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Noisey Blog

So ist es, als Metalhead auf dem Land aufzuwachsen

Auf dem Land kann man mit Nietenarmbändern und „Tut dir was weh?“-Vocals immer noch schockieren und provozieren.

Die Jugend auf dem Land—geprägt von nie enden wollenden Wanderausflügen mit der Familie, Komagesaufe in der Unterstufe, Post-Party-Gewaltmärschen nach Hause und der wichtigsten Sache überhaupt: Metal. Im Gegensatz zum pulsierenden Zeitgeist der Großstadt hat in der Provinz Metal seinen Rebellionscharakter noch nicht eingebüßt und ist immer noch fähig, neue brennende Anhänger zu rekrutieren. So auch am absoluten Metal-Nabel Europas, im österreichischen Vorarlberg. Und genau dort habe ich als frischgebackener Aspirant der Metalzunft irgendwann beschlossen, mir eine Gitarre zu kaufen und eine Band zu gründen.

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Denn Metal bietet wie jede Szene oder gesellschaftliche Strömung primär eine Gruppenidentität. Metal ist eine Szene, welche schon seit Jahrzehnten ihre gesellschaftliche Rolle des Dissidenten verloren hat, aber auf dem Land kann man mit Nietenarmbändern und „Tut dir was weh?“-Vocals immer noch schockieren und provozieren. Man könnte das Ganze am besten als organisiertes Entry-Level-Außenseitertum beschreiben. Als kleiner, wohlgenährter, sich körperlich eher langsam entwickelnder Jugendlicher entsprach ich schon vor der Rekrutierung dem „der wird sicher mal Metal hören“-Klischee. Es war unausweichlich.

Am Anfang stand Iron Maiden, welche heutzutage aber im Vergleich zu heutigem Underground-Metal, eher auf einer Kuschelrock-Platte vertreten sein könnten. Dann kam Amon Amarth, als bekanntester Vertreter der „Irgendwas mit Zeitepoche“-Fraktion. Danach meistens die Mittelalter-Bands wie Eluveitie oder Korpiklaani, welche das Ganze mit obskuren Dudelei-Instrumenten noch unerträglicher machten. Seit es Djent gibt, ist auch die Pseudointellektuellmetal-Fraktion aus ihrem Meshuggah-Käfig ausgebrochen und gibt dem geneigten Jugendlichen Identifikationsfläche en masse. Riff für Riff, Breakdown für Breakdown. Wem das alles nicht hart genug war, der pilgerte entweder zum 90er-Deathmetal oder zur hektischeren Version davon.

Der erste Metalfestival-Besuch führte mich dann auch an die Kultur des sich „Wie ein höflicher Höhlenmensch aufführen“ heran, und in der Encyclopaedia Metallum wird alles über seine Helden in Erfahrung gebracht. Ob das nun Metallica oder eine Grindcore-Band ist, bei deren Namen sich nicht mal Alice Schwarzer sicher wäre, ob das jetzt superfeministisch oder maximal chauvinistisch ist—vollkommen irrelevant. Besagtes Metalfestival ist meistens dann auch der letzte Tropfen an Motivation, welcher das sich schon lange füllende „Ich muss eine Band gründen“-Wunschfass zum Überlaufen bringt. Denn all diese dünnen pickeligen Typen auf der Bühne haben Bärte und superteure Gitarren, die Macht des Metals muss also existent sein! Next Step: Arbeiten und/oder Eltern anbetteln und sich eine Ibanez GIO mit einem dieser fürchterlichen Roland-Übungswürfel kaufen.

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Wenn Second-Hand-Einsteiger-Gitarren sprechen könnten, wäre es ein kreischender Chor aus geplatzten Metalhelden-Fantasien. Dies sollte jedoch nicht das Schicksal meiner Gitarre GIO sein. Ich hatte das Glück, nach dem ersten Jahr des Gitarrequälens einer Band beizutreten, welche zumindest davor schon einmal einen Song aufgenommen hatte. Der Metaltraum lebte weiter und dass ein Proberaum weiter die österreichischen Metalhelden von The Sorrow ziemlich gutes Material ablieferten, war in „Team“ noch der Punkt auf dem „i“. Wenn die das können, muss das Schicksal für mich selbst doch auch etwas bereithalten.

Symbolfoto: Imago

Bands sind ja immer ein ganz spezieller Mikrokosmos, aber Metalbands besonders. Schon eine normale Band braucht immer ein gemeinsames Ziel, um nicht schon beim Anblick des mickrigen Chancenberges zu zerfallen. Manche halten dadurch zusammen, dass sie nur Mädchen bekommen wollen. Manche sind rein zufällig in der selben Musikschule und starten eine dieser Coverbands, in denen mindestens ein Mitglied der Elternteil von irgendwem anderen aus der Band ist—du weißt, dass du in der Pampa wohnst, wenn irgendwer öffentlich zugibt, mit seinen Eltern in einer Band zu sein. Das Problem mit Metalbands ist aber meistens, dass Metal eine so breitgefächerte Subkultur ist, dass jedes Mitglied seine eigene Agenda hat und von den musikalischen Vorlieben seiner Mitstreiter wenig bis gar nichts hält. Willkommen in einer Subkultur, in der jeder seine persönliche Art der adoleszenten Überkompensation bis aufs Blut verteidigt.

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Das Problem wird immer dadurch verstärkt, dass du in deiner ländlichen Gegend schon mit allen Metalhörern, die es gibt, in einer Band spielst. Man kann sich nicht nach gemeinsamen Interessen organisieren, weil es einfach nicht genug Jugendliche gibt, die ihre Weihnachts-GIO nicht nur besitzen, sondern auch spielen. Also war ich in einer Musikszene gefangen, in der das Deathcore-Kid mit dem „Ich bin 30 Jahre zu spät geboren, Iron Maiden sind der einzig wahre Metal“-Elitisten zusammenspielen muss. Ich bekenne mich jetzt hier öffentlich: Ich war der entnervende Techdeath-Pseudointellektuelle. Dass wir trotz alledem zwei EPs veröffentlicht haben, grenzt—im Nachhinein betrachtet—an ein Wunder, welches sogar der Papst als solches würdigen müsste. Seeligsprechung wäre ziemlich Metal.

Es folgten erste Konzerte und ein paar kleine Weekender-Touren welche ich, als selbsternannter Provocatéur par excellence, meistens zum großen Ärgernis meiner Bandmitglieder in knallpinken T-Shirts spielte. Es ging mir dabei nicht mal um ein Statement, sondern nur darum, meine Bandmitglieder zu ärgern. Obwohl sich Metal immer als sehr tolerante, progressive Subkultur sieht, ist sie oft das genaue Gegenteil. Wenn man nicht dem derzeitigen Strömungsklischee entspricht, wird man sofort als „nicht Metal“ gebrandmarkt. Wie man sich vorstellen kann, ist es eine Sisyphusaufgabe, dieses ganze Gebilde an Posertum zu navigieren, welche auch den gewieftesten Gesellschaftswissenschaftlern misslingen würde. Denn ich war nicht nur in einer Metalband, ich war in einer Metalcore-Band. Einer Land-Metalcore-Band. Wir haben auf der Metalcore-Peinlichkeitscheckliste auch wirklich gar nichts ausgelassen. Breakdowns? Check. Gangshouts? Check. Gitarrensolos mit viel mehr Noten als nötig? Check. Cleanvocals in den Refrains? Check. Lyrics in schlechtem Englisch? CHECK. Das Ganze hat aufgrund unserer naiven Jugendliebe zum Krachmachen sogar irgendwie funktioniert. Konzerte wurden gespielt, Tonträger veröffentlicht—so weit, so Land. Wir waren zu Land für die Welt und zu Welt für das Land.

Das Ganze war viel Streit und viel Spaß und hat geendet, wie alles vor der Uni enden muss: Ich ging studieren. Die Ambitionen verliefen sich im Sand und ich fand andere Methoden, meine Zeit zu töten. Unterm Strich waren wir ein Klischee. Ein Klischee, welches sich in jeder Anhäufung von Gemeinden unter 10.000-Einwohnern immer und immwer wieder abspielt. Mecklenburg-Vorpommern, Dinkelsbühl, Vorarlberg, wir sind alle gleich. Wir sind alle Absolventen des Musikerausbildungslagers Landmetalband. Wir waren ein Klischee, welches sich seit fast drei Jahrzehnten in verschiedenen Iterationen hält. Wir waren ein Klischee, welches sich jedes Jahr in anderer Besetzung wiederholen wird. Das Klischee der unreflektierten Krachmacher. Das Klischee der Metalband-Typen, die einfach wie ihre musikalischen Vorbilder sein wollten. Das Ganze war so toll, wie es peinlich war. Wir waren die Landmetaljugend.

Der Autor hat metalkonform Informatik studiert und hört jetzt Taylor Swift: @igrpp