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Interviews

Wir haben Rock am Ring-Besucher gefragt, wie sie das Festival-Desaster erlebt haben

„Das hat dann wirklich die meisten richtig wütend gemacht, weil keiner von den Veranstaltern oder vom Personal kam, um zu helfen.“

Niemand möchte gerade in der Haut von Rock am Ring-Vater Marek Lieberberg stecken. Samstagnacht musste er sich auf die Hauptbühne seines Festivals stellen und zehntausenden Besuchern den vorzeitigen Abbruch verkünden. Die mehr als 70 Verletzten vom Freitagabendgewitter, die ständigen Stürme am Samstag, die drohenden Gewitter für Sonntag—das war zu viel für die Sicherheitsbehörden und so entschieden sie sich gegen ein Weiterlaufen des Festivals. Seitdem schimpfen die Ticketkäufer auf der RaR-Facebookseite über die mangelhafte Organisation und Krisenbewältigung der Veranstalter.

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Nach all den Berichten und Bildern über weggerissene oder geflutete Zelte, unendlich tiefen Schlamm und ausfallende Konzerte möchte man aber erst recht nicht in der Haut der Rock-am-Ring-Besucher stecken. Die haben immerhin den Alptraum eines jeden Festivalfans durchlebt, oder? Wir haben mal mit Maik und Sienna geredet, um ihre Sicht auf das Rock am Ring 2016 zu erfahren. Überraschend: Trotz aller Schreckensberichte scheinen die beiden verdammt viel Spaß gehabt zu haben.

Noisey: Wie hast du das Gewitter am Freitag erlebt? Wo warst du, wurde dein Zelt durchnässt oder weggerissen?
Maik: Wir standen auf dem Festivalgelände und als die Durchsage kam, dass ein heftiges Gewitter kommt, haben wir uns bei einem Bierhersteller unter das Zelt geflüchtet.
Sienna Ward: Freitag waren wir auf dem Weg zu den Bands und wollten vorher noch pinkeln. Meine Freundin meinte noch so zu mir: "Wenn es anfängt zu regnen, bleib einfach im Klo und warte bis es aufhört." Blöd nur, wenn man sich ausgerechnet in dem Klo befindet, in das es reinregnet. Also rausgerannt und unter einen Imbissstand gestellt.

Am Zeltplatz angekommen haben mich schon die anderen erwartet, Bier auf und die Party ging weiter. Mein Zelt war von Anfang an schon nass, weil es Mittwoch fast nur geregnet hat und wir da schon einfach im Regen getanzt haben und dann völlig durchnässt in unsere Zelte gekrochen sind. Wir hatten also alle im Prinzip einen kleinen See in unseren Zelten. Aber hey, so blieb das Bier wenigstens kühl.

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Wie hast du dann von den Verletzungsfällen gehört?
Maik: Wir hörten erst durch die Medien von Verletzten.
Sienna: Die Anderen haben immer wieder ihre Handys gecheckt und so hat man mitbekommen, was so alles passiert ist. Waren nach und nach immer mehr gemeldete Unfallopfer. 30, 40, 50, 70, 80. Ich dachte schon, das hört gar nicht mehr auf.

Habt ihr daran gedacht, wieder nach Hause zu fahren?
Maik: Nach Hause zu fahren, war für mich keine Option.
Sienna: Nach Hause fahren? Niemals! Man will ja unbedingt die Bands sehen. Und außerdem waren wir ja von den letzten Jahren schon abgehärtet. Jedes Jahr mindestens einen Weltuntergang auf dem Festival mitgemacht.

Wie hast du Samstag von den Konzertabsagen gehört? Was war deine Reaktion?
Maik: Wir hatten von der Verzögerung auf dem Caravanplatz gehört.
Sienna: Auch wieder durch die anderen und ich glaube, es kam sogar eine Durchsage, aber die Durchsagen dort hat man genauso gut verstanden wie die Durchsagen am Bahnhof. Meine Reaktion? Ich habe gesagt: "Leute, ich geh pennen, weckt mich, wenn die Chili Peppers spielen." Die haben ja dann später sogar noch gespielt, nur leider hab ich sie dann verpennt, haha.

Das Konzertgelände wurde gesperrt—also auch alle Bier- und Imbissbuden. Wie hast du dich da verpflegt?
Maik: Wir waren super ausgestattet. Man fährt ja zu Rock am Ring und hat alles dabei.
Sienna: Auf dem Broadway gab es genug Imbissbuden, die noch lange offen hatten und auch der Lidl hatte noch auf, also haben wir uns da für den krönenden Abschluss Sangria geholt.

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Die Konzerte gingen erst am Abend weiter. Was zur Hölle habt ihr da den ganzen Tag gemacht?
Maik: Wir haben uns die Stimmung nicht nehmen lassen und einfach eine riesen Party auf dem Caravanplatz gefeiert. Livemusik haben wir selbst inszeniert.
Sienna: Erstmal haben wir bis Mittag oder so gepennt, weil unsere Bands, die wir sehen wollten, sowieso erst Abends gespielt hätten. Einer von uns lag bis Nachmittag im Zelt, der hat von dem ganzen Chaos gar nichts mitbekommen. Am Samstag war auch mal kurz Platzregen. Da waren wir grade auf dem Weg zum Auto, Bier holen. Am Auto angekommen, reingesetzt, Bier aufgemacht, Radio laut aufgedreht und zur Musik gezappelt. Wir haben einfach das Beste draus gemacht.

Wie war die Stimmung bei den Konzerten am Abend?
Maik: Billy Talent war einfach der Hammer, für mich definitiv der wahre Headliner!
Sienna: Nun, da ich kein einziges Mal auf dem Konzertgelände war (Schande über mich), kann ich das leider nicht sagen, aber ich weiß von anderen Festivals, sobald deine Band anfängt zu spielen, vergisst du alles andere um dich herum. Du stehst einfach nur da, sie spielen deinen Song und du weißt: Das ist der Moment, dafür hat sich das Ganze gelohnt.

Noch in der Nacht wurde der Abbruch des Festivals bekanntgegeben. Wie hast du reagiert?
Maik: Wir waren total geschockt, denn nach dem Billy Talent-Konzert kam Lieberberg auf die Bühne und sagte, dass alles abgebrochen wird für Sonntag. Alle nur so: "WTF?!"
Sienna: Ich bin irgendwann um vier Uhr morgens aus meinem Zelt gekrabbelt und musste erstmal realisieren, dass ich die Bands verpennt hatte. Und dann wurde mir von den Anderen schon gesagt, dass das Festival abgebrochen wird, wegen Unwetterwarnungen. Ich dachte mir nur: "Schade, ich hätte Ozzy gerne noch mal live gesehen, bevor er abkratzt." Aber wirklich niedergeschlagen oder wütend war ich nicht. Ich gehe zu 80% auf Festivals einfach nur wegen des Feelings. Es ist eine andere Welt und mit nichts zu vergleichen. Wer trotz des Wetters überhaupt keinen Spaß hatte, der ist wohl einfach nicht festivaltauglich.

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Hast du viele frustrierte Gesichter gesehen? Wie war die Stimmung generell auf dem Zeltplatz?
Maik: Es waren viele Leute abgefuckt, aber man hat es friedlich akzeptiert.
Sienna: Gemischte Stimmung war da. Die einen waren wütend, weil sie genau die eine Band, die sie unbedingt sehen wollten, jetzt doch nicht sehen, die anderen haben einfach weiter gefeiert. So wie wir. Wenigstens waren wir dabei, haben so viele coole Leute kennengelernt und eine Erinnerung fürs Leben mitgenommen. Außerdem freuten wir uns alle nach fünf Tagen Festival auf eine warme Dusche und ein richtiges Bett.

Gab es Probleme bei der Abreise? Steckte dein Auto im Schlamm fest?
Maik: Unser Caravan steckte im tiefsten Schlamm fest, wir haben ca. sieben Stunden warten müssen, bis uns ein Traktor rausgezogen ha
Sienna: Oh, die Abreise war die Hölle. Uns war von Anfang an klar, dass wir ewig brauchen werden, um da wieder wegzukommen. Fünf Stunden lang haben wir im Auto in der prallen Sonne gesessen und haben gewartet, bis irgendwas geht. Überall standen Autos, keiner kam so wirklich vom Fleck. Jeder musste jeden aus den Schlamm schieben. Wir hatten Glück, dass wir auf einer etwas festeren Stelle standen, mussten aber ab und an auch von hinten mit anschieben, damit es vorwärts geht.

Bis 12 Uhr musste der Zeltplatz geräumt werden, weil dann das Unwetter kommen sollte, auf das wir heute noch warten. Stattdessen hatten wir nämlich Hitze pur und Sonne bis zum geht nicht mehr. Das hat dann wirklich die meisten noch so richtig wütend gemacht, weil keiner von den Veranstaltern oder vom Personal kam, um zu helfen und weil sich jeder schon irgendwie verarscht vorkam. Unwetterwarnung und dann kommt keins. Das einzige „Unwetter“, das wir Sonntag gesehen haben, waren kleine Tornados, die die Zelte umhergewirbelt haben. Aber auch da haben die meisten das Beste draus gemacht, sich erstmal hingesetzt und Mittagessen gekocht. Die Besten waren die, die sich ein Loch in den Boden gegraben, das dann mit Kohle aufgefüllt, einen Einkaufswagen darüber gelegt und darauf gegrillt haben. Auf sowas muss man erstmal kommen.

Am tollsten fand ich´s dass sich Leute in der Umgebung spontan zusammengeschlossen haben und dann kostenlos Wasser an der Straße verteilt haben. Wahre Helden waren das.

Wirst du nächstes Jahr wieder zu Rock am Ring fahren?
Maik: Natürlich fahre ich nächstes Jahr wieder zu RaR, nur hoffen wir mal, dass es wieder zum Nürburgring zieht
Sienna: Ich war dieses Jahr das erste Mal auf Rock am Ring, bin sonst immer auf Rock im Park. Wollte mal sehen, wie RaR so ist, aber einen wirklich großen Unterschied konnte ich jetzt nicht feststellen. Nochmal werde ich nicht zu Rock am Ring fahren, dafür lohnen sich die sechs Stunden Fahrt dann doch nicht, wenn ich genau das selbe auf dem nur zwei Stunden entfernten Rock im Park haben kann. Aber wer weiß schon, wo ich nächstes Jahr um diese Zeit sein werde, vielleicht auch auf einem ganz anderen Festival. Da stehen noch einige auf der To-Do-Liste, Rock am Ring kann ich zumindest schon mal abhaken.