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Interviews

Zugezogen Maskulin hassen ihren Namen

Zugezogen Maskulin—ist das irgendwas zwischen Gentrifizierungs-Gelaber und Savas-Vergötterung? Falsch. Die Jungs wollen weder die Prototyp-Zugezogenen sein noch Props von Savas bekommen.

Foto: Marc Cantarellas-Calvó

Zugezogen Maskulin. Was für ein dämlicher Name. Das kann ja nur was zwischen Gentrifizierungs-Gebrabbel und Savas-Vergötterung sein. Das werde ich mir nicht geben, dachte ich, als mir zum ersten Mal jemand von Grim104 und Testo erzählte. Doch weil man sich als Musikjournalist ab und an mal etwas reinzwingen muss, um nicht von den ADHS-Bloggern überholt zu werden, hörte ich mir ihr Album Kauft nicht bei Zugezogenen eben doch an. Und siehe da, die Jungs sind ja gar nicht so schlimm, wie ich dachte. Im Gegenteil: Die WG-Zimmer-MCs rappen zwar vom Every-Day-Hustle eines Berliner Zugezogenen, das aber mit einer beeindruckenden Beobachtungsgabe und einer Mischung aus viel Humor und einer gesunden Prise Wut.

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Ursprünglich kommen die beiden vom tiefsten Land und lernten sich in Berlin bei einem rap.de-Praktikum kennen—die klassische Geschichte einer aufstrebenden Rapper-Kombo vom Dorf also. Doch sie machen auch einsame Sache. Grim veröffentlicht morgen seine EP grim104 und Testo releast ebenfalls sein Töte deine Helden nochmal neu. Zwei Veröffentlichungen, die man sich zu Gemüte führen sollte, auch wenn man nicht den ganzen Tag zwischen X-Berg und F-Hain pendelt.

Nachdem mich die beiden herzlich zu unserem Gespräch begrüßen, merke ich sofort, dass das kein gewöhnliches Interview wird. Grim und Testo quatschen sofort los, obwohl ich noch nicht mal mein Diktiergerät ausgepackt habe.

Grim104: Wenn du Leute triffst, die keine Berührung zu Deutschrap haben, sagen die immer, du rappst auch? Wie heißt ihr denn? Zugezogen was?
Testo: Oder wenn sie keinen Bezug zur Gentrifizierung oder Berlin haben, dann denken die, es hat was mit Drogen zu tun. Und dann feiern sie es. „Zugezogen Maskulin? Geiler Name, schniiiief.“

Noisey: Bekommt ihr für den Namen eigentlich viel Abneigung von der deutschen Rapszene, vielleicht besonders von Westberlin-Maskulin-Jüngern?
Nee, bis jetzt nicht. Aber die meisten warten wahrscheinlich einfach, bis sich das lohnt.
Grim104: Als das vor zwei Jahren bei uns angefangen hat, gab es eine Person, die sich am „Zugezogen“ gestört hat. Aber das war‘s. Ich glaube auch, dass weder Taktloss noch Savas von uns wissen.

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Wenn doch, was würden sie zu euch sagen?
Die würden das scheiße finden. Taktloss findet eh alles scheiße. Und Savas wird uns auch keine Props geben. Von dem will ich auch keine Props. Wenn das der Savas von vor 15 Jahren wäre, dann würde ich mich übertrieben freuen. Aber von Xavas-Savas? Nee, Mann.

Wie ist der Name denn entstanden?
Testo: Es hat nichts damit zu tun, für die Zugezogenen ein Sprachrohr zu sein oder weil wir Westberlin Maskulin oder Südberlin Maskulin dissen wollen. Wir saßen einfach da und haben überlegt: „Westberlin Maskulin, Südberlin Maskulin, was wären wir dann? Alles klar, Zugezogen Maskulin“. Dann haben wir einen Song mit dem Namen gemacht, dann eine EP und weil die Leute es cool fanden, sind wir dabei geblieben. Wir haben aber sehr oft und sehr lange darüber nachgedacht, ob wir den Namen nicht nochmal ändern sollten.

Warum?
Grim104: Auf der einen Seite gibt es die Leute, die denken, dass wir die großen Gentrifizierungskritiker sind, dann denken einige, dass wir der Prototyp Zugezogene sind. Außerdem klingt der Name sehr clownesque. Bushido heißt „Der Weg des Kriegers“. Das ist cool. Aber „Zugezogen Maskulin“ hat immer so etwas latent Albernes. Die ersten beiden EPs waren auch albern und damals war es auch nur ein Projekt. Als es dann richtig losging, haben wir es so gelassen, weil es auch besser ist als „Grim104 und Testo“, was völlig bescheuert klingt. Aber wir dachten schon oft darüber nach, wie scheiße eigentlich der Name ist.

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Wollt ihr deswegen auch das Kürzel „ZM“ etablieren?
Testo: Genau, in weiser Voraussicht, falls irgendwer mal anruft und irgendwelche Rechte anmeldet.

Aber bei Südberlin Maskulin gab es diesbezüglich doch auch keine Probleme.
Grim104: Wenn sich jemand deswegen melden sollte, dann wird es wahrscheinlich aus der Südberlin-Ecke kommen.

Trotzdem befasst ihr euch ja mit dem Thema Gentrifizierung und der Lebensrealität in Berlin. Wen findet ihr denn schlimmer? Die verdrogten Kater Holzig-Zugezogenen oder die feindseligen Berlin-Nazis?
Testo: Ich finde beide gleich beschissen. Die können sich beide schön die Köpfe einschlagen, denn dann können die coolen Berliner und die coolen Zugezogenen zusammen chillen.
Grim104: Ich habe jetzt nicht das Umfeld, wo sich die großen Grabenkämpfe austragen. Eigentlich betrifft uns das kaum. Als ich hier hingezogen bin, habe ich mich natürlich viel mehr damit auseinandergesetzt. Aber irgendwann ist es auch gut.
Testo: Ich kann es natürlich verstehen, wenn Berliner, die sich in ihrem Kiez eingerichtet haben, sich aufregen, weil die Mieten so gestiegen sind und sie deswegen vertrieben werden. Aber das sollte, wie bei allem, nicht ins Extreme ausschwenken.
Grim104: Berlin ist eine Stadt, die schon seit den 20er Jahren durch eine extreme Fluktuation geprägt ist. Und da ist der spanische Student nicht die Ursache, sondern das Symptom. Mich ärgert einfach nur das verkürzte Denken, dass viele Leute, egal ob Berliner oder Zugezogene, an den Tag legen. Aber ich habe auch das Gefühl, dass die Leute vernünftiger werden.

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Habt ihr, vor allem auch durch den Namen, das Problem, Hörer anzusprechen, die nicht in Berlin leben?
Wir rappen ja auch nicht die ganze Zeit darüber, dass wir zum Späti gehen und danach mit der S-Bahn ins Kater fahren. Wir rappen über Themen, die du verstehen kannst, auch wenn du nicht hier wohnst. Selbst in Heilbronn wirst du, wenn du dich ein bisschen für die Welt interessiert, auch mitkriegen, dass es in Berlin eine Thematik gibt, die sich mit Zugezogenen auseinandersetzt.

Trotzdem seid ihr beide sehr genaue Beobachter. Hat es was damit zu tun, dass ihr in einem dörflichen Umfeld aufgewachsen seid?
Du kannst genauso gut in einer Großstadt aufwachsen und deine Umwelt beobachten. Ich habe aber das Gefühl, dass ich als Dorfkind ganz viele Distinktionslinien wie ein Netz um mich herum gebaut habe, was ich cool und was ich scheiße finde. Letztens ist mir aufgefallen, dass ich mir Parolen, Sticker und Plakate immer durchlese. Ich sauge einfach vieles auf.

Glaubt ihr, dass andere Rapper das auch machen? Ich habe das Gefühl, dass viele sehr in ihrem eigenen Film stecken.
Testo: Ich finde schon, dass viele Rapper viel um sich kreisen und thematisch sehr beschränkt sind—so sehr, dass sie nur darüber rappen, wie geil sie rappen können. Aber als Künstler musst du auch ein guter Beobachter sein, die Eindrücke müssen ja irgendwo herkommen, die du in deiner Kunst verarbeitest.

Das frage ich mich auch immer—hast du als Musiker, wenn du eine bestimmte Größe erreichst, überhaupt noch einen Bezug zur Realität, wenn sich dein Leben zwischen Studio, touren und Promoterminen bewegt?
Grim104: Klar rappt man dann übers Geld ausgeben und das Party-like-a-rockstar-Leben. Man müsste sich ja sonst bewusst kleinhalten. Natürlich macht Dizzee Rascal heute Partytracks statt über Teenager-Schwangerschaften und Messerstechereien wie früher zu rappen.
Testo: Man kann aber auch cool übers Berühmtsein und das Geldausgeben rappen. Wir sind nicht umsonst große Drake-Fans.

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Ihr beide habt euch bei einem Praktikum bei rap.de kennengelernt. Was hat euch das für eure Musikerlaufbahn gebracht?
Grim104: Als ich Reviews geschrieben habe, habe ich da schon sehr gerne absurde Bilder verwendet und habe das für mich später mitgenommen. Aber die wichtigste Erkenntnis war, dass ich wirklich lieber rappen wollte. Mir hat es zwar auch Spaß gemacht zu schreiben und Interviews zu führen, aber oft habe ich eine Hilflosigkeit verspürt, wenn du eine Review schreibst und die Fan-Armeen von irgendwelchen Rappern über dich herfallen. Du kannst es als Musikjournalist aber selber nicht besser machen, und das hat mich genervt.
Testo: Man hat da einen großen Überblick bekommen, was für Rap existiert, auch was es im Untergrund oder unter dem Untergrund gibt. Man konnte aber auch sehen, was an diesen Sachen nicht funktioniert und sich dadurch überlegen, wie man es besser machen kann.

Könnt ihr in Interviews besser auf den Interviewpartner eingehen, weil ihr ja auch schon mal auf der anderen Seite standet?
Ich habe nur ein Interview alleine geführt. Mit Blumentopf und die haben mich richtig gehasst, weil ich einen Verriss über ihre Kumpels von Creme Fresh geschrieben habe. Ich habe also nicht wirklich was gelernt, außer dass man zum Interviewer nett sein sollte.
Grim104: Ich hatte mal ein Interview mit F.R., das… (schaut seine Managerin an) Darf ich das sagen? (Sie sagt: „Klar“), das so uninteressant war, dass mir irgendwann nichts mehr eingefallen ist. Wir saßen in seinem Studio, wo er sein langweiliges Album aufgenommen hat und irgendwann hatte ich nur noch einen Blackout und habe eine Minute vor mich hingestammelt: Hmm… ja… puh… ja… ich weiß jetzt gar nicht mehr… hmm… Du bist gerade also aus Braunschweig gekommen… aha… Hier nimmst du auf… aha… Irgendwann habe ich nur noch geschwitzt.

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Kann das nicht auch nach hinten losgehen, wenn man sich über Leute wie F.R. auslässt? Ihr sagt im Gegensatz zu anderen Musikern jedenfalls sehr oft eure Meinung.
Ich muss jetzt nicht eine wandelnde Pöbellawine sein, aber wenn ich etwas scheiße finde, dann finde ich es scheiße. Und dann sage ich nicht nur, dass es nicht mein Geschmack ist. Dass F.R. einfach langweilig ist, das ist ja auch kein Geheimnis.
Testo: Genauso langweilig wäre man dann auch, wenn man so eine Wahrheit nicht aussprechen würde. Und außerdem: Wenn der liebe Gott ein Fenster schließt, dann macht er ein Türchen auf. So war das doch, oder?

Die selbstbetitelte EP von Grim104 könnt ihr euch bei iTunes, Amazon oder als Premium Edition mit Autogramm und Shirt hier bestellen.

Testos Neuauflage seiner 2012er EP Töte Deine Helden inklusive zwei komplett neuer Tracks bekommt ihr hier.

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