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dein sound andere ära

Ende der 90er ist Schluss mit lustig—Berlin Rap übernimmt

Während die Größen der restdeutschen HipHop-Szene zu den Majors überliefen, starteten Westberlin Maskulin und Aggro Berlin in der Hauptstadt eine Revolution.

Natürlich begann auch die Geschichte des neueren Berliner HipHop, der Anfang des Jahrtausends hierzulande zur wirtschaftlich und kulturell bedeutendsten Strömung aufstieg, schon ein paar Jahre früher, genauer gesagt im Jahr 1997. Es war genau dieses Jahr, in dem sich ein Großteil der damaligen Rap-Elite entschloss, ins kommerzielle Major-Lager zu wechseln und ihr Heil bei einer der großen Plattenfirmen zu suchen. War die Anfangszeit des deutschen HipHop Anfang der 1990er Jahre noch von quälenden Sellout-Diskussionen geprägt, obwohl es damals außer den Fanta 4 weder etwas zu sellen noch zu outen gab, entschlossen sich genau in diesem Jahr Protagonisten der Anti-Sellout Fraktion plötzlich zum Übertritt. Die Absoluten Beginner unterschrieben bei Universal und Cora E, die Vorzeige-Rapperin der True School machte ihren Deal bei der EMI klar.

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Fortan gab es kein Halten mehr. Die Massiven gingen zu East-West, der Freundeskreis mit Max Herre, ohnehin seit Anbeginn auf kommerziellem Erfolgskurs, war beim Klassenfeindlabel der Fantastischen Vier untergekommen, wobei Four Music wiederum relativ schnell in den Megakonzern BMG-Sony eingegliedert wurde. Mit anderen Worten: Der Traum vom eigenen Netzwerk, den die HipHop-Szene lange Zeit geträumt hatte, mit eigenen Strukturen, Labels und unabhängigen Absatzmärkten, war ausgeträumt. Das etablierte Musikgeschäft hatte gewonnen und signte in der Folgezeit alles, was nicht bei drei auf den Bäumen war. Es entbehrt tatsächlich nicht einer gewissen Komik, betrachtet man HipHop-Zeitschriften aus der Zeit um die Jahrtausendwende und guckt sich an, wer und was da alles ankündigte, die Raplandschaft übernehmen zu wollen. Da gab es Crews wie Hamburger Hill oder Moqui Marbles. MB1000 hatten einen, wie man raunte, gut dotierten Majordeal ergattert und Langweiler wie Dabru Tack, Illo 77 (der später ein Album mit dem appetitlichen Titel „Zurück wie verdautes Essen“ machen sollte) oder musikalische Rap-Katastrophen wie Nico Suave waren tatsächlich mal präsent. Nur in Berlin bewegte sich nichts. Die Hauptstadt, die immerhin mit breiter Brust von sich behauptete, durch ihre Breaker und Sprüher die Deutsche HipHop Landschaft maßgeblich mit beeinflusst zu haben, ging in Sachen Rap-Musik leer aus. Auch das ist heute schwer vorstellbar, aber Berlin war als Musikstandort nicht existent. Es gab keine großen Plattenfirmen in der Stadt, keine Büros, keine Netzwerke. Die A&Rs der Republik vertrieben sich ihre Zeit in Metropolen wie Köln, Hamburg, München, Stuttgart oder Frankfurt am Main, weswegen teilweise sogar Gruppen und Künstler aus Bayern ihre Chance erhielten. Man denke nur an einen Rapper wie Raptile, der sogar als englischsprachiger Deutschrap MC Platten verkaufen konnte.

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Berlin? Fehlanzeige. Zwar gab es etliche kleiner Versuche, im Musikbusiness Fuß zu fassen und sogar das Projekt, das legendäre Def Jam Label an der Spree zu etablieren. Doch der US-imperialistische Ableger Def Jam Germany scheiterte mit Karacho an der eigenen Arroganz seines CEOs Andreas „Bär“ Läsker. Der ehemalige Fanta Vier Manager aus Stuttgart und Mitbegründer von Four Music, bekannt für seinen ausschweifenden Lebensstil—Willsch au a Näsle?—beschwerte sich lieber über die Dummheit der HipHop-Gemeinde, die seiner Meinung nach ohnehin viel lieber Platten klauen statt kaufen würde.

Zwar hatte Def Jam Germany neben Phillie MC auch die Berliner Crew Spezializtz (alles mit Z schreiben ist sehr wichtig, übrigens) gesignt, doch waren diese mit der ebenfalls aus Berlin stammenden Formation Kinzmen Klick immer so etwas wie US-Importe in der deutschen Basketball Liga und so sahen sie auch aus. Bei der Kinzmen Click mit KC da Rookee und den Harleckinz stimmte alles: Vom Pelle Pelle-Karl-Kani-Outfit über den Haarschnitt bis hin zur Aussprache. Nur hören wollte das halt irgendwie keiner. Und dann kamen die anderen.

Die anderen waren Typen, die sich für Westcoast Underground Rap von CVE, den Living Legends oder Hieroglyphics interessierten, die sich ihre HipHop-Uniformen selbst zusammen gebastelt hatten und sich ebenfalls seit dem Jahr 1997 in einem Kellercafé namens Royal Bunker in der Mittenwalderstraße 43 trafen, um zu freestylen. Mit dabei auch ein Rapper namens JUKS, der schon seit Längerem als MC aktiv war und unter anderem mit dem englischsprachigen HipHop Act Walkin’ Large zusammen gearbeitet hatte.

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1997 konzentrierte er sich allerdings ganz auf seine deutschen Skillz und metamorphosierte sich langsam in den Rapper King Kool Savas, der zusammen mit Taktloss die Crew Westberlin Maskulin gründete. WBM war ein Schock. Zeilen wie „Eisenschwanz Tatkloss fickt die Hoes/ Mein Penis braucht Rostschutz bei den vielen feuchten Fotzen“ oder „KKS macht Gangsterrap mit Sinn/ Ich orientier' mich an Gewalt, Kool Savas ist der King, Ni**a/ Brave Hoes dürfen auch mal für mich strippen/ Ob früher oder später, du kriegst Samen auf die Lippen, Nutte/ Nix da einmal spritzen und dann fertig/ Kool Savas ist kein Horst, du musst blasen bis er leer ist“, hatte man bis dahin auf deutsch noch nicht gehört und manch einer hätte auch bezweifelt, dass das überhaupt möglich ist. War es aber.

King Kool Savas und Taktloss lieferten den Beweis und zeigten der übrigen Rapwelt, wo der Hammer hing. Als Teil der Untergrundformation Masters of Rap, etablierten WBM das Genre Battlerap in Deutschland, veröffentlichten die ersten Tapes und lieferten den Anstoß für die Gründung des Tapelabels ROYALBUNKER, das bereits 1998 mit dem ersten Sampler auf Kassette namens Berlin Nr.1 in Erscheinung trat. Fast zeitgleich erschienen dann auch die ersten Tapes der Basscrew, von denen heute noch die meisten der damals aktiven MCs am Start sind. Frauenarzt und Manny Mark mit den Atzen, Mach One oder auch Basstard sind nach wie vor im Game und was damals in der Gründerzeit ein unübersichtlicher Haufen an chaotischen Persönlichkeiten war, gestaltete sich später zu echten HipHop-Karrieren. Der blutjunge Sido kam mit seinem Kumpel B-Tight in das Freestylecafé und war Teil der Sekte, zu der später dann auch Rhymin Simon und Vokalmatador gehörten. Alleine Bushido war zu dieser Zeit noch nirgendwo zu sehen. Der produzierte lieber für sich alleine und veröffentlichte dann 2001 sein erstes Tape King of Kingz auf dem King Orgasmus One-Label I-love-Money-Records.

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Die Independent Idee von ROYALBUNKER, nicht länger auf die großen Plattenlabels zu warten, sondern seine Sachen selbst zu veröffentlichen, notfalls auch auf Kassette, hatte sich durchgesetzt und führte ebenfalls im Jahr 2001 zur Gründung des Labels AGGRO Berlin. Die Musik, die zunächst nur über einfache Mailordersysteme oder im Straßenverkauf erhältlich war, professionalisierte sich zunehmend und nach und nach begannen sich auch größere Firmen für das Berliner Rap-Phänomen zu interessieren. Als erstes meldete sich der Vertrieb Groove Attack bei ROYALBUNKER und veröffentlichte mit dem Label zusammen am 30. April 2001 das Album NLP von MOR. Ab da gab es den neueren Berliner Rap dann auch auf CD und Platte, was in der Folge auch zu massiven Spannungen innerhalb der Szene führte. So bezichtigten diverse Rapper von BC, allen voran Frauenarzt, MOR des Sellouts und veröffentlichten zusammen mit dem Rapper MOK das Album Fick MOR. Auch AGGRO Berlin hegte diverse Vorbehalte gegenüber ROYALBUNKER, stellte die Konkurrenz unter den Generalverdacht, nicht authentisch genug zu sein und war an der Finanzierung des MOK Albums beteiligt. Es begann ein Wettlauf darum, wer den realen (sprich: rielen!) Geist des widerspenstigen Berliner Raps wohl am besten verkörperte, wobei AGGRO Berlin mit Sicherheit aus wirtschaftlicher Sicht das Rennen für sich entscheiden konnte. Mit taktischer Cleverness, der Etablierung einer neuen Bildsprache und einer durschlagenden Marketingkommunikation prägte AGGRO (wohlgemerkt als Independentlabel) das Erscheinungsbild von deutschem Rap im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhundert. Noch heute ist der Einfluss des Labels auf die deutsche Raplandschaft zu spüren, schaut man sich das Auftreten nachwachsender Rap-Generationen an. Sei es das pöbelhafte Auftreten, sei es die Video-Ästhetik. AGGRO Berlin legte zweifelsohne das Fundament für all das, was heute unter dem Oberbegriff Straßenrap firmiert.

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Abgesehen davon, befand sich Deutscher Rap nach dieser fulminanten Independent-Gründungsphase ab Mitte der Nuller-Jahre auch in seiner schlimmsten Identitätskrise. Man vergisst das ja im Rückblick ganz gerne, aber ab ungefähr 2004 griff ein HipHop-Trend in Deutschland um sich, für den man das Wort Fremdscham hätte erfinden müssen, hätte es ihn nicht schon gegeben. MCs in Kleid-artigen 15-XL-T-Shirts, mit schief aufgesetzten Baseball-Kappen bevölkerten die Szenerie. Im ehemals eher undergroundigen HipHop-Mailorder-Shop MZEE gab es tatsächlich verchromten Plastikschmuck zu kaufen mit Glasperlen, die wie Diamanten geschliffen waren. MCs rappten nicht mehr, sie spitteten und verkünstelten sich in der Kunst des sogenannten arroganten Reimens („Crews weichen mir aus, deine Skills reichen nicht aus, 5 Riesen für ein Feature reichen nicht aus"). Neben Gruppen wie High Society und Künstlern wie Sentino oder Tai-Chi, verirrten sich auch etablierte MCs wie Kool Savas auf diese Abwege, wobei der sich immerhin echten Schmuck für 20.000 Euro und ein paar teure Autos leisten konnte. Der Rest der Bagage war Stammkunde bei Sixt. Setzt man die Geburtstunde von Rap in Deutschland ungefähr beim Jahr 1990 an, so durchlebte er in den Jahren ab 2004 seine heftigste Pubertät. Hin und hergerissen zwischen einer eigenständigen Identität und den amerikanischen Vorbildern war es ein einziges Auf und Ab, was Erscheinungsbild und die Qualität der Musik anbetraf. Das änderte sich dann erst wieder mit K.I.Z, die mit dem Rapdeutschlandkettensägenmassaker endlich den deutschen Humor erfanden und dem Deutschrap ermöglichten, das zu sein, was er immer sein wollte. „Fly wie ein Vogel, back, als wäre er gerade wieder gekommen und high wie ein Pilot“.

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Seitdem ist alles besser geworden oder um es mit den Worten von Cora E zu sagen: „Es wäre heut nicht das geworden, wär es damals nicht gewesen, wie es war.“

P.S. Der Verfasser ist sich vollkommen bewusst, dass er nur einen ganz speziellen Ausschnitt der deutschen Rap-Geschichte beleuchtet hat. So fehlen in seiner Darstellung zum Beispiel Künstler wie Samy Deluxe oder AZAD, die ebenfalls Anfang des Jahrtausend große Erfolge feierten. Auch beleuchtet der Artikel nicht, ob die Entstehung des härteren Straßensounds in Deutschland etwas mit den verschärften sozialen Verhältnissen zu tun haben könnte. Ein gern genutzter Begriff wie „Hartz IV" hätte ohne die Einführung von Hartz IV schließlich keinen Eingang in die Rap-Alltagslyrik gefunden. Diese Untersuchung würde der Verfasser allerdings gerne nachwachsenden Generationen von Soziolog_innen überlassen, die sich damit beschäftigen sollen.

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