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Ich habe Victory Records eine zweite Chance gegeben und wurde von einem Hasen und einem Bären besudelt

Früher produzierte die Hardcore-Traumfabrik Alben, die Szenen nachhaltig beeinflussten, dann wurde sie von ihrer eigenen Geldgier aufgefressen. Was ist seitdem passiert?

Foto: Victory Records

Letztens hat YouTube wieder einmal die Frechheit besessen, mir irgendwelche unbekannten Bands vorzuschlagen. Aus mir unbekannten Gründen konnte ich dieses eine Mal trotz meiner Ignoranz nicht widerstehen und klickte auf das Video von Darkness Divided. Der Name klang halt geil, der Song dann weniger. Handwerklich liefern die Jungs aus Texas schon ab, sind aber unfähig selbst eine Speiche des Death-/Metalcore-Rads neu zu erfinden. Dass sie früher in einer christlichen Worship-Band waren und sich nach einem Bibelvers benannt haben, macht die Musik nicht gerade sympathischer. Nach kurzer Recherche fand ich heraus, dass die Jesus-Jünger seit einem halben Jahr bei Victory Records unter Vertrag stehen, dem berüchtigten Hardcore-Label aus Chicago. Victory hatte es also nach Jahren geschafft, dass ich mich wieder mit einem seiner Bands auseinandergesetzt hatte, unfreiwillig von der Vergangenheit eingeholt wurde und mich jetzt fragte, was eigentlich in all den Jahren im Hause Victory Records passiert ist. Haben sie aus ihren Fehlern gelernt?

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Kurze Erklärung: Sum 41 hatte mich zum Pop-Punk, NOFX zum Punkrock, WIZO zum Deutschpunk und Comeback Kid zum Hardcore gebracht. Ja richtig, nicht Black Flag, Minor Threat oder Bad Brains, sondern Comeback Kid. Kann ja nicht jeder so ein toughes Hardcore-Kid sein wie du. Zumal die musikalische Entwicklung von melodisch gespielten Schrammelakkorden und kratzigem Gesang zu mitreißenden Powerchord-Hymnen à la „Wake the Dead“ der nächste logische Schritt ist. Dank NOFX und den Punk-O-Rama-Compilations hatte ich so ziemlich den kompletten Epitaph-Katalog durchgehört (der damals echt gut war). Deswegen fiel mir bei meiner neuen Flamme Comeback Kid auch gleich das lustige Logo auf der Rückseite der CD auf: Die Bulldogge von Victory Records.

Das Wappentier prangte dort nicht ohne Grund, bewies das Label doch eine außergewöhnlich gute Nase, wenn es darum ging, talentierte Bands aufzuspüren und zu signen. Egal ob Hatebreeds Satisfaction Is the Death of Desire, Integritys Humanity Is the Devil, Thursdays Full Collapse, Baysides Bayside, Taking Back Sundays Tell All Your Friends, A Day To Remembers For Those Who Have Heart oder eben Comeback Kids Wake The Dead, all diese Bands und Alben hatten einen prägenden Einfluss auf die musikalische Entwicklung der jeweiligen Szene. Thursday hatte mit ihrem Release die Tür Richtung Mainstream geöffnet, welche Taking Back Sunday dann vollständig aus den Angeln hob. Victory erkannte das finanzielle Potenzial von poppigen Hardcore/Metal-Bands und signte alles, was unsicheren Teenies das Geld aus der Tasche ziehen konnte. Denen war es ja auch egal, dass Victory zweifelhafte Geschäftspraktiken mit den Bands betrieb, die ihnen den Weg in die Jugendzimmer geebnet hatten, in denen das Label jetzt treuen Sparschweinen die Fresse einschlug.

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Der erste Fall, der öffentliches Aufsehen erregte, war der Abgang von Thursday zum Major-Label Island Def Jam. In ihrer offiziellen Begründung beschuldigte die Band Victory-Gründer Tony Brummel, dämliche Merchandise-Artikel (Thursday-Furzkissen, WTF) ohne ihre Zustimmung verteilt zu haben und sich erst für sie interessiert zu haben, als sie größere Touren spielte und die Kasse klingelte. Vorher hatten sie sich in kleinen Clubs den Arsch abgetourt und wurden zum Dank dafür von ihm noch demoralisiert. Nachdem Hatebreed, Thursday und Taking Back Sunday das Label verlassen hatten, nahm auch das viktorianische Zugpferd Hawthorne Heights die Zügel selbst in die Hand. Grund: Um deren zweites Album zu pushen, griff Brummel ungefragt im Namen der Band den Rapper Ne-Yo an (dessen zeitgleich erscheinendes Album In My Words machte Brummel wohl nervös) und rief die Fans über den Streetteam-Kanal auf, Ne-Yos CDs in den Läden zu verstecken, während gleichzeitig die der Hawthorne Heights an besser sichtbare Stellen platziert werden sollten. Die Band beschuldigte ihn außerdem, ihre beiden Alben zwar 1,2 Millionen Mal verkauft zu haben, der Band vom Erlös aber nicht einen Dollar gegeben zu haben. Seine Begründung: Das Label hatte so viel in Werbung gesteckt, dass kein Gewinn abgesprungen wäre. Auch A Day to Remember verklagten Brummel, ihnen noch 75.000$ zu schulden.

Verdammt Victory, ihr hattet die Bands, die sich jedes Label wünscht und was habt ihr mit ihnen gemacht?

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Obwohl viele Labels ähnlich schlecht mit ihren Bands umgesprungen sind, sticht Victory als Mahnmal hervor. Eben weil es kein Major-, sondern ein Independent-Label ist, seine Wurzeln im Hardcore hat und die Underground-Ethik nur dazu benutzt hat, um Bands zu verführen. Jedenfalls so lange, bis eh jeder wusste, dass auch in Chicago nur tote Präsidenten regieren und deswegen immer mehr offensichtlich beschissene Bands gesignt wurden. Der absolute Tiefpunkt von Victory Records als ehemalige Meilenstein-Fabrik war wohl das Signing von Design The Skyline. Du findest diese „Band“ mittlerweile sogar im Urban Dictionary: „Undeniably the worst thing ever to happen to the metal scene.“

Victory konzentriert sich mittlerweile auch auf härtere Metal-Bands wie Feed Her To The Shark, Seeker und Darkness Divided. Nebenbei wird natürlich auf funktionierende Geschäftsmodelle anderer Plattenfirmen geschielt. Emmure sammeln die Mosh-Kids auf, die Clownsgesichter Snow White's Poison Bite fischen Dollarnoten im Fahrwasser von Pierce The Veil und Genrevergewaltiger wie The Bunny The Bear entern die Ipods der EDM-Teens. Jedoch verirren sich ab und zu auch junge Bands wie Counterparts und Islander auf das Label, die wirklich gute, ehrliche Musik machen. Was die Differenz zu Gestalten wie Meridian oder Neurotic November nur noch deutlicher hervorhebt. Natürlich werden als weitere Einnahmequelle fröhlich die Platten eben der Bands als limitierte, verschiedenfarbige Vinyls neu gepresst, die damals dem Label den Rücken gekehrt haben. Nein, die Typen werden und müssen sich nicht mehr ändern und gehen weiter den Weg eines profitorientierten Unternehmens, dem Musik soviel wichtiger ist, als irgendwelche „naiven“ Ideale der Subkultur, aus der sie entspringen. Können sie gerne machen, aber ohne mich.

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Letzten Endes versinnbildlicht ein Video der Victory-Band Close Your Eyes meine Erfahrungen mit dem Label am besten. In den ersten Sekunden dachte ich noch: „Fuck yeah, das Vorspiel zu einem alles zerstampfenden Breakdown, die Stimme drückt, die Jungs haben sichtlich Bock, ich habe auch Bock!“ Aber was kommt dann? Steht der Typ wirklich im Schneeregen und singt mit sanfter Stimme während er nachdenklich in die Ferne steht? Die Wolke der Enttäuschung benebelt mich wie ein übel riechender Furz nach einer durchzechten Nacht. Ich wurde von einer Band angefixt, habe dem Label wieder mal Zeit und Beachtung geschenkt und als Dank wurde mir ins Gesicht geschissen. Von einem Hasen und einem Bären.

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