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Das Tagebuch eines bedauernswerten Mannes: Aufstieg und Fall des Ozzy Osbourne

Wie konnte eigentlich aus dem Prince of Darkness der Prince of Commercials werden?

Ozzy Osbourne war mal der härteste Typ, den dieser Planet zu bieten hatte. Über Jahrzehnte hat er als Frontmann von Black Sabbath Berühmtheit erlangt, den Kopf einer lebenden Taube abgebissen und an das Alamo-Fort gepisst (was ihm eine zehnjährige Verbannung aus San Antonio eingebracht hat). Wenn du auf Ozzys englischer Wikipedia-Seite nach dem Begriff „Drug“ suchst, bekommst du 17 Treffer, was nur allzu logisch ist, wenn du bedenkst, dass er sich über einen längeren Zeitraum diverse Substanzen eingefahren hat, als die heutigen Möchtegern-Bad Boys überhaupt auf der Welt sind. Trotzdem wird Ozzy Osbourne heutzutage vor allem als Witzfigur wahrgenommen; genau wie dein exzentrischer Onkel, über den jeder lacht und den insgeheim jeder bemitleidet. Wie konnte das nur passieren?

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Drogen, Senilität und drogeninduzierte Senilität beiseite gelassen, kann man dafür zu einem großen Teil die Serie The Osbournes verantwortlich machen—die Reality-Show über seine Familie, die von 2002 bis 2005 auf MTV lief. Die Show hat Ozzy zwar vermenschlicht und der Welt eine ganz andere Seite von ihm gezeigt, allerdings war das auch eine Seite, die wahrscheinlich besser zwischen ihm und seiner Familie geblieben wäre. Obwohl es schon irgendwie witzig ist, einem ausgebrannten Typen dabei zuzusehen, wie er eine halbe Stunde lang versucht, seinen Fernseher einzuschalten, war es andererseits auch unendlich deprimierend mit anzuschauen, wie eine Metal-Gottheit an alltäglichen Aufgaben scheitert, nur um etwas Geld in die Familienkasse zu spülen. Das erinnert mich an ein Interview, das ich vor einer Weile mit Sebastian Bach von Skid Row geführt habe, in dem er mir erzählte, dass ihn weit mehr Leute auf der Straße aufgrund seiner Rolle bei Gilmore Girls erkennen, als aufgrund seiner Karriere als Frontmann und Sänger. Mit anderen Worten, nicht jede Publicity ist gute Publicity.

Auf ähnliche Weise wie Motley Crüe andauernd ihren Gitarristen Mick Mars auf die Bühne zerren, obwohl die Wirbel seines Rückens durch eine schwere Knochenkrankheit buchstäblich miteinander verschmolzen sind, scheint Ozzys Frau Sharon der maßgebliche Motor hinter der medialen Omnipräsenz des Prince of Darkness zu sein. Sie war diejenige, die mit MTV damals über die Show verhandelt hat, und sie war diejenige, die diese als Sprungbrett für ihre eigene Karriere genutzt hat. Dies sieht man deutlich an der anschließenden The Sharon Osbourne Show, ihrer Rolle als Jurymitglied bei der britischen Ausgabe von The X Factor und an ihrer derzeitige Rolle im The View-Abklatsch The Talk, wo sie an der Seite von anderen semi-wichtigen Medienpersönlichkeiten wie Darlene von Roseanne zu sehen ist. (Um es hier noch mal deutlich zu sagen: Ich stehe mit Sharon Osbourne auf Kriegsfuß, seit sie Iron Maiden beim Ozzfest 2005 den Strom gekappt hat. Das ist einfach unentschuldbar.*)

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Erinnerst du dich noch an diese wilden Typen?

Warum mich das so nervt? Weil Ozzy zu seiner Blütezeit ein unglaublich talentierter Künstler war, dessen Einfluss auf Metal unermesslich ist. Black Sabbath haben im Prinzip Metal, wie wir ihn kennen, erfunden—und während viel von ihrem Sound auf den unglaublichen Riffs von Tony Iommi basierte, muss man Osbournes einzigartigem Gesang genauso viel Kredit zollen. Nicht zuletzt dadurch wurden Songs wie „Iron Man“ oder „War Pigs“ zu zeitlosen Klassikern, die heute noch so lebendig klingen wie 1970, als Sabbath ihr einflussreiches Album Paranoid veröffentlichten. Und obwohl die meisten Musikerkarrieren von da an wahrscheinlich nur noch bergab gegangen wären, war das für Osbourne erst der Anfang.

Auf beinahe beängstigende Weise hat Osbourne es immer geschafft, die besten Metalgitarristen ausfindig zu machen und sie für seine Band zu verpflichten. Zur Riege seiner Axtschwinger gehörten schon Talente wie Randy Rhoads, Zakk Wylde und Jake E. Lee. Die Ära mit Rhoads fand jedoch ein abruptes Ende, als der Gitarrist 1982 mit nur 25 Jahren bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam. Obwohl seine Zeit mit Osbourne sehr kurz war, hat sich sein Gitarrenspiel auf „Crazy Train“ und „Mr. Crowley“ einen ewigen Platz in jeder Metal- (und Stripclub-) Playlist gesichert—ziemlich sicher hätten heutzutage weder die Songs, noch Rhoads Vermächtnis ihren Platz im Rockolymp gefunden, hätte letzterer nicht Quiet Riot verlassen und sich Ozzy angeschlossen. Und es gab damals einen Grund dafür, warum derartig talentierte Künstler mit Osbourne zusammenarbeiten wollten.

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Vielleicht noch bemerkenswerter ist die Tatsache, dass Ozzy es schaffte, auch in den 90ern relevant zu bleiben und nicht seine komplette Würde dranzugeben, als er 1991 mit seinem No More Tears Album dank radiofreundlichen Songs wie „Mama, I’m Coming Home“ und Meisterwerken epischen Ausmaßes wie „No More Tears“ mit dem Mainstream liebäugelte. Während Wylde die Hörer in „Road To Nowhere“ mit sägenden Metalriffs traktiert, singt Ozzy „The wreckage of my past keeps haunting me, it just won't leave me alone“ und weiter „I still find it all a mystery. Could it be a dream? The road to nowhere leads to me.“ Osbourne war sich rückblickend nicht nur seiner Schneise der Selbstzerstörung bewusst, die er hinterlassen hatte, sondern zu diesem Zeitpunkt offensichtlich auch klar genug im Kopf, dass er dieses offen in seiner Musik reflektieren konnte.

Ähm, ja.

Entweder ist es das Alter oder die Rechnung für die ganzen Substanzen, die Ozzy seinem Körper zugeführt hat, jedenfalls scheint er heutzutage nicht mehr in der Lage zu sein, Songs wie „Road To Nowhere“ zu schreiben. Ich habe versucht, mir Ozzys letztes Album anzuhören, das 2010er Scream, und es schien mir nur logisch, dass die „Tour“-Edition des Albums Liveversionen von „Bark At The Moon“, „No More Tears“ und „Fairies Wear Boots“ beinhaltete. Offensichtlich will noch nicht mal Ozzy selber seine neuen Songs auf dem neuen Album haben. Wirklich bewegend ist aber, wie er während des Intros zu „No More Tears“ dem Publikum ein „I love you all“ zuruft und man hört raus, wie ernst er das meint. Bei ihm ist es keine Standardfloskel, um seine Fans zufrieden zu stellen, sondern es kommt wirklich von Herzen. Tief im Kern von dem, was aus ihm geworden ist, existiert immer noch der Ozzy von früher, voller Widersprüche: sensibel und zerstörerisch, bösartig und emotional.

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Und genau das ist der Ozzy, den ich gefeiert sehen möchte. Leider ist das aber nicht die Person, die für gute Fernsehquoten und lukrative Werbeverträge sorgt. Also wird sie weiterhin in den Hintergrund gedrängt und wir bekommen stattdessen diese Karikatur des ehemaligen Prince Of Darkness, über die sich alle kaputtlachen können, nur um sich selber besser fühlen zu können. Es ist schon eine traurige Laufbahn für einen großartigen Künstler und ein noch traurigerer Indikator dafür, wo wir uns als Gesellschaft gerade befinden. Zum Glück wird uns für immer das Bild auf dem Cover des großartigen Live Albums Tribute erhalten bleiben, auf dem zu sehen ist, wie Ozzy Rhoads über seinen Kopf hebt und beide einen Gesichtsausdruck haben, als ob sie gerade einer Irrenanstalt entflohen wären. Es ist eher unwahrscheinlich geworden, Ozzy noch mal zu alter Form auflaufen zu sehen, aber hoffentlich werden seine Alben, die Anekdoten und der ganze Mythos, der ihn umgibt, es schaffen, das Bild von Ozzy in den Schatten zu stellen, das Teenager heutzutage von ihm bekommen, wenn sie durch das Fernsehprogramm zappen.

* Ich glaube, es ist hier wichtig anzumerken, dass es sich bei mir nicht um einen männlichen Weißen handelt, der eine Frau für den Fall eines Rockstars verantwortlich macht. OK, vielleicht trifft das hier zu, aber auch nur, weil es in diesem Fall auch wirklich stimmt. Und nur, weil wir heutzutage in einer Zeit leben, die so politisch korrekt ist, wie nie zuvor, ändert das nichts an den Tatsachen. Sharon Osbourne ist bestimmt eine großartige Geschäftsfrau, aber in diesem Zusammenhang hat sie meiner Meinung nach extrem ausbeuterisch gehandelt. Falls du dem was entgegenzusetzen hast, lass’ es mich gerne wissen.

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Jonah Bayer ist bei Twitter: @mynameisjonah

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