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Die Besucher des Glastonbury Festivals führen sich wie verwöhnte Einzelkinder auf

Dass inzwischen über 125.000 Leute die Petition gegen Kanye West als Headliner unterschrieben haben, ist Teil eines Problems, das die Musikszene schon immer verfolgt.

Es gibt das weit verbreitete Vorurteil, dass Einzelkinder verwöhnt seien. Besonders von Nicht-Einzelkindern wird das ständig betont und unmögliche Verhaltensweisen auf die Absenz der Geschwister geschoben. Aber natürlich wachsen auch Kinder, die mit Geschwistern großgeworden sind, zu verwöhnten Bälgern und anstandslosen Erwachsenen heran. Das Publikum des englischen Glastonbury-Festivals, welches wahrscheinlich gleichermaßen von Einzelkindern und Geschwistern besucht wird, ist der beste Beweis dafür. Denn ein großer Teil davon (ca. 125.000) führen sich auf wie—um das Klischee zu bedienen—die verwöhntesten Einzelkinder schlechthin.

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Nachdem die ersten drei Headliner für eines der größten Festivals Europas verkündet wurden, regte sich sogleich ein Aufstand unter den Besuchern, als hätte sie jemand von ihrem knallroten Bobbycar geschubst, auf dem sie gerade zum Sandkasten düsen wollten. Hätte das Glastonbury Acts wie Zabzarab oder diese andere Band, die niemand kennt, angekündigt, man hätte den Ärger noch verstanden. Schließlich zahlen alle sehr viel Geld für das fünftägige Festival im Juni. Aber die verkündeten Headliner für 2015 waren Kanye West, Lionel Richie und die Foo Fighters. Zweifelsohne keine kleinen Nummern, was Neil Lonsdale dazu bewegte, eine Petition zu erstellen, die dafür plädiert, Yeezy vom Lineup zu streichen und mit einer Rockband zu ersetzen. Inzwischen haben diese Petition über 125.000 Leute unterschrieben.

Auf dem Glastonbury sind jährlich ungefähr 150.000 Besucher, weswegen davon auszugehen ist, dass es (hoffentlich) einige Trittbrettfahrer in der Petition gibt, die Kanye West einfach nicht leiden können und gar nicht als Festivalbesucher betroffen sind. Dennoch ist diese Petition und die laufende Debatte darüber, ob es okay ist, Kanye West als Headliner zu buchen und was echte Musik ist und was nicht, ein Sympton eines Problems, das die Musikszene schon immer verfolgt: das rückschrittliche, konservative Denken von Musiknerds und nostalgischen Genre-Nazis. Hier ausgedrückt in einem quietschenden Kreischen eines verwöhnten Einzelkindes.

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Letztes Jahr erst gab es eine Petition, die Metallica als Headliner vom Festival verbannen sollte. Es ist offensichtlich schwierig, es den Glastonburys recht zu machen. Nicht zuletzt weil sie sehr verwöhnt sind mit ihren Line-Ups, die jedes Jahr in Europa ihresgleichen suchen. Von außen wirkt es allerdings so, als würde ein Teenager beim Supersweet 16 anfangen zu weinen, weil Papa den Mercedes anstatt den BMW gekauft hat. Wer auf ein Festivals in der 100.000er Größe geht, kann schlecht erwarten, dass es nerdig oder nischig zugeht. Außerdem: Nur weil Kanye West (oder Metallica) auf dem Line-Up steht, werden zudem nicht alle anderen Acts gestrichen. Natürlich ist es nicht jedermanns Lieblingsmusiker, aber darum geht es dem Veranstalter auch nicht. Natürlich könnten deine drei Lieblingsmusiker gemeinsam headlinen, aber das Leben ist nun mal kein Wunschkonzert.

Anscheinend soll Glastonbury ein Rockfestival sein, das auch einen Rockact als Headliner haben soll und nicht Kanye West, der nicht mal ein gewisses Level an Entertainment erfüllt (O-Ton der Petition). Die Line-Ups, die wir jedes Jahr auf diesem Festival stehen sehen, beinhalten allerdings auch Acts wie Beyoncé, Lana del Rey, Skrillex, Disclosure, Kelis, James Blake und hunderte andere Nicht-Rocker, die aber gut genug sind.

Man muss sich mal vorstellen, dass sich über 100.000 Leute darüber aufregen, dass der wohl bekannteste und innovativste Musiker der Zeit vermutlich eine Stunde lang auf einem Festival spielt, auf das sie weder gehen müssen, noch ruiniert wird, wenn ein Musiker, den sie nicht mögen, an einem Slot in den fünf Tagen spielt. Und dabei ist es ganz egal, was man von Kanye West hält und wie arrogant man ihn finden mag. Es kann wohl niemand leugnen, dass er einen Einfluss auf zeitgenössische Musik hat, ihn unfassbar viele Leute feiern, ob man nun selbst dazu gehört oder nicht und—vor allem—dass er entertaining ist.

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Das Festival, auf dem die Besucher jeden einzelnen Künstler auf dem Line-Up mögen, muss wohl noch erfunden werden. Das Festival, auf dem sich kein alteingesessener Genre-Nerd über neue Musik aufregt auch. Dass die Geschmäcker verschieden sind und wohl die wenigsten Veranstalter Nein zu Kanye West sagen würden, sollte auch dem Initiator der Petition klar sein. Stattdessen will er aber nicht teilen und anderen, die sich eventuell über Kanye freuen würden, dieses einmalige Erlebnis gönnen oder generös auf den Samstagabend Slot verzichten. Stattdessen schreit er.

Ich war noch nie auf dem Glastonbury Festival, aber mit Sicherheit können die Besucher in der Zeit, in der der schreckliche Kanye auftritt, auch eine andere Show sehen oder was essen gehen. Höchstwahrscheinlich wird die größere Hälfte der Besucher zu der Zeit sowieso nicht mehr Herr ihrer Sinne sein. Anstatt sich über die Headliner aufzuregen, sollten sie ihren Glastonbury-Geschwistern lieber einen Schritt entgegenkommen, denn mit Sicherheit gibt es genug Besucher, die die Yeezy-Show nur zu gern sehen würden. So ist das nämlich, wenn man auf ein Festival geht: Du hast plötzlich Geschwister. Die Veranstalter sind nicht deine Eltern, die sich ausschließlich um dein Wohlbefinden kümmern und sicherstellen, dass du fünf Tage lang auf dem roten Bobbycar sitzen kannst. Der Initiator der Petition wird das bestimmt auch noch merken. Zu seiner Verteidigung: Er war noch nie auf dem Glastonbury Festival.

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