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New music

Die deutsche Musikszene ist auch in den Ecken großartig, in denen wir nicht geguckt haben

Letztens haben wir einen Überblick über die Newcomer-Szene in Deutschland gegeben. Allerdings sind ein paar Ecken schmutzig geblieben. Jetzt räumen wir nochmal auf.

Im Sommer haben wir einen Artikel veröffentlicht, der großspurig titelte, dass die deutsche Musikszene großartig ist, und der zudem arrogant behauptete, dass—falls dir das entgangen ist—du nur in den falschen Ecken schaust. Im Zuge dessen haben wir vorsichtig versucht, einen Überblick über die Newcomer-Szene in Deutschland zu geben, jedenfalls über die unseres Erachtens relevanten Entwicklungen und Künstler. Daraufhin haben wir Pi mal Daumen 1000 Mails, Tweets und Kommentare bekommen, die uns auf noch mehr Ecken aufmerksam machen wollten, in denen wir noch nicht geguckt haben.

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Zugegeben, einige der Ecken ähneln der Unterseite deines Waschbeckens: ein kurzer Blick reicht, um zu wissen, dass die Ecke auch in Zukunft ignoriert werden sollte. Andere Ecken, die wir dank eurem Engagement entdeckt haben, sind dagegen ebenso großartig, weswegen wir uns in einer Fortsetzung nochmal ein paar von euch gesandten deutschen Newcomern widmen. Diesmal mit Anspruch auf Vollständigkeit, das versteht sich von selbst.

Wir beginnen mit Rap, um das Kapitel direkt wieder abzuschließen. Zugezogen Maskulin werden deutschen Rap nämlich leider ziemlich bald zerstören. Tut uns sehr Leid. Ihr neuestes Video „Alles brennt“ beweist eindrucksvoll, dass sie nicht nur vollkommen zu Recht neben ein paar anderen Nasen in unserem ersten Teil als Hoffnungsträger vorgeschoben wurden, sondern auch dass sie in der Lage sind, tatsächlich alles niederzureißen. Falls das doch nicht passiert, kommt vielleicht mal wieder ein Rapper aus der Rap Am Mittwoch-Ecke hervorgekrochen. Vielleicht Gozpel, der in der letzten Zeit mit dem einen oder anderen Video auf sich aufmerksam machte. Vielleicht töten Testo und Grim104 ihn aber auch, das ist Zukunftsmusik.

Dagegen wird die deutsche Pop-Sparte immer weiter ausgebaut mit wirklich vielversprechenden Bands. Und die kommen aus allen Himmelsrichtungen: Im Westen der Republik—in Köln—machen sich Bergfilm mit ihrem düsteren 80er Synthiepop bemerkbar, im Osten—in Leipzig—wurden wir des Öfteren auf ein paar Künstler aus dem Analogsoul-Umfeld hingewiesen, in dem in letzter Zeit einige spannende Releases erschienen, wie Earnest and Without You, das an Hundreds erinnert, oder A Forest, dessen Bandname die musikalische Atmosphäre schon passend wiederspiegelt.

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Ebenso aus Leipzig kommen Warm Graves, die eher in Richtung Psychedelic/Experimental gehen und für ihr Debüt gleich ein ganzes Konzeptalbum zu dystopischer Sciencefiction-Literatur erstellt haben. Ist der Blick schon mal in der Label-Ecke von This Charming Man sollten auch Night Shirts aus Bayern erspäht werden. Nebenan auf 8MM haben gerade DYN aus Berlin ein Album veröffentlicht. Nicht, dass wir in diese Ecken nicht sowieso ständig gucken, diese Bands sind schlichtweg frisch aus dem Ei gepellt. So schnell kann man gar nicht gucken, wie diese Labels neue gute Bands ausspucken.

Von der textlosen bis englischsprachigen Musik tauchen wir jetzt in die deutschssprachige Materie ein, auf die wir immerhin in Mails, Kommentaren und Privatnachrichten (!) vehement hingewiesen wurden. Ja, wir meinen euch, U3000. Dank ihres Videos „Mädchen, tanz mit mir“ muss die Band aber gar nicht so vehement mit dem Finger schnippen, Lässigkeit spricht auch für sich. Daneben wird es etwas punkiger mit Isolation Berlin und Kafvka, beide aus Berlin, die in nächster Zeit (Spoiler!) mit neuen Videos und Album von sich hören lassen werden.

Eine Musiksparte, die wir im ersten Teil noch unberücksichtigt gelassen haben, ist die wortlose Klaviermusik. Nachdem sich Nils Frahm zu einem der angesehensten Künstler seines Genres hochgearbeitet hat (nicht zuletzt wegen seiner mindblowenden Live-Shows), melden sich jetzt ein paar würdige Nachfolger zur Taste. Carlos Cipa aus München bringt im nächsten Monat eine neue Platte raus, genau wie Martin Kohlstedt aus Weimar, der im November sein Nachfolgealbum zu Tag, nämlich Nacht, veröffentlicht. Das Klavier ist so oder so das wohl schönste Instrument, wenn es dann noch beherrscht wird wie von diesen Herren, wird Techno nicht das einzige musikalische Exportgut aus Deutschland bleiben. Nils Frahm hat es vorgemacht.

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Neben diesen beständigen Künstlern, die ihr Handwerk seit Jahren beherrschen, gibt es auch ein paar junge, flatterhafte Musiker, die sich nicht so recht entscheiden können, wo sie anfangen und wo sie aufhören sollen. Der Song, der uns von Sir Pryce aus Düsseldorf zugeschickt wurde, „Phoenix Heart“ klingt zwar vielversprechend, ist allerdings keineswegs repräsentativ für seinen Stil. Er beschreibt es als Electronic/Dance/Complextro/House/Pop/Funk, wir würden sagen, es hat etwas mit einem ins Rhabarberfeld eingeschlagenen Blitz oder Post-Reggae gemeinsam. Wie dem auch sei, „Phoenix Heart“ ist ein beatlastiger Banger mit sehr aufgeblasenen Vocals und kein einziges Wort davon ist negativ gemeint.

Wo wir schon bei Beatlast sind, sollten wir natürlich mal erwähnen, dass es extrem viele, extrem gute Beatbastler in Deutschland gibt. Die sind vorwiegend in der Deutschrap- und Deutschtrap-Szene unterwegs und bekommen dort auch ihre Anerkennung, sie sind allerdings auch in Clubs anzutreffen. Neben ganzen Crews wie die Betty Ford Boys, die sich um Dexter, Suff Daddy und Brenk Sinatra einen Namen gemacht haben, arbeiten Produzenten wie Figub Brazlevič ebenso erfolgreich. Hier hat sich eine ganze Szene mit einigen erwähnenswerten Künstlern entwickelt.

Da aber Mühen auch belohnt werden sollten, wollen wir hier blutjunge Beatmacher erwähnen, die über den Hiphop hinaus die elektronische Beatszene aufräumen und uns ebenso Musik zukommen lassen haben. Wenn man den Soundcloud-Profilen von B A F F L und Kumpanen LOWTISM zum Beispiel Glauben schenken darf, sind die Berliner Jungs erst 17 Jahre alt, basteln aber schon fleißig an Beats. Wenn das nicht großartig ist, wissen wir auch nicht weiter, wir haben uns mit 17 höchstens passiv für etwas begeistern können.

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Den elektronischen Bereich wollten wir heute mal ignorieren, schließlich haben wir ja noch unsere fabelhaften Kollegen von unserer fablhaften Seite THUMP, auf der ständig Neues aus der elektronischen Musikwelt beachtet wird. Und bevor wir jetzt die „Ihr seid so behindert, ihr habt Schießmichtot vergessen“-Kommentarsektion eröffnen, möchten wir nochmal darauf hinweisen, dass wir durchaus wissen, dass die Welt eckig ist und es noch viele verstaubte Ecken in Deutschland zu entdecken gibt. Also Contenance, bitte.

Ihr kennt das Spiel. Wenn eine Band vergessen wurde, könnt ihr Viola auf Twitter vollheulen—@ville_vallo

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