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Interviews

„Fußball und Deutschrap gehören zusammen“—Ein Gespräch mit Ex-Fußballer und Rapper George Boateng aka BTNG

„In Deutschland durftest du lange nicht sagen, dass du Bushido oder Haftbefehl hörst, sonst hast du Ärger von den Vereinen bekommen.“

George Boateng kennen viele nur als das Geschwisterchen seiner beiden kleinen Brüder Kevin-Prince und Jérôme, den großen Fußballprofis. Er spielte früher genau wie seine beiden Brüder Jérôme und Kevin-Prince in der Jugendmannschaft von Hertha BSC, hörte aber schon frühzeitig auf zu spielen. Das heißt jedoch nicht, dass das Leben des Bruders im Schatten weniger spannend wäre als das der beiden unter den Scheinwerfern der Stadien dieser Welt. Das zeigt zumindest Gewachsen auf Beton, das Rap-Debüt von BTNG, auf dem es neben Battlerap und Blockhymnen, auch nachdenkliche Stücke über seinen Sohn, der mit dem Down Syndrom zur Welt kam, oder über die Zeit in U-Haft zu hören gibt.

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Der Karriereschritt vom Ex-Fußballer zum Rapper wirkt eigentlich nur auf den ersten Blick etwas dahergeholt, tatsächlich haben Deutschrap und deutscher Fußball einige Berührungspunkte, nicht nur die leidenschaftliche Fankultur. So wie HipHop in Amerika mit Basketball verbunden ist, so gibt es auch hier vor und hinter den Kulissen Überschneidungen, Verbindungen, Freundschaften. BTNG kommt aus beiden Welten und sollte darüber am besten Bescheid wissen.

Als wir uns mit dem ehemaligen Fußballprofi und jetzt-Rapper am Berliner Zoo treffen, kommt er im mattschwarzen SUV angerauscht. George trägt einen dunkelblauen Paris-Saint-Germain-Hoodie und zündet sich eine Marlboro an. Sein Händedruck ist kräftig. Mit seinen Kindern geht er oft in den Zoo, er kennt sich ganz gut aus: Schnurstracks gehen wir erst mal zu den Raubkatzen und flanieren anschließend zwischen den Gehegen her. Ein Gespräch über das Deutschrapgame und die Verbindung zum Fußball.

Noisey: Was würdest du sagen, haben ein Zoo und das Rapgame in Deutschland gemeinsam?
BTNG: Es gibt keinen Wärter, der sagt: „Das Tier kriegt am meisten zu essen, weil das am längsten hier ist“. Da überlebt einfach das Tier, das am schnellsten ist oder das härteste ist. So ist es auch im Rapgame. Du musst schnell reagieren und die richtigen Moves machen. Das unterscheidet dich dann vom Rest. Auf jeden Fall: Ellenbogen raus wie in freier Natur.

Von jetzt auf gleich wird ja niemand einfach so Rapstar. Aber es scheint, als würdest du quer durch die Szene bereits viele Rapper kennen: Fler und PA Sports haben zum Beispiel den Titeltrack deines Debütalbums geteilt, du zählst RAF Camora, Alpa Gun und Kool Savas zu deinen Bekannten—als ob du längst Teil des Ganzen wärst, nur dass du jetzt erst angefangen hast zu rappen.
Ja, du hast das schon gut erklärt. Ich kannte viele Leute und wusste, wie die Maschinerie ungefähr funktioniert. Es war für mich ganz gut, dass ich das alles aus der Vogelperspektive beobachten konnte. Ich habe gerne zugeguckt und dazugelernt. Das ist für mich heute ein Vorteil. Ich war schon immer ein bisschen da. Aber nicht auf der Bühne. Jetzt bin ich da und kann an meinem Album gemessen werden. Mehr will ich gar nicht.

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Dein Name, Boateng, ist weltweit bekannt. Im Intro deines Albums sagst du, dass „der Name verpflichtet“—inwiefern?
Ja, das fragen viele. Der Name verpflichtet nicht unbedingt zum Erfolg, aber wenn der auch kommt, ist das super. Der Name verpflichtet eher dazu, dass man aufpasst, was man macht. Meine Brüder verpflichtet er dazu, auf dem Platz Leistung zu bringen: Dass Kevin ein bisschen reinhaut und Jérôme ein bisschen Titel holt. Und bei mir verpflichtet der Name Boateng, darauf zu achten, was ich sage, da ich auch zwei Kinder habe. Natürlich gibt es ein paar Tracks, wo Wörter fallen, die mein Kind nicht unbedingt hören muss. Aber damit muss ich halt leben. Das ist der Spagat zwischen Familie und Rapmusik.

Hast du dir beim Album besonders viel Mühe gegeben, damit die Leute sagen können: „Ja Mann, das ist gute Musik und es wäre auch ohne den Namen Boateng gute Musik“?
Ganz genau. Das ist das Wichtige. Das ist bei Gewachsen auf Beton zum Glück geschehen. Die Leute haben das gehört und haben direkt gesagt: „Vergiss mal Boateng! Die Lyrics sind krass, der Beat ist gut, es geht nach vorne, es ist gut produziert, Djorkaeff, Beatzarre, stabile Jungs, da kann man nichts falsch machen“. Für mich war von Anfang an wichtig, das richtige Produzententeam zu finden. Und zum Glück habe ich die richtigen gefunden. Ich bin echt zufrieden.

Im Intro sagst du auch, dass du „zum Rapper geboren“ bist. Wie lange genau machst du eigentlich schon Rap?
Seit sechs Jahren ungefähr. Den Gedanken, das mal zu machen, hatte ich aber länger. Ich habe erst Deutschrap ein bisschen krasser verfolgt, mir Werdegänge von verschiedenen Leuten angeguckt und seit zweieinhalb, drei Jahren rappe ich im Studio. Zuhause habe ich mir erst die nötige Sicherheit dafür geholt. Und irgendwann bin ich zu RAF Camora ins Studio gegangen: Da konnte ich mich austoben, der hat mich im Studio ein bisschen ausrasten lassen. Nach einem Jahr habe ich mich mit Djorkaeff und Beatzarre zusammengesetzt.

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Der Track „Normal“ ist deinem Sohn gewidmet. Dein Sohn ist mit Trisomie 21 auf die Welt gekommen, dem Down-Syndrom. Was genau waren die Beweggründe, dieses Lied zu machen?
Naja, alle denken immer, dass alles Friede-Freude-Eierkuchen ist, wenn man reich und erfolgreich ist. Für unsere Familie war es ein Segen, dass mein Sohn mit dem Down Syndrom geboren worden ist. Dadurch sind alle viel mehr zusammengewachsen und haben gemerkt, dass es im Leben viel wichtigere Dinge gibt, als nur Kohle zu machen oder der krasseste Star zu sein.

Soll er die Leute auch anregen, den Begriff Normalität mal zu überdenken?
Genau. Was ist normal? Das ist die Frage, die sich jeder selber stellen kann. Die meisten Leute können total zufrieden sein! Beim Down Syndrom gehören viele Dinge dazu: Zu Ärzten gehen, alles ruhiger angehen lassen, step by step. Bei anderen Leuten läuft es so gut, dass sie das nicht sehen! Vielleicht regt es die Leute an, mal zu denken: „Ey, bei mir ist doch eigentlich alles—normal“.

Du hast eben schon deine Produzenten Beatzarre und Djorkaeff angesprochen. Mit den beiden hattest jemanden an der Seite, die schon für Aggro Berlin, Sido, Fler, Bushido und Shindy produziert und komponiert haben. Inwiefern würdest du sagen, dass die beiden vom Sound her in der Tradition des Berliner Straßenraps stehen?
Naja, beim Track „Schattenbruder“ zum Beispiel denkst du vom Sound her, dass gleich Bushido anfängt zu rappen. Dazu stehe ich auch, gar kein Problem. Deswegen bin ich auch bei diesen Produzenten, weil ich den Sound immer gefeiert habe. Jetzt bin ich froh, dass ich selber einen Track habe, der sich so anhört.

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Was mir beim Hören des Albums außerdem aufgefallen ist: Der Fußballkäfig an der Panke, in dem du damals jeden Tag mit deinen Brüdern gekickt hast, blitzt in den Texten immer mal wieder hervor. Welche Musik habt ihr früher im Käfig gehört? Gibt es Lieder, die du besonders mit der Zeit verbindest?
Ich habe damals ganz andere Sachen gehört als meine Brüder. Die haben noch Kindermusik gehört. Da habe ich schon angefangen mit Jay-Z und Blackstreet. Das sind so die Sachen, an die ich mich erinnere. Da haben sogar die türkischen Jungs mitgerappt, die gar kein richtiges Englisch konnten, einfach weil es geil war.

Apropos Käfig, im Track „Himmel“ rappst du über deine Zeit im Knast: Du warst acht Monate wegen Körperverletzung in Untersuchungshaft. Was hat dich der Knast gelehrt?
Man will nicht eingesperrt sein. Keiner soll mir sagen, wann ich meinen Aschenbecher kriege, wie viel ich rauchen darf, wann ich essen, wann ich trinken darf. Ich weiß es sehr zu schätzen, dass ich hier draußen rumlatschen und mit dir ein Interview machen kann, nachher steige ich in mein Auto und fahre wieder nach Hause.

Ich habe letzte Woche das Buch Die Brüder Boateng von Michael Horeni gelesen. Es scheint im Buch so, als wärst du in deinem Leben ständig auf der Suche nach Identität und einer intakten Familie gewesen.
Ja, eine stabile Familie haben, ist doch klar, das will jeder.

Mittlerweile hast du eine eigene Familie, bist Vater. Hast du deine Identität gefunden?
Wenn nicht jetzt, wann dann? Meine Kinder sind schon acht, neun Jahre alt. Sie gehen zur Schule, jetzt geht’s langsam los.

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Steht denn auch der „BOA-Clan“, über den du auf einem Track rappst, für die große Familie, die du dir immer gewünscht hast?
Naja, der „BOA-Clan“ ist eher für die Typen, die so ticken, wie wir ticken. Jeder kann „BOA-Clan“ sein,– meinetwegen auch ein Postbote, solange er Eier hat und sich nichts gefallen lässt.

Du wohnst mit deiner Familie in Reinickendorf. Wie viel Straße steckt heute noch in George Boateng?
Ich bin da ein Chamäleon. Am Tag bin ich mit der Familie und abends kann es passieren, dass ich im Wedding in einer kleinen Gasse mit drei, vier Dudes bin. Wir stehen dann ein paar Stunden herum, quatschen, sind unterwegs oder wir chillen im Café und essen was zusammen. Chamäleon-Lifestyle, mal so, mal so.

Lass uns noch über die Fußballwelt reden. Da scheint es viele Verbindungen zum Rapgeschäft zu geben: Viele sind verkumpelt, Jay-Z managt jetzt deinen Bruder Jérôme, du chillst mit Julian Draxler, Dú Maroc macht ein Video mit Emre Can, Nuri Sahin und David Alaba… Was geht da zwischen Rap und Fußball? Hast du eine Erklärung?
Ja, da geht einiges, siehst du ja. Das wird jetzt immer mehr und das ist gut so. Die sollen auch unsere Musik feiern. Warum sollen sie immer englische oder französische Sachen hören, die sie teilweise gar nicht verstehen? Wir sind auch cool hier, wir haben auch was zu erzählen. In der Bundesliga wissen 50 Prozent der Jungs, was im Deutschrap abgeht, wer wie viel verkauft, wer wo chartet.

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Warum gibt es so viele Überschneidungen dieser beiden Welten?
Warum nicht? Fußball und Deutschrap sind die beiden größten Sachen in Deutschland, ist doch klar, dass man das verbindet. In den USA ist das mit Basketball und HipHop nicht anders. Da war es schon immer Lifestyle. In Deutschland durftest du lange nicht sagen, dass du Bushido hörst oder Haftbefehl feierst, da hast du Ärger von den Vereinen bekommen. Und naja, so kommen dann auch solche Instagram-Fotos und Connections dabei raus. Solange alle ihre Leistung bringen, ist doch alles schön. Julian Draxler ist ja jetzt kein schlechterer Fußballer, nur weil er mit mir und meinem Bruder ein Foto beim Frühstück gemacht hat. Im Gegenteil: Er ist jetzt bei Wolfsburg, trägt die Nummer Zehn, ich habe ihm gratuliert, der freut sich, alles super!

Eine Frage noch: Was machst du eigentlich, wenn es mit dem Rappen nichts wird?
Ich habe mir keine Zahlen gesetzt. Solange Warner mit mir arbeitet, ist alles gut, dann werde ich auch immer weiter Musik machen. Ich habe viel Support. Ich denke nicht, dass ich einbreche, falls die Verkaufszahlen nicht so gut sein sollten.

Vielen Dank für das Gespräch.

Weiter zum VICE Sports Interview: „Ich habe meine Meinung über Ballack: Er ist ein Lappen“—BTNG im Interview

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Das Album Gewachsen auf Beton erscheint heute bei Warner. Holt es euch bei Amazon oder iTunes.