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Interviews

Speedy J spielt nicht nach den Regeln

Techno-Talk mit einem Urgestein über Selbstläufer-Gerüchte um Cypress Hill und eine ziemlich ungewöhnliche Veröffentlichung.

Foto von Lars Borges

Producer/DJ Jochem Paap alias Speedy J ist bereits seit 25 Jahren im Geschäft und denkt noch lange nicht daran, der jüngeren Generation das Feld zu überlassen. Er spielt noch immer gnadenlos jedes Wochenende in irgendwelchen Clubs auf der ganzen Welt und triggert bei den Fußballfans in seiner Heimatstadt Rotterdam eine Ekstase, wie hierzulande Scooter oder die White Stripes. Nach dem Erscheinen der Software DAWs und Beatmatching-Programmen in den späten Neunzigern, hat er die Slipmats jedoch an den Nagel gehängt und gegen mehr Freiheit und Vielfältigkeit beim Mixen eingetauscht, wie er sagt. In diesen Tagen widmet er sich aber noch einmal auf ganz spezielle Weise der guten alten schwarzen Scheibe. Für den einhundertsten Podcast seines Labels Electric Deluxe schmeißt er nicht etwa nur eine dicke Party, sondern veredelt die bereits seit vier Jahren laufende Reihe mit einer Art „Best Of“ Ausgabe auf Vinyl, die sich aus acht Teilen zu je fünfzehn Minuten der bisher erschienenen Mixtapes zusammensetzt. Im Interview hat er mit uns über den Podcast, moralisch ethische Grenzen und das missverstandene Dasein eines Piraten gesprochen.

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Noisey: Heutzutage führt ja kein Weg daran vorbei, DJ zu sein. Du bist aber schon eine Weile im Geschäft. Wie bist du zum Auflegen und Produzieren gekommen?
Speedy J: Für mich ging das alles Mitte der Achtziger mit HipHop und Turntablism los. Ich konnte mich recht schnell auf nationalem Level etablieren und nahm an DMC Events teil. Zur selben Zeit hab ich mir auch ein Tapedeck und eine Drummachine gekauft und mit dem Produzieren von Beats für ein paar HipHop Crews angefangen. Nach einiger Zeit wurde mir Turntablism aber zu viel Zirkus. Der eigentlich musikalische Stellenwert schwand zusehends und schwankte immer mehr in so eine Akrobaten-Richtung um, die mir nicht mehr gefallen hat. Ich kehrte der Sache den Rücken und entdeckte schließlich elektronische Musik. Als circa 1988 erste House- und Techno-Platten in europäischen Plattenläden auftauchten, war ich sofort total fasziniert und änderte meine Produktionsabläufe mehr in diese Richtung. In den frühen Neunzigern entstand dann eine Connection zum Label Plus 8, das von Richie Hawtin und John Acquaviva betrieben wurde. Sie gaben mir die Chance, erste Tracks zu veröffentlichen.

In etlichen Artikeln über dich steht, dass du mit Cypress Hill oder Henry Rollins zusammengearbeitet hast. Wie kam das denn zustande?
Ich habe nicht wirklich mit ihnen zusammengearbeitet, sprich sie produziert oder so. Wir haben bloß auf der selben Tour gespielt. Das ist irgendwie so ein Hoax, den jemand vor Jahren mal ins Netz gestellt hat und der von Journalisten einfach übernommen wurde. Das ist zum Selbstläufer geworden, den jetzt alle für bare Münze nehmen.

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Mit Depeche Mode hast du allerdings zusammen gearbeitet.
Ja das stimmt. Ich habe für die einen Remix gemacht und auch für andere größere Künstler wie Björk zum Beispiel.

Hast du die eigentlich auch persönlich getroffen oder lief das nur über Email ab?
Ja alle von denen. Ich traf Björk, als ihr erstes Album veröffentlicht wurde. Ich war Teil der Tour und habe als Support Act gespielt. Depeche Mode habe ich bereits ein paar Mal getroffen, da sie genau wie ich auf Mute Records unter veröffentlichen. Also sahen wir uns ab und an zu Anlässen wie Labeldinners oder auf dem Sonar in Barcelona. Ich habe aber nicht mit ihnen im Studio gearbeitet. Sie haben mir bloß die Samplefiles der Originalversion zukommen lassen.

Mitte der Neunziger bist du mehr in Bereiche experimentellerer elektronischer Musik eingetaucht. Bist du darüber dann bei der Filmmusik gelandet?
Für mich geht es beim Produzieren von Techno allgemein nicht nur darum, den funkigsten Track rauszuhauen, um die Hände der kreischenden Meute auf der Tanzfläche in die Luft schnellen zu sehen. Ich will auch Atmosphären kreieren, die eine ganz andere Ästhetik versprühen und nicht nur den Dancefloor füllen. Wenn ich mich bloß noch auf die Ästhetik fokussiere, ende ich mit ganz anderen Ergebnissen, die sich vielleicht mehr nach Industrial oder Drone anhören. Im Prinzip mache ich dasselbe wie bei einem typischen Technotrack, nur lasse ich die Tanzbarkeit einfach weg. Das war so der Grundgedanke, dem ich zu dieser Zeit verstärkt nachgegangen bin. Und klar, funktioniert diese Musik sehr gut mit visuellen Medien wie Filmen, experimentellen Video-Cuts oder Werbung. Das habe ich zu dieser Zeit ausgetestet, allerdings um meinen eigenen Anspruch zufriedenzustellen und das Verlangen danach, etwas Neues auszuprobieren.

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Um welche Filme handelte es sich denn eigentlich? Kannst du da Beispiele nennen?
Ein Film hieß „Souvenir“ von Michael Shamberg aus dem Jahr 1996. Dann habe ich noch eine Menge Art-House Movies für ein eher alternatives Publikum vertont. Ich habe viele dieser kleineren Arbeiten gemacht, also zum Beispiel eine urbane Geräuschkulisse erstellt oder dergleichen. Und dann hab ich noch einige Bumper vertont. Bumper sind diese kurzen Einspieler von zum Beispiel Dolby Digital, TXL oder ähnlichem. So richtig da reingerutscht bin ich aber eher zufällig. Sobald du etwas in der Richtung gemacht hast, wirst du natürlich zur Premiere eingeladen und triffst eine Menge anderer Leute und kommst über ein paar Ecken zu deinem nächsten Auftrag.

Zu deiner Podcast-Reihe. Du lässt dort die unterschiedlichsten Genres zu, von Techno über Downtempo, Ambient, Electronica und Industrial bis hin zu so exotischen Sachen wie Death-Metal. Nach welchen Kriterien wählst du die Künstler dafür aus und was ist dein Rezept, um den Podcast gegenüber den tausenden Podcasts und Livemitschnitten auf Soundcloud und Mixcloud interessant zu halten, die jeden Tag den Markt überschwemmen?
Der Podcast soll den Künstlern die Möglichkeit geben, etwas zu kreieren, bei dem sie nicht unbedingt die Chance haben, das in anderen Podcasts oder bei Auftritten umzusetzen, weil es vielleicht zu experimentell ist und die Hörer verschrecken könnte. Jeder Künstler hat ja ein bestimmtes Image und je mehr sich ein Künstler darauf festlegt, mit um sehr mehr Limitationen sieht er sich irgendwann konfrontiert, da die Leute einfach einen bestimmten Sound erwarten. Einen Mix mit der aktuellsten Technoselektion kann man ja überall hören. Die Künstler wählen für unserem Podcast jedoch in bestimmtem Maße sehr zeitlose Musik aus und erhalten die Chance, mit kompletter Handlungsfreiheit ein anderes Gesicht zu zeigen. Das kann Musik sein die sie inspiriert, als Einfluss zu ihrer Karriere beigetragen hat oder mit der sie spezielle Erinnerungen verbinden. Es ist also, als würde man hinter die Fassaden des Künstlers schauen und ihn etwas persönlicher kennenlernen. Dadurch ist es sehr einfach zu einem der älteren Mixe zurückzukehren und auf genauso spannende Musik zu stoßen wie beim Aktuellsten. Neues zu entdecken und daran Spaß zu haben ist eine sehr wichtige Eigenschaft für mich und dafür kreieren wir diesen Platz. So entdecke auch ich in jedem Podcast immer wieder Neues, das mich komplett überrascht. Ich bin eigentlich der größte Fan des Podcasts um ehrlich zu sein. (lacht)

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Und wie kam es dazu, die einhundertste Episode nun auf vierfach-Vinyl zu veröffentlichen?
Wir haben überlegt, was wir zum Jubiläum besonderes machen können. Die wichtigsten Punkte des Projektes sind für mich die Zeitlosigkeit und das Entdeckens neuer Musik. Das wollte ich in der einhundertsten Ausgabe noch einmal bündeln und Vinyl als Medium schien mir dafür das passende Konzept zu sein. Zuallererst ist es ein Gegenstand, das macht es nicht so austauschbar, denn ein Podcast ist bloß eine online gestellte MP3. Wir haben auch kein Artwork dafür gemacht oder die Tracklist veröffentlicht. Es ist bloß eine Selektion aus acht Parts zu je fünfzehn Minuten der letzten 99 Mixe. Man legt also die Nadel auf und weiß überhaupt nicht, was einen erwartet. Das verstärkt das eigentliche Hörgefühl. Es ist Überraschung und Entdeckung zugleich. Ich dachte also dass es eine spannende Metapher zur Ursprungsidee des Projekts wäre.

Es wird also auch nicht verraten, an welchen Podcasts du dich bedient hast?
Nein, das musst du schon selbst herausfinden. (lacht)

Die ausgewählten Parts enthalten aber schon mehr Ambient, Downtempo und experimentelle Electronica. Der straighte Techno fehlt gänzlich.
Ja das stimmt. Ich dachte, dass es sinnvoll wäre, etwas zusammenzustellen, das von Anfang bis Ende Sinn ergibt - wie eine Art Album eben. Ich wollte eine durchgehende Atmosphäre kreieren, die Kopf und Geist fordert, aber gleichzeitig nicht zu anstrengend zum Anhören ist und sich gut ineinander fügt.

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Interessante Idee. Ich denke das hat so in der Art vorher noch niemand gemacht.
Ja das kann gut sein. Ich habe das Material direkt bei Soundcloud ausgewählt und die MP3 Files einfach direkt auf Platte pressen lassen und keinen großen Aufwand betrieben um jetzt extra noch an die Originale zu kommen.

Und was ist mit den Rechten zu den Tracks? Denkst du nicht, dass es problematisch sein könnte, einfach Bootlegs auf Vinyl zu pressen? Zumal ja noch nicht einmal irgendwelche Credits angegeben werden.
Das ist eine der interessantesten Sachen, die mich während des ganzen Projektes beschäftigt hat. Ich bekomme diese Frage eigentlich von jedem gestellt, der von dem Projekt bisher Wind bekommen hat. Das sind ja Ausschnitte aus den Podcasts, die jetzt teilweise schon seit fast fünf Jahren auf der Webseite zum freien Download zur Verfügung stehen und tausendfach heruntergeladen wurden. Und jetzt pressen wir mit einer Auflage von 300 Stück die exakten MP3 Files nur noch mal auf Vinyl. Weshalb sollte ich also Probleme deswegen bekommen? Trotzdem ist es im Prinzip natürlich ein Bootleg und damit illegal. Gerade ich als Labelchef der genug digital veröffentlicht um Geld zu verdienen, kann sagen, dass es mich weit mehr beunruhigt, dass fast jede Veröffentlichung einfach auf irgendwelchen Plattformen zum kostenlosen Download für jedermann sehr einfach verfügbar ist. Demgegenüber wiegen die paar Platten in vergleichsweise schlechter MP3 Qualität meiner Meinung nach nicht wirklich etwas auf. Viele Sachen, die heutzutage als illegal bezeichnet werden, sind es oft in einem moralischen Sinne nicht wirklich oder wirken vergleichsweise wie Lappalien. Dann die Art, wie die Gema funktioniert und aufgebaut ist zum Beispiel. Das sind alles Sachen, die dem Künstler nicht wirklich helfen, sondern eher gegen ihn arbeiten. Ich finde, wir sollten viele Regeln nicht so unverrückbar ansehen, sondern mehr aus einer moralischen Sichtweise heraus handeln und nicht bloß stur danach gehen, was rechtlich legal und was illegal ist. Ich sage damit nicht, dass ich ein Pirat bin, aber viele Sachen, die wir mit dem Label gerne machen würden, sind unmöglich oder einfach zu teuer, bloß weil es da ein paar altbackene Gesetze gibt, die das verhindern. Ich denke, das vieles in dieser Richtung den involvierten Künstlern eigentlich sehr zu gute kommen würde, doch einige Gesetzeslagen machen diese Möglichkeiten leider einfach nicht umsetzbar. An diesem Punkt war es mir egal ob das legal oder illegal war. Ich hab danach entschieden, ob ich es für mich moralisch vertreten kann.

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Dann habe ich letztens noch ein Video gesehen, in dem 50.000 Feyenoord Rotterdam Fans im eigenen Stadion wie verrückt zu deinem Klassiker „Pull Over“ von 1992 tanzen. Hättest du es für möglich gehalten, dass du mit deiner Musik je so eine Masse an Menschen auf diese Art und Weise bewegen könntest?
Das ist schon echt krass mit anzusehen. Es ist so verrückt und so aus dem Kontext gerissen. (lacht) Du denkst über so etwas beim eigentlichen Produktionsvorgang natürlich überhaupt nicht nach. Am Anfang steht da bloß irgendeine coole Idee, die du fertig machst und dann geht’s weiter mit dem nächsten Projekt. Wenn ein Track dann aber für so eine lange Zeit populär bleibt und die Leute spielen den immer noch, dann ruft das bei mir natürlich extreme Reaktionen hervor. Viele dieser Fans und Anhänger des Vereins sind damals auch wesentlich in den Entstehungsprozess der Gabber und Hardcoreszene involviert gewesen. Das sind die Selben Leute, die schon in den Neunzigern mit rasierten Schädeln und Trainingsanzügen dazu abgegangen sind.

Electric Deluxe - Podcast #100 4xVinyl ist seit Anfang Dezember erhältlich und kann hier bestellt werden.

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