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Interviews

„Wenn ich nur covern müsste, würde mich das zerstören“—Interview mit einem Profi-Musiker

„Du hast jahrelang studiert, übst jeden Tag, bist ein richtiger Musiker und verdienst damit dein Geld. Dann ist da dieser DJ, der genauso viel wie die ganze Band bekommt.“

„Aha, du bist Musiker… und wovon lebst du?“ Das ist die Frage, die jeder kennt, der Musik zu seinem Beruf gemacht hat. Kein Wunder. Es ist nämlich verdammt schwierig, davon zu leben. Immerhin hast du dir eine Karriere in einem Arbeitsbereich ausgesucht, in dem deine Gage für das Benzin draufgeht und du öfter mit Spaghetti—in undefinierbarer roter Soße—und zwei Getränkegutscheinen bezahlt wirst. Vielleicht ist es das wert, weil du das machst, was du liebst. Wenn sich die paar Betrunkenen vor der Bühne zum zehnten Mal Life is Life wünschen, bereust du aber vielleicht, doch kein BWL-Studium absolviert zu haben.

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Mathias Krispin Bucher ist 28, lebt in Wien und hat sich erfolgreich gegen eine Karriere als seelenloser Banker gewehrt. Wir haben uns mit ihm getroffen und darüber geredet, wie es ist, von Beruf aus Bassist zu sein.

Noisey: Wann hast du gewusst, dass es dir Ernst ist und du mit Musik dein Geld verdienen willst?
Mathias: Da gibt es einen bestimmten Moment. Ich bin ja in Viktring in die Schule gegangen (ein Musikgymnasium). Dort habe ich Saxophon gelernt und angefangen, in Bands zu spielen. Zuerst Gitarre, dann gab es keinen Bassisten, also habe ich angefangen, Bass zu spielen. Der übliche Weg. Irgendwann bin ich mit meinem Vater zum Jazzfest nach Wiesen gefahren. The Cat Empire hat gespielt. Es war 01:00 Uhr in der Früh und zehn Leute standen vor der Bühne. Ich stehe also da, sie gehen auf die Bühne und rocken das Haus. Mein Vater schaut mich an und sagt: „Übrigens, für die Musik-Hochschule braucht man kein Abitur.“ Am Montag drauf hab ich mich von der Schule abgemeldet und bin auf die Musik-Hochschule gegangen.

Musst du viel Mist spielen, der dir nicht gefällt?
Oh ja (lacht), ich hab schon alles gemacht. Ich stand auf irgendwelchen Dorfbühnen und habe Volkslieder im Elvis-Stil gespielt. Auf anderen Dorfbühnen habe ich mit einer schlechten Coverband österreichischen Pop gespielt. Das waren die fürchterlichsten Sachen, die ich gemacht habe. Am Anfang spielst du alles, was du irgendwie kriegen kannst und schaust, dass du irgendwas verdienen dabei kannst.

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Kannst du dir mittlerweile aussuchen, was du machst?

Es geht in die Richtung. Ich bin noch nicht ganz dort. Es gibt noch Auftritte, die ich spielen muss, weil sie mir einfach Geld bringen.

Zum Beispiel?
Ich spiele mit einer Band in Pinzgau. Alles liebe Leute, ich habe sie furchtbar gern, und wir haben uns ein Programm ausgesucht, das wir selber mögen. Wir spielen nichts, was uns furchtbar auf die Eier geht. Eher so Stevie Wonder, Michael Jackson, Soul, Motown und ein paar funkige Sachen. Da ist ganz cool. Aber wir spielen relativ viele Gigs, die man zwiespältig betrachten muss. Da gibt es diese Stadtfeste in Zell am See. Du hast vier Stationen und spielst 45 Minuten auf einem Fleck in einer Horde betrunkener Menschen, die dich anpöbelt und dir in die Instrumente greift, während du gerade spielst. Dann hast du eine Viertelstunde, um durch diese Masse hindurch zum nächsten Standort zu kommen, aufzubauen und wieder 45 Minuten lang dasselbe spielst. So ziehst du den ganzen Abend herum. Das sind die Gigs, die du nur wegen dem Geld machst.

Was gibt es denn für Arten von Gigs für Musiker?
Es kommt darauf an, in welche Richtung du gehen willst. Profimusiker ist nicht gleich Profimusiker. Du spezialisiert dich auf Jazz oder Theatermusik, spielst im Orchester oder auch auf der Straße. Ich schaue, dass ich mich so breit wie möglich aufstelle. Das ist der einzige Weg, den ich gefunden habe, um davon leben zu können.

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Musst du dafür viel herumfahren?
Zurzeit sind alle meine Gigs außerhalb von Wien. Ich mache viel in Kärnten und in der Steiermark spiele ich in einer Jazzband. Ich lerne gerade Leute in Wien kennen und knüpfe Kontakte, um das in Wien zu festigen, damit ich nicht herumfahren muss, um mein Geld zu verdienen. Das passiert gerade langsam.

Ist Wien besser für das Geschäft?
Das kommt drauf an. Es ist so, wenn du Covermusik machst—Unterhaltungsmusik—, dann bist du auf dem Land nicht schlecht aufgestellt. Dort gibt es Stadtfeste und solche Geschichten und die sind nicht schlecht bezahlt. Wo man in Wien gut verdienen kann, sind diese Touristen-Klassik-Konzerte. Wien ist die totale Klassik-Hochburg.

Und Jazz?
Jazz ist ein schwieriges Thema in ganz Österreich. Urban oder auf dem Land, es ist überall nicht so einfach. In Wien gibt es eine super Szene, aber wieviel man damit verdienen kann, sei dahingestellt. Es gibt eine Oberliga, die spielen in ganz Europa ihre Konzerte, aber ein paar Schritte darunter gibt es total coole Musiker, die aber alle schauen müssen, wie sie überleben.

Verdirbt es einem die Freude, wenn man irgendeinen Scheiß spielen muss?
Ja, das kann einem die Freude schon kaputtmachen. Aber da liegt es an jedem selbst, dass das nicht passiert. Ich habe meine Cover-Gigs, Vernissagen und Lesungen auf denen ich spiele, mein eigenes Zeug und Workshops. Die Summe aus dem Ganzen macht mich glücklich. Wenn ich nur vom Covern leben müsste, würde mich das zerstören.

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Imago/Hohlfeld

Kannst du davon gut leben?
Es ist eine Einstellungssache. Ich kenne viele Menschen, die nicht so leben könnten wie ich. Man muss gewisse Bedürfnisse, gewisse Anforderungen runterschrauben. Leben kann ich schon, vom „gut leben“ bin ich noch entfernt. Ich schlage mich von Monat zu Monat durch. Du hast kein fixes Einkommen und weißt nie genau, wo du die nächste Miete herbekommst. Ich kenne viele Menschen, für die das zu belastend ist. Aber für mich gibt es nur das. Ich habe es ja probiert, habe fünf Jahre lang in der Musikschule unterrichtet, aber für mich ist das nichts. Entweder bist du Musiker oder Musiklehrer. Das dazwischen hat für mich nicht funktioniert. Man muss in Kauf nehmen, dass man keine Sicherheiten hat und das Konto auch einmal überziehen und beschissene Jobs annehmen muss.

Das klingt ja nach dem Stereotyp vom armen Künstler.
Hubert von Goisern hat einmal gesagt, dass er nicht mit Musikern spielen will, die Lehrer sind. Wenn du Lehrer bist, stumpfst du musikalisch ab. Du bist gefesselt an den Job und deine Kreativität geht den Bach runter. Das habe ich bei mir erlebt. In der Zeit, in der ich unterrichtet habe, hatte ich das Gefühl, dass, wenn ich so weitermachen würde, ich nicht mehr als Musiker leben könnte. Mir geht es nicht um die Kohle, ich bin Musiker geworden, weil Musik ein Ausdruck ist. Um irgendwas zu erschaffen, das lebt. Alles, was mir wichtig im Leben ist, hat mit Musik zu tun.

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Wie ist es, mit beschissenen Kollegen zu spielen?
Ein Freund von mir hat ein drei-Punkte-System aufgestellt: Kollegen, Gage und Stil. Zwei von diesen drei müssen passen. Man kann vieles verkraften. Du kannst in einer Location spielen, wo es regnet ohne Ende und sich keiner für das interessiert, was du machst, solange du mit netten Menschen spielst und die Gage passt. In derselben Situation ist es ohne nette Kollegen aus. Die Kollegen sind sicher der wichtigste Punkt. Du kannst aus schlechter Musik, oder schlechten Ambiente, immer noch einen lustigen Auftritt machen.

Foto von Mathias Bucher

Das klingt alles mehr nach 9-to-5-Job als Rock'n'Roll.
Ich bin kein Rock'n'Roller. Das kannst du dir nicht mehr erlauben, wenn du davon leben willst. Es ist ja eine wirklich biedere Angelegenheit. Im besten Fall legst du dir ein Konzept zurecht. Von neun bis zehn übst du. Von zehn bist zwölf E-Mails checken, dann Mittagspause. Danach arrangieren. Wenn du wirklich davon leben willst, musst du das so aufziehen. Du brauchst Disziplin. Die ich auch nicht immer habe, deswegen lebe ich davon auch noch nicht so gut.

Wie ist es mit der Konkurrenz unter Musikern?
Ich hab vor Kurzem einen Einblick in die Tanz-Szene bekommen. Was ich dort gesehen habe, war beinhart. Jeder gegen jeden: „Ich will den Job und muss dich irgendwie raushauen, damit ich ihn kriege“. In der Musik ist das nicht so. Zumindest habe ich es so noch nicht erlebt. Aber es gibt Cliquen, Gruppen von Menschen, die schon viel miteinander gemacht haben, die zusammenhalten. Teilweise kommt man da auch nicht in die Szene rein. Dann wird es schwierig. Ich bin zum Glück privilegiert, in meiner Studienzeit Musiker kennengelernt zu haben, die ich wahnsinnig schätze. Mit denen haben wir unsere eigene Clique.

Wie ist die Konkurrenz zu DJs?
DJs sind ein guter Punkt. Du spielst bei irgendeinem Fest, hast das jahrelang studiert, übst jeden Tag, probst, bist ein richtiger Musiker, verdienst damit dein Geld und stellst dich auf die Bühne. Auf der Nebenbühne steht dieser DJ, der sagt: „Ich bin eigentlich Elektriker und am Wochenende komme ich her, drück auf ‚Play‘, dann wieder auf ‚Stop‘ und dann geh ich wieder heim.“ Der bekommt genauso viel wie die ganze Band. Da läuft irgendwas schief. Wenn du in einem Hotel Hintergrundjazz spielst, oder als Coverband beim Stadtfest, bist du immer Dienstleister. Du kommst an, gehst in die grausige Küche, kriegst irgendein grausiges Gulasch—wenn du überhaupt was kriegst—dann gehst raus und spielst. Dabei denkst du dir: „Das ist ja eigentlich mein Herzblut, was ich hier mache und nicht nur irgendwie eine Horde Menschen durch den Abend zu bringen.“ Aber es gibt auch die Momente, wenn du mit dem Kontrabass in der U-Bahn stehst und jemand sagt: „Boah, cool, ein Cello". Nein, ist ein Kontrabass, aber ja, passt, ist schön. Solche Momente, wo du merkst, dass Musiker ein gewisses Ansehen haben. Aber dort, wo du hingehst um Geld zu verdienen, musst du irgendwie lernen damit umzugehen. Oder auch nicht, und du scheißt drauf und verdienst nur mit Kunst dein Geld. Dann wird es halt schwieriger.

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