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Für immer Backstage: das Leben eines Roadies

Was man so alles erlebt, wenn man mit Mötley Crüe, Dio und Rick James unterwegs ist.

Paul ist ein vielgereister Roadie, der im zarten Alter von 16 mit 42 umgebauten Ananasdosen seine Karriere als Lichttechniker begann. Mit 18 begleitete er Elvis auf Tour und hat seitdem ein abwechslungsreiches Tourleben als Bühnen- und Lichtdesigner geführt. Zu den Künstlern, mit denen er unterwegs war, gehören Rick James, Mötley Crüe, DIO, Ozzy Osbourne, Black Sabbath, REO Speedwagon, Aerosmith und… Elton John.

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Am Anfang schien das ganze Geschäft natürlich unglaublich glanzvoll zu sein. Meine prägenden Tourjahre waren die frühen bis mittleren 70er—das goldene Zeitalter der Rock’n’Roll-Exzesse. Es war wie der wilde Westen, nur ohne Waffen. Rockstars wurden wie Götter verehrt und allein dadurch, dass du in ihrer Nähe warst, strahlte etwas von ihrem Glanz auf dich ab. Das ganze Reisen und der tägliche Auf- und Abbau können zermürbend und eintönig sein, aber wenn die Show auf der Bühne endlich losgeht, entfaltet sich diese unbeschreibliche Magie und die tausenden Kilometer und unzähligen Stunden machen sich sofort bezahlt. Das gilt für mich bis heute.

Damals hatten die großen Firmen noch nicht so wirklich mitbekommen, wie lukrativ das Tourgeschäft eigentlich ist, und kleine Unternehmen und Veranstalter bauten sich untereinander ihr eigenes Netzwerk auf. Auch wenn wir den Ausdruck selber vielleicht nicht so mochten, blieb die Bezeichnung „Roadie“ an uns kleben. Wir verschwendeten keinen Gedanken an Sparbücher, Krankenversicherungen oder Altersvorsorge. Es gab keine Handys, Computer oder Kabelfernsehen. Wenn du jemand anrufen wolltest, musstest du zur nächsten Telefonzelle. Wenn wir in unserer kleinen Welt mit Mietwagen, Charterflugzeugen und riesigen Bussen durch das Land reisten, waren wir frei. Wir hatten die Taschen voller Geld und mussten uns nicht an Regeln halten.

Mein erstes Mal war ich mit Billy Preston auf Tour und danach mit Frank Zappa and the Mothers of Invention. Ich war 19 und kam gerade frisch aus der High School. Als ich damit anfing, dachte niemand, dass ich eine gute Karrierewahl getroffen hatte. Lichttechnik hatte gerade erst angefangen, Teil der Tourproduktion zu werden. Es war ein Bereich, der noch komplett offen für Veränderungen und Innovationen war. Für mich bedeutete das einfach, dass es weder Richtig noch Falsch gab, schließlich war alles neu und unerprobt. Aber gal, ob du Sound-, Lichttechniker oder Roadie warst, wir alle liebten es, mit unserer Arbeit bei den Fans für bleibende Erinnerungen zu sorgen—das war auch der Grund, warum wir eine Tour nach der anderen mitmachten.

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Mit der Zeit wurden die Shows und damit auch die Technik immer größer und aufwändiger. Jedes Jahr trat eine weitere großartige Band auf den Plan, die ganze Generationen beeinflussen sollte. Rockbands dominierten das Radio und die Zahl der Fans wuchs ständig an. Die Menschen konnten sich in der Musik und der draufgängerischen Einstellung des Rock’n’Roll einfach wirlich gut wiederfinden. Alles war von dieser gewissen Mystik umgeben und die Shows wuchsen zu diesen alle Sinne in Beschlag nehmenden Erlebnissen an. Die 70er waren einfach die perfekte Zeit, um im Tourgeschäft zu sein.

Die Arbeit sah im Grunde so aus: Wir hatten es mit einer ganzen Palette unterschiedlicher Veranstaltungsorte zu tun, und mit jeder neuen Bühne warteten meistens auch neue Probleme auf uns, die bewältigt werden wollten: von Regen, über Kälte, Wind, Hitze, Feuchtigkeit, niedrigen Decken, bis hin zu schlechter Stromversorgung war so ziemlich alles dabei. Dazu kamen dann noch die Leute vor Ort mit ihren ganz eigenen Ideen und Vorstellungen, was sich mit einer übermüdeten Crew, die wenig geschlafen und eine lange, lange Busfahrt hinter sich hatte, nicht immer gut vertrug. Mit jeder Show musst du dich dieser Aufgabe von Neuem stellen und dich entsprechend anpassen.

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Ich will nicht lügen, die harte Arbeit forderte auch ihre Opfer. Nach der Show alles zusammenpacken, einladen, duschen und dich dann auch schon bald auf deine kleine, ungemütliche Pritsche im Bus zwängen und das immer wieder über Tage und Wochen, das ging ganz schön an die Substanz. Zwischendurch hatte man zwar mal einen Off-Day, an dem keine Show anstand, und man machen konnte, was man wollte, aber trotzdem war nicht jeder für diesen Job geschaffen.

Und dann gibt es natürlich noch die ganzen ausgefallenen Sonderwünsche. Es dürfte mittlerweile eigentlich nichts mehr geben, was mich noch groß überraschen würde. Auf Tour mit Mötley Crüe wollte Tommy Lee, dass ich sein Schlagzeug hoch über die Bühne hebe, es nach vorne über die Köpfe der Zuschauer fahren lasse und dann dort 360 Grad drehe—natürlich während er dahinter sitzt und darauf spielt. Zum Glück war ich nicht derjenige, der dieses Teil konstruieren musste, aber es war eine dieser typischen, monströsen Sonderanfertigungen, die jeden Abend auf der Tour auf- und abgebaut werden mussten. Tommy saß während der Performance auf einem Rennfahrersitz, auf dem er sich anschnallen konnte, und sein komplettes Drumkit war fest am Boden des Podests verankert. Um das Ganze noch einen Ticken spannender zu machen, kippte sich Tommy kurz vor der rotierenden Showeinlage auch gerne mal eine halbe Falsche Whiskey hinter.

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Eine weitere riesige Anfrage war ein etwa sieben Meter großer, hydraulischer, feuerspeiender Drache; zwei sich entgegenstehende Ritter, die Laserstrahlen aufeinander schossen und Pyrotechnik, die überall auf der Bühne explodieren sollte—alles für Ronnie James Dio. Das Publikum liebte die Show, aber die Logistik, die Planung, die Konzeption, der Bau und das Ganze so hinzubekommen, dass es jeden Tag über Monate hinweg auf und abgebaut werden konnte, war ein harter Brocken.

Ich hatte allerdings großes Glück. So gut wie immer hatte ich eine tolle Beziehung zu den Künstlern, mit denen ich zusammenarbeitete. Auch wenn natürlich nicht immer alles Friede, Freude, Eierkuchen war, brachte das Touren doch lauter ähnlich tickende Menschen zusammen. Es herrschte eine starke Kameradschaft, am Ende waren wir doch nichts anderes als eine große Familie. Ozzy Osbourne hatte mit seinem Alkoholkonsum natürlich seine Hoch und Tiefs und war ein ziemlicher Scherzbold, aber er und Sharon haben mich immer gut behandelt. Elton John war ziemlich launisch und exzentrisch, aber hatte ein Herz aus Gold und kümmerte sich so gut um mich, als wäre ich Gast bei einem Gala-Dinner der Queen. Rick James mit seiner schroffen und vorlauten Art wollte eigentlich immer nur das Beste für alle und behandelte mich immer gut. Bei REO Speedwagon wurde ich sogar fester Teil des Kernteams und habe sie dann die letzten elf Jahre immer auf Tour begleitet.

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Von allen Rockstars mochte ich Ronny James Dio aber mit Abstand am liebsten. Wir sind von 1983 an bis zu seinem letzten Projekt mit Heaven and Hell zusammen um die ganze Welt gereist. Er war der kreativste, fürsorglichste und liebenswürdigste Mensch auf Erden, aber er war auch jemand, der sich nicht verarschen ließ. Ich vermisse diesen Mann seit seinem Tod sehr.

Und es gab natürlich auch eine Menge nicht ganz so cooler Leute, die ich hier aufzählen könnte. Ich bin aber jemand, der schnell vergibt (aber nicht vergisst) und solche Geschichten als Erfahrung abtut. Ich erinnere mich lieber an diejenigen, die eigensinnig und mutig oder einfach dumm genug waren, um irgendwelche bescheuerten Aktionen oder Streiche abzuziehen. Auf Rick James' Tour war bei zwei oder drei Auftritten die Bundespolizei aufgetaucht, aber Rick haben sie nie in die Finger bekommen. Rick hatte sich den Vorschuss für die Tour von einem Promoter geben lassen, sich dann aber für einen anderen entschieden, ohne dem ersten Promoter sein Geld zurückzugeben. Natürlich wollte der seine Kohle zurück. In Dallas bekam Rick dann Wind davon, dass ihm die Cops an diesem Abend auf den Fersen waren. Man muss aber wissen, dass die Bühne eine Art Sicherheitszone ist. Die Gesetzeshüter warten also in der Regel, bis das Konzert vorbei ist, bevor sie sich jemanden packen. Und so stellten sie sich auch in Dallas demonstrativ vor die Bühne und verfolgten die Show. Ricks Ritual zum Ende des Konzerts beinhaltete damals einen dicken, fetten Joint—und auch dieses Mal wollte er sich von den Polizisten nicht von seinem Brauch abhalten lassen. Er zündete sich also das Teil an und blies den Rauch in die Richtung der Cops. Das war 1981. Sie machten nichts. Dann ging er Backstage und schlüpfte schnell in einen weiten, blauen Overall und zog sich eine Afroperücke über den Kopf und setzte eine Sonnenbrille auf. Gleichzeitig zog sich sein Assistent eins von Ricks langen, blendendweißen Capes an und ging auf die Bühne. Während das Publikum durchdrehte und nach einer Zugabe schrie, ging Slick Rick in aller Seelenruhe an den Polizisten vorbei und stieg in ein wartendes Taxi.

Am Ende ist dieses Business einfach nicht für jeden was—egal, ob Mann oder Frau (von denen es nach wie vor viel zu wenige gibt)—und es hat seine ganz eigene Methode, dich auszuwählen oder zerkaut wieder auszuspucken. Eine Art Nebenverdienst besteht natürlich auch darin, dass du viel von der Welt zu sehen bekommt und etwas tun kannst, dass dir persönlich auch so viel bedeutet. Du lernst durch die ganzen Kulturen und Menschen, auf die du unterwegs trifft, mehr als durch jedes Studium.

Ich arbeite selbstständig und werde diesen Job wohl so lange weitermachen, wie ich kann. Du musst dir ständig vor Augen halten, was dir gut tut, vernünftig essen und in Form bleiben. Was ich tun würde, wenn ich auf diesen weltlichen Planeten zurückkehren und noch mal von vorne anfangen würde? Wenn ich die Wahl hätte, wäre ich am liebsten das kleine, süße Schoßhündchen eines Supermodels.

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