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Was man aus den Spotify-Jahreslisten über den deutschen Musikgeschmack lernen kann

Was ist eigentlich in Brandenburg los?

Dass dieses Jahr mit Tidal und Apple Music neue Musik-Plattformen an den Start gingen, ließ Marktführer Spotify nur träge mit den Schultern zucken. Jeder, der die penetrant-amateurhaft eingesprochene Werbung nach jeden vier Songs geflissentlich ignoriert, kann immerhin eine riesige Musik-Bibliothek nutzen, ohne dafür einen Cent zu bezahlen. Zumal es längst zum guten Ton gehört, dass Alben pünktlich zum Release in voller Länge anhörbar sind. Da ist es schon eine Frechheit, wenn sich mal ein Künstler dem gewohnten Gang verwehrt. Wie kann er es auch nur wagen, uns Spotify-Nutzer zu verprellen, immerhin sind wir verdammt viele. Umso interessanter ist es, sich mal anzusehen, was die Deutschen dieses Jahr am häufigsten gestreamt haben.

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Wir haben bei Spotify angefragt und flugs eine Top 450 für jedes einzelne Bundesland erhalten. Auf den ersten Plätzen herrscht erwartungsgemäß gähnender Gleichklang beschissener Songs, die sowieso das ganze Jahr schon im Radio vor sich hin dudelten. Wesentlich interessanter, was da auf den hinteren Plätzen passiert. Hier sind ein paar Dinge, die wir aus den Daten gelernt haben.

Auch 2015 sind Nickelback nicht totzukriegen

„How You Remind Me“ ist nicht nur der Song, mit dem Nickelback 2001 ihren Durchbruch schafften, sondern stellt auch die Blaupause für alle Songs dar, die sie in den darauffolgenden Jahren schreiben sollten. Somit ist dieser eine Song der Grund, warum Nickelback zu einem Synonym für Dad Rock geworden sind und wir sie so endlos scheiße finden. Daran stören sich erstaunlicherweise die Deutschen wenig. Im Saarland belegt der Song den stolzen Platz 299 und ist damit sogar vor Kanye Wests „All Day“, George Ezras „Budapest“ (der dabei doch gefühlt jeden Tag irgendwo lief) und Kraftklubs „Blau“. Vielleicht lauscht man in den zahlreichen Prostutitions-Hotspots des versauten Saarlands auch einfach lieber der öligen Stimme von Chad Kroeger, um sich dreckig genug zu fühlen, den lieblosen Verkehr durchzuziehen.

In Berlin geht mit hauseigenem Deutschrap nicht mehr viel

Erst auf Platz 36 nimmt ein Berliner Rapper Platz: Sido mit „Astronaut“. Der sitzt auf dem Sessel aber nur mit halber Arschbacke, weil sich Andreas Bourani noch dazu gesellt und überhaupt hat das alles doch nicht mehr viel mit Rap zu tun. So gesehen sind K.I.Z. mit „Hurra die Welt geht unter“ (#43) und „Boom Boom Boom“ (#75) die Top-Rapper der Berliner. Bushido krepelt mit „Butterfly Effect“ auf der #185 rum und ist in vielen anderen Bundesländern sogar beliebter als in Berlin. Und Kool Savas? Der ist nicht einmal mehr vertreten. Scheint ja ein äußerst beliebter König zu sein. Und der andere King, Kollegah? Der kommt nicht aus Berlin und ist hier auch so unbeliebt wie nirgendwo anders. Nur zwei Songs dudeln in der Liste, die das Selbstverständnis der Hauptstädter dann aber doch perfekt auf den erhobenen Kopf treffen: „Alpha“ und „Du bist Boss“.

Niemand hat Lust auf „Good Times“

Ein kurzer Blick in unsere Top 50 der besten Songs 2015 und ein ebenso schnelles Hineinblinzeln in die 16 Spotify-Listen lässt uns fassungslos mit den Ellbogen wedeln. Unser aller diesjähriger Lieblingstrack, „Good Times“ von Jamie xx und Young Thug wird in KEINEM einzigen Bundesland oft genug gehört, um einen verdienten Platz zu ergattern. Vielleicht hat bei all der braunen Scheiße, die dieses Jahr durch Heidenau und Co. gezogen ist, aber auch keiner die regenbogenfarbenen Good Times gefühlt. Und auf Bilderbuch oder Taylor Swift hat offensichtlich auch niemand Bock gehabt, die existieren nämlich ebenso nicht in den Listen.

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K.I.Z. dominieren Deutschland

Der Trend, lieber einzelne Songs rauszubringen, die sich in den Charts hübsch machen, ist längst betäubender Alltag geworden. Dafür haben Pitbull und David Guetta gesorgt. Und trotzdem sind nicht sie in sämtlichen Bundesländern am Häufigsten in den Top 450 vertreten, sondern K.I.Z.! Wohl durchdachte Alben ohne lieblose Lückenfüller machen sich also doch noch bezahlt. Vor allem in Ostdeutschland sind die Berliner mehrmals mit 17 Songs vertreten, Kraftklub kommen höchstens auf zehn, Bushido auf neun, Drake und Casper auf acht und David Guetta auf sechs.

Alle lieben die „Smoke weed everyday“-Line

Obwohl Dr. Dre dieses Jahr mit Compton endlich wieder ein neues Album veröffentlichte, hatte keiner sonderliches Interesse daran, sich das Ding oft anzuhören—schließlich durfte Spotify die Platte auch gar nicht streamen. Gegen seine beiden anderen Alben verblasst sein Drittwerk trotzdem wie Eminem in 8 Mile über der Kloschüssel. Klassiker haben es eben an sich, dass sie auch nach Dekaden immer noch gehört werden. Besonders der Song „The Next Episode“ von 2001 ist noch immer derart beliebt, dass er in jedem Bundesland um den Platz 200 herumstolziert. Und trotzdem fragen wir uns, ob es wirklich Zufall sein kann, dass er selbst 16 Jahre später noch derart hoch platziert ist und es im gleichen Jahr endlich jemand geschafft hat, den Einsatz von „Smoke weed everyday“ perfekt zu treffen? Höchst unwahrscheinlich. Erklärung: Alle haben vergeblich immer und immer wieder versucht, es ihm gleichzutun. Jeder, der was anderes sagt, ist ein freimaurender Illuminaten-Bilderberger.

holy shit. i did it. it took 15 years but i finally did it. i'm the first person to ever do this pic.twitter.com/xAN7rw96jG

— rob whisman (@robwhisman) July 20, 2015

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Brandenburg ist immer noch komisch

Grim104 hat uns ja schon gewarnt, aber Brandenburg scheint wirklich ein düsteres Hinterland zu sein, in dem man absolut nicht Tod über dem Zaun hängen, und schon gar nicht bei vollem Verstand in einer Stadt leben möchte. Was auch immer es ist, das die Brandenburger sich da in ihr Bier kippen, es hat schwere Auswirkungen auf ihre Synapsen. Wie sonst ist es zu erklären, dass Matthias fucking Schweighöfer—der Til Schweiger für Schwerhörige—mit „Fiegen“, einem der durchschnittlichsten Songs, die in Deutschland in den letzten Jahren produziert wurden, allein in diesem Bundesland den Sprung in die Liste geschafft hat? Okay, man kann Schweigerhöfer ja gar nicht böse sein. War immerhin sein erster musikalischer Versuch. Aber wer zum Teufel hört sich das denn so oft an? Bestimmt die gleichen Menschen, die Keinohrhase und Zweiohrküken für einen geeigneten Kinderfilm für ihren Nachwuchs halten. Sie liegen falsch.

System Of A Down werden niemals sterben

Es ist inzwischen zehn Jahre her, dass das letzte Album von System Of A Down erschienen ist und trotzdem haben Rheinland Pfalz, das Saarland und Thüringen die Exil-Armenier nicht vergessen. Noch immer dröhnt dort „Chop Suey“ durch die Boxen, vor denen inzwischen erwachsen gewordene Fans sitzen und lauthals „Wake up! Wakakdakala makeup!“ mitbrüllen.