einfach keine guten Optionen gibt", sagt Mansfield. Das geringere Übel sei für viele wahrscheinlich, den anhaltenden Strom von Drogen aus Afghanistan beizubehalten.

Anzeige
Männer in traditionellen afghanischen Gewändern schlagen mit Holzstöcken auf Mohnpflanzen ein

Sicherheitsleute der Taliban zerstören im April 2023 eine Mohnplantage in der afghanischen Provinz Kandahar | Foto: Sanaullah Seiam/AFP via Getty Images

Alles hängt davon ab, wie sehr die Taliban an dem Verbot festhalten – und warum sie es überhaupt erlassen haben. Für Talibanführer Hibatullah Achundsada hat die Entscheidung wahrscheinlich auch religiöse Gründe. Mansfield sagt allerdings, dass es in erster Linie ein politisches Manöver sein könnte.

"Politisch etwas versiertere Teile der Taliban sehen das Opiumverbot vielleicht als willkommene Ablenkung von ihrem Umgang mit Frauen", sagt er. "Sie präsentieren das Verbot als einen Gefallen für die internationale Gemeinschaft. Diese müsse dann bedingungslos Hilfeleistungen erbringen – ohne die Situation der Frauen oder die Menschenrechtslage im Land anzusprechen."

Eine Überraschung wäre das nicht. Bereits 2001 verfolgten die Taliban diese Strategie. Hassan Rahmani, damals Regionalgouverneur für Südwestafghanistan, sagte noch vor den Anschlägen in New York: "Die Taliban haben ihren Teil getan und die internationale Gemeinschaft sollte Politik und Drogen nicht miteinander vermischen. Dies ist eine humanitäre Angelegenheit. Wenn die internationale Gemeinschaft eine Drogenkontrolle in Afghanistan möchte, muss sie die Themen Politik und Drogen voneinander trennen. Weder die kurzfristige noch die langfristige Hilfe sollte mit Politik zu tun haben."

Es ist also nicht unwahrscheinlich, dass die Taliban das Verbot nur dafür nutzen, um die Gunst und die Hilfszahlungen des Westens zu gewinnen. Gleichzeitig können sie den Opiumpreis in die Höhe treiben, um schließlich das Verbot wieder aufzuheben und zu behaupten, der Westen hätte nicht genug geholfen. Antonio Giustozzi vom Verteidigungs- und Sicherheits-Think-Tank Royal United Service Institute geht außerdem davon aus, dass die Taliban das Verbot mit den Händlern abgesprochen haben.

Anzeige

"Es ist möglich, dass die Taliban die großen Heroinbanden an einem Tisch versammelt und sie vor dem Verbot gewarnt haben, damit sie mehr Heroin kaufen und einlagern können. Vielleicht haben sie ihnen auch versprochen, dass das Verbot in zwei oder drei Jahren wieder aufgehoben wird."

Alternativ hält Giustozzi es auch für möglich, dass die Taliban das Verbot einsetzen, um regionale Anführer um ihre Einnahmen zu bringen und sie zu schwächen. Damit könnten sie vor allem dann erfolgreich sein, wenn sie selbst alternative Verdienstmöglichkeiten bereitstellen. 

Generell sieht Giustozzi in dem Verbot eine potenzielle Win-Win-Situation für die Islamisten: "Es kann ihnen dabei helfen, Anerkennung und finanzielle Hilfe aus dem Westen zu kriegen, und gleichzeitig die Heroinpreise hochtreiben." 

Mansfield hingegen ist nicht der Meinung, dass das Verbot, so aufrichtig es auch sein sollte, für die Taliban oder das Land nachhaltig ist. Der finanzielle Schaden für die afghanischen Bauern und der bewaffnete Widerstand würden im Land zu spüren sein, lange bevor die westlichen Hilfsprogramme irgendeine Wirkung zeigten, sagt er.

Ein Mann mit weißem Bart sitzt auf dem Boden hinter Plastikbündeln mit einer braunen Masse

Ein Mann mit Opiumpaketen vor einem Laden im Distrikt Zhari der Provinz KANDAHAR in Südafghanistan am 24. APRIL 2022 | Foto: ELISE BLANCHARD

"In der kurzen Zeit, die für die betroffenen Bauern nötig wäre, lässt sich die Abhängigkeit des Landes vom Opiumhandel nicht lösen", sagt Mansfield. "Ohne erhebliche Gewaltanwendung oder große Auswanderungsbewegungen kann man das Verbot nicht aufrechterhalten." 

Anzeige

Außerhalb von Afghanistan werde man das Verbot allerdings erst mal nicht merken, sagt Mansfield. Die Opiumbauern haben in den vergangenen Jahren einen Überschuss produziert und ihn auf ihren Bauernhöfen vergraben. 

"Einige Bauern haben über 500 Kilo Opium versteckt", sagt Mansfield. "Als sich das Verbot vergangenes Jahr über WhatsApp bei den Bauern rumsprach, diskutierten sie vor allem darüber, wie man das Opium am besten einlagert. Einige Bauern haben dann lieber ihr Motorrad verkauft als das Opium, wenn die Frau krank war. Sie wissen, dass das Motorrad nur weiter an Wert verlieren wird, das Opium aber an Wert gewinnt." 

Generell lasse sich die Droge sehr gut lagern. "Ich kenne Leute, die Opium länger als zehn Jahre gelagert haben", sagt Mansfield. Auch die Händler haben wahrscheinlich Vorräte gehortet. "Wenn das Verbot ins zweite Jahr kommt, werden die sich die Hände reiben, weil die Preise dann noch weiter in die Höhe schießen." 

In Europa werde man die Auswirkungen des Verbots deswegen in frühestens ein oder zwei Jahren merken. Ein Wechsel hin zu synthetischen Opioiden steht dem europäischen Drogenmarkt allerdings laut Mansfield ohnehin vielleicht bevor – unabhängig davon, ob der Stoff knapp wird oder nicht.

Inoffiziell gilt der afghanische Opiumhandel für den Westen als eine Art notwendiges Übel, wegen dem Fentanyl und andere synthetische Opioide in Europa bislang noch Randerscheinungen sind. 

Anzeige

In den USA haben mexikanische Kartelle gezeigt, dass die goldene Regel des Drogenhandels "nur lebendige Kunden, sind gute Kunden" nicht mehr gilt, solange die Einnahmen stimmen. 70.000 Drogentote pro Jahr durch synthetische Opioide rentieren sich offensichtlich. Steigende Opiumpreise könnte eine ähnliche Entwicklung in Europa anstoßen oder beschleunigen. 

Auf dem Weg von Afghanistan in die Zielländer gäbe es genug Möglichkeiten, synthetische Opioide in das Heroin zu mischen. Mexikanische Kartelle agieren schon seit einigen Jahren in Europa. In den Niederlanden produzieren ihre Köche zusammen mit den örtlichen Verbrechensorganisationen Crystal Meth. Während der Corona-Pandemie haben die Chemiker auch ihr Wissen über die Fentanylproduktion verfeinert. 

Laut Harry Shapiro, dem Leiter der britischen Drogeninformationsstelle DrugWise und Autor von Fierce Chemistry: a History of UK Drug War, gibt es bereits synthetische Opioide auf dem europäischen und britischen Drogenmarkt. Er bezweifelt, dass das etwas damit zu tun hat, was gerade in Afghanistan passiert. 

"Meiner Meinung nach hat das mehr damit zu tun, dass sich die Händler und Chemiker anschauen, was in den USA passiert, und sich denken: 'Moment, wir können viel mehr Kohle machen, wenn wir synthetische Opioide verwenden, anstatt mühsam Heroin 7.000 Kilometer von Afghanistan nach Europa zu bringen. Wir können das Zeug quasi kochen, wo wir wollen.'" 

Anzeige

Einen Zusammenhang zwischen dem Opiumverbot und der Verbreitung synthetischer Opioide in Europa möchte Shapiro nicht ausschließen, aber für ihn sei es wahrscheinlicher, dass das Geschehen in Nordamerika das Geschehen hier mehr beeinflusst. 

"Aus einer Gesundheitsperspektive betrachtet, dauert es relativ lange, bis man von Heroin abhängig ist. Das passiert nicht über Nacht. Das Problem mit Fentanyl und verwandten Substanzen ist allerdings, dass man nicht etwa nach einem Schuss süchtig ist, sondern tot. Deswegen gibt es diesen starken Anstieg von Drogenüberdosen in den Staaten. Das Zeug ist verdammt potent." Die örtlichen Regierungen sollten alles tun, was sie können, um solche Zustände wie in den USA zu verhindern.

Ist es möglich, dass sich westliche Diplomaten aus Angst vor den Folgen einer drohenden Fentanylepidemie in Europa heimlich gegen eine Aufrechterhaltung des Opiumverbots aussprechen? Antonio Giustozzi, der Forscher aus London, hält das für unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich.

Trotz ihrer klaren Antidrogenhaltung wissen viele westliche Regierungen, dass die Sache nicht so schwarz und weiß ist. Eine von der britischen Regierung finanzierte Untersuchung in Afghanistan, Kolumbien und Myanmar hat gezeigt, dass der Drogenhandel bei allem Leid und Zerstörung, das er mit sich bringt, insbesondere armen Menschen in krisengeplagten Regionen Stabilität gibt und ihnen ein Überleben sichert. 

Bereits 2020 warnte Jonathan Goodhand, ein Dozent für Konfliktforschung an der SOAS University London: "Vereinfachte Narrative über Drogen als 'gut' oder 'schlecht' für die Bekämpfung von Armut sollte man mit Vorsicht genießen." Die Annahme, dass der Drogenhandel immer Frieden, Entwicklung und dem Überleben in diesen Regionen entgegenstehe, sei "zutiefst fehlerhaft".

Kinder auf einem Feld in einer kargen Landschaft

Kinder spielen im April 2022 neben einem Mohnfeld mit einem Beutel Opium | FOTO: ELISE BLANCHARD

Menschen, die im vergangenen Jahrhundert gegen Drogen wie Heroin oder Kokain gekämpft haben, wären wahrscheinlich schockiert, wenn man ihnen sagen würde, dass der Opiumhandel etwas Gutes sein kann – eine wichtige Bastion gegen eine weltweite Überdosisepidemie, an der jährlich Hunderttausende Menschen sterben könnten.

Wahrscheinlich ist das Opiumverbot der Taliban nur ein Ablenkungsmanöver und wahrscheinlich wird es nicht lange bestehen. Für Hunderttausende Menschen, Afghanistan und für die Taliban selbst wäre es ein Desaster. Die Islamisten dürften kein Problem damit haben, großzügig über ihre religiösen Prinzipien hinwegzusehen, sobald sie ihre politische Macht gefährden. Die Gefahr der synthetischen Opioide besteht in Europa auch ganz unabhängig von dem, was in Afghanistan geschieht.

Folge VICE auf Facebook, TikTok, Instagram, YouTube und Snapchat.