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„Wenn das ein Ami gemacht hätte, fänden das alle wieder überkrass“—Mortis im Interview

Im HipHop geht es darum, Fame zu ernten. Mortis arbeitet jetzt daran.

Foto: Stefan Braunbarth

„Wer ist dieser Mortis?“, fragt Visa Vie auf dessen Debütalbum Hollywoodpsychose. Gute Frage, denn wer ist der Typ, der im Oktober mal eben Karate Andi, Damion Davis, 3Plusss, Chefkoch und Plusmacher auf einem Track vereinte und dem Pilsator-Rapper tatsächlich einen deepen Part entlockte? Er, der Beats von Dexter und Suff Daddy rumliegen hat, aber lieber selbst produziert und von seiner Managerin ermahnt werden muss, doch bitte ein bisschen mehr Promo auf Facebook zu machen? Viele Fragezeichen, wenig Antworten. Höchste Zeit also, sich mal mit dem in Berlin lebenden Mortis zu unterhalten.

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Ich treffe den Rapper in einem Kreuzberger Café, wo wir natürlich über sein neues Album, aber auch erfrischend offen über Realitätsverlust, das seltsame Verhältnis der Deutschrapszene zu Amirap und ein mysteriöses Dreieck reden.

Noisey: Vor ein paar Wochen kam der „Engelsstaub Remix“ mit Features von Karate Andi, 3Plusss und Damion Davis. Warum hast du den Track von Der Goldene Käfig-EP jetzt nochmal ausgegraben?
Mortis: Ja, der ist eigentlich schon alt. Wir haben ihn Anfang des Jahres aufgenommen, wie du den Klamotten des Videos auch ansehen kannst. War halt noch kalt. Nachdem ich das Video zu „Engelsstaub“ gemacht hatte, dachte ich, dass es doch geil wäre, einen Remix mit eben den Leuten zu machen, die im Video zu sehen sind. Bis auf Julian hat das ja auch mit jedem geklappt. Wir haben uns voll Jam-mäßig alle bei mir zuhause getroffen, geschrieben und aufgenommen. Das war richtig krass. Währenddessen ist Harris noch vorbeigekommen und hat von meinem Balkon aus irgendwas für seine Partyreihe gedreht. Voll der HipHop-Sonntag. Dann ist aber etwas mit dem Mischen schief gelaufen, das hat sich ewig hingezogen und jetzt kommt es halt als Bonustrack für das Album raus.

Passt jetzt ja auch gut in die Promophase rein.
Erstmal das und auch von der Thematik her ist es ein gutes Bindeglied zwischen EP und Album.

Schön, auch mal Karate Andi von einer deepen Seite zu hören.
Davon gibt’s ja tausend Songs, die halt niemand kennt. Ich finde schön, dass sich jeder der Features auf die Thematik eingelassen hat.

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Visa Vie ist nicht dafür bekannt, Rapper zu featuren. Wie kam es dazu, dass sie in deinem Album-Intro singt?
Sie hatte ja mal eine Rap-Karriere, die sie zugunsten ihrer Journalistenkarriere an den Nagel gehängt hat. Die meisten Leute, die das so verfolgt haben, werden schon bemerkt haben, dass wir sehr gut befreundet sind. Ist ja kein Geheimnis. Ich wollte mein Album zwar ohne Features machen, brauchte aber noch eine andere Stimme. Weil das alles irgendwie eine Familienangelegenheit war, musste sie einfach dabei sein. Sie sollte die einzige Person sein, die mit mir auf meinem Album zu hören ist. Das hat sie gefreut, ich habe dann den Text vorgeschrieben, sie hat das eingerappt und sich wohl damit gefühlt. Was ja auch nicht selbstverständlich ist, wenn du saulang nicht mehr gerappt hast. Sie hat einfach diese rotzige Art, ich feier das voll. Das vermittelt genau das richtige Gefühl, wie du in das Album reinkommen solltest.

Du hast die Beats auf Hollywoodpsychose selbst gebaut. Warum hast du dir zusätzliche Arbeit aufgeladen und nicht einfach Beats von externen Producern genutzt?
Ich habe so viele Beats von so vielen krassen Leuten wie Dexter oder Suff Daddy rumliegen, aber irgendwie ist es ja mein Album. Ich bin nicht der beste Produzent der Welt, aber ich mache am ehesten das, was ich haben möchte. Vor allem was Arrangements angeht, ist das immer schwierig mit anderen Leuten zusammen zu erreichen. Ich wollte ein irrsinniges Klangbild erschaffen, was auch auf Sample-Ebene funktioniert. Sowas habe ich vorher einfach noch nicht gehört, weil da so viele Samples über- und ineinander liegen, viele analoge Synthies und Live-Instrumente eingespielt wurden. Ich konnte eben in meinen Möglichkeiten rumspielen, wie ich wollte. Vom Gefühl kommt da keine andere Produktion ran, weil dich ja niemand so zufriedenstellen kann, wie du selbst.

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Das Sample von „Einmal Sonne“ wurde schon für Fatonis „Geh jetzt weg“ genutzt. Mochtest du das Sample zu sehr, um es nicht ungenutzt zu lassen?
Ja, das ist ein alter Dexter-Beat. Ich habe ja das Grundsample genommen und noch ganz viele Flächen druntergespielt. Im Vers habe ich noch zwanzig andere Dinger reingekloppt, aber an sich ist das Grundsample so perfekt, dass du es durchlaufen lassen musst. Dass mit Fatoni wusste ich aber vorher nicht. Ich wusste, dass es mal ein Ami-Ding gab, aber ganz ehrlich: Wie viele Samples bei Songs, die du feierst, gibt’s denn bitte eh schon bei Ami-Tracks und wurden trotzdem schon 30.000-Mal benutzt? Da kräht kein Hahn nach. Fatoni und ich sind ja von der Bekanntheit ungefähr in derselben Region. Das interessiert doch keinen.

Was ist die Idee hinter dem Hollywood-Style?
Im Endeffekt geht es um die 15 Minuten Ruhm. Wenn du aus einer Provinz kommst, ist der Fernseher für die meisten Menschen ein riesiger Bezugspunkt. Er kreiert ein Gemeinschaftsgefühl, jeder unterhält sich auf dem Dorf, was gestern Abend bei Wetten, dass..? abging. Beispielsweise hatte einer aus unserem Dorf bei Bauer sucht Frau mitgemacht, Bauer Maik. Über den reden Leute heute immer noch. Es ist egal ob jemand ein krasses Studium gerissen und seine eigene Firma hochgezogen hat und mittlerweile Millionär ist, er ist der Bauer Maik. Es geht immer nur darum, dass irgendwer mal fünf Minuten bekannt war. Egal wie absurd und scheiße das Format war. Das ist mein Werdegang der letzten zehn Jahre, dass du eben mit so einem Grundgedanken in die Welt rausziehst. Dein Ego will gefüttert werden. Du willst berühmt werden. Im HipHop geht es ja sowieso darum, Fame zu ernten. Das gepaart mit dem Gedanken, irgendwie ein Star zu werden, obwohl ich zu faul bin, wirklich etwas dafür zu tun, als nur Musik zu machen.

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Wobei deine Musik ja nicht gerade auf die Charts zugeschnitten ist. Du machst das ja nicht für den Fame oder?
Mir ist das im Endeffekt egal. Wenn du mit so etwas Fame bekommen kannst, ist das geil, wenn nicht, dann halt nicht. Ich habe ja das Glück, dass ich interessant genug scheine, um viele Leute anzusprechen.

Vorab hattest du ja schon das Video zu „Versager“ veröffentlicht. Vielen Kommentaren klang der Song zu fröhlich.
Der ist überhaupt nicht fröhlich. Das ist voll die Anfang 90er Rick Rubin-Nummer, einfach Gitarrenchords geschnitten, gesetzt und so rotzig wie es nur geht drübergerappt. Das ist doch geil, Alter (grinst). Natürlich hört sich das nicht so an, wie etwas, was es heute so gibt. Wenn das aber ein Ami gemacht hätte, fänden das alle wieder überkrass. Bloß weil ich das nicht so ADS-mäßig rappe und setze, wie die King of Raps es heutzutage machen.

Die Deutschrap-Szene hat schon einen kleinen Amirap-Komplex.
Voll. Wenn ich die Mucke Amis zeige, feiern die das tot. Das ist halt so. Ich kann mit einem Termanology chillen und der feiert den Flow. Als ich letzten Sommer im Görli auf einer Freestyle-Session war und ein bisschen gefreestylt habe, meinte Planet Asia zu mir, dass das in den USA money-in-the-bank wäre. Amis und Engländer fühlen das tausend Mal mehr als die Deutschen. Warum auch immer, ist auch egal. Wenn es um die Technik geht, wie bei vierfachen oder fünffachen Reimen, müssen wir die so betonen, dass auch jeder die raushört. Dadurch verlierst du voll die Delivery. Dabei ging es darum schon immer. Die größten Rapper bestechen durch Delivery. Sie haben zwar auch eine krasse Technik, lassen die aber nicht raushängen. Das ist halt die Kunst an krasser Technik. Kompliziertes einfach erscheinen lassen.

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Bei Psychosen kann es zum Verlust des Realitätsbezugs kommen. Schon oft das Gefühl gehabt, den Bezug zur Realität zu verlieren?
Definitiv. Ich habe ja jetzt zehn oder elf Jahre exzessiv Musik gelebt. Jeder Mensch, der sich einmal in diese Höhle hineinbegeben hat, wird das nachvollziehen können. In einem Mikrokosmos zu existieren kann dich sehr beflügeln, dich aber auch von der Außenwelt abschneiden. Ich hatte echt wahnsinnige Phasen und bin froh, dass ich ein Phasenmensch bin, der sehr schnell reflektieren kann. Ich erkenne schnell, dass ich nicht monatelang durch die Weltgeschichte ziehen und mich einfach zwei Wochen am Stück besaufen, drei Schachteln am Tag rauchen, fünfmal die Woche weggehen, im Monat 3000€ auf den Kopf hauen oder Frauen wie Gebrauchsgegenstände benutzen kann. Wenn du dich darauf versteifst, nur noch die Kunstperson zu sein, kannst du auch an dir selbst scheitern. Egal, wo ich hingehe, ich stelle mich jedem als Mark vor, aber ich gehe immer als Mortis. Selbst meiner Mutter rutscht dieser Name voll oft raus. Versuch doch mal, Normalität zu finden, wenn du keinen normalen Job in dem Sinne hast, keinem normalen Alltag nachgehen kannst. Das gleicht schon einer Psychose (grinst).

Wie krass war es dann, von der kleinen Provinz in die Großstadt mit all ihren Möglichkeiten zu ziehen?
Ich bin zum Glück ein Drogen-ferner Mensch. Das ist etwas, was mir scheinbar echt das Leben gerettet hat. Ich habe natürlich einen guten Hang zum Alkohol und dummerweise irgendwann angefangen zu rauchen, aber ich konnte mich immer schnell fangen. Viel feiern, aber auch viel arbeiten. Trotz alledem habe ich ein paar tausend Beats auf meinem Rechner.

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Ist Berlin denn mittlerweile deine persönliche Traumfabrik?
Gar nicht. Meine Traumfabrik ist überall, wo ich meinen Rechner habe. Da, wo ich Ruhe habe. Ich sehe alles als Bereicherung, deswegen muss es gar nicht genau diese Stadt sein. Wenn ich morgen woanders wohnen müsste, wäre das halt so. Ich bin absolut kein Lokalpatriot.

Unsere Generation hat die Möglichkeit, überall hinzuziehen, wo sie will.
Ja, aber trotzdem machst du es nicht. Weil du der Meinung bist, dass überall dieser Druck ist. Obwohl er gar nicht da ist: „Du musst jetzt hier sein, du kannst keine zwei Wochen frei nehmen!“ Du kannst ja auch nicht einfach dein Telefon ausschalten, das geht doch nicht. Ich habe mir diese Freiheit die letzten Monate genommen und meine privaten Sachen wie Facebook und Whatsapp gelöscht. Jetzt habe ich meinen Facebook-Account natürlich wieder halbwegs reaktiviert. Ich finde ja auch gut, dass es diese Möglichkeit gibt, um sich selbst zu vermarkten. Aber auf privater Ebene finde ich es halt schwierig, ständig auf sein Telefon zu gucken, sobald du alleine bist, sei es auch nur aus Verlegenheit. Und dann so exhibitionistisch veranlagt zu sein, jeden an deinem Leben teilhaben lassen zu müssen. Das ist ja das Paradoxe und Schizophrene: Du willst vor anderen jemand sein, weil du denkst, dass das denen gefällt und bist dann in der Realität im Zugzwang, obwohl dieses Bild dir gar nicht entspricht. Mich hat diese Außenwirkung ein bisschen eingeschränkt, deswegen würde ich lieber mit jemandem ein Gespräch führen, wenn es ihn denn interessiert, wie es mir geht und was ich so mache. Ich möchte die Menschen durch normale Gespräche mal wieder in die Realität holen.

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Sehr löblich.
Ob das positiv oder negativ ist, sei mal dahingestellt. Ich liebe es ja, Menschen miteinander zu connecten, von dem du nie gedacht hättest, dass die zusammengehören. Nicht der Netzwerk-Gedanke, dass mir das was bringt, sondern der HipHop-Gedanke, dass wir doch alle zusammengehören. Das ist halt das, was ich kann. Einfach mal Berührungsängste abbauen. Vielleicht mache ich ja mal ein Coaching mit so einem Pferdeschwanz (lacht).

Wie Tom Cruise in Magnolia: „Respektiere den Schwanz“?
Genau (grinst).

Was machst du eigentlich neben der Musik, um über Wasser zu bleiben?
Gar nichts, eigentlich. Ich kann seit gut einem Jahr davon leben. Am Anfang habe ich Gelegenheitsjobs gemacht. Immer so viel, dass es halt gereicht hat. Dann habe ich anderthalb Jahre in einer Agentur gearbeitet und Onlinemarketing gemacht. Ich war selbstständig, war ein Adverts-Account-Manager. Das war krass, Alter. Ich habe im ersten Jahr eine Million Euro Umsatz für alle meine Kunden gemacht. Keine schlechte Zahl.
Na, Umsatz ist immer relativ und für all meine Kunden…, aber ja, war geil. Im Endeffekt habe ich drei Stunden die Woche gearbeitet und den Rest der Zeit Mucke gemacht und hatte gutes Geld zum Verballern. Dann habe ich die Möglichkeit bekommen, nur Musik zu machen und mich nicht mit mittelständischen und KIeinunternehmern rumzuschlagen.

Und wenn es mit der Musik dann doch nicht mehr klappt?
Irgendwie wird sich immer Geld verdienen lassen. Ich lebe schon immer von Kontakten. Das ist das, was ich gut kann. Wenn du etwas gut kannst und dich auch dementsprechend verkaufst, dann läuft das. Ich mache mir da keine riesigen Gedanken.

Das Jahr ist fast vorbei. Deine persönliche Lieblingsalben 2014?
Was kam dieses Jahr nochmal raus? Na, das Marteria-Album war schon ziemlich krass. Karate Andi kam 2014 auch raus, das muss man auf jeden Fall berücksichtigen. Dieses Jahr gab es aber ansonsten echt nicht so viel geile Musik. Die ganzen Sachen, die voll hochgelobt wurden und auch werden, die aber eigentlich nur uninspirierter Dreck sind. Das muss man auch mal ganz klar sagen. Nur weil sich alle Industriemenschen, weil es sich um ein komisches Dreieck dreht, gegenseitig in den Arsch kriechen, macht es die Musik auch nicht besser.

Ein Dreieck?
Ja, Alter. Es gibt halt so einige Firmen, Agenturen und was-weiß-ich für Menschen, die Sachen hochstilisieren, die es einfach nicht verdient haben.

Mortis live
19.12.2014 Leipzig, Täubchenthal
20.12.2014 Stuttgart, Schräglage
21.12.2014 Köln, Underground
22.12.2014 Hamburg, Mojo Jazzcafé
23.12.2014 Berlin, Comet

Hollywoodpsychose erscheint am 28. November bei Showdown Records. Bestell es dir bei Amazon oder iTunes.

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