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Verunsichert und alt—Wir waren bei einem Konzert von Deftones und Incubus

Nostalgie lässt uns alle zu Deppen werden. Vor allem auf Konzerten alter „Nu-Metal“-Bands.

Nu-Metal galt eigentlich von Anfang an als großer Witz. Aber sich an diese Ära zu erinnern, in der Fred Durst nicht nur als Gefahr für die Jugend galt, sondern auch Popmillionär und Vize-Präsident von Interscope Records war, ist schon faszinierend. Ich ging noch zur High School, als diese Musik den Höhepunkt ihrer Popularität erreichte und liebte einfach alles daran. Ich hatte wirklich das Gefühl, dass Songs wie „Break Stuff“ oder „A.D.I.D.A.S.“ den Höhepunkt einer musikalischen Revolution darstellen würden—dass diese Songs schon bald den Status von Rocklassikern erlangen würden. Natürlich lag ich damit total falsch und, obwohl es noch immer auf der ganzen Welt wütende Teenager gibt, die über wummernde Bässe rappen und / oder schreien, sollte dieses Genre die Musikwelt nur wenige Ozzfests lang dominieren. Deftones und Incubus galten aber, obwohl sie für immer mit Nu-Metal assoziiert werden, als die leicht sonderlichen Cousins dieser Musikrichtung. Während viele andere Bands voller Stolz ihre Rap-Einflüsse raushängen ließen, waren von Chino Moreno (Deftones) und Brandon Boyd (Incubus) so gut wie keine Rhymes zu hören. Zu den Ausnahmen gehören „Back To School“ von den Deftones, KoRns Cover des Ice Cube Songs „Wicked“ mit Moreno und das absurde Incubus-Cover des Big Pun Songs „Still Not A Player“, das auf der Loud Rocks Compilation zu finden ist.

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Ich habe diese Musik wirklich abgöttisch geliebt—die Betonung liegt an dieser Stelle allerdings auf der Vergangenheitsform. Heute kann ich nicht gerade sagen, dass mich das Zeug von damals noch übermäßig nostalgisch oder sentimental werden lässt. Ich war einfach ein stumpfer Teenager, der das Glück hatte, ein stumpfer Teenager zu sein, als stumpfe Teenager den Markt beherrschten. Es wird in der Geschichte wahrscheinlich nie mehr eine Phase geben, in der eine Band wie Limp Bizkit so erfolgreich werden kann, wie Limp Bizkit damals erfolgreich waren. Davon bin ich überzeugt. Nichtsdestotrotz habe ich das Zeug wirklich hoch und runter gehört—trotz meiner größten Bemühungen wird diese Musik und das ganze Drumherum also immer einen klitzekleinen Platz in meinem Herzen haben. Als bekannt wurde, dass Deftones und Incubus dieses Jahr zusammen eine Show spielen würden, fing ich schon bald im Internet damit an, Witze über einen eventuellen Konzertbesuch zu machen. Da aus Spaß schnell bitterer Ernst werden kann, fand ich mich plötzlich auf den Besucherrängen bei ihrer Show in Toronto wieder.

Schon beim Ticketkauf schwirrten mir viele Fragen durch den Kopf: Würden meine ganzen High School-Freunde auch hier sein? Wie viele Rage Against The Machine-Shirts sollte ich zu Gesicht bekommen? (Antwort: vier!) Würde die Musik auch heute noch funktionieren? Würde ich überhaupt noch irgendwelche Songs wiedererkennen? Immerhin haben beide Bands jeweils mindestens drei Alben veröffentlicht, die ich nicht gehört habe. Und kostet ein Bier tatsächlich unverschämte 11 Kanadische Dollar [7,60 Euro]? Während mein Fotograf sich im Internet darüber schlaumachte, wie seine Kamera eigentlich funktioniert, schaute ich mich auf dem Gelände nach Antworten um. Das Publikum sah nicht ansatzweise so fertig aus, wie ich erwartet hatte, aber ein Großteil davon schien in einer anderen Zeit hängengeblieben zu sein—um es mal nett auszudrücken. Ich habe nicht mehr so viele Cargo-Shots in Übergrößen, Ballonmützen, weiße Typen mit Dreadlocks und / oder Tribaltattoos an einem Ort gesehen, seit … nun, seit meinem letzten Deftones- und Incubus-Konzert. Die Musik selber befindet sich gerade in dieser komischen Übergangsphase, in der sie noch nicht wirklich alt genug ist, um als Classic oder Dad Rock zu gelten, aber dann doch zu alt, als das hier von zeitgenössisch oder aktuell die Rede sein könnte. Die Outfit-Wahl der Besucher spiegelte das jedenfalls ziemlich perfekt wieder. Ich hatte das Gefühl, eine Zeitreise in das Jahr 2000 gemacht zu haben.

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Deftones waren als erste dran und zum Glück sind sie immer noch eine verdammt gute Liveband. Als ich ihr musikalisches Schaffen noch aufmerksam verfolgte, war Chino ein kleiner Trinker und (angeblich) weißem Pulver nicht ganz abgeneigt—der Titel ihres dritten Albums, White Pony, soll ja schließlich auch eine Anspielung auf Koks sein. Ich war etwas schockiert, als sie mit dem Song loslegten, der auch ihr vermeintlich größter Hit war: „My Own Summer (Shove It)“. Ich erkannte das Lied nicht nur sofort, sondern konnte auch noch jede einzelne Textzeile auswendig. Das Set setzte sich dann größtenteils aus älterem Zeug zusammen, das ich kannte—was wohl auch so beabsichtigt war. Die vielen Jahre des gemeinsamen Tourens hatte die Band merklich tighter werden lassen und ihr Auftritt war energetisch und mitreißend—obwohl es 19 Uhr an einem Mittwochabend war. Nach einer gewissen Zeit wusste ich aber wieder, warum ich damit aufgehört hatte, diese Musik zu hören: Es ist einfach nicht schön, sich ständig anschreien zu lassen. Es ist zu laut und ich bin—so sieht es wohl aus—zu alt.

Incubus waren Headliner und ich hatte ihren unglaublichen Pop / Rock-Erfolg schon wieder verdrängt, den sie nach Make Yourself, ihrem dritten Album, gelandet hatten. Ich stand immer schon mehr auf ihre alten Sachen (und ja, ich habe mich gerade ein kleines bisschen erbärmlich gefühlt, als ich das geschrieben habe), die viele abgedrehter, lauter und stumpfer waren. Ich hatte auch total vergessen, wie krass die Frauen auf Brandon Boyd abfahren, der mit 39 auf der Bühne immer noch aussieht, sich kleidet und benimmt wie ein 25-Jähriger—sehr zu meinem persönlichen Missfallen angesichts meines eigenen Werdegangs. Aber hier soll es ja nicht um mich gehen. Von den 18 Songs, die sie gespielt haben, habe ich nur vier erkannt. Das ist aber wirklich meine Schuld und nicht die von Incubus. Sie hatten das Publikum ganz klar in der Hand und ich war einfach nur sprachlos. Nicht darüber, wie Incubus im Jahr 2015 ein Publikum so begeistern können, sondern darüber, wie komisch sich ihre Musik anhört. Mit komisch meine ich jetzt nicht, dass es irgendwie einzigartig, revolutionär oder anderweitig positiv war. Ihre Musik klang einfach nur wie etwas, das überhaupt nicht mehr in die jetzige Zeit passt—ohne aber in irgendeine andere Zeit zu passen. Sie war einerseits zeitgenössisch (ist sie ja irgendwie auch) und gleichzeitig veraltet (ist sie ja irgendwie auch).

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Es gibt wahrscheinlich keine einzige Band, die ihre Musik als „Deftones-mäßig“ oder „Incubus-mäßig“ beschreibt—abgesehen von Deftones oder Incubus-Coverbands. Mir fällt gerade kein einziger Musiker ein, der jemals eine der beiden Bands als Einfluss angegeben hat, aber nichtsdestotrotz ziehen sie noch immer scharenweise Fans an. Vielleicht ist auch gerade das der springende Punkt: Kritiker und Musiker wollen immer wissen, warum etwas „wichtig“ ist. Vielleicht macht aber genau die Tatsache, dass sie nicht wichtig sind, diese Bands so wichtig. Wenn eine von den beiden morgen ihre Trennung bekanntgeben würde, wären Fans auf der ganzen Welt ziemlich enttäuscht, würden aber wahrscheinlich auch ziemlich schnell wieder darüber hinwegkommen. Während des Konzerts wurde ich auch nicht gerade Zeuge totaler Ekstase oder lebensverändernder Erfahrungen—nein, das hier war mehr ein Haufen ziemlich normaler, leicht übergewichtiger weißer Menschen, die einen netten Konzertabend hatten. Und das ist durchaus etwas Gutes—wenn nicht sogar Tolles.

Am Ende wird wohl keine dieser beiden Bands in der Rock’n’Roll Hall of Fame einziehen. Ich habe keine Idee, wie das Radioprogramm aussehen wird, wenn diese Bands alt genug sind, um als Classic Rock durchzugehen, aber ich gehe mal davon aus, dass die Leute wahrscheinlich stattdessen einfach weiter die Beatles oder so hören werden. Es ist schon komisch, zurück auf eine solche Ära der Musik zu blicken, die aller Wahrscheinlichkeit nach schon bald in großen Teilen vergessen und, wenn doch, nur als Pointe eines dämlichen Witzes weiterleben wird—aber immerhin war es meine Pointe, verdammt! Obwohl das Nostalgiegefühl bei mir nach dem ersten Deftones Song schon fast wieder verflogen war, werde ich meinen Kindern wahrscheinlich zeigen, wie stumpf die Musik war, die ich als Teenager gehört habe—vielleicht auch einfach aus dem Grund, weil ich mir insgeheim erhoffe, dass sie 2035 den Nu-Metal der dritten Welle hören werden.

Adam Jackson weiß immer noch genau, wie viele „aahhh"s in Change sind. Folgt ihm bei Twitter—@adamjacksonreal

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