Drogen

Lustig aber falsch: So gefährlich sind unsaubere Polizeimeldungen

Ein öffentlich bekannter Club wird zum "versteckten Privatclub" und CBD zu "Drogen" – alles für die Likes.
Die Meldung der Polizei auf der ein sitzender Polizist zu sehen ist und in der die Polizei Berlin behauptet, einen versteckten Club gefunden zu haben
Ein Ausschnitt der Polizeimeldung von Facebook | Screenshot: Facebook

Die Berliner Polizei hat einen Treffer gelandet. Auf Facebook berichtete sie am Freitag von einem Fund in einem Geschäft unweit des Alexanderplatzes und einem dahinter versteckten Club. Darin fanden die Beamten laut der Meldung Waffen und Drogen. Viele der über 2.000 Kommentatoren gratulierten der Polizei zu ihrem großen Fang und machten sich über die dilettantischen Kriminellen lustig. Ein voller Erfolg also, aus Sicht der Pressestelle der Polizei.

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Ob die Polizei aber auch mit ihren Ermittlungen ins Schwarze getroffen hat, ob sich jeder aufgelistete Verdacht bestätigt, ist noch unklar und bei näherem Betrachten fraglich. Trotzdem klingt die Meldung so, als gebe es keinen Zweifel daran, dass hier ein Drogenumschlagplatz von bewaffneten Kriminellen ausgehoben wurde. Und das ist ein Problem.


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Journalisten dürfen in ihrer Berichterstattung niemanden vorverurteilen. Bis ein Urteil gefällt ist, schreiben sie von "mutmaßlichen Tätern" und nicht von "Tätern". Denn ob jemand schuldig ist, bestimmen in einem Rechtsstaat Gerichte. Nicht die Medien und auch nicht die Polizei. Wenn sie es trotzdem tun, verspielen sie das in sie gesteckte Vertrauen der Menschen und schwächen die eigene Institution.

Im aktuellen Fall schreibt die Polizei von "Drogen", die sie in dem Spätkauf gefunden habe, selbst in der Auslage. Und auch in dem "versteckten" Club habe sie Drogen sichergestellt. An insgesamt sieben Orten. Als Konsequenz ihres Ermittlungserfolgs rät die Polizei zu einem "Life-Hack": "Wenn Sie einen Kühlschrank zu einer Geheimtür umbauen, um damit den Zugang zu den Räumen eines dahinter liegenden Privatclubs zu verstecken – nehmen Sie ruhig etwas unauffälligeres als einen halben Kühlschrank mit halben Bierkästen im Inneren." Außerdem fanden die Ermittler laut der Meldung "Waffen": Einen Hammer, einen Baseballschläger, einen Teleskopschlagstock, drei Tierabwehrsprays und ein Reizstoffsprühgerät.

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Viele Kommentatoren lobten den "genialen Beitrag" der Polizei, "Gute Arbeit! Wieder ein Umschlagplatz weniger." Und auch der Bezirksbürgermeister von Mitte, Stephan von Dassel von den Grünen, nutzte die Chance auf einen Lacher. In einer Reaktion wünschte er allen Berlinern "schöne Überraschungen hinter den Türchen in ihren Adventskalendern - Kühlschranktüren sind dafür offensichtlich nicht geeignet." Wer würde schon daran zweifeln, dass die Polizei sich nur an Fakten hält?

Weiß man jedoch, worum es sich bei dem vermeintlich geheimen Club handelt, ergibt sich ein Bild, zu dem die Polizei wohl eher keine lustige Meldung verfassen würde. 

"Geheimer Club" existiert seit Jahren ganz legal

Auf den Fotos, welche die Polizei mit ihrer Meldung veröffentlicht hat, kann man unschwer den "Tatort" erkennen. Den Club "Diskothek Melancholie 2", bekannt für seinen Eingang im Kühlschranklook, gibt es seit mehreren Jahren – auch ganz offen auf Google Maps. Verwunderlich, dass die Ermittler der Polizeidirektion 5 am Alexanderplatz das offenbar nicht wussten. Und die als Waffen deklarierten Gegenstände kann man, so wie sie in der Meldung beschrieben werden, allesamt legal kaufen. Illegal wäre zum Beispiel ein "Reizstoffsprühgerät" dann, wenn ein Prüfzeichen der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt fehlt. Ob das hier der Fall war? Man weiß es nicht.

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Der Club veröffentlichte am Samstag auf seiner Facebook-Seite ein Statement zur Polizeimeldung. Demnach hätten "rund 25 Polizeibeamte" ein paar Stummel in den Aschenbechern gefunden, "in denen möglicherweise auch etwas anderes als Tabak war. Außerdem legales CBD, dass die Besitzer mittlerweile zurückbekommen haben". In den wegen Corona geschlossenen Clubräumen hätten sich zwei Auszubildende zum Veranstaltungstechniker befunden, die gerade einen Livestream vorbereitet haben.

Oft zeigen Polizeien in ihren Pressemitteilungen Fotos von Beweismitteln. Egal ob übereinandergestapelte Gewehre aus einer illegalen Waffensammlung oder ganze Cannabisplantagen in ehemaligen Weltkriegsbunkern. Die Berliner Polizei zeigt nur Fotos eines am Einsatz beteiligten Beamten und der falschen Kühlschranktür. Und das, obwohl es laut Pressemitteilung doch viel zu fotografieren gegeben hätte, dass für den Fall wirklich relevant ist. Und das den Betrachtern auf Facebook geholfen hätte, sich ein neutrales, unvoreingenommenes und sachliches Urteil zu bilden.

Unsere ausdrückliche Frage, ob die Berliner Polizei den Ton ihrer Meldung selbst für neutral und nicht wertend hält, lässt ein Sprecher unbeantwortet. Dafür bestätigt er, dass 26 Beamte, die zwar den Späti, jedoch nicht den dahinterliegenden Club gekannt haben, in den Räumen CBD beschlagnahmt hätten. Dazu weiteres "mutmaßliches Rauschgift", also nicht mehr unbedingt "Drogen" wie es die ursprüngliche Meldung behauptet. Die Polizei gehe weiterhin davon aus, dass der Verkauf von CBD als unverarbeitete Cannabisblüten mit unter 0,2 Prozent THC-Gehalt laut Betäubungsmittelgesetz verboten ist. Außerdem habe man "diverse Waffen und gefährliche Gegenstände beschlagnahmt und entsprechende Strafermittlungsverfahren eingeleitet". Detaillierte Angaben, sagt der Sprecher, könne die Polizei aufgrund laufender Ermittlungsverfahren nicht machen.

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Für diese Antwort nahm sich die Polizei bis Mittwochabend zwei Tage Zeit. Man müsse erst die Infos von den verschiedenen Fachbereichen einholen, bat ein Sprecher am Montag telefonisch um Verständnis. Am gleichen Tag aber veröffentlichte die Polizei ein Update zu ihrem Post, für das sie sowohl von Ermittlern des Kommissariats für Betäubungsmittel als auch dem Bezirksamt Mitte Infos eingeholt hatte. Dank letzterem wisse die Polizei jetzt auch, dass es sich um einen echten Club handele, heißt es in dem Update: "Bei der Vielfalt und den kreativen Formen der Berliner Clubszene zeigt dies: Man kann sie einfach nicht alle kennen. Anyway …"

Die Betreiber des Clubs dürften das wohl eher nicht mit einem lockerflockigen "Anyway…" abnicken. Schließlich konnte durch den ersten Post der Polizei für Tausende Facebook-User der Eindruck entstehen, ihr Club sei illegal.

Berliner Politiker: Polizeikommunikation ist vorverurteilend

Georg Kössler sitzt für die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus und kritisiert die Polizei für ihr Vorgehen. "Die Polizei Berlin zeigt erneut, dass sie für Klicks auch einen vorverurteilenden Schenkelklopfer rausballert. Das ist gerade angesichts der Debatte um die Rolle der Polizei in einer offenen Gesellschaft mindestens irritierend." Bereits im August hatte die Berliner Polizei eine Veranstaltung auf Twitter als "Fetisch-Party" bezeichnet und als illegal dargestellt – obwohl die Veranstalter ihrerseits betonten, dass die Veranstaltung nichts mit "Fetisch" zu tun gehabt habe und sie sich an alle Hygienevorschriften gehalten hätten. 

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Für die Menschen, die sich bei Twitter über die vermeintlich unverantwortlichen Fetischisten aufregten, war das jedoch irrelevant. Denn sie kannten ja nur die flapsig ins Internet formulierte Realität, welche die Polizei mit ihrem Tweet erschaffen hatte. 

Man kann nachvollziehen, dass die Polizei in den Sozialen Netzwerken ein kumpelhafteres, menschlicheres Bild von sich zeigen will. Wer etwas dagegen sagt, gilt schnell als humorloser Spielverderber. Mag sein. Aber spätestens dann, wenn man selbst einer Straftat verdächtigt wird, egal ob unschuldig oder nicht, sollte in einem Rechtsstaat jeder erwarten dürfen, dass die Polizei neutral darüber berichtet.

Auch Georg Kössler sieht Bedarf für eine neutralere Kommunikation der Polizei. "Als Abgeordnetenhaus unterstützen wir die Berliner Clubszene mit gezielten Schulungen für eine diskriminierungssensible Türpolitik. Vielleicht kann das Kommunikationsteam der Polizei dort noch mitmachen."

Update, 3.12.2020, 14:15 Uhr: Die Polizei hat den Originalpost einige Stunden nach Veröffentlichung dieses Textes von Facebook entfernt, "da sich die Hintergründe zu der Örtlichkeit inzwischen anders darstellen". Ob der Ton der Meldung vorverurteilend und Teile des Inhalts irreführend waren, hat die Berliner Polizei seit unserer Anfrage vom Montag – auch auf Nachfrage – noch immer nicht beantwortet. Die ursprüngliche Meldung findet man weiterhin im Bearbeitungsverlauf des Posts.

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